Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Kafayat H. Sulehria
 

Muslim-Markt interviewt 
Kafayat Hussain Sulehria, Organisator der Aschura-Prozessionen in Vechta

15.3.2005

Kafayat Hussain Sulehria (Jahrgang 1955) ist deutscher Muslim, pakistanischer Herkunft und lebt seit 26 Jahren in der Norddeutschen Stadt Vechta. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Von Beruf ist er REFA-Techniker (Arbeitswirtschaftler).

Kafayat Sulehria organisiert in Vechta  die bisher wohl bisher einzige öffentliche Straßen-Prozession im deutschsprachigen Raum anlässlich der Trauer zum Martyrium Imam Hussains (a.) in Kerbela am Tage Aschura.

Foto: Kafayat Hussain Sulehria mit Pferd für Prozession

MM: Herr Sulehria, seit wann gibt es die jährlichen Straßen-Prozessionen in Vechta und wie kamen Sie auf die Idee, zu diesem öffentlichen Trauermarsch?

Sulehria: Seit 19 Jahren zelebrieren wir hier in Vechta am 11. Muharram, Martyrium Imam Hussains in Kerbela. Seit 1996 gehen wir auf der Strasse. Im Jahre 1996 habe ich Besuch aus Pakistan gehabt, Syed Sada Hussain. Er veranstaltet solche Prozessionen an verschiedene Orten in Pakistan und außerhalb z.B. Iran, Syrien usw.. Damals habe ich gewünscht, auch hier auf die Strasse zu gehen. Es läuft sehr gut. Jahr für Jahr kommen immer mehr Leute aus verschiedene Länder Europas.

MM: Das Martyrium Imam Hussains war am 10. des Monats Muharram im islamischen Mondkalender. Sie veranstalten die Prozession jeweils am 11., also einen Tag danach, was ist der Grund dafür?

Sulehria: Einige der teilnehmenden Vereine veranstalten die erste 10 Tage in ihren eigenen Städten. Der 10. Muharram ist Aschura, wo Imam Hussain mit seinen Söhnen, Brüdern, Verwandten und Freunden grausam umgebracht wurde. Es ist ein sehr trauriger Tag. Aber der 11. Muharram ist auch nicht viel geringer als 10. Muharram. Nach dem die Männer Märtyrer wurden, werden die Frauen und Kinder mit Seilen und Ketten gefesselt und als Gefangne nach Damaskus geführt. Die Hinterbliebene durften nicht einmal ihre Angehörigen und Verwandte beerdigen. Und so gefesselt, werden sie am 11. Muharram zwischen die Leichen geführt.

MM: Wie muss sich ein Außenstehender die Veranstaltung von Anfang bis zum  Ende vorstellen?

Sulehria: Alles dreht sich um die Liebe zum Prophet Muhammad (Friede Sei mit Ihn und seine Nachkommen) und seiner Familie und zu seinem Enkel Imam Hussain (a.), demjenigen, der sich und seine ganze Familie für Gott und Gerechtigkeit geopfert hat. Wir zeigen Trauer und drücken aus, dass falls wir damals gelebt hätten, wir uns auch geopfert hätten.

MM: Anfänglich, als die Teilnehmerzahl noch kleiner war, begannen die Vorträge in einem Kloster. Spiegelt sich darin auch eine besondere Beziehung zu Christen wieder?

Sulehria: Ja. Wie die Ereignisse zeigen, waren auch einige Christen wie John, Wahab Qalbi u.a. mit Imam Hussain (a.) in Kerbela und haben sich geopfert. Als die angehörigen Frauen des Propheten ohne Schleier und Kopfbedeckung als Gefangene durch die Städte und Dörfer geführt wurden, haben sich viele Pastoren und christliche Anwohner geweigert und quer gestellt, in solchem Zustand die gefangenen Frauen durch ihre Wohngebiete und Siedlungen passieren zu lassen. Auf Verlangen der Einwohner mussten die Soldaten, den Frauen Kopfbedeckungen geben. Obwohl sie ihnen diese später wieder abgenommen haben. Diesen Würde und Ehre haben die Christen den Heiligen Frauen gegeben.

MM: Welche Bedeutung hat das reichlich geschmückte weiße Pferd, welches den Trauerzug begleitet?

Sulehria: Als Imam Hussain (a.) während des Nachmittagsgebets umgebracht wurde, gab es keinen, der seinen Todesnachricht zur Familie bringen konnte. Sein einziger übrig gebliebener Freund, das Pferd, das die ganze Zeit versucht hat ihn zu schützen, hat seinen Kopf mit Blut gefärbt und so seine Todesnachricht überbracht. Es ist eine Symbol der Treue.

MM: Der Trauerzug wird angeführt von einer Art Banner bzw. Flagge. Auf der Spitze des Bannerstabes ist eine Hand angebracht. Welche Bedeutung hat diese Hand?

Sulehria: Mit Imam Hussain (a.) war unter anderen auch seinen Bruder Abbas. Er war sein Flaggenträger. Er durfte zunächst nicht kämpfen obwohl er die Kraft und Stärke hatte. Er durfte zuletzt nur versuchen, Wasser zu holen. Als er, nach mühsamen Kampf am Fluss ankam und seinen Wasserbehälter gefüllt hatte, hat er trotz dreitägigem Durst und Hunger keinen Tropfen Wasser getrunken aus Liebe und Treue zu seinem Bruder Imam Hussain und zu seinen Kindern, die erst trinken sollten. Bei dem Versuch, das Wasser zurück für die Durstigen in das Zelte zu bringen, wurden seine Hände abgehackt und zuletzt wurde er umgebracht. Die Hand ist eine Zeichen von Treue, Schutz und Offenheit.

MM: Die Vorträge werden in der Regel in der Sprache Urdu abgehalten, was wahrscheinlich mit der Grund dafür ist, dass die meisten Teilnehmer pakistanischen Ursprungs sind. Können Sie sich vorstellen, langfristig auch andere Sprachen zu integrieren?

Sulehria: Ja, und es werden bereits auch in deutscher Sprache einzelne Reden gehalten.

MM: Wie sind die Reaktionen der Vechtaer Bevölkerung? Gibt es auch Kritik?

Sulehria: Wir versuche durch Flugblätter über die Ereignisse und die Trauer zu informieren. Von Kritik haben wir bis jetzt nichts gehört.

MM: Abschließende Frage: Das Essen, welches freundlicherweise den Teilnehmern nach den Prozessionen gereicht wird, erscheint für die "normale" deutsche Zunge etwas scharf. Können Sie verstehen, wenn ein "ungeübter" Gast auf solch eine "Schärfe" lieber verzichtet?

Sulehria: Seit einiger Zeit haben wir es auch anders gemacht und nicht zu scharf gekocht. Aber wir versuchen weiter, es für die Besucher besser zu machen.

MM: Br. Sulehria, wir danken für das Interview.

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