Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Jamal Karsli
 

Muslim-Markt interviewt Jamal Karsli,
Vorsitzender der Partei FAKT

1.12.2004

Jamal Karsli (Jahrgang 1956) ist in Syrien geboren, wuchs zweisprachig auf (arabisch-türkisch) und hat 1975-78 in Damaskus Industrie-Chemie studiert. Nach einer kurzen Berufstätigkeit kam er nach Deutschland und studierte 1982-85 Bauingenieurwesens an der Ruhr-Universität Bochum und anschließend Raumplanung an der Universität Dortmund. 1993-2002 war er Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen und zeitweilig deren Vertreter im Ausländerbeirat der Stadt Recklinghausen. Seit 1984 setzte er sich bereits (auch ohne Mitglied zu sein) bei den Grünen für die Belange und Probleme der Migranten ein.

Seit 9 Jahren sitzt er als Abgeordneter im Landtag Nordrhein-Westfalens. Aufgrund der verfehlten Israelpolitik der Grünen die Partei verließ er 2002 von sich aus die Grünen und wurde einstimmig in die Landtagsfraktion der FDP aufgenommen, wobei er auch einen Monat Mitglied der FDP war. Um die dann aufkeimende Diskussion über angebliche antisemitische Hintergründe seines Wechsels nicht zum Schaden der FDP insbesondere ihres damaligen Vorsitzenden Jürgen W. Möllemann gereifen zu lassen, verließ er Partei und Fraktion und ist seither fraktionsloser Abgeordneter im Landtag. Am 29.Juni 2003 gründete er die Partei FAKT, dessen Vorsitzender er ist. Karsli ist verheiratet, hat drei Kinder (Fatima, Sofia, Sami) und lebt in Recklinghausen. Seit 1985 ist er deutscher Staatsbürger.

MM: Sehr geehrter Herr Karsli, die sogenannte Karsli-Affaire liegt nun einige Zeit zurück. Sie wurden damals öffentlich als Antisemit beschuldigt. Wie würden Sie rückblickend die damalige Situation schildern?

Karsli: Zunächst einmal möchte ich einige begriffliche Dinge klären, die in der öffentlichen Wahrnehmung falsch oder unzureichend festgestellt werden: Erstens, nicht jeder Araber ist Moslem und nicht jeder Moslem Araber. Genauso wenig ist jeder Israeli Jude oder jeder Jude Israeli. Ebenso verhält es sich mit den Begrifflichkeiten Antisemitismus, Antijudaismus, Antizionismus. Wir haben es hier einmal mit einem ethnisch, einem religiösen und einem politischen Begriff zu tun. Es gibt Juden in Israel, die gegen den Zionismus sind. Sind sie deshalb auch Antisemiten? Niemand greift das Existenzrecht Israels an. Es geht hier doch nicht um Israel als Staat oder um die Juden als Religion oder die Semiten als Ethnie. Hier geht es doch einzig und allein um Politik, die in Israel seit einigen Jahren von Kriegsverbrechern bestimmt wird. Wir müssen die Begriffe klar trennen, um einen derart komplizierten Sachverhalt erklären zu können.

Ich bin damals bei den Grünen ausgetreten, weil ich mit der Friedenspolitik der Grünen nicht mehr einverstanden war. Mein Entschluss, die Grünen zu verlassen, reifte nach dem Massaker von Jenin, als die israelische Armee Tausende Zivilisten tötete und ihre Häuser niederreißen ließ und die Grünen, als ehemalige Partei des Friedens, diese ungeheure Menschenrechtsverletzung unkommentiert ließen. Bei dem Massaker in Srebrenica im ehemaligen Jugoslawien haben die Grünen sogar einen NATO-Angriff befürwortet. Nur in Palästina haben alle weggeschaut. Joschka Fischer hat sich stattdessen von Israel mit Ehrentiteln überhäufen lassen und zu den Kriegsverbrechen geschwiegen. Das war für mich auf Dauer nicht mit meiner inneren Überzeugung zu vereinbaren. Hinzu kam, dass sich Deutschland in Afghanistan militärisch beteiligte. Nach den Anschlägen vom 11. September ist eine Hysterie im Westen noch nachvollziehbar. Aber jeder weiß auch, und im Irak ist es heute deutlicher denn je, dass sich Terror nicht mit militärischen Mitteln bekämpfen lässt. Es ist Augenwischerei, wenn man meint, die Deutschen in Afghanistan oder die Amerikaner in Irak könnten dem Land Frieden und Demokratie bringen. Doch das haben die Grünen nicht verstanden und deshalb bin ich damals, nach fast 20 Jahren politischer Arbeit bei den Grünen, ausgetreten.

Was nun den Antisemitismus-Vorwurf angeht, so hat sich die Diskussion damals an zwei Aussagen meinerseits entzündet: Zum einen war es die Aussage, "die israelische Armee wendet Nazi-Methoden an", in dem sie die gefangenen Palästinensern in den Gefangenen-Lagern Nummern auf die Arme tätowieren und ihre Familien auseinanderreißen und verschleppen. Ich verstehe bis heute nicht, was daran antisemitisch sein soll, wenn ich Menschenrechtsverletzungen anprangere. Aber weder die breite Öffentlichkeit noch die Politiker haben sich an diesen Menschenrechtsverletzungen gestört. Meine zweite Aussage war: "Es gibt eine zionistische Lobby, die den Großteil der Medien beherrscht". Zu dieser Ansicht bin ich gekommen als ich gesehen habe, wie die Presse mit den israelischen Kriegsverbrechen umgeht. Statt die Kritiker der israelischen Politik ernst zu nehmen und zu Wort kommen zu lassen, werden sie in gezielten Kampagnen mit dem Rundumschlag des Antisemitismusvorwurfes sowohl politisch als auch moralisch vernichtet und mundtot gemacht. Ich habe das damals selbst am eigenen Leib erfahren müssen. Meine ganze Familie hat darunter sehr gelitten. Meine Kinder haben geweint, wenn sie mich im Fernsehen gesehen haben. Ich habe mich 18 Jahre für Migranten jeder Hautfarbe und jeder Herkunft eingesetzt. Und von einem Tag auf den anderen soll ich Antisemit gewesen sein? Ich bin durch die Kampagne der Medien in die Ecke meiner Gegner gestellt worden: den Rechtsradikalen. Dabei hatte man mir nie die Chance gegeben, öffentlich meinen Standpunkt zu vertreten. Die Antisemitismus-Keule der Zionisten hatte sehr schnell gewirkt. Deshalb habe ich ein Buch geschrieben, mit dem Titel "Maulkorb für Deutschland - Fakten, Analysen, Aufklärung zur Antisemitismusdebatte", um dort ungeschminkt meine Sichtweise der als "Fall Karsli" bekannt gewordenen Ereignisse dieser Tage darlegen zu können.

MM: Ihre Feststellung, dass Niemand das Existenzrecht Israels angreift können wir nicht teilen. Erlauben Sie uns daher dazu folgende Zusatzfrage: Können Sie sich vorstellen, dass heute Buren und Nichtburen gemeinsam in einem freien und unabhängigen Land in Frieden zusammen leben könnten, wenn Mandela den Burenstaat anerkannt hätte?

Karsli: Ich denke, wenn Nelson Mandela es mit einem demokratischen Südafrika zu tun gehabt hätte, wäre die Situation eine völlig andere gewesen. In Israel leben bereits 1,3 Millionen Muslime und Christen arabischer Herkunft mit Juden unterschiedlichster Herkunft zusammen. Doch leider haben wir es in Hinblick auf die Strukturen in Israel mit einer Demokratie zu tun, die nur für Juden gilt. Israel ist durch eine UNO-Resolution entstanden, aber gleichzeitig verstößt es gegen 70 UN-Resolutionen und hat mehr als 1400 menschenverachtende und rassistische Gesetze nach denen es sich richtet. Folter und Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Als Atommacht ist Israel nicht dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten und politisch weißt Israel jede Kritik von sich und nennt Kritiker Antisemiten. Kann man somit noch von einem demokratischen Staat sprechen? Wenn ich sage, dass das Existenzrecht Israels nicht angegriffen wird, so heißt das, dass der Staat Israel im Rahmen der UN-Resolutionen genauso seine Berechtigung hat, wie ein palästinensischer Staat. Beide Staaten haben im Rahmen der UNO-Resolutionen ihre Existenzberechtigung. Eine Zwei-Staaten-Lösung des Konflikts könnte zu einer Annäherung der beiden Staaten und somit auch zu einer Normalisierung der Beziehungen führen. Voraussetzung ist jedoch, dass beide Staaten auf demokratischen Prinzipien beruhen und territoriale Souveränität besitzen.

MM: Würde ein absolut demokratisches Prinzip in Israel nicht die Abschaffung des einstmals definierten Judenstaates bedeuten, denn es wäre doch nur eine Frage der Zeit, wenn Nichtjuden die Mehrheit des Volkes bilden, sobald es keine Vertreibung mehr gibt? Und würde solch ein Staat dann nicht ohnehin die Union mit den Verwandten auf der anderen Seite der Mauer suchen? Warum also nicht die Einstaatenlösung?

Karsli: Tatsächlich wäre ein gemeinsamer Staat die idealste Lösung. Sie wurde von der palästinensischen Führung ja auch bereits mehrfach vorgeschlagen. Sie ist jedoch nicht realistisch, denn natürlich stellt sie für Israel als definierter Judenstaat eine demographische Bedrohung dar. Deshalb baut Israel ja auch die Mauer. Israel muss sich abschotten, um weiter als jüdischer Staat bestehen zu können. 1967 wurde der Zionismus bereits von den Vereinten Nationen als rassistische Ideologie bezeichnet. Denn wenn ein Staat sich durch eine bestimmte Rassen- oder Religionszugehörigkeit definiert, und das ist ja der Kern der zionistischen Ideologie, so ist er de facto rassistisch. Deshalb ist Israel eben auch nur für die Juden demokratisch, nicht jedoch für die übrige Bevölkerung. Eine wirkliche Demokratie kann jedoch niemals selektiv sein. Die Definition von Demokratie schließt das aus. Schlussendlich muss Israel sich also entscheiden, ob es demokratisch oder zionistisch (=rassistisch) sein will. Hier zeigt sich der zentrale Irrtum der zionistischen Ideologie.

MM: Es heißt immer wieder, dass Kritik an Israel legitim sei, aber faktisch wird jeder halbwegs ernsthafte Israelkritiker Mundtot gemacht - so auch Sie - wie können Sie sich das erklären?

Karsli: Es herrscht eine Diskrepanz zwischen dem, was die Menschen denken und dem was sie sagen. Ich habe oft erlebt, dass die Menschen gerade in höher gestellten Positionen hinter vorgehaltener Hand die Politik Israels kritisieren, doch sich vorher nach allen Seiten absichern, dass ihnen keiner zuhört. Sie haben Angst ihre Meinung zu sagen, weil sie fürchten müssen, durch die Antisemitismus-Keule politisch oder moralisch geächtet zu werden. Und diese ängstliche Haltung wird durch die Zionisten geschürt. Man tabuisiert absichtlich an einer Stelle, wo Aufklärung dringend notwendig wäre.

Um das einmal ganz deutlich zu sagen: Die schrecklichen Verbrechen der Nazi-Zeit an den Juden sind mit nichts zu rechtfertigen und mit nichts zu vergleichen. Und gerade daraus ist Deutschland eine besondere Verantwortung entstanden. Eine Verantwortung, die zu Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung eines Volkes nicht schweigen darf. Doch eine Aufklärung findet in Deutschland nicht statt. Stattdessen werden die Begriffsbestimmungen und die Ereignisse in Israel absichtlich im Unklaren gelassen. Daran hat die Presse natürlich einen großen Anteil, die bei der Aufklärung von Sachverhalten eigentlich eine große Rolle spielen sollte. Wenn 59 % aller Europäer glauben, dass von Israel die größte Gefahr für den Weltfrieden ausgeht und Israels Premier Ariel Sharon behauptet, dieses Ergebnis sei nur darauf zurückzuführen, dass 17 Millionen Muslime und damit 17 Millionen Antisemiten in Europa lebten, ist dies schon sehr bedenklich. Vor allem dann, wenn die Presse diese Ansicht unkommentiert stehen lässt.

Ich habe im Oktober ein zweites Buch herausgebracht, diesmal jedoch auf Arabisch. Es trägt den Titel "Deutschland zwischen Angst und Schuldkomplex". Es ist in der Grundhaltung im Prinzip eine Übertragung meines Buches "Maulkorb für Deutschland" ins Arabische und soll der arabischen Welt aus meiner Sicht, also aus Sicht eines Deutschen Abgeordneten arabischer Herkunft, die Zwickmühle verdeutlichen, in der die Deutschen stecken: Einerseits die Angst vor der moralischen und politischen Ächtung wenn man Israels Politik kritisiert, andererseits, aus der Schuld der Nazi-Verbrechen resultierend, sich für die Normalisierung der deutsch-jüdischen Beziehungen einzusetzen.

MM: Das damalige Medienspektakel um Ihre Person mündete in die Gründung der Partei FAKT, die sich u.a. auch für einen Frieden im Nahen Osten einsetzt. Allerdings berichten die Medien jetzt nicht mehr über Sie. Ist ein scheinbar "kämpferischer" Karsli medienwirksamer, als ein friedvoller?

Karsli: Die Gründung von FAKT war für mich die Konsequenz aus 20 Jahren politischer Arbeit und meinen Erfahrungen bei den Grünen und der FDP. In Deutschland sind lediglich 2 Prozent der Bevölkerung in Parteien organisiert. 70 % aller Wähler entscheiden sich erst in letzter Minute, was sie wählen. Die Menschen haben das Vertrauen in die Parteien und die Politik verloren. Das war für mich ein Grund eine Partei zu gründen, die Klartext redet, der die Menschen wieder vertrauen können. Dabei hat sich FAKT die Themen auf die Fahnen geschrieben, die die Menschen am meisten interessieren.

Der Name ist Programm: F steht für Frieden, der für viele Menschen sehr wichtig ist und immer wichtiger wird. 800 Mrd. Dollar werden jedes Jahr für Krieg ausgegeben. Würde dieses Geld in Entwicklungsländer gesteckt, könnten viele Krisen- und Konfliktherde verhindert werden. Aber es geht bei FAKT nicht nur um den Frieden in der Welt. Auch der soziale Frieden oder der Frieden in der Familie ist damit gemeint. A bedeutet Arbeit. Fast fünf Millionen Menschen sind in Deutschland ohne Arbeit, die Konjunktur kommt nicht voran. Die Menschen sind desillusioniert und allein gelassen. K steht für Kultur. Die Politik muss endlich erkennen, dass die Integration der Migranten in Deutschland ein wichtiger Aspekt zum Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft ist. Wir müssen zu einer Politik der gleichen Augenhöhe kommen, die keinen Unterschied zwischen Christen, Moslems und Juden macht. T soll die Transparenz symbolisieren. Transparenz in der Politik und der Verwaltung ist wichtig um das Vertrauen der Bevölkerung wieder zu gewinnen. Der Gesetzesdschungel vor allem in der Steuergesetzgebung lässt die Bevölkerung an Gerechtigkeit zweifeln. Politische Entscheidungen sind nicht durchsichtig genug und somit nicht mehr nachvollziehbar für die Bevölkerung. Doch wenn man alle diese Forderungen durchsetzen will, macht man sich nicht beliebt bei denjenigen, die ganz gut mit diesen Bedingungen leben können.

Die Kampagne gegen mich hatte das Ziel, mich mundtot zu machen. Das gleiche versucht man nun gegen FAKT, damit FAKT nicht das zur Sprache bringt, worüber wir uns in der ernsthaften Diskussion um unsere Probleme und die Probleme in der Welt Gedanken machen sollten. Aber FAKT wird nicht locker lassen. Wir werden uns nach wie vor für den Frieden in der Welt einsetzen, auch wenn es unbequem ist und den Mächtigen in dieser Gesellschaft nicht gefällt. Dass die Presse den Mantel des Schweigens über uns ausbreitet, obwohl wir uns ständig zu Wort melden, ist ein Zeichen dafür, dass Presse und politische Macht ganz eng beieinander liegen. Man sagt immer die Presse wäre die vierte Macht im Staat. In Wahrheit ist sie viel weiter vorne anzusiedeln. Denn sie entscheidet über Wohl oder Wehe von Politikern oder Parteien entscheidend mit.

MM: Insgesamt ist es etwas ruhiger um Ihre Person und Partei geworden. Gleichzeitig hat die Medienberichterstattung über angebliche und echte Probleme mit Migranten - ein Schwerpunktthema Ihrer Partei - gerade in den letzten Wochen dramatisch zugenommen. Welche Position vertritt FAKT in der sogenannten Islamdebatte?

Karsli: Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte hat ein Migrant es "gewagt", eine eigene deutsche Partei zu gründen. Das ist auch ein Stück Integration. Doch viele sind zu FAKT gekommen und hatten falsche Vorstellungen von der Partei. Sie haben gedacht, FAKT sei eine islamische Partei oder eine Migrantenpartei. Auch die Presse ist sofort auf diese Stereotype eingestiegen. Aber alle mussten erkennen das FAKT ganz anders ist. FAKT ist eine deutsche Partei, die keinen Unterschied zwischen Hautfarbe oder Herkunft macht. FAKT setzt sich für Migranten ein, weil wir der Meinung sind, dass eine Gesellschaft nur dann funktionieren kann, wenn alle seine Teile an der Gesellschaft beteiligt werden. Das gilt für das Politische ebenso wie im kulturellen Bereich. Wir machen deutsche Politik unter Einbeziehung der Migranten. Wir sind die einzige Partei, die das in diesem Maße macht. Allein das beweist schon, dass wir keine Nähe zu diskriminierendem oder gar rechtsradikalem Gedankengut suchen, geschweige denn solchem Vorschub leisten wollen.

Wir sind keine islamische Partei. Wir bemühen uns lediglich darum, den Islam als Religion in Deutschland gleichberechtigt neben den anderen Religionen anzuerkennen. Wir können den Islam in Deutschland nicht leugnen. Mehr als 3,5 Millionen Muslime leben hier, die Hälfte davon mit deutschem Pass. Der Islam ist die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland nach den beiden christlichen Konfessionen. Wir wollen eine Kulturpolitik, in der die großen Religionsgemeinschaften gleichberechtigt behandelt werden. Wir setzen uns für die Gleichberechtigung der kulturellen Identität ein. Wir stehen auf dem Standpunkt, wenn eine Nonne im Schulunterricht ihre Kutte tragen darf und ein jüdischer Gelehrter seine Kippa, dann darf auch einer muslimischen Lehrerin das Kopftuch nicht verwehrt werden. Es kommt doch schließlich darauf an, was in den Köpfen und nicht auf den Köpfen der Menschen ist. Wir setzen uns dafür ein, dass ein islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen eingeführt wird und nicht nur eine "Unterweisung" stattfindet. Es kommt jedoch darauf an, dass die Religionslehrer bei uns in Deutschland ausgebildet werden. So kann sicher gestellt werden, dass unseren Kinder kein undemokratisches Gedankengut gelehrt wird. Islamische Predigten nur in Deutsch zu erlauben, geht an der Diskussion und an der Lösung der Probleme vorbei.

Wir könnten vielleicht auch mal über eine Feiertagsregelung für Muslime nachdenken. Das Ramadanfest und das Opferfest sind die höchsten Festtage der Muslime. Sie als Feiertage in den deutschen Kalender zu integrieren, wäre zumindest ein Zeichen der Gleichberechtigung und der Integration. Wenn wir den Islam als gleichberechtigte Religion behandeln und die nötigen Strukturen schaffen, damit er sich in unsere Gesellschaft integrieren kann, brauchen wir keinen Islamismus und keine Überfremdung zu fürchten. Die Furcht entsteht nur aus Unwissenheit und Ignoranz. Die Integration des Islam schafft hingegen einen Beitrag zum sozialen Frieden in unserer Gesellschaft.

MM: Die Feiertagsdebatte ist ja nicht von Muslimen ausgegangen, sondern von einem Grünenpolitiker, der offensichtlich vorher nicht mit Muslimen darüber gesprochen hat, denn die Probleme der Muslime in diesem Land sind derzeit wirklich andere. Ist es nicht sogar eher schädlich nur eine Woche, nachdem man den Deutschen ihren Nationalfeiertag nehmen wollte über einen islamischen Feiertag zu debattieren?

Karsli: Ich finde den Vorschlag von Herrn Ströbele richtig und mutig. Hier leben 3,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Man kann das nicht ignorieren. Es geht in erster Linie einmal darum, das Bewusstsein dafür zu schaffen. Wenn man einen muslimischen Feiertag einführt, wird das zur Kenntnis genommen. Einige werden neugierig werden, sich interessiert zeigen. So könnte es zu einer Annäherung kommen. Eine Annäherung, die für unsere Gesellschaft und ihren Zusammenhalt wichtig ist. Ein Ramadan- und ein Opferfest-Feiertag könnte mehr Verständnis für Muslime bei Nichtmuslimen hervorrufen und zu sozialem Frieden beitragen. Wir müssen ja keinen Feiertag dafür streichen. Arbeitgeber könnten diese Feiertage den Arbeitnehmern beispielsweise vom Urlaub abziehen, wenn sie sie in Anspruch nehmen. Nur, wenn man die Integration der Muslime will, muss man auch bereit sein sich auf ihre Religion einzulassen und auch sie integrieren.

MM: Viele Muslime in diesem Land haben religionsbedingt in ihrem Leben gewisse Unterschiede zu der Mehrheitsgesellschaft. Hier seien beispielhaft die Themen Kopftuch und daran gekoppelt die Befreiung der Mädchen vom Schwimmunterricht, die unterschiedlichen Speisevorschriften mit dem Stichwort "Schächten" und die offensichtlich intensiver gelebte Spiritualität genannt. Haben Sie Verständnis dafür, dass Nichtmuslime sich davor fürchten oder zumindest kritisch darauf schauen?

Karsli: Aufklären heißt die Devise. Mit Aufklärung kann man die Menschen von ihren Befürchtungen befreien. Doch in Deutschland wird nur sehr unzureichend aufgeklärt. Zur Zeit wird der Islam immer nur in Verbindung mit Terror genannt. Das ist ein Feindbild, dass teilweise absichtlich aber auch unabsichtlich geschürt wird, durch mangelnde Aufklärung. Wir leben in einer interkulturellen und multireligiösen friedlichen Gesellschaft. Wir müssen uns alle bemühen, die jeweils andere Kultur anzuerkennen. Wenn wir in stereotypen Feindbildern verharren, treiben wir einen Keil in unsere Gesellschaft. Wir sollten uns daher angewöhnen, die jeweils andere Kultur differenzierter zu betrachten und zu akzeptieren. Auch die positiven Eigenschaften einer Kultur herauszustellen und uns nicht von der Sucht der Medien nach negativen Schlagzeilen anstecken zu lassen. Wir müssen die Berührungsängste auf beiden Seiten nehmen. Mittlerweile gibt es bei uns 200.000 Muslime deutscher Abstammung. Das ist die Realität. Der Islam gehört schon zu Deutschland, aber leider fehlt der Wille ihn zu integrieren.

MM: Islam wird in diesem Land nach wie vor als "Ausländerreligion" wahrgenommen, obwohl es - wie Sie es bereits festgestellt haben - schon Millionen von muslimischen deutschen Staatsbürgern gibt. Sie selbst sind ein Beispiel für diese Situation, denn auch Sie werden oft als "Ausländer" wahr genommen. Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit die Muslime wirklich eingebürgert werden.

Karsli: Ich denke, dass ist nur eine Frage der Zeit, wenn die Integration wirklich gewollt ist. Die Integration der hier lebenden Muslime ist keine Einbahnstraße. Es gehört Integrationswilligkeit der Gesellschaft genauso dazu wie Integrationsbereitschaft der Muslime. Viele Migranten fühlen sich als Teil dieser Gesellschaft. Sie leben hier, sie arbeiten hier und viele haben auch hier ihre Heimat. Die Integration muss auch in den Köpfen der Menschen stattfinden. Es reicht nicht, Integration gesetzlich zu verordnen. Sie muss gelebt werden. Dazu ist beispielsweise die politische Integration sehr wichtig. Die Teilhabe am politischen Entscheidungsprozess ist für Migranten ein Integrationsanreiz.

MM: Glauben Sie, dass eine Lehramtsanwärterin, die ein Berufsverbot erhält aufgrund ihres Kopftuches großes Interesse an der Teilhabe am politischen Entscheidungsprozess hat?

Karsli: Nein, wohl kaum. Solche Maßnahmen sind tatsächlich alles andere als integrationsfördernd. Den daraus resultierenden Effekt erleben wir jedoch nicht nur in der Kopftuchdebatte. Wenn unsere Gesellschaft die Migranten nicht so anerkennt wie sie sind, mit ihrer Kultur und Religion, ihnen also in bestimmten Bereichen immer noch die Tür vor der Nase zuschlägt, muss sie sich nicht wundern, wenn diese sich ihrerseits zurückziehen und in isolierten Nischen ihre Werte und Traditionen ausleben. Auf die Art werden die viel zitierten und kritisierten Parallelgesellschaften gefördert, wenn nicht sogar geschaffen. D.H. im Sinne einer echten Integration müssen die Migranten in ihrem ganzen Sosein angenommen werden. Vielerorts wird stattdessen versucht, sie zu assimilieren. Das kann nicht funktionieren. Das wesentliche Stichwort ist in diesem Zusammenhang die "Kultur der gleichen Augenhöhe", also eine Kultur der Anerkennung und ein gleichberechtigtes Miteinander unterschiedlicher Kulturen. Dafür setze ich mich in meiner täglichen Arbeit ein.

MM: Könnte die Wahrnehmung als "Ausländerreligion" nicht auch damit zusammenhängen, dass Muslime außenpolitisch eine andere Wahrnehmung aufgrund von anderen Informationen haben, was z.B. den völkerrechtwidrigen Einmarsch in den Irak angeht und Ähnliches. Was soll eine Nation wie Deutschland Ihrer Meinung nach tun, wenn der engste Verbündete zum Völkerrechtsverbrecher wird?

Karsli: Natürlich haben Muslime einen Informationsvorsprung, weil sie die Konflikte aus zwei Blickwinkeln betrachten können. Doch ich denke, das Verhalten der Bundesregierung im Irak-Krieg hat gezeigt, dass auch die Deutschen zu einer differenzierten und vom großen Verbündeten USA unabhängigen Sichtweise gelangen können. Die Vereinigten Staaten haben ein nationales Interesse am Nahen Osten. Direkt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben sie es vermocht, Deutschland und auch anderen Verbündeten klarzumachen, dass dieses nationale Interesse auch im internationalen Interesse liegt. Die USA waren in einer Art Söldnerfunktion unterwegs. Sie haben ihre Soldaten geschickt während andere, darunter Deutschland, dafür gezahlt haben. Doch dieses Konstrukt mit all seinen Lügen und falschen Behauptungen und Anschuldigungen ist von den Verbündeten durchschaut worden. Das Gefangenenlager in Guantanamo Bay, das Gefängnis Abu Ghureib und nicht zuletzt der Angriff auf Falludscha sind ein Beweis dafür, dass Amerika eben nicht der Verteidiger der Demokratie und der Menschenrechte ist. Nicht umsonst lehnt die Bush-Administration eine Anerkennung des internationalen Gerichtshofs ab. Es war richtig von der Bundesregierung, dieses scheinheilige, grausame "Spiel" nicht mitzumachen und sich um einen eigenen Standpunkt zu bemühen. Dort sollte sie weitermachen, auch im Hinblick auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.

MM: Es ist in letzter Zeit etwas still um FAKT geworden. Welche Chancen rechnen Sie sich bei zukünftigen Wahlen aus und wo planen Sie anzutreten?

Karsli:  Wie ich vorher schon angedeutet habe ist das Verhalten der Presse uns gegenüber dafür verantwortlich, dass es um FAKT etwas ruhiger geworden ist. Vielleicht auch deshalb, weil sie merken, welches Potenzial in unseren Forderungen steckt. Wir sind aber weiterhin sehr aktiv und wenn Sie sich unsere Webseite unter www.fakt-partei.de anschauen, werde Sie feststellen, dass wir uns in der Tat zu vielen Themen zu Wort melden. Zur Zeit bündeln wir jedoch unsere Kräfte und bereiten uns wie alle Parteien auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 vor.

MM: Abschließende Fragen; "Karsli" bedeutet übersetzt: "derjenige aus (dem Ort) Kars". Waren Sie schon einmal in Kars? Und ist Deutschland ihre Heimat, fühlen Sie und Ihre Familie sich als Deutsche?

Karsli: Das ist richtig. Ich habe den Geburtsort meines Großvaters in Ispir bei Erzurum zwei mal besucht, dort lebt ein Teil meiner Familie. Mein Vorname ist arabisch. Meine Frau ist Italienerin. Sie ist Katholikin, ich bin Moslem. Unsere Kinder wachsen dreisprachig auf: Deutsch, italienisch, arabisch. Trotzdem fühlen wir uns als Deutsche. Hier ist unsere Heimat. Ich gebe zu, wenn ich in Deutschland bin, sage ich: Bei uns in Syrien. Und wenn ich in Syrien bin, sage ich: Bei uns in Deutschland. Ich fühle mich zu beiden Ländern und zu den beiden Kulturen zugehörig. Dazu kommt, dass ich auch Wurzeln in der Türkei habe. Ich denke meine Familie ist ein gutes Beispiel dafür, wie man multireligiös, multikulturell, multinational und mehrsprachig gut, glücklich und friedlich zusammenleben kann. Und was in einer Familie funktioniert, sollte in der Gesellschaft erst recht funktionieren.

MM: Herr Karsli, wir danken Ihnen für das Interview.

Karsli: Ich habe zu danken.

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