MM: Herr Sulehria, seit wann gibt es die
jährlichen Straßen-Prozessionen in Vechta und wie kamen Sie auf die Idee, zu
diesem öffentlichen Trauermarsch?
Sulehria: Seit 19 Jahren zelebrieren wir
hier in Vechta am 11. Muharram, Martyrium Imam Hussains in Kerbela. Seit
1996 gehen wir auf der Strasse. Im Jahre 1996 habe ich Besuch aus Pakistan
gehabt, Syed Sada Hussain. Er veranstaltet solche Prozessionen an
verschiedene Orten in Pakistan und außerhalb z.B. Iran, Syrien usw.. Damals
habe ich gewünscht, auch hier auf die Strasse zu gehen. Es läuft sehr gut.
Jahr für Jahr kommen immer mehr Leute aus verschiedene Länder Europas.
MM: Das Martyrium Imam Hussains war am 10. des
Monats Muharram im islamischen Mondkalender. Sie veranstalten die Prozession
jeweils am 11., also einen Tag danach, was ist der Grund dafür?
Sulehria: Einige der teilnehmenden Vereine
veranstalten die erste 10 Tage in ihren eigenen Städten. Der 10. Muharram
ist Aschura, wo Imam Hussain mit seinen Söhnen, Brüdern, Verwandten und
Freunden grausam umgebracht wurde. Es ist ein sehr trauriger Tag. Aber der
11. Muharram ist auch nicht viel geringer als 10. Muharram. Nach dem die
Männer Märtyrer wurden, werden die Frauen und Kinder mit Seilen und Ketten
gefesselt und als Gefangne nach Damaskus geführt. Die Hinterbliebene durften
nicht einmal ihre Angehörigen und Verwandte beerdigen. Und so gefesselt,
werden sie am 11. Muharram zwischen die Leichen geführt.
MM: Wie muss sich ein Außenstehender die
Veranstaltung von Anfang bis zum Ende vorstellen?
Sulehria: Alles dreht sich um die Liebe zum
Prophet Muhammad (Friede Sei mit Ihn und seine Nachkommen) und seiner
Familie und zu seinem Enkel Imam Hussain (a.), demjenigen, der sich und
seine ganze Familie für Gott und Gerechtigkeit geopfert hat. Wir zeigen
Trauer und drücken aus, dass falls wir damals gelebt hätten, wir uns auch
geopfert hätten.
MM: Anfänglich, als die Teilnehmerzahl noch
kleiner war, begannen die Vorträge in einem Kloster. Spiegelt sich darin
auch eine besondere Beziehung zu Christen wieder?
Sulehria: Ja. Wie die Ereignisse zeigen,
waren auch einige Christen wie John, Wahab Qalbi u.a. mit Imam Hussain (a.)
in Kerbela und haben sich geopfert. Als die angehörigen Frauen des Propheten
ohne Schleier und Kopfbedeckung als Gefangene durch die Städte und Dörfer
geführt wurden, haben sich viele Pastoren und christliche Anwohner geweigert
und quer gestellt, in solchem Zustand die gefangenen Frauen durch ihre
Wohngebiete und Siedlungen passieren zu lassen. Auf Verlangen der Einwohner
mussten die Soldaten, den Frauen Kopfbedeckungen geben. Obwohl sie ihnen
diese später wieder abgenommen haben. Diesen Würde und Ehre haben die
Christen den Heiligen Frauen gegeben.
MM: Welche Bedeutung hat das reichlich
geschmückte weiße Pferd, welches den Trauerzug begleitet?
Sulehria: Als Imam Hussain (a.) während des
Nachmittagsgebets umgebracht wurde, gab es keinen, der seinen Todesnachricht
zur Familie bringen konnte. Sein einziger übrig gebliebener Freund, das
Pferd, das die ganze Zeit versucht hat ihn zu schützen, hat seinen Kopf mit
Blut gefärbt und so seine Todesnachricht überbracht. Es ist eine Symbol der
Treue.
MM: Der Trauerzug wird angeführt von einer
Art Banner bzw. Flagge. Auf der Spitze des Bannerstabes ist eine Hand
angebracht. Welche Bedeutung hat diese Hand?
Sulehria: Mit Imam Hussain (a.) war unter
anderen auch seinen Bruder Abbas. Er war sein Flaggenträger. Er durfte
zunächst nicht kämpfen obwohl er die Kraft und Stärke hatte. Er durfte
zuletzt nur versuchen, Wasser zu holen. Als er, nach mühsamen Kampf am Fluss
ankam und seinen Wasserbehälter gefüllt hatte, hat er trotz dreitägigem
Durst und Hunger keinen Tropfen Wasser getrunken aus Liebe und Treue zu
seinem Bruder Imam Hussain und zu seinen Kindern, die erst trinken sollten.
Bei dem Versuch, das Wasser zurück für die Durstigen in das Zelte zu
bringen, wurden seine Hände abgehackt und zuletzt wurde er umgebracht. Die
Hand ist eine Zeichen von Treue, Schutz und Offenheit.
MM: Die Vorträge werden in der Regel in der
Sprache Urdu abgehalten, was wahrscheinlich mit der Grund dafür ist, dass
die meisten Teilnehmer pakistanischen Ursprungs sind. Können Sie sich
vorstellen, langfristig auch andere Sprachen zu integrieren?
Sulehria: Ja, und es werden bereits auch in
deutscher Sprache einzelne Reden gehalten.
MM: Wie sind die Reaktionen der Vechtaer
Bevölkerung? Gibt es auch Kritik?
Sulehria: Wir versuche durch Flugblätter
über die Ereignisse und die Trauer zu informieren. Von Kritik haben wir bis
jetzt nichts gehört.
MM: Abschließende Frage: Das Essen, welches
freundlicherweise den Teilnehmern nach den Prozessionen gereicht wird,
erscheint für die "normale" deutsche Zunge etwas scharf. Können Sie
verstehen, wenn ein "ungeübter" Gast auf solch eine "Schärfe" lieber
verzichtet?
Sulehria: Seit einiger Zeit haben wir es
auch anders gemacht und nicht zu scharf gekocht. Aber wir versuchen weiter,
es für die Besucher besser zu machen.
MM: Br. Sulehria, wir danken für das
Interview.
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