MM: Sehr geehrter Herr Karsli, die
sogenannte Karsli-Affaire liegt nun einige Zeit zurück. Sie wurden damals
öffentlich als Antisemit beschuldigt. Wie würden Sie rückblickend die
damalige Situation schildern?
Karsli: Zunächst einmal möchte ich einige
begriffliche Dinge klären, die in der öffentlichen Wahrnehmung falsch oder
unzureichend festgestellt werden: Erstens, nicht jeder Araber ist Moslem
und nicht jeder Moslem Araber. Genauso wenig ist jeder Israeli Jude oder
jeder Jude Israeli. Ebenso verhält es sich mit den Begrifflichkeiten
Antisemitismus, Antijudaismus, Antizionismus. Wir haben es hier einmal mit
einem ethnisch, einem religiösen und einem politischen Begriff zu tun. Es
gibt Juden in Israel, die gegen den Zionismus sind. Sind sie deshalb auch
Antisemiten? Niemand greift das Existenzrecht Israels an. Es geht hier
doch nicht um Israel als Staat oder um die Juden als Religion oder die
Semiten als Ethnie. Hier geht es doch einzig und allein um Politik, die in
Israel seit einigen Jahren von Kriegsverbrechern bestimmt wird. Wir müssen
die Begriffe klar trennen, um einen derart komplizierten Sachverhalt
erklären zu können.
Ich bin damals bei den Grünen ausgetreten, weil
ich mit der Friedenspolitik der Grünen nicht mehr einverstanden war. Mein
Entschluss, die Grünen zu verlassen, reifte nach dem Massaker von Jenin,
als die israelische Armee Tausende Zivilisten tötete und ihre Häuser
niederreißen ließ und die Grünen, als ehemalige Partei des Friedens, diese
ungeheure Menschenrechtsverletzung unkommentiert ließen. Bei dem Massaker
in Srebrenica im ehemaligen Jugoslawien haben die Grünen sogar einen
NATO-Angriff befürwortet. Nur in Palästina haben alle weggeschaut. Joschka
Fischer hat sich stattdessen von Israel mit Ehrentiteln überhäufen lassen
und zu den Kriegsverbrechen geschwiegen. Das war für mich auf Dauer nicht
mit meiner inneren Überzeugung zu vereinbaren. Hinzu kam, dass sich
Deutschland in Afghanistan militärisch beteiligte. Nach den Anschlägen vom
11. September ist eine Hysterie im Westen noch nachvollziehbar. Aber jeder
weiß auch, und im Irak ist es heute deutlicher denn je, dass sich Terror
nicht mit militärischen Mitteln bekämpfen lässt. Es ist Augenwischerei,
wenn man meint, die Deutschen in Afghanistan oder die Amerikaner in Irak
könnten dem Land Frieden und Demokratie bringen. Doch das haben die Grünen
nicht verstanden und deshalb bin ich damals, nach fast 20 Jahren
politischer Arbeit bei den Grünen, ausgetreten.
Was nun den Antisemitismus-Vorwurf angeht, so hat
sich die Diskussion damals an zwei Aussagen meinerseits entzündet: Zum einen
war es die Aussage, "die israelische Armee wendet Nazi-Methoden an", in dem
sie die gefangenen Palästinensern in den Gefangenen-Lagern Nummern auf die
Arme tätowieren und ihre Familien auseinanderreißen und verschleppen. Ich
verstehe bis heute nicht, was daran antisemitisch sein soll, wenn ich
Menschenrechtsverletzungen anprangere. Aber weder die breite Öffentlichkeit
noch die Politiker haben sich an diesen Menschenrechtsverletzungen gestört.
Meine zweite Aussage war: "Es gibt eine zionistische Lobby, die den Großteil
der Medien beherrscht". Zu dieser Ansicht bin ich gekommen als ich gesehen
habe, wie die Presse mit den israelischen Kriegsverbrechen umgeht. Statt die
Kritiker der israelischen Politik ernst zu nehmen und zu Wort kommen zu
lassen, werden sie in gezielten Kampagnen mit dem Rundumschlag des
Antisemitismusvorwurfes sowohl politisch als auch moralisch vernichtet und
mundtot gemacht. Ich habe das damals selbst am eigenen Leib erfahren müssen.
Meine ganze Familie hat darunter sehr gelitten. Meine Kinder haben geweint,
wenn sie mich im Fernsehen gesehen haben. Ich habe mich 18 Jahre für
Migranten jeder Hautfarbe und jeder Herkunft eingesetzt. Und von einem Tag
auf den anderen soll ich Antisemit gewesen sein? Ich bin durch die Kampagne
der Medien in die Ecke meiner Gegner gestellt worden: den Rechtsradikalen.
Dabei hatte man mir nie die Chance gegeben, öffentlich meinen Standpunkt zu
vertreten. Die Antisemitismus-Keule der Zionisten hatte sehr schnell
gewirkt. Deshalb habe ich ein Buch geschrieben, mit dem Titel "Maulkorb für
Deutschland - Fakten, Analysen, Aufklärung zur Antisemitismusdebatte", um
dort ungeschminkt meine Sichtweise der als "Fall Karsli" bekannt gewordenen
Ereignisse dieser Tage darlegen zu können.
MM: Ihre Feststellung, dass Niemand das
Existenzrecht Israels angreift können wir nicht teilen. Erlauben Sie uns
daher dazu folgende Zusatzfrage: Können Sie sich vorstellen, dass heute
Buren und Nichtburen gemeinsam in einem freien und unabhängigen Land in
Frieden zusammen leben könnten, wenn Mandela den Burenstaat anerkannt hätte?
Karsli:
Ich
denke, wenn Nelson Mandela es mit einem demokratischen Südafrika zu tun
gehabt hätte, wäre die Situation eine völlig andere gewesen. In Israel leben
bereits 1,3 Millionen Muslime und Christen arabischer Herkunft mit Juden
unterschiedlichster Herkunft zusammen. Doch leider haben wir es in Hinblick
auf die Strukturen in Israel mit einer Demokratie zu tun, die nur für Juden
gilt. Israel ist durch eine UNO-Resolution entstanden, aber gleichzeitig
verstößt es gegen 70 UN-Resolutionen und hat mehr als 1400
menschenverachtende und rassistische Gesetze nach denen es sich richtet.
Folter und Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Als
Atommacht ist Israel nicht dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten und
politisch weißt Israel jede Kritik von sich und nennt Kritiker Antisemiten.
Kann man somit noch von einem demokratischen Staat sprechen? Wenn ich sage,
dass das Existenzrecht Israels nicht angegriffen wird, so heißt das, dass
der Staat Israel im Rahmen der UN-Resolutionen genauso seine Berechtigung
hat, wie ein palästinensischer Staat. Beide Staaten haben im Rahmen der
UNO-Resolutionen ihre Existenzberechtigung. Eine Zwei-Staaten-Lösung des
Konflikts könnte zu einer Annäherung der beiden Staaten und somit auch zu
einer Normalisierung der Beziehungen führen. Voraussetzung ist jedoch, dass
beide Staaten auf demokratischen Prinzipien beruhen und territoriale
Souveränität besitzen.
MM: Würde ein absolut demokratisches Prinzip
in Israel nicht die Abschaffung des einstmals definierten Judenstaates
bedeuten, denn es wäre doch nur eine Frage der Zeit, wenn Nichtjuden die
Mehrheit des Volkes bilden, sobald es keine Vertreibung mehr gibt? Und würde
solch ein Staat dann nicht ohnehin die Union mit den Verwandten auf der
anderen Seite der Mauer suchen? Warum also nicht die Einstaatenlösung?
Karsli: Tatsächlich wäre ein gemeinsamer
Staat die idealste Lösung. Sie wurde von der palästinensischen Führung ja
auch bereits mehrfach vorgeschlagen. Sie ist jedoch nicht realistisch, denn
natürlich stellt sie für Israel als definierter Judenstaat eine
demographische Bedrohung dar. Deshalb baut Israel ja auch die Mauer. Israel
muss sich abschotten, um weiter als jüdischer Staat bestehen zu können. 1967
wurde der Zionismus bereits von den Vereinten Nationen als rassistische
Ideologie bezeichnet. Denn wenn ein Staat sich durch eine bestimmte Rassen-
oder Religionszugehörigkeit definiert, und das ist ja der Kern der
zionistischen Ideologie, so ist er de facto rassistisch. Deshalb ist Israel
eben auch nur für die Juden demokratisch, nicht jedoch für die übrige
Bevölkerung. Eine wirkliche Demokratie kann jedoch niemals selektiv sein.
Die Definition von Demokratie schließt das aus. Schlussendlich muss Israel
sich also entscheiden, ob es demokratisch oder zionistisch (=rassistisch)
sein will. Hier zeigt sich der zentrale Irrtum der zionistischen Ideologie.
MM: Es heißt immer wieder, dass Kritik an
Israel legitim sei, aber faktisch wird jeder halbwegs ernsthafte
Israelkritiker Mundtot gemacht - so auch Sie - wie können Sie sich das
erklären?
Karsli: Es herrscht eine Diskrepanz
zwischen dem, was die Menschen denken und dem was sie sagen. Ich habe oft
erlebt, dass die Menschen gerade in höher gestellten Positionen hinter
vorgehaltener Hand die Politik Israels kritisieren, doch sich vorher nach
allen Seiten absichern, dass ihnen keiner zuhört. Sie haben Angst ihre
Meinung zu sagen, weil sie fürchten müssen, durch die Antisemitismus-Keule
politisch oder moralisch geächtet zu werden. Und diese ängstliche Haltung
wird durch die Zionisten geschürt. Man tabuisiert absichtlich an einer
Stelle, wo Aufklärung dringend notwendig wäre.
Um das einmal ganz deutlich zu sagen: Die
schrecklichen Verbrechen der Nazi-Zeit an den Juden sind mit nichts zu
rechtfertigen und mit nichts zu vergleichen. Und gerade daraus ist
Deutschland eine besondere Verantwortung entstanden. Eine Verantwortung,
die zu Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung eines Volkes nicht
schweigen darf. Doch eine Aufklärung findet in Deutschland nicht statt.
Stattdessen werden die Begriffsbestimmungen und die Ereignisse in Israel
absichtlich im Unklaren gelassen. Daran hat die Presse natürlich einen
großen Anteil, die bei der Aufklärung von Sachverhalten eigentlich eine
große Rolle spielen sollte. Wenn 59 % aller Europäer glauben, dass von
Israel die größte Gefahr für den Weltfrieden ausgeht und Israels Premier
Ariel Sharon behauptet, dieses Ergebnis sei nur darauf zurückzuführen,
dass 17 Millionen Muslime und damit 17 Millionen Antisemiten in Europa
lebten, ist dies schon sehr bedenklich. Vor allem dann, wenn die Presse
diese Ansicht unkommentiert stehen lässt.
Ich habe im Oktober ein zweites Buch
herausgebracht, diesmal jedoch auf Arabisch. Es trägt den Titel "Deutschland
zwischen Angst und Schuldkomplex". Es ist in der Grundhaltung im Prinzip
eine Übertragung meines Buches "Maulkorb für Deutschland" ins Arabische und
soll der arabischen Welt aus meiner Sicht, also aus Sicht eines Deutschen
Abgeordneten arabischer Herkunft, die Zwickmühle verdeutlichen, in der die
Deutschen stecken: Einerseits die Angst vor der moralischen und politischen
Ächtung wenn man Israels Politik kritisiert, andererseits, aus der Schuld
der Nazi-Verbrechen resultierend, sich für die Normalisierung der
deutsch-jüdischen Beziehungen einzusetzen.
MM: Das damalige Medienspektakel um Ihre
Person mündete in die Gründung der Partei FAKT, die sich u.a. auch für
einen Frieden im Nahen Osten einsetzt. Allerdings berichten die Medien
jetzt nicht mehr über Sie. Ist ein scheinbar "kämpferischer" Karsli
medienwirksamer, als ein friedvoller?
Karsli: Die Gründung von FAKT war für mich
die Konsequenz aus 20 Jahren politischer Arbeit und meinen Erfahrungen bei
den Grünen und der FDP. In Deutschland sind lediglich 2 Prozent der
Bevölkerung in Parteien organisiert. 70 % aller Wähler entscheiden sich
erst in letzter Minute, was sie wählen. Die Menschen haben das Vertrauen
in die Parteien und die Politik verloren. Das war für mich ein Grund eine
Partei zu gründen, die Klartext redet, der die Menschen wieder vertrauen
können. Dabei hat sich FAKT die Themen auf die Fahnen geschrieben, die die
Menschen am meisten interessieren.
Der Name ist Programm: F steht für
Frieden, der für viele Menschen sehr wichtig ist und immer wichtiger wird.
800 Mrd. Dollar werden jedes Jahr für Krieg ausgegeben. Würde dieses Geld
in Entwicklungsländer gesteckt, könnten viele Krisen- und Konfliktherde
verhindert werden. Aber es geht bei FAKT nicht nur um den Frieden in der
Welt. Auch der soziale Frieden oder der Frieden in der Familie ist damit
gemeint. A bedeutet Arbeit. Fast fünf Millionen Menschen sind in
Deutschland ohne Arbeit, die Konjunktur kommt nicht voran. Die Menschen
sind desillusioniert und allein gelassen. K steht für Kultur. Die
Politik muss endlich erkennen, dass die Integration der Migranten in
Deutschland ein wichtiger Aspekt zum Zusammenhalt der gesamten
Gesellschaft ist. Wir müssen zu einer Politik der gleichen Augenhöhe
kommen, die keinen Unterschied zwischen Christen, Moslems und Juden macht.
T soll die Transparenz symbolisieren. Transparenz in der Politik
und der Verwaltung ist wichtig um das Vertrauen der Bevölkerung wieder zu
gewinnen. Der Gesetzesdschungel vor allem in der Steuergesetzgebung lässt
die Bevölkerung an Gerechtigkeit zweifeln. Politische Entscheidungen sind
nicht durchsichtig genug und somit nicht mehr nachvollziehbar für die
Bevölkerung. Doch wenn man alle diese Forderungen durchsetzen will, macht
man sich nicht beliebt bei denjenigen, die ganz gut mit diesen Bedingungen
leben können.
Die Kampagne gegen mich hatte das Ziel, mich
mundtot zu machen. Das gleiche versucht man nun gegen FAKT, damit FAKT nicht
das zur Sprache bringt, worüber wir uns in der ernsthaften Diskussion um
unsere Probleme und die Probleme in der Welt Gedanken machen sollten. Aber
FAKT wird nicht locker lassen. Wir werden uns nach wie vor für den Frieden
in der Welt einsetzen, auch wenn es unbequem ist und den Mächtigen in dieser
Gesellschaft nicht gefällt. Dass die Presse den Mantel des Schweigens über
uns ausbreitet, obwohl wir uns ständig zu Wort melden, ist ein Zeichen
dafür, dass Presse und politische Macht ganz eng beieinander liegen. Man
sagt immer die Presse wäre die vierte Macht im Staat. In Wahrheit ist sie
viel weiter vorne anzusiedeln. Denn sie entscheidet über Wohl oder Wehe von
Politikern oder Parteien entscheidend mit.
MM: Insgesamt ist es etwas ruhiger um Ihre
Person und Partei geworden. Gleichzeitig hat die Medienberichterstattung
über angebliche und echte Probleme mit Migranten - ein Schwerpunktthema
Ihrer Partei - gerade in den letzten Wochen dramatisch zugenommen. Welche
Position vertritt FAKT in der sogenannten Islamdebatte?
Karsli: Zum ersten Mal in der deutschen
Geschichte hat ein Migrant es "gewagt", eine eigene deutsche Partei zu
gründen. Das ist auch ein Stück Integration. Doch viele sind zu FAKT
gekommen und hatten falsche Vorstellungen von der Partei. Sie haben
gedacht, FAKT sei eine islamische Partei oder eine Migrantenpartei. Auch
die Presse ist sofort auf diese Stereotype eingestiegen. Aber alle mussten
erkennen das FAKT ganz anders ist. FAKT ist eine deutsche Partei, die
keinen Unterschied zwischen Hautfarbe oder Herkunft macht. FAKT setzt sich
für Migranten ein, weil wir der Meinung sind, dass eine Gesellschaft nur
dann funktionieren kann, wenn alle seine Teile an der Gesellschaft
beteiligt werden. Das gilt für das Politische ebenso wie im kulturellen
Bereich. Wir machen deutsche Politik unter Einbeziehung der Migranten. Wir
sind die einzige Partei, die das in diesem Maße macht. Allein das beweist
schon, dass wir keine Nähe zu diskriminierendem oder gar rechtsradikalem
Gedankengut suchen, geschweige denn solchem Vorschub leisten wollen.
Wir sind keine islamische Partei. Wir bemühen uns
lediglich darum, den Islam als Religion in Deutschland gleichberechtigt
neben den anderen Religionen anzuerkennen. Wir können den Islam in
Deutschland nicht leugnen. Mehr als 3,5 Millionen Muslime leben hier, die
Hälfte davon mit deutschem Pass. Der Islam ist die drittgrößte
Religionsgemeinschaft in Deutschland nach den beiden christlichen
Konfessionen. Wir wollen eine Kulturpolitik, in der die großen
Religionsgemeinschaften gleichberechtigt behandelt werden. Wir setzen uns
für die Gleichberechtigung der kulturellen Identität ein. Wir stehen auf
dem Standpunkt, wenn eine Nonne im Schulunterricht ihre Kutte tragen darf
und ein jüdischer Gelehrter seine Kippa, dann darf auch einer muslimischen
Lehrerin das Kopftuch nicht verwehrt werden. Es kommt doch schließlich
darauf an, was in den Köpfen und nicht auf den Köpfen der Menschen ist.
Wir setzen uns dafür ein, dass ein islamischer Religionsunterricht an
deutschen Schulen eingeführt wird und nicht nur eine "Unterweisung"
stattfindet. Es kommt jedoch darauf an, dass die Religionslehrer bei uns
in Deutschland ausgebildet werden. So kann sicher gestellt werden, dass
unseren Kinder kein undemokratisches Gedankengut gelehrt wird. Islamische
Predigten nur in Deutsch zu erlauben, geht an der Diskussion und an der
Lösung der Probleme vorbei.
Wir könnten vielleicht auch mal über eine
Feiertagsregelung für Muslime nachdenken. Das Ramadanfest und das Opferfest
sind die höchsten Festtage der Muslime. Sie als Feiertage in den deutschen
Kalender zu integrieren, wäre zumindest ein Zeichen der Gleichberechtigung
und der Integration. Wenn wir den Islam als gleichberechtigte Religion
behandeln und die nötigen Strukturen schaffen, damit er sich in unsere
Gesellschaft integrieren kann, brauchen wir keinen Islamismus und keine
Überfremdung zu fürchten. Die Furcht entsteht nur aus Unwissenheit und
Ignoranz. Die Integration des Islam schafft hingegen einen Beitrag zum
sozialen Frieden in unserer Gesellschaft.
MM: Die
Feiertagsdebatte ist ja nicht von Muslimen ausgegangen, sondern von einem
Grünenpolitiker, der offensichtlich vorher nicht mit Muslimen darüber
gesprochen hat, denn die Probleme der Muslime in diesem Land sind derzeit
wirklich andere. Ist es nicht sogar eher schädlich nur eine Woche, nachdem
man den Deutschen ihren Nationalfeiertag nehmen wollte über einen
islamischen Feiertag zu debattieren?
Karsli: Ich
finde den Vorschlag von Herrn Ströbele richtig und mutig. Hier leben 3,5
Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Man kann das nicht ignorieren. Es
geht in erster Linie einmal darum, das Bewusstsein dafür zu schaffen. Wenn
man einen muslimischen Feiertag einführt, wird das zur Kenntnis genommen.
Einige werden neugierig werden, sich interessiert zeigen. So könnte es zu
einer Annäherung kommen. Eine Annäherung, die für unsere Gesellschaft und
ihren Zusammenhalt wichtig ist. Ein Ramadan- und ein Opferfest-Feiertag
könnte mehr Verständnis für Muslime bei Nichtmuslimen hervorrufen und zu
sozialem Frieden beitragen. Wir müssen ja keinen Feiertag dafür streichen.
Arbeitgeber könnten diese Feiertage den Arbeitnehmern beispielsweise vom
Urlaub abziehen, wenn sie sie in Anspruch nehmen. Nur, wenn man die
Integration der Muslime will, muss man auch bereit sein sich auf ihre
Religion einzulassen und auch sie integrieren.
MM: Viele
Muslime in diesem Land haben religionsbedingt in ihrem Leben gewisse
Unterschiede zu der Mehrheitsgesellschaft. Hier seien beispielhaft die
Themen Kopftuch und daran gekoppelt die Befreiung der Mädchen vom
Schwimmunterricht, die unterschiedlichen Speisevorschriften mit dem
Stichwort "Schächten" und die offensichtlich intensiver gelebte
Spiritualität genannt. Haben Sie Verständnis dafür, dass Nichtmuslime sich
davor fürchten oder zumindest kritisch darauf schauen?
Karsli:
Aufklären heißt die Devise. Mit Aufklärung kann man die Menschen von ihren
Befürchtungen befreien. Doch in Deutschland wird nur sehr unzureichend
aufgeklärt. Zur Zeit wird der Islam immer nur in Verbindung mit Terror
genannt. Das ist ein Feindbild, dass teilweise absichtlich aber auch
unabsichtlich geschürt wird, durch mangelnde Aufklärung. Wir leben in einer
interkulturellen und multireligiösen friedlichen Gesellschaft. Wir müssen
uns alle bemühen, die jeweils andere Kultur anzuerkennen. Wenn wir in
stereotypen Feindbildern verharren, treiben wir einen Keil in unsere
Gesellschaft. Wir sollten uns daher angewöhnen, die jeweils andere Kultur
differenzierter zu betrachten und zu akzeptieren. Auch die positiven
Eigenschaften einer Kultur herauszustellen und uns nicht von der Sucht der
Medien nach negativen Schlagzeilen anstecken zu lassen. Wir müssen die
Berührungsängste auf beiden Seiten nehmen. Mittlerweile gibt es bei uns
200.000 Muslime deutscher Abstammung. Das ist die Realität. Der Islam gehört
schon zu Deutschland, aber leider fehlt der Wille ihn zu integrieren.
MM: Islam
wird in diesem Land nach wie vor als "Ausländerreligion" wahrgenommen,
obwohl es - wie Sie es bereits festgestellt haben - schon Millionen von
muslimischen deutschen Staatsbürgern gibt. Sie selbst sind ein Beispiel für
diese Situation, denn auch Sie werden oft als "Ausländer" wahr genommen. Was
muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit die Muslime wirklich eingebürgert
werden.
Karsli: Ich
denke, dass ist nur eine Frage der Zeit, wenn die Integration wirklich
gewollt ist. Die Integration der hier lebenden Muslime ist keine
Einbahnstraße. Es gehört Integrationswilligkeit der Gesellschaft genauso
dazu wie Integrationsbereitschaft der Muslime. Viele Migranten fühlen sich
als Teil dieser Gesellschaft. Sie leben hier, sie arbeiten hier und viele
haben auch hier ihre Heimat. Die Integration muss auch in den Köpfen der
Menschen stattfinden. Es reicht nicht, Integration gesetzlich zu verordnen.
Sie muss gelebt werden. Dazu ist beispielsweise die politische Integration
sehr wichtig. Die Teilhabe am politischen Entscheidungsprozess ist für
Migranten ein Integrationsanreiz.
MM:
Glauben Sie, dass eine Lehramtsanwärterin, die ein Berufsverbot erhält
aufgrund ihres Kopftuches großes Interesse an der Teilhabe am politischen
Entscheidungsprozess hat?
Karsli: Nein, wohl kaum. Solche
Maßnahmen sind tatsächlich alles andere als integrationsfördernd. Den daraus
resultierenden Effekt erleben wir jedoch nicht nur in der Kopftuchdebatte.
Wenn unsere Gesellschaft die Migranten nicht so anerkennt wie sie sind, mit
ihrer Kultur und Religion, ihnen also in bestimmten Bereichen immer noch die
Tür vor der Nase zuschlägt, muss sie sich nicht wundern, wenn diese sich
ihrerseits zurückziehen und in isolierten Nischen ihre Werte und Traditionen
ausleben. Auf die Art werden die viel zitierten und kritisierten
Parallelgesellschaften gefördert, wenn nicht sogar geschaffen. D.H. im Sinne
einer echten Integration müssen die Migranten in ihrem ganzen Sosein
angenommen werden. Vielerorts wird stattdessen versucht, sie zu
assimilieren. Das kann nicht funktionieren. Das wesentliche Stichwort ist in
diesem Zusammenhang die "Kultur der gleichen Augenhöhe", also eine Kultur
der Anerkennung und ein gleichberechtigtes Miteinander unterschiedlicher
Kulturen. Dafür setze ich mich in meiner täglichen Arbeit ein.
MM: Könnte
die Wahrnehmung als "Ausländerreligion" nicht auch damit zusammenhängen,
dass Muslime außenpolitisch eine andere Wahrnehmung aufgrund von anderen
Informationen haben, was z.B. den völkerrechtwidrigen Einmarsch in den Irak
angeht und Ähnliches. Was soll eine Nation wie Deutschland Ihrer Meinung
nach tun, wenn der engste Verbündete zum Völkerrechtsverbrecher wird?
Karsli:
Natürlich haben Muslime einen Informationsvorsprung, weil sie die Konflikte
aus zwei Blickwinkeln betrachten können. Doch ich denke, das Verhalten der
Bundesregierung im Irak-Krieg hat gezeigt, dass auch die Deutschen zu einer
differenzierten und vom großen Verbündeten USA unabhängigen Sichtweise
gelangen können. Die Vereinigten Staaten haben ein nationales Interesse am
Nahen Osten. Direkt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben sie es
vermocht, Deutschland und auch anderen Verbündeten klarzumachen, dass dieses
nationale Interesse auch im internationalen Interesse liegt. Die USA waren
in einer Art Söldnerfunktion unterwegs. Sie haben ihre Soldaten geschickt
während andere, darunter Deutschland, dafür gezahlt haben. Doch dieses
Konstrukt mit all seinen Lügen und falschen Behauptungen und Anschuldigungen
ist von den Verbündeten durchschaut worden. Das Gefangenenlager in
Guantanamo Bay, das Gefängnis Abu Ghureib und nicht zuletzt der Angriff auf
Falludscha sind ein Beweis dafür, dass Amerika eben nicht der Verteidiger
der Demokratie und der Menschenrechte ist. Nicht umsonst lehnt die
Bush-Administration eine Anerkennung des internationalen Gerichtshofs ab. Es
war richtig von der Bundesregierung, dieses scheinheilige, grausame "Spiel"
nicht mitzumachen und sich um einen eigenen Standpunkt zu bemühen. Dort
sollte sie weitermachen, auch im Hinblick auf einen ständigen Sitz im
UN-Sicherheitsrat.
MM: Es ist in letzter Zeit etwas still um
FAKT geworden. Welche Chancen rechnen Sie sich bei zukünftigen Wahlen aus
und wo planen Sie anzutreten?
Karsli:
Wie ich vorher schon angedeutet habe ist das Verhalten
der Presse uns gegenüber dafür verantwortlich, dass es um FAKT etwas ruhiger
geworden ist. Vielleicht auch deshalb, weil sie merken, welches Potenzial in
unseren Forderungen steckt. Wir sind aber weiterhin sehr aktiv und wenn Sie
sich unsere Webseite unter www.fakt-partei.de
anschauen, werde Sie feststellen, dass wir uns in der Tat zu vielen Themen
zu Wort melden. Zur Zeit bündeln wir jedoch unsere Kräfte und bereiten uns
wie alle Parteien auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005
vor.
MM:
Abschließende Fragen; "Karsli" bedeutet übersetzt: "derjenige aus (dem Ort)
Kars". Waren Sie schon einmal in Kars? Und ist Deutschland ihre Heimat,
fühlen Sie und Ihre Familie sich als Deutsche?
Karsli: Das
ist richtig. Ich habe den Geburtsort meines Großvaters in Ispir bei Erzurum
zwei mal besucht, dort lebt ein Teil meiner Familie. Mein Vorname ist
arabisch. Meine Frau ist Italienerin. Sie ist Katholikin, ich bin Moslem.
Unsere Kinder wachsen dreisprachig auf: Deutsch, italienisch, arabisch.
Trotzdem fühlen wir uns als Deutsche. Hier ist unsere Heimat. Ich gebe zu,
wenn ich in Deutschland bin, sage ich: Bei uns in Syrien. Und wenn ich in
Syrien bin, sage ich: Bei uns in Deutschland. Ich fühle mich zu beiden
Ländern und zu den beiden Kulturen zugehörig. Dazu kommt, dass ich auch
Wurzeln in der Türkei habe. Ich denke meine Familie ist ein gutes Beispiel
dafür, wie man multireligiös, multikulturell, multinational und mehrsprachig
gut, glücklich und friedlich zusammenleben kann. Und was in einer Familie
funktioniert, sollte in der Gesellschaft erst recht funktionieren.
MM: Herr Karsli, wir danken Ihnen für
das Interview.
Karsli: Ich habe zu danken.
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