Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit T.I.Steinberg
 

Muslim-Markt interviewt 
Thomas Immanuel Steinberg, den Betreiber des Internetportals:
SteinbergRecherche
14.7.2004

Thomas Immanuel Steinberg wurde 1945 in Berlin geboren, besuchte in Berlin das Französische Gymnasium, wohnte in Tübingen, Nürnberg, Minneapolis, Duisburg, Schweinfurt und Frankfurt am Main und lebt seit 1987 in Hamburg. Er ist Diplom-Volkswirt. Seine Mutter war Jüdin, ihr Vater hat im KZ Buchenwald gelitten. Der eine Bruder flüchtete mit sechzehn nach England und wurde dort als feindlicher Ausländer interniert. Der andere litt im KZ Theresienstadt, die Schwester im Arbeitslager. Auch der Großvater väterlicherseits war Jude. Eine seiner Urgroßmütter, zwei Großonkel und zwei Großtanten wurden im KZ Auschwitz ermordet. Steinberg war dreizehn Jahre lang Mitglied einer Partei, die politische Heimstatt war für zahlreiche jüdische Widerstandskämpfer und Verfolgte des Nazi-Regimes. Seine Tochter hat in Hamburg im einem Judaica-Verlag gearbeitet und in Berlin im Jüdischen Museum.

Foto: Thomas Immanuel Steinberg trägt Heine vor
(neben Heinrich Heine Statue auf Hamburger Rathausmarkt)

MM: Herr Steinberg, Sie sind Jude, der Muslim-Markt sind Muslime, haben Sie keine Berührungsängste bei solch einem Interview?

Steinberg: Ich bin zum Teil jüdischer Abstammung, aber ich bekenne mich nicht zum Judentum. Ich bin also kein Jude. Ich habe keine Angst vor Auseinandersetzungen mit irgendeiner religiös gebundenen Gemeinschaft.

MM: Orthodoxe Juden werden Sie jetzt darauf hinweisen, dass Sie zwar das Judentum verlassen haben, aber das Judentum Sie nicht verlässt. Glauben Sie, dass das Judentum eine Religion wie jede andere ist, zu der man sich bekennen kann oder auch nicht?

Steinberg: Auf zwei Aspekte Ihrer Frage will ich eingehen. Zum einen: Alle Gemeinschaften versuchen, Mitgliederverlust zu verhindern. Nach katholischer Auffassung zum Beispiel ist man Katholik von der Taufe bis zur Bahre. Zum andern: Antisemiten vermochten, Leute in gewissem Sinne zu judaisieren. Das haben die Nazis gezeigt, etwa am konfessionslosen Jean Améry. Neben dem Bekenntnis gibt es die gesellschaftliche Zuordnung zu einer Gruppe oder Gemeinschaft. Deshalb teilen viele Nicht-Juden, die von Juden abstammen, die Angst vor Antisemiten mit Juden. Durch äußere Zuordnung allein werden Nicht-Juden aber nicht zu Juden.

MM: Auf Ihren Internetseiten betreiben Sie eine sicherlich als sehr israelkritisch einzustufende Publikation, was ist Ihr Antrieb dazu?

Steinberg: Gegenstand meiner Internetseite ist Herrschaft. Ich suche nach Möglichkeiten zum Abbau von Herrschaft und ihrer schließlichen Beseitigung. Israel ist ein Land. Ich kritisiere seine Herrscher. Israels Herrscher, ihr Kapital, ihre Regierung und ihr Staatsapparat, sind verbündet mit denen, die mich beherrschen - teils direkt, teils auf dem kurzen Umweg über die US-Herrscher. Deshalb schenke ich den israelischen Herrschaftsverhältnissen mehr Aufmerksamkeit als zum Beispiel den nordkoreanischen oder iranischen. Aufgrund meiner Herkunft glaube ich, zum Verständnis speziell der israelischen Herrschaftsverhältnisse beitragen zu können.

MM: Was antworten Sie Juden, die Sie als Antisemiten beschimpfen?

Steinberg:  Das ist mir noch nicht passiert. Bei Juden oder Nicht-Juden, die mich für einen Antisemiten halten, habe ich eine Vermutung. Sie unterscheiden nicht zwischen dem Eintreten für Beherrschte und für Herrscher. Sie könnten in nationalistischen Kategorien verfangen sein. Nationalismus aber ist ein Herrschaftsmittel. 

MM: Können Sie sich vorstellen, dass einen Tages Juden, Christen und Muslime im Heiligen Land gemeinsam in einem gemeinsamen Staat leben werden, den sie gemeinsam gestalten und der dann zwangsläufig kein Judenstaat mehr ist?

Steinberg: Ich habe Juden, Christen und Muslime in den Sommermonaten des Jahres 1966 in Tunesien so erlebt, wie es der Spielfilm "Un été à La Goulette" schildert: als keckes, lebensfrohes Neben- und Miteinander. Im Dokumentarfilm "Route 181", der gerade in Hamburg lief, blicken jüdische Israelis marokkanischer und tunesischer Herkunft wehmütig auf ihre Jugend im Maghreb zurück. US-amerikanische und französische Jüdinnen und Juden haben zu einem hohen Anteil nicht-jüdische Partner. In beiden Ländern wendet sich die jüdische Minderheit zusehens von ihren rechten jüdischen Repräsentanten ab und tritt für ein friedliches Zusammenleben ein. Eine Welt ohne Judenstaat ist umso eher denkbar, je weniger antisemitisch sie ist. Dazu muß auch verhindert werden, daß unter dem Deckmantel der Antisemitismus-Bekämpfung Herrschaft verstärkt wird. Die israelischen Herrscher und die Likudniks in der Welt instrumentalisieren den Antisemitismus.

MM: Der Einsatz von Muslimen gegen Israel und Zionismus baut auf einer ganz anderen geschichtlichen Erfahrung auf, als zweifelsohne existierende antisemitische Aktivitäten von Rechtsradikalen, die den Begriff Antizionismus missbrauchen. Und neben den gegenseitigen Ablehnungen gibt es Splittergruppen, die dann auch noch kooperieren. Wie kann man in solch einer Lage differenzieren zwischen berechtigtem Antizionismus und rassistischem Antisemitismus?

Steinberg: Antizionismus ist ein schwammiger Begriff. Man sollte politische Handlungen benennen, die man billigt, und solche, die man ablehnt. Das führt weiter.

MM: Kommen wir zu Deutschland. Es ist derzeit nicht zu übersehen, dass Muslime in diesem Land - unabhängig von ihrer Nationalität - mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert werden, andererseits alle demographischen Voraussagen davon ausgehen, dass es morgen mehr deutsche Muslime geben wird als heute. Wie kann man diese Situation im Sinn der Gesamtgesellschaft konstruktiv angehen?

Steinberg: Konfessionen sind mir gleich-gültig im Sinne von Radtke, Frank-Olaf: Lob der Gleich-Gültigkeit. Die Konstruktion des Fremden im Diskurs des Multikulturalismus. In: Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt? Hrsg. v. Uli Bielefeld. Hamburg: Junius 1991, S. 79 - 96. Jeder möge Leute, die er weder liebt, noch zum Freund hat, als gleich gültig betrachten, egal, welcher Konfession sie zuneigen. Dann wird auch gleichgültig, wieviel Kinder wer in die Welt setzt. Gestatten Sie mir eine Anmerkung zu einer der vielen Auffassungen auf Ihrer Internetseite, die ich ablehne: Sie argumentieren, Israel sei kein Staat, weil es weder seine Grenzen, noch sein Staatsvolk definiert habe. Mit gleicher Begründung könnten Sie vielen Staaten aus Vergangenheit und Gegenwart die Staatlichkeit absprechen. Deutschland vertritt eine völkische Auffassung von Deutschtum. Deutsche Vorfahren galten und gelten als hinreichender Ausweis für Deutschtum. Mindestens bis 1989 hielt die Bundesrepublik die Territorialfrage offen. Noch heute wird dieser Punkt von revanchistischen Staatsrechtlern offen gehalten. Ungarn gewährt ungarischsprachigen Rumänen die ungarische Staatsangehörigkeit. Zahlreiche andere Länder der Welt erheben Anspruch auf Ausdehnung ihres Staatsgebiets. Deutschland und all den andern Ländern sprechen Sie die Staatlichkeit jedoch nicht ab. Zudem kann sich auf völkerrechtlich unanfechtbare UNO-Beschlüsse gegen den Staat Israel nicht berufen, wer den einen UNO-Beschluss anficht, der den Staat Israel 1948 geboren hat.

MM: Demnach könnte Israel sich nicht auf den Gründungsbeschluss der UNO berufen, da es die so ziemlich einzige israelrelevante Resolution ist, die sie akzeptieren. Sehen Sie die Beschlüsse eines Gremiums als unabwendbar an, bei dem einige Mächtige jeden Beschluss der Mehrheit abwenden können. Oder glauben Sie, dass es Gleichere unter Gleichen geben muss? Deutschland hat auch die DDR nie anerkannt, obwohl es ein von der UNO akzeptierter Staat war! Aber glauben Sie nicht, dass ein Staat, der nur so lange existieren kann, so lange er beständig einen Teile seiner eigenen Bevölkerung deportiert, einen Fehler in seinem System haben muss?

Steinberg: Israel hat sich an zahlreiche UNO-Beschlüsse nicht gehalten. Das ist kein Grund für andere Staaten, sich ebenfalls nicht an UNO-Beschlüsse zu halten. Das Veto-Recht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats trägt der Tatsache Rechnung, daß einige Staaten tatsächlich viel mächtiger sind als andere. Gäbe es das Veto-Recht nicht, dann würden z.B. die USA gar nicht erst in der UNO mitwirken. Damit wäre nichts gewonnen. Die Bundesrepublik hat die DDR schließlich anerkannt. Ja, Israel ist fehlerhaft gebaut.

MM: Israels Ablehnung der Festlegung von Grenzen steht ja auch im Zusammenhang mit dem Traum von Großisrael, den immerhin mehrere im Kabinett verschiedener Regierungen sitzende Minister unverblümt geäußert haben, und demnach reicht Erez Israel bis immerhin zum Euphrat! Können Sie angesichts der Tatsache, dass das heutige Israel sich hinsichtlich Völkerrecht ähnlich verhält wie einstmals der Burenstaat, zumindest nachvollziehen, warum Muslime zum Boykott des Staates aufrufen?

Steinberg: Ja.

MM: Zweifelsohne werden Sie mit uns zumindest darin übereinstimmen, dass Rassismus in jeglicher Form abzulehnen ist. Was aber ist zu tun, wenn ein Staat ganz offen Rassismus praktiziert?

Steinberg: Erstens ist das zu tun, was wir hier gerade tun. Zweitens halte ich wirtschaftlichen und politischen Druck auf Israel für geboten, verfüge aber nicht über die Mittel, ihn auszuüben. Zunächst einmal wären Lieferung und Bezug von Waffen in das und aus dem Krisengebiet Nahost einzustellen.

MM: Abschließende Frage; Eigentlich wollten wir uns mit Ihnen im zweiten Teil mehr über die Muslime in Deutschland unterhalten, wobei Sie das Gespräch wieder in Richtung Israel gelenkt haben. Was ist denn ein aus Ihrer Sicht realisierbarer Vorschlag für Frieden in der so unfriedlichen Region, und was können einfache deutsche Bürger Ihrer Meinung nach dazu beitragen?

Steinberg: Ich kann schwer beurteilen, ob eine Ein- oder eine Zweistaatenregelung dauerhaft die Lösung wäre. Ich empfehle meinen Mitmenschen, Kriegsdienstverweigerer in Israel mit Geld zu unterstützen. Fünf junge Männer, die sich weigern, in den besetzten Gebieten Häuser zu zerstören und Leute tot zu schießen, sind für ein Jahr eingesperrt. Weitere Haftjahre sind angedroht. Die Eltern haben einen Unterstützerkreis gebildet.

MM: Herr Steinberg, wir danken Ihnen für das Interview.

 

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