Aufruf
zur Rechtstreue
Die Ängste bezüglich Gesetzesbruch und fehlender Rechtstreue von
"extremistischen" Muslimen (früher hießen diese "Fundamentalisten") sind
tief in den deutschsprachigen Medien verankert. Die Grundzüge dieses
Gedankens sind dabei recht einfach gestrickt: Ein "extremistischer
Muslime" zieht entgegen dem "moderaten" oder "reformierten" Muslim den
Heiligen Qur'an und das Vorbild seines Propheten gepaart an die so genannte
Scharia jedem weltlichen Gesetz vor und ist somit ein potentieller
Gesetzesbrecher, was irdische deutsche oder europäische Gesetze anbelangt.
Mit propagandistisch verängstigenden Texten wird ein
Feindbild geschürt, dass im krassen Gegensatz zur Realität auch im eigenen Land
steht. Zudem gibt die Behauptung bezüglich angeblichem Widerspruch zwischen Scharia und
weltlichem Rechtssystem (z.B. Deutschlands) nur einen Auszug der Fakten wieder
und verheimlicht aber wesentliche Aspekte.
Imam Khomeini wurde einmal von einem Studenten, der in Deutschland
lebte, sinngemäß befragt: Darf ein Muslim, der in Deutschland einen Brief mit
einer deutschen Briefmarke erhält, die nicht abgestempelt wurde, diese vom Brief
abnehmen und ein zweites Mal nutzen?
Die Beobachter der Szene schildern Imam Khomeinis Reaktion wie folgt: Imam
Khomeini runzelte scheinbar wütend die Stirn und entgegnete mit großer
Ernsthaftigkeit und Entschiedenheit, dass ein Muslim keinen Diebstahl begeht!
Wohlgemerkt es ging nur um eine einfache kleine Briefmarke und die Gefahr
der Aufdeckung dieses Schwindels ist gleich Null! Aber dennoch, ein gläubiger
praktizierenden Muslim, der Gottes Gebote einhalten möchte, tut so etwas eben
nicht! Oder anders ausgedrückt, er tut nicht einmal so etwas! Der Nachfolger von
Imam Khomeini, das heutige Oberhaupt der Islamischen Revolution im Iran Imam
Khamene'i hat
dieses Verhalten in einem nichtmuslimischen Staat in Form einer Fatwa publiziert
und klipp und klar, eindeutig und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass
ein Muslim, der in einem Nichtmuslimischen Land lebt , die Gesetze des Landes
einzuhalten hat.
Man ist in jedem Fall verpflichtet, die Vorschriften
des Systems der Gesellschaft zu berücksichtigen, selbst wenn diese von einem
nicht-islamischen Staat sind, und das Annehmen von Lohn für eine erlaubte
Tätigkeit ist zulässig.
Imam Khamene'i auf die Frage 279 in Adschwiwat-ul-Istiftaat Vol
2: Eine Person arbeitet in der Verkehrsbehörde in einem arabischen Staat und ist
verantwortlich für das Unterschreiben der Akten der widerrechtlichen Handlungen
gegen Verkehrsgesetze, um sie ins Gefängnis zu bringen, so dass wenn er diese
unterschreibt, dieser widerrechtlich Handelnde ins Gefängnis kommt. Ist diese
Arbeit dann erlaubt? Und wie ist das Urteil zum Gehalt, das er für seine
Arbeiten beim Staat erhält?
Der so genannte "extremistische" Muslim ist also aus deutscher Sicht
betrachtet ein absolut gesetzestreuer Bürger des Landes, der - falls er seinen
Glauben ernsthaft praktiziert - viel gesetzestreuer ist, als die
nichtmuslimischen Bürger des Landes. Niemals wird man praktizierenden Muslime im
Drogenmilieu oder anderen verworfenen kriminellen Milieus wie z.B. dem
so genannten Rotlichtmilieu auffinden. Niemals wird ein ernsthaft praktizierender
Muslim bei einem Diebstahl, Attentat, Vergewaltigung u.a. beteiligt sein.
Ohnehin kann man so einen Muslim niemals Nachts in Gaststätten oder Ähnlichem
antreffen und in die zahllosen Alkoholdelikte ist er auch nicht verstrickt.
Praktizierende Muslime sind so gesehen tatsächlich "Extremisten". Denn sie
müssen das Gesetz viel "extremer" befolgen, als jeder Nichtmuslim. Der
Beweggrund dafür ist ihr Glaube und ihre Religion. Ist das so schlimm? Ist es
gefährlich, dass ein Muslim nicht aus der so genannten freiheitlich-westlichen
Gesinnung heraus rechtstreu ist, sondern aufgrund seiner Religion?
Aus der Sicht vieler Muslime jedenfalls, die sowohl die einseitige an
Volksverhetzung grenzenden Darstellungen in den Medien lesen und auf der anderen
Seite den Islam kennen, ist eine "Angst" der Sicherheitsbehörden völlig absurd
und zudem irreführend.
Die Folgen dieser Konstellation sind für ein konstruktives Miteinander
äußerst komplizierend. Denn während dem nichtmuslimischen Bundesbürger die
angeblich muslimische Gefahr suggeriert wird, haben hingegen Muslime das Gefühl,
ohne jegliches Vergehen begangen zu haben, verfolgt zu werden von Leuten, die
gleichzeitig die eigentlichen Verbrecher der Zeit verbal unterstützen. Dagegen
wären sicherlich viele Muslime zu einer noch größeren und vollständigen
Transparenz ihrer Arbeiten und Aktivitäten bereit, wenn nicht die Mauer des
Generalverdachts gegen sie erhoben würde. Denn die allermeisten muslimischen
Organisationen in Deutschland verstehen sich zunehmend als "deutsche"
Organisationen, selbst wenn die Gründung ehemals ausländischer Natur war. Dieses
kann man u.a. an der zunehmenden deutschsprachigen Ausrichtung der
Organisationen erkennen.