MM: Sehr geehrter Herr Ramin, zunächst
einmal Gratulation zu ihrem Achtungserfolg bei den Parlamentswahlen am
Anfang des Jahres und dem vergleichsweise knappen ausscheiden. Welche
Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
M.-A. Ramin: Die Teilnahme an den
Parlamentswahlen war für mich eine interessante wie gleichsam
lehrreiche Erfahrung zum Verständnis der Dynamik der Islamischen
Revolution; faszinierend, weil ich am eigenen Leib miterlebt habe, wie
ein einfacher freier Kandidat ohne jegliche Wirtschaftsmacht im Rücken,
ohne Vorbereitung und lediglich ausgestattet mit der freiwilligen Unterstützung vieler
Gleichgesinnter in diesem System durchaus ein Chance hat, ins Parlament
gewählt zu werden, auch wenn ich es verpasst habe, zumal ich selbst
nicht mit einem Erfolg gerechnet hatte, und
lehrreich, weil ich im Laufe des Wahlkampfes so viele herzergreifende
Erlebnisse hatte, so viele begeisterte Jungendliche, insbesondere Tausende
Studenten, kennen gelernt habe,
die sich aktiv in die Revolution einbringen wollen und so viele neue
Freunde gewonnen habe, die Hoffnung auf zukünftige Entwicklungen
machen.
MM: In den westlichen Medien wurden die
Parlamentswahlen aufgrund der vergleichsweise hohen Zahl von abgelehnten
Kandidaten als "undemokratisch" abqualifiziert. Welche
Auswirkungen hatte das auf den Wahlkampf?
M.-A. Ramin: Die Wählerschaft in der
Islamischen Republik Iran hat sich nach über 25 Jahren der
Revolution daran gewöhnt, dass jegliche Freiheit und Eigenständigkeit
des Iran und jegliche wirklich freie Meinungsbildung im Land und echtes
politisches Engagement des Volkes mit einer Art Hetzkampagne entgegen
getreten wird, die hier eigentlich nur noch als "Propaganda des
Westens" zur Kenntnis genommen wird. Bei allen inneriranischen
Auseinandersetzungen und Diskussionen sind doch die allermeisten
Beteiligten dankbar über die Selbstständigkeit dieses Landes, und kaum
jemand ist bereit, die Eigenständigkeit zu opfern. Wir haben nie den
Anspruch erhoben, ein demokratisches System nach westlichem Vorbild zu
sein oder gar anzustreben! Wir meinen nicht, dass die westliche
Demokratie ein ideales Regierungssystem ist und die anderen Völker mit
anderen Kulturen nicht n der Lage wären bessere menschliche und vom
Volk getragene Systeme aufbauen könnten. Wir wollen kein System, bei
dem Leute wie George Bush zum Oberhaupt gewählt werden können, sondern
die Wahl von vernünftigen weisen Menschen sicher gestellt wird. Daher haben wir ein auf Basis einer
offenen islamischen Verfassung gegründetes System, welches vom Volk
getragen wird und welches wir mit allen unseren Möglichkeiten schützen
wollen. Ein Teil der von den Parlamentswahlen ausgeschlossenen
Kandidaten wurden aus formalen Gründen ausgeschlossen. Diejenigen
Kandidaten aber, um die der Westen am lautesten getrauert hat, wurden
ausgeschlossen, weil sie ganz offen gegen die Verfassung des Landes
geradezu lauthals gehetzt haben und diese abschaffen wollten, wie sie es
teilweise selbst nach den Wahlen offen zugegeben haben, und die massive
Unterstützung durch den Westen erhalten hatten teilweise aus Europa,
teilweise sogar aus den USA. Wo in der Welt werden denn offene
Verfassungsfeinde zu Wahlen zugelassen? Gleichzeitig sei angemerkt, dass
es kein einziges der sogenannten "demokratischen" Länder
gibt, bei denen so viele Kandidaten ernsthafte Chancen auf einen
Parlamentssitz haben, wie bei den Wahlen in der Islamischen Republik
Iran. Darin drückt sich die echte Freiheit eines Volksentscheides ab.
Wir haben hier auch eine Minderheitenvertretungen der jüdischen und
christlichen Iraner vergleichbar der dänischen Volksgruppe im
schleswig-holsteinischen Parlament. Auch das ist einmalig für ein vom
Volk gewähltes Parlament, dass z.B. die jüdische Gemeinde des Landes
ihre Vertreter entsenden kann! Die Westlichen Medien suchen aber
grundsätzlich nur nach Ansatzpunkten für Kritik und nicht das
gegenseitige Verständnis. Offene Verfassungsfeinde aber haben hier im
Iran keine Chance mehr, selbst wenn der Westen sie Reformer nennen und
noch so stark unterstützen mag. Denn was "Demokratie und
Freiheit" im westlichen Sinn bedeutet haben sehen wir tagtäglich
in unseren Nachbarländern. Aber es sind nicht nur die abartigen
Folterphantasien westlicher Militärs. Auch im "befreiten"
Kuwait haben wir gesehen, welche Diktatoren "befreit" wurden.
Jeder königliche Diktator in der arabischen Welt, der nur mit Hilfe von
den sogenannten Vertretern von "Freiheit und Demokratie" aus
dem Westen an der Macht gehalten
wird, ist ein Argument für uns zu erkennen, was der Westen unter diesen
Begriffen versteht, noch lange vor den Folterbildern!
MM: Stichwort "Reformer"; will
die Islamische Republik Iran den Weg der Reformen abblocken?
M.-A. Ramin: Der Islam ist die mit
Abstand revolutionärste Befreiungsbewegung mit einem immerwährenden
Antrieb zur Reform. Jeder Muslim ist Kraft seines Glaubens geradezu
verpflichtet sich stets weiterentwickeln und so auch jede Gesellschaft,
die den Weg des Islam voranschreiten will. Daran gibt es keinen Zweifel,
und so ist jeder aufrichtige Anhänger der Islamischen Republik Iran
überall in der Welt ein beständiger "Reformer". Darauf hat
auch unser verehrtes Oberhaupt, Imam Khamene'i - möge Gott ihn
schützen - bereits mehrfach sehr deutlich hingewiesen.
Bedauerlicherweise hat die westliche Propaganda diesen Begriff zuletzt
nur noch auf Menschen angewandt, die ausschließlich westliche
Interessen in unserem Land vertreten wollten und hat diese Leute auch
massiv propagandistisch und finanziell unterstützt. Das aber wäre keine Weiterentwicklung
sondern ein Rückschritt. Überhaupt ist die Übertragung des
Verständnisses der westlichen Begriffe, wie "Reformer", "Konservative", "Linke", "Rechte"
usw. auf das islamische Parlament geradezu unsinnig! Wir haben sehr oft
sogenannte "wechselnde Mehrheiten" und hier gibt es keinen
Fraktionszwang. Jeder Parlamentarier ist ausschließlich seinem Gewissen
verantwortlich und keiner Partei. Und wenn ich mich richtig erinnere ist
so etwas ursprünglich auch in Deutschland vorgesehen gewesen, nur dass
die Realität anders aussieht!
MM: Was haben Sie dagegen, wenn
westliche Staaten erlaubte Gruppen und nichtkriminelle Einzelpersonen im
Iran im Rahmen der Gesetze des Landes unterstützt?
M.-A. Ramin: Eigentlich gar nichts, so
lange es im Rahmen des gegenseitigen gerechten Austausches erfolgt. Aber
die Realität ist eine andere. Während Deutschland beispielsweise die
Leute in unserem Land massiv finanziell unterstützt, die westlich
Sympathien hegen, wollen sie gleichzeitig die Anhänger des Islamischen
Revolution aus Deutschland ausweisen und machen ihnen das Leben in jeder
nur erdenklichen Lage schwer, selbst wenn sie nie ernsthaft gegen
jegliche Gesetze verstoßen haben und selbst wenn wir diese Leute noch
nie finanziell unterstützt haben und selbst wenn sie deutsche
Staatsbürger sind! Das ist keine Basis eines gerechten Ausgleichs. Wenn
deutsche Politiker sagen, dass bereits die Sympathie mit dem System der
Islamischen Revolution Iran nicht mit der deutschen Verfassung vereinbar
sei, wie wir es gehört haben, was sollten wir dann zu den
Westsympathisanten bei uns sagen? Überhaupt scheint die westliche Welt
derzeit große Schwierigkeiten mit dem Begriff "Gerechtigkeit"
zu haben, denn all ihr Verständnis und alle Handlungen sind weit davon
entfernt Gerechtigkeit anzustreben!
MM: Derzeit wird ja auch nicht von
Gerechtigkeit sondern "Kampf der Kulturen" gesprochen, der
ganz offensichtlich von Afghanistan über Irak bis hin zu Palästina im
vollen Gange ist. Mehrfach hat ja die Führung der westlichen Welt
bereits den Kreuzzug ausgesprochen. Wie gehen Sie mit diesem Phänomen
um?
M.-A. Ramin: Der sogenannte "Kampf
der Kulturen" ist kein Kampf zwischen Völkern oder Vertretern von
Religionen, wie es die Erfinder dieser schrecklichen Hassideologie
den Menschen weis machen wollen. Dieser Kampf ist ein Kampf einiger
Dichter und Denker bzw. Ideologen im Auftrag der Mächtigen gegen die
Unterdrückten, um die Macht der Unterdrücker zu festigen und die
Ausbeutung der Entrechteten abzusichern. Und dieser Kampf ist im Prinzip schon seit der
Zeit der Söhne von Adam im Gange, auch wenn er im Laufe der Geschichte
verschiedene Bezeichnungen erhielt. Heute versucht man in Rahmen dieser
psychologischen Kriegsführung die westliche Welt gegen den Islam und
die Muslime aufzuhetzen, da somit das neue Feindbild geschaffen und
etabliert werden kann. Gleichzeitig dient es als Rechtfertigung für den
grausamsten Feldzug gegen unsere Generation! Tatsächlich aber ist dieser
Krieg in jeder Hinsicht völlig missraten und fällt zunehmend auf die
Urheber zurück. Und dabei ist die abzusehende militärische Niederlage
nur ein Aspekt. Derzeit gibt es doch weltweit - selbst in der westlichen
Welt - keine verhassteren Politiker als Bush und Sharon und keine
verhassteren Armeen als die israelische und die US-amerikanische. Der
unverschämte Versuch eine angeblich christlich-jüdische Kultur gegen
eine muslimische Kultur zu hetzen scheitert doch bereits in Palästina,
wo neben den palästinensischen Muslimen auch palästinensische Christen
massakriert und brutalst unterdrückt werden! Und ich kann mir nicht
vorstellen, dass die Foltersoldaten der USA im Irak ihre Opfer vor den
barbarischen Übergriffen nach ihrer Religion befragt haben! Wir sehen
hier den Todeskampf einer in jeder Hinsicht untergehenden Supermacht,
deren Auswirkungen die ganze Welt bedrohen könnte.
MM: Wie glauben Sie, sollte man dem
"Kampf der Kulturen" entgegentreten.
M.-A. Ramin: Eigentlich gibt es nur eine
sinnvolle und langfristig erfolgsversprechende Gegenmaßnahme, und das
ist der "Dialog der Kulturen" zu Streben nach
zwischenmenschlicher Verständigung . Ein auf Gerechtigkeit aufbauendes Gespräch mit der
Absicht zum gegenseitigen Verständnis ist der einzige Ausweg aus der
Sackgasse, in die sich die westliche Welt manövriert hat.
Bedauerlicherweise gibt es aber viel zu wenig Kräfte in der westlichen
Welt, die frei von den Hetzkampagnen der Medien einen
gerechten Ausgleich und ein faires Gespräch suchen. Deutsche Politiker,
die den Iran besuchen wollen, füttern ihre eigene Presse immer mit der
Behauptung, sie wollten bei uns Menschenrechte ansprechen, um hier dann
nur über Geschäfte zu reden. So eine Heuchelei kommt natürlich bei
uns hier überhaupt nicht gut an.
MM: Warum sprechen nicht ihre Politiker
über Menschenrechte, wenn sie in den Westen reisen, Anlass dazu gebe es
ja heutzutage wirklich genügend?
M.-A. Ramin: Da müssen sie die
Politiker fragen. Aber wahrscheinlich hat es auch mit dem
Politikverständnis der hiesigen Politiker zu tun, die keine
missionarischen Absichten verfolgen und den Gesprächspartner versuchen
so zu behandeln, wie sie selbst behandelt werden wollen.
MM: Das Oberhaupt der Islamischen
Republik Iran Imam Khamene'i wird in der westlichen Welt so gut wie nie
- und wenn überhaupt, dann nur negativ - wahrgenommen. Daher fragen wir
Sie: Welche Stellung hat er im Iran?
M.-A. Ramin: Imam Khamene'i ist der
Flaggenträger dieses Systems. Darin mag auch begründet sein, dass man
ihn in der westlichen Welt am liebsten wegdenken würde. Aber die
westlichen Medien haben schon mehrfach bei ausgezeichneten islamischen
Persönlichkeiten der jüngsten Zeitgeschichte derartige
Fehleinschätzungen aufrechterhalten. Man denke nur an die Anfangszeit
von Imam Khomeini - Gott habe ihn selig - oder die ersten Jahre von
Seyyid Nasrullah als Oberhaupt des islamischen Widerstandes gegen die
zionistische Okkupation. Derartige Fehleinschätzungen beruhen teilweise
auf arroganten Ignoranz und teilweise auf Unfähigkeit bis hin zur
Böswilligkeit. Bei uns hingegen ist Imam Khamene'i ganz sicher die
unumstößliche Integrationsfigur zwischen allen Lagern und Fraktionen
innerhalb des Systems insbesondere durch sein vorbildliches Leben! Bei
allen Unterschieden, welche die Politiker des Iran zur Lösung der
jeweiligen Aufgaben haben besteht doch ein Konsens darüber, dass die
Führung durch den zur Führung geeignetesten islamischen Gelehrten (Velayet-e-Faqih)
der Grundpfeiler des Systems ist. Die Liebe des Volkes zu Imam Khamene'i
steht außerhalb dieser Kategorie und ist unbeschreiblich. Hier bewegen
wir uns auf einer Art heiligem sakralen Terrain, den der westliche Leser
Ihres Interviews wohl wenig verstehen kann.
MM: Aber der Muslim-Markt
veröffentlicht vor allem für deutschsprachige Muslime.
M.-A. Ramin: Na gut, in Imam Khamene'i
sehen viele die Verkörperung einer von Gott ausgewählten Vertretung
des 12. Imam (Anm. des MM: der im verborgenen lebt und am Ende
der Zeiten wiederkommen wird). Daher versuchen
die Menschen seine Worte besonders aufmerksam zu hören und umzusetzen.
Viele erbeten vom Schöpfer allen Seins, dass er Imam Khamene'i die
Gnade gewähren möge, die Rückkehr des 12. Imam ankündigen oder begleiten zu dürfen. Seine wahrhaftigen Anhänger sind weltweit
bemüht als anständige Bürger des Landes sich für eine konstruktive
Gestaltung der Gesellschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten und im Rahmen
der jeweiligen Gesetze einzusetzen. Und es ist sicherlich nicht
übertrieben zu sagen, dass Imam Khamene'i auch außerhalb des Iran die
derzeit weltweit beliebteste Persönlichkeit bei den unterdrückten
Völkern ist und der am meisten gehasste aber auch gefürchtetste von
den Unterdrückern.
MM: Wie sehen Sie Ihre eigenen Zukunft,
werden wir Sie bei zukünftigen Wahlen wiedersehen und kommen Sie uns in
Deutschland besuchen?
M.-A. Ramin: Meine Zukunft steht im
Dienste der Befreiungsbewegung zur Befreiung der entrechteten Völker
und damit auch im Dienst der Islamischen Revolution, zumal sie sich beständig weiterentwickeln
wird und noch sehr viel zu tun ist. Bedingt durch meine deutschen
Sprachkenntnisse berate ich u.a. die Politik und iranische Firmen bei
Wirtschaftsbeziehungen mit deutschsprachigen Ländern. Nach zwei offenen
Diskussionen bei islamischen Tagungen in Deutschland mit Prof. Udo
Steinbach (Anm. des MM: Leiter des Orientinstituts) wird
mir neuerdings ohne Angaben von Gründen die weitere Einreise nach
Deutschland verwehrt. Ähnliche Erfahrungen mussten einige andere
einflussreiche Persönlichkeiten hier im Land auch schon machen.
Bedauerlicherweise hat Deutschland seine Politik diesbezüglich auf die
Spitze getrieben. Das neue Mahnmahl für die Giftgasopfer vor der
deutschen Botschaft in Teheran, an denen Deutschland Mitschuld ist, ist
ein deutliches Symbol für die verfahrene Art und Weise, mit der
offensichtlich abhängige deutsche Politiker die Interessen ihres
eigenen Volkes extrem schlecht vertreten. In Österreich und der Schweiz
habe ich aber adäquate Gesprächs- und Handelspartner gefunden, mit
denen die Verantwortlichen der Islamischen Republik Iran die Beziehungen
auf Basis eines gerechten Ausgleichs auszubauen gedenken, wo auch ich
mich mit meinen Sprach- und Kulturkenntnissen einbringen kann. Ansonsten
gibt es sehr viele Länder in dieser Welt, die eine gerechtere
Außenpolitik betreiben, als diejenigen, die sich geradezu
uneingeschränkt auf die Seite von Unterdrückern und Folterer stellen,
nur weil diese ihre Freunde seien.
MM: Welche konkreten Aufgaben verfolgen
Sie innerhalb des Iran?
M.-A. Ramin: Ich werde mich auch
weiterhin für den Dialog der Kulturen einsetzen und diejenigen
unterstützen, die sich für ein friedvolles Miteinander der Völker und
gegen Unterdrückung einsetzen.
MM: Herr Ramin, wir danken Ihnen für
dieses Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg auf Ihrem weiteren Weg
und würden uns freuen wieder von Ihnen zu hören.
M.-A. Ramin: Ich nutze die Gelegenheit
und grüße alle wahrheitsliebenden Menschen in Ihrer Heimat! |