Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Erhard Arendt
 

Muslim-Markt interviewt 
Erhard Arendt, dem Betreiber des Internetportals: Dschenin - Das Palästina Portal
20.7.2004

Erhard Arendt (Jahrgang 1941) ist mit freiwilligen Mitarbeitern Betreiber der Internetpräsentation "Dschenin - Das Palästina Portal“. Mit sehr umfangreichen aktuellen Informationen zum Thema versucht er ein Verständnis für die palästinensische Seite des Nahostkonflikts zu wecken, wobei er, pro Palästina, die israelische Regierung und die israelische Armee kritisiert, dies aber nicht mit einer anti-Israel Position verwechselt haben möchte.

Erhard Arendt hat Kunst studiert, später Gesellschaftswissenschaften, war 30 Jahre lang Pädagoge, ist verheiratet und jetzt im UN-Ruhestand. Seine Frau ist Iranerin, er hat 4 Kinder und lebt in Dortmund. Die friedliche für beide Seiten akzeptierbare Lösung des Nahostkonflikts ist für ihn mit eine Brücke zur Versöhnung mit der islamischen Welt und der Überwindung des Terrors auf allen Seiten. 

MM: Herr Arendt, was hat Sie dazu motiviert das Palästina Portal aufzubauen und seit wann betreiben Sie die Seite?

Arendt: Als Künstler war ich nie ein Anhänger der 'l'art pour l'art' und wollte mit meinen künstlerischen Mitteln immer etwas bewegen. So habe ich mich neben meinen anderen Arbeiten schon über 40 Jahre lang künstlerisch und auch real mit sozialkritischen, zeitkritischen Themen auseinandergesetzt, und war politisch in der SPD tätig. Ein Beweggrund wurde sicher auch, dass ich in einer Stadt aufwuchs, in der bis zum Ende des 2. Weltkrieges Kriegsgefangene unter sehr menschenunwürdigen Umständen kaserniert waren. Als ein fast dreijähriger Junge stand ich am Fenster unserer Wohnung und sah, dass da eine elendige Masse von Menscheln, bittend und bettelnd, merkwürdig gekleidet, am Fenster vorbeigetrieben wurde. Das trage ich immer noch mit mir herum und hat mein Leben mit geprägt. Später kam dann über Jahrzehnte hinweg die bewusste Verarbeitung der Verbrechen im Nazireich hinzu.

MM: .. und daher können Sie die Muslime jetzt besser verstehen?

Arendt: Durch Diskussionen und Gespräche mit Palästinensern wurde mir sehr schnell bewusst, dass eine der Hauptursachen des Konfliktes zwischen 'uns' und den islamischen Ländern sich im Nahostkonflikt begründet. An seiner Entstehung und am Fortbestand ist der 'Westen' durch Nichthandeln, Schweigen, Verschweigen durch einseitiges Verständnis maßgeblich beteiligt. Wider aller Menschenrechte wird seit Jahrzehnten den Palästinensern unsagbares, verbrecherisches Unrecht angetan. Aus dem verinnerlichten 'NIE WIEDER', das sich auf unsere jüdischen Mitbürger bezog und bezieht, wurde ein: NIE WIEDER, NIRGENDWO, MIT NIEMANDEN.

MM: Und wie kam dieser große Umfang an Informationen Ihres Portals zusammen?

Arendt: Eine Pro-Palästina-Demo vor zwei Jahren regte mich an, Bilder und einen Bericht darüber in das Internet zu stellen. Eine kleine Linksammlung kam hinzu, die immer größer wurde, ergänzt um Text- und Bildersammlungen zu unterschiedlichen Themen. Am 30.4.2002 entstand so 'Dschenin', später kam die Iranseite: 'der Iran zwischen den Zeiten' hinzu. Mit dem Beginn des Irak-Krieges entstanden dann die Irak-Seiten: 'Der Irak brennt' und die Seiten: 'USA, das neue Imperium'. Als Abrundung des Themenbereichs kam vor kurzem dann noch die Seite: 'Glaube' hinzu, die sich seit Monaten schwerpunktmäßig mit dem Islam beschäftigt, der nicht überwunden, sondern verstanden und wechselseitig als gleichwertig und gleichwürdig erkannt werden muss.

MM: Können Sie verstehen, wenn einerseits in Deutschland geschichtlich bedingt das Judentum und Israel nahezu als Synonym betrachtet und "geschützt" wird und andererseits für Muslime Israel etwas ganz anders ist als das Judentum?

Arendt: Eine sehr vielseitige, vielschichtige Frage, die kurz beantwortet nur ein Versuch sein kann, ihr gerecht zu werden. Mehrheitlich wird das Judentum und Israel zurzeit sicher noch gleichgesetzt, doch abgesehen vom verurteilenswerten Antisemitismus, gibt es doch mittlerweile recht unterschiedliche Erklärungsansätze, auch von der jüdischen Seite, die täglichen Bilder der Gewalt in Palästina lassen auch immer mehr Fragen stellen. Aus der Tiefe der historischen Verstrickung heraus gibt es gegenüber Juden, und hier besonders gegenüber den Opfern besondere Rücksichtsnahmen, denen ich mich auch als „Nachgeborener“ selbstverständlich verpflichtet fühle, die auch auf der menschlichen Ebene verständlich sein müssen.

MM: Was bedeutet denn Israel für viele Deutsche?

Arendt: Israel ist für die meisten Deutschen sicher die Verkörperung einer Heimstatt der Juden die geschützt werden muss. Hier akzeptiert man demzufolge die zionistische Idee und empfindet es als unanständig, nicht angemessen, sie zu kritisieren, sie auch aufgrund der Gründungsgeschichte Israels in Frage zu stellen.

MM: Ist aber selbst für jemanden, der die zionistische Idee nicht ablehnt, nicht dennoch möglich, das Unrecht zu erkennen, welches von der zionistischen Staatsgründung ausgeht?

Arendt: Es gibt gesamtgesellschaftliche Entwicklungen die ihre Zeit brauchen. Ich selber bin, aus dem verinnerlichten Schuldgefühl der Deutschen heraus noch nicht lange an dem Punkt, dass ich Israel als das Land für die Juden bejahe und Antisemitismus sicher jederzeit bekämpfen werde, dass ich aber die israelische Regierung, das Militär und weite Teile der Politik auf das Schärfste kritisieren und verurteilen muss. Den Palästinensern geschieht maßloses Unrecht und ich muss sagen: NIE WIEDER. Sehr viele Deutsche können diesen Schritt noch nicht nachvollziehen. Am deutlichsten hat man das rund um die antisemitischen Vorwürfe, die man Jürgen Möllemann - wie ich finde zu Unrecht - angedichtet hat, gesehen. Es gibt auch in Deutschland Gruppen, z.B. Honestly Concerned die „vortrefflich“ und schändlich uns und die Opfer des Holocaust ein zweites Mal missbrauchen und alles Kritische mit einem Antisemitismusverdacht belegen, um so von der Kritik an der israelischen Regierung abzulenken.

Wir Deutschen haben sicher noch sehr große Probleme damit wahrzunehmen, dass Israel als Staat aufgrund seiner militärischen Stärke (fünftstärkste Waffenmacht der Welt) nicht mehr das hilflose Opfer von damals ist und sicher nie wieder werden wird und soll, seinerseits aber über den Schutz seiner Existenz zum Aggressor geworden ist.

MM: Können Sie denn verstehen bzw. nachvollziehen, dass die deutsche geschichtliche Erfahrung nicht auf alle Völker gleichermaßen wirkt, zumal sie nicht am Holocaust beteiligt waren?

Arendt: Durch meine Frau (Iranerin) bin ich mit Menschen aus den unterschiedlichsten islamischen Ländern zusammengekommen und mir ist manches vertraut, was ein „normaler" „Urdeutscher“ sicher nicht so einfach wahrnimmt. Urdeutsch deshalb, weil es ja wachsende Zahlen von Deutschen gibt, die aus den unterschiedlichsten Ländern kommen, dem Islam anhängen oder nicht in die schuldhafte Verstrickung der Deutschen eingebunden sind.

Muslime, Menschen aus islamischen oder vielen nichteuropäischen Ländern haben den Holocaust nicht so wahrgenommen wie wir "Urdeutschen" und die aus einer anderen Geschichte heraus ein völlig anderes Verhältnis zu Juden haben.

Die Existenz Israel ist einerseits noch nicht allgemein anerkannt, wobei es aber sicher kaum ein anderes Land wie Israel gibt, das ohne feste Grenzen existiert und so wiederum eine ständige Bedrohung für die Nachbarnstaaten ist.

Die moslemischen Länder sehen im Staat Israel unter anderem auch das Produkt der Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser. Sie erleben einen Staat, der waffenstark, vom Westen, von den USA unterstützt, den sie als Bedrohung wahrnehmen.

Vor allem weil Israel im Nahostkonflikt unangemessen hart reagiert, durch Militäreinsatz, durch Vertreibung und nicht durch Verhandlungen seine Ziele zu erreichen versucht, kann man verstehen, dass islamische Länder ein anderes Verhältnis zu Israel haben, wobei auf beiden Seiten Vertreibung und Vernichtung nicht zu tolerieren ist. Insofern machen wir Deutsche uns sicherlich nicht erneut an Juden schuldig, wenn wir das Verhalten Israels den Palästinenser gegenüber kritisieren und wir gerade aus unserer Vergangenheit sagen müssen: NIE WIEDER, NIRGENDWO VON NIEMANDEN. Erst durch einen für beide Seiten gerechten Frieden, zu dem die Israelis sehr viel mehr beitragen können und müssen, wird sich mit Sicherheit das Verhältnis der islamischen Welt zu den Israelis entscheidend ändern.

MM: Zweifelsohne ist das Interesse am Islam auch in diesem Land geradezu "dramatisch" gestiegen. Können Sie sich als Deutscher, der die gesamte Nachkriegszeit bewusst miterlebt hat vorstellen, dass Muslime eins Tages ein integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft werden?

Arendt: Ja, ich erlebe es auch teilweise schon so. Es gibt sicher auch jetzt schon sehr unterschiedliche wechselseitige Beziehungen der Anerkennung und Ablehnung der Kultur des anderen. Wenn die hier lebenden Muslime Teil der deutschen Gesellschaft werden wollen und sollen, ist eine wechselseitige Akzeptanz absolut notwendig und wichtig, aus der heraus sich sicher eine teilweise Durchdringung der Kulturen entwickeln könnte. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass wir bereichernd Einflüsse aus dem Orient zugelassen haben und als gesamtgesellschaftlich auch einen wechselseitigen Gewinn davon hatten. Letztlich, wie es in den arabischen Ländern unterschiedliche Ausprägungen des Islams gibt, so wird sich sicher auch in Deutschland eine eigenständige westliche muslimische Kultur entwickeln, die ein konfliktfreies gesellschaftliches buntes, multikulturelles Gemeinschaftsleben entstehen lässt. Auch der Islam muss sicher, wie das Christentum, eine Reformation erleben. Ich denke auch, das trotz eines Fremdenhasses, trotz der Angst vor dem Fremden, Deutschland schon immer aufnahmefähig für neue multikulturelle Einflüsse war. Dies muss aber zur Vorraussetzung haben, das sich sowohl Deutsche als auch Muslime öffnen, den anderen wahrnehmen und zu einer friedlichen Koexistenz bereit sind. Insofern kann und darf keine Seite im fundamentalistischen Denken verharren, muss es dabei die Möglichkeit geben, die jeweils eigene Kultur in seiner jeweiligen Vielfalt zu leben und zu erhalten.

MM: Aber hat sich nicht seit dem 11.9. einiges geändert an der allgemeinen Situation?

Arendt: Dramatisch bedingt durch den 11.9.01 und der falschen unsensiblen Politik Bushs, natürlich auch bedingt durch den wachsenden Terror, setzt man immer mehr den Islam mit Islamisten und Extremisten gleich, und verteufelt damit eine ganze Religion. Diese Stimmung wird auch benutzt, um neue Feindbilder zu prägen. Die anfänglichen Differenzierungsversuche, Erklärungsversuche hört man immer weniger. Abgesehen von den wirtschaftlichen Interessen der USA spielt dabei ein wachsender christlicher Fundamentalismus eine große Rolle.

MM: Nachgefragt: Wie ist es mit der Integration der Muslime in Deutschland?

Arendt: Wenn alle Nationen vermischt sind, werden viele geistige Grenzen fallen, und ein globale Gesellschaft ohne Rassismus kann entstehen. Ob nun die Muslime integraler Bestandteil werden, hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob die Muslime sich öffnen können, um sich ihrerseits in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.

Ich kann mir vorstellen, dass auch die Muslime selbstverständlicher Bestandteil der deutschen Gesellschaft werden, so wie sie es zum Teil auch schon sind. Ich hoffe nicht, das die berechtigte Angst vor importiertem Terror die herrschende grundsätzliche Toleranz Deutschland in dem Sinne verändert, das unser freiheitliches Leben, die Akzeptanz anderer Kulturen und Religionen, darunter leidet.

MM: Wie glauben Sie, können deutsche Nichtmuslime und Muslime das gegenseitige Verständnis verbessern?

Arendt: Die Geschehnisse des 11.09.2001 werden oft zu einseitig, generalisierend mit dem Islam, verbunden, das müssen die westlichen Gesellschaften differenzieren. Muslime sollten der deutschen Gesellschaft die Sicherheit geben, dass sie selbstverständlich die bestehende Kultur und Rechsprechung akzeptieren. Dieses erlebe ich eigentlich auch tagtäglich, selbstverständlich in meinem Umfeld.

Gleichzeitig ist auch festzustellen, dass es auf beiden Seiten Menschen gibt, die sich der Verständigung bis ins extreme verschließen. Gewalt und Extremismus sollte auf allen Seiten bekämpft werden und die Ursachen erkannt werden. Die vorhandene Bereitschaft hierzu muss dem andern vermittelt werden, erlebbar sein. Das ist nicht etwas was man nur einseitig fordern und erfüllen kann.

Christen und Andersdenkende müssen auch wahrnehmen, dass der Islam, so wie das Christentum, keine Religion der Gewalt ist, und dass Muslime auch durch den Koran bestätigt ihre Handlungsweisen ständig auf Lebbarkeit überprüfen, und ihre Ordnung den Problemstellungen der Gegenwart anpassen sollten und können. Der Islam ist offener, als viele Vordenker glauben wollen. Im Kern treffen sich auch alle Religionen in dem Satz: "Es gibt keinen Zwang im Glauben." (Sura 2:256)

Wenn man weiß und akzeptiert, dass die Alternative Gewalt oder Frieden sich nicht aus einer Religion heraus erklärt, sondern aus Gruppierungen heraus, die diese Religion missbrauchen, aus der unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklung heraus, wächst auch das wechselseitige Verständnis.

Letztlich, wird die Religion und wird die Demokratie richtig verstanden, wenn es ein gemeinsames Wetteifern um die Erfüllung der göttlichen Gebote ist, wenn es um das Praktizieren der positiven menschlichen Erkenntnisse im täglichen Leben geht. Wenn es das ist, lebt jeder seinen Grundsätzen entsprechend die positiven Seiten des Menschseins, der Religion als „guter Mensch“ aus und versucht dabei, es dem anderen gleichzutun, ihn zu übertreffen.

MM: Und was können die "Offiziellen" auf beiden Seiten zum friedvollen, aber auch konstruktiven Miteinander beitragen?

Arendt: Eine Vorraussetzung ist die Selbstverständlichkeit, dass sprachliche Barrieren beseitigt werden. Das ist ebenfalls eine Frage des Förderns, aber auch des Forderns. Die Sprache ist die Basis der Verständigung.

Wie Muslime das gegenseitige Verständnis fördern, den Nichtmuslimen Sicherheit geben können, demonstriert ein Grundsatzpapier des: „Rates der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V.“, Muslime in einer pluralistischen Gesellschaft.

Dieses Grundsatzpapier sagt eindeutig, wo die Muslime in Deutschland stehen und wozu sie sich verpflichten. Solche öffentlichen wechselseitigen Erklärungen sind von besonderer Bedeutung, weil sie eine gemeinschaftliche gesellschaftliche Vertrauensbasis bilden, eine verpflichtende, einzufordernde Basis, aber auch ein Grundlage der Verteidigung gegen die wachsenden Bestrebungen, den Islam zu dämonisieren. Eben diese Sicherheit sollten andere Religionen, sollte der Staat auch den Muslimen bieten.

Die Medien, Politiker und Wissenschaftler sollten differenzieren und aufgrund der Terrorgefahr sich hüten einer Hysterie und einer einseitigen negativen Deutung des Islams zu verfallen, und diese zu verbreiten. Sie sollten nicht nachlassen, dem entgegenzuwirken.

Hierzu gehört auch eine wechselseitige erkennbare „Rechtschaffenheit“ im Handeln. In jeder Religion erkennen wir Kräfte, die die Religion versuchen, für Machzwecke zu missbrauchen. Es muss erkennbar werden und bleiben, dass dies auf allen Seiten Feinde des Friedens sind.

MM: Herr Arendt, wir danken Ihnen für das Interview.

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