Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Mustafa Yoldas
 

Muslim-Markt interviewt 
Mustafa Yoldas, Vorsitzender der SCHURA Hamburg

2.3.2005

Mustafa Yoldas (gelesen Yoldasch), Jahrgang 1970, deutscher Staatsbürger türkischer Herkunft ist von Beruf Arzt. Gern bezeichnet er sich als „anatolischen Hanseaten“. Nach der Grundschule in der Türkei und Abitur in Bremen schloss er sein Medizinstudium in Hamburg ab. Als aktives Mitglied der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs setzt er sich seit der Jugend für die Belange der Muslime in Deutschland ein.

Seit 1999 ist er einer der Vorsitzenden der SCHURA Hamburg, einem Zusammenschluss von derzeit 41 Moscheen, Gemeinden und Vereinen in Hamburg. Yoldas ist verheiratet und hat 2 Kinder.

MM: Sehr geehrter Mustafa Yoldas, die SCHURA Hamburg ist ein Zusammenschluss äußerst unterschiedlicher muslimischer Vereinigungen. Wie kam es zu diesem Zusammenschluss?

Yoldas: Es gab in Hamburg bereits in den siebziger Jahren Bemühungen um eine gemeinsame Interessenvertretung unter den Muslimen, jedoch haben die spezifischen politischen Verhältnisse in den Herkunftsländern der Muslime mit ihrem dominierenden Einfluss auf die hiesigen Gemeinden und die mangelnde Einsicht einen solchen Zusammenschluss verhindert. Bei der Gründung der SCHURA war sehr viel Überzeugungsarbeit notwendig. Es gab unzählige Vorbereitungssitzungen mit den einzelnen Gemeinden, um sie von einer gemeinsamen Plattform zu überzeugen. Dabei haben wir uns an alle islamischen Gemeinden in Hamburg gewandt, die ihre Ziele auf demokratischem Wege erreichen wollen und Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ablehnen. Wir machten keinen Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten und auch nicht zwischen den einzelnen Nationalitäten.

MM: Worin bestehen die Hauptaufgaben der SCHURA Hamburg?

Yoldas: Wir haben uns von Anfang auf die praktischen Probleme der Muslime konzentriert. Wir haben kontroverse theologische Diskussionen um Fragen der Glaubenspraxis vermieden, die auch in den letzten 14 Jahrhunderten der islamischen Geschichte nicht einvernehmlich gelöst werden konnten. Vielmehr haben wir uns um die praktischen Fragen des Alltags bemüht wie islamischer Religionsunterricht bzw. mit dem spezifischen Hamburger Modell eines „Religionsunterrichtes für alle“, die Ausbildung von Imamen und Religionslehrern an einem Lehrstuhl für islamische Theologie, die Errichtung von muslimischen Gräberfeldern, aber auch die Integrations- und Partizipationsmöglichkeiten von Muslimen in der hiesigen Gesellschaft zu verbessern. Die SCHURA versteht sich als ein verbindlicher und vertretungsberechtigter Ansprechpartner für Gesellschaft und Politik. Sie ist aber auch eine Basis, auf der der innerislamische Dialog verstärkt werden sollte, denn die Muslime kommen aus der ganzen Welt in den Schmelztiegel Hamburg, und auch sie müssen ihr Bild über andere Muslime neu bedenken. Dies gilt besonders für das Verhältnis von Sunniten und Schiiten.

MM: Steht die SCHURA in Konkurrenz zu den Dachverbänden der Muslime?

Yoldas: Nein, denn innerhalb der SCHURA sind sowohl Gemeinden, die Mitglied im Zentralrat der Muslime sind als auch solche, die Mitglied im Islamrat sind. Für die Zukunft erscheint mit das auch der einzig vernünftige Weg zu sein, dass sich die islamischen Gemeinden in einer föderalen Struktur auf Bundesebene organisieren, weil die landesrechtliche Situation und die demographische Zusammensetzung der Muslime in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich sind.

MM: Wie werden mögliche sprachliche sowie kulturelle Hürden zwischen den Gemeinden überwunden?

Yoldas: Die Diskussionssprache und der Schriftverkehr unter uns ist Deutsch. Die Delegierten sind dann folglich solche, die der deutschen Sprache mächtig sind. Anfänglich hatte man etwas Schwierigkeiten, die rituellen Gebete gemeinsam zu verrichten, aber im Verlauf hat man auch das überwunden. Sunniten beten hinter Schiiten und umgekehrt. Es gab aber auch Vereine, die die SCHURA für ihre politischen, nationalistischen oder egoistischen Ziele glaubten, instrumentalisieren zu können. Da sie in der Sache nicht aufrichtig waren, sind sie nach und nach ausgetreten. So trennt sich die Spreu vom Weizen.

MM: Manche Kritiker werfen der SCHURA vor, sie sei zu türkischlastig, oder zu sehr von der Organisation Milli Görüs dominiert, obwohl viele Glaubensgeschwister unterschiedlichster Organisationen sich in die Arbeiten einbringen. Wie kommt es zu solchen Vorwürfen, und was kann man ihnen entgegnen?

Yoldas: Das ist ein bekannter Vorwurf des Verfassungsschutzes und kennzeichnend für die mangelnde Sorgfalt dieser Institution bei ihren Recherchen. Denn ich bin in einem Vorstand von 12 Personen der einzige Türkischstämmige und der einzige Milli-Görüs Vertreter. Unter den 41 Mitgliedern der SCHURA gehören nur 9 dem Kreis um Milli Görüs an. Dass jedoch nach außen hin der Eindruck entsteht, als würde Milli Görüs alle anderen dominieren, hängt einzig und allein an der Tatsache, dass die Vorschläge, die Milli Görüs in die SCHURA einbringt, auch weitestgehend von den anderen muslimischen Gemeinden akzeptiert werden, da sie schlichtweg vernünftig sind. Im Übrigen machen sich die anderen Muslime ihr Bild über Milli Görüs nicht anhand der Verfassungsschutzberichte sondern an der innerislamischen Leistung dieser Gemeinschaft.

MM: Eine ganze Reihe der Mitgliedsorganisationen werden vom Verfassungsschutz - teilweise seit Jahrzehnten - beobachtet, und so manche Mitgliedsorganisation findet sich auch im Hamburger Verfassungsschutzbericht wieder. Wie steht die SCHURA zu solch einem Druck von außen?

Yoldas: Die Verfassungsschutzberichte in Hamburg können uns Muslime nicht auseinander dividieren. Sie sind eher ein Grund zum Amüsement unter uns, weil sie jeglicher Seriosität entbehren. Im letzten Fauxpas, den sich die Hamburger Innenbehörde geleistet hat, werden nämlich in einer Broschüre, in der für Demokratie und gegen Extremismus geworben soll, der PKK nur zwei Seiten gewidmet, während der Milli Görüs sechs Seiten gewidmet worden sind. Die PKK hat 30.000 Menschen auf dem Gewissen, während die Anhänger von Milli Görüs in ihrer 35-jährigen Geschichte nirgends mit Gewalt aufgefallen sind. Als einziger Beleg für den vermeintlichen Extremismus werden Zitate aus der Milli Gazete abgedruckt, in der sicherlich hin und wieder unglückliche Äußerungen stehen. Nur diese Zeitung wird in der Türkei gedruckt, in Hamburg gibt es nur ganze 120 Abonnenten dieser Zeitung. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Verfassungsschutz diese Zeitung selbst finanzieren könnte, um nur daraus zitieren zu können, damit die Mitarbeiter ihren Job dort nicht verlieren; quasi aus dem Selbsterhaltungstrieb. Denn das Geld für die Errichtung eines Lehrstuhls für Islamische Theologie an der Uni Hamburg wäre eine wesentlich bessere Investition für die Integration der Muslime als die Neueinstellung von 14 neuen Mitarbeitern nach dem 11.9. . Schade um die vergeudeten Ressourcen.

Ich will nicht die Existenzberechtigung dieser Sicherheitsbehörde oder das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung in Frage stellen, aber im Falle der SCHURA-Mitglieder sind die Vorwürfe nicht hinnehmbar.

MM: Hat sich die Arbeit der SCHURA Hamburg nach dem 11. September verändert?

Yoldas: Ja, es hat sich auch vieles Positive ergeben, das Interesse am Islam ist beispielsweise gestiegen, aber es überwiegen doch die negativen Ereignisse. Islamophobie ist im Alltag gegenwärtig. Die ganze Debatte um das Kopftuch, die Integration, Parallelgesellschaften, Zwangsheiraten, Ehrenmorde usw. hätte sicherlich nicht in der hemmungslosen Art und Weise zu einer islamfeindlichen Atmosphäre geführt, wenn es den 11.9. nicht gegeben hätte. Der Generalverdacht über die Muslime und der Vorwurf der Integrationsunwilligkeit bzw. -fähigkeit der Muslime hat zu zahlreichen Frustrationserlebnissen und zum Rückzug bei vielen Muslimen geführt. Ich persönlich war seit dem 11.9. in über 270 Veranstaltungen als Referent und Diskutant unterwegs, im Übrigen auch viele andere aus dem SCHURA-Vorstand.

MM: Strebt die Schura Hamburg die Anerkennung als Religionsgemeinschaft an?

Yoldas: Es wäre sicherlich gut für uns und den Staat, wenn er verlässliche und vertretungsberechtigte Ansprechpartner hätte, aber wir merken doch den politischen Unwillen, den Muslimen bei der Institutionalisierung behilflich zu sein. Der Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts ist sicherlich gut zugeschnitten auf die Amtshierarchie der Kirchen, aber ob es für uns 1:1 umsetzbar oder auch die einzige alternative Rechtsform sein muss, bleibt auszudiskutieren. Wir merken auch, dass die Maßstäbe gegenüber den Muslimen andere sind als die gegenüber den anderen Religionsgemeinschaften. Mit den Juden wurde ein Staatsvertrag geschlossen, obwohl sie im Vergleich zu den Muslimen eine 30-fach kleinere Gemeinschaft bilden. Sicherlich wird man die Geschichte und die Diversität unter den Muslimen als Gegenargument aufführen, aber das Grundgesetz zumindest macht keinen Unterschied zwischen den Religionsgemeinschaften. Wer eine Lösung will, sucht nach Wegen, wer keine Lösung will, sucht nach Ausreden.

MM: Gibt es da neue Entwicklungen, um die Einheit der Muslime zu fördern?

Yoldas: Für diese Frage bin ich dankbar. Denn wir als SCHURA Hamburg hatten am vergangenen Wochenende die große Ehre, nahezu alle Landes- und Bundesverbände unter den Muslimen als Gastgeber zu einer Tagung zu beherbergen, um genau über diese Frage zu diskutieren. Die Muslime sind auf einem sehr guten Weg. Dort wurde eine Zielvereinbarung getroffen, wonach in kürzestmöglicher Zeit eine föderale Neuorganisation des Islam angestrebt werden soll. Es wurde dafür eine Lenkungsgruppe und ein Kompetenzteam ins Leben gerufen, die sich u.a. auch mit den Fragen des Staatskirchenrechts auseinandersetzen sollen. Es gibt positive Überraschungen in den kommenden Monaten, inschaAllah!

MM: Es war zu beobachten, dass die Schura von Wahlen, welche die Hamburger Bürger direkt betrafen, (Bundestagswahlen, Bürgerschaftswahlen) Veranstaltungen organisiert hat, bei denen Vertreter der großen Parteien befragt werden konnten. Wie haben die Parteien darauf reagiert, und wie war die Resonanz bei den muslimischen Teilnehmern?

Yoldas: Es ist schon zur Tradition geworden, dass wir vor allen Wahlen sogenannte Wahlprüfsteine an die Parteien zusenden. Des weiteren machen wir regelmäßig Veranstaltungen mit politischen Vertretern, um sie über ihre islamspezifischen Positionen zu befragen. Danach sprechen wir auch gelegentlich Wahlempfehlungen aus. Wir stecken jedoch in einem Dilemma, dass in jeder Partei gute Politiker sind aber deren parteipolitischen Grundsätze mit unserem Weltbild nicht immer kompatibel sind. Alle guten Politiker in die richtige Partei zu bekommen ist illusorisch. Beispielsweise die SPD; bekanntlich wird diese Partei von der Mehrheit der Muslime gewählt, allerdings haben Sie kein Verständnis für das Gebaren eines Otto Schily, der sich wie ein Henker von Gottes Gnaden aufführt und die CSU vor Neid in den Finger beißen lässt. Auch das Vorhaben des Parteirates der SPD, das Kopftuch generell im öffentlichen Raum verbieten zu wollen, wird uns zu bedenken geben. Wir Muslime haben unsere Stimmen keiner Partei für immer und ewig verpachtet. Mein Schwiegervater sagte einst: „Von meinen Schwiegersöhnen mag ich denjenigen am meisten, der mit meiner Tochter am besten klar kommt!“. So, denke ich auch. Wir werden künftig die Partei wählen, die uns das beste Gehör schenkt.

MM: Empfiehlt die Schura den Muslimen deutscher Staatsangehörigkeit die Teilnahme an Wahlen?

Yoldas: Ja, es ist für uns eine wichtige Partizipationsmöglichkeit. Wir können bei den Politikern für unsere Interessen werben und im Gegenzug unsere Stimmen anbieten. So einfach funktioniert Demokratie. Und gerade in Großstädten werden die Muslime in absehbarer Zeit auch eine politische Kraft sein, der sich auch die großen Parteien nicht weiterhin gleichgültig gegenüber verhalten dürften.

MM: Abschließende Frage, Ihr Nachname bedeutet übersetzt etwa "Weggefährte, Freund, Leidensgenosse". Kann das auch ein symbolischer Name für Ihre Arbeit in der SCHURA sein und können Sie sich vorstellen, dass das Hamburger Beispiel Schule macht; in Niedersachsen wird ja Ähnliches versucht?

Yoldas: Dass die Geschwister in Niedersachsen unseren Namen kopiert haben, erfreut uns sehr. Es wäre schön, wenn es 16 SCHURAs in Deutschland gäbe, die sich dann zur Bundes-SCHURA zusammenschließen. Das wäre mein Traum. Man sagt mir nach, dass in meinem Falle „nomen est omen“ zuträfe. Ich habe ein freundliches Wesen. Mit Freunden gehe ich durch dick und dünn, mit meinen Gegnern bin ich unerbittlich polemisch. Das ist meine Schwäche. Ich verstehe mich als Weggefährte und Leidensgenosse meiner gegängelten und allzu häufig diskriminierten Glaubensgemeinschaft. Ich schäme mich auch nicht, als „Anwalt“ einer unterprivilegierten Gruppe aufzutreten. Ich bin mir aber auch bewusst und Gott dankbar, dass ich zahlreiche Menschen in dieser Gesellschaft als meine Freunde nennen darf, die nicht Muslime sind. Deren Beistand gibt mir Hoffnung, dass ich mich weiterhin als „anatolischer Hanseat“ für ein positives Image meiner Religion einsetzen kann.

MM: Wir danken für das Interview.

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