MM: Sehr geehrter Mustafa Yoldas, die SCHURA
Hamburg ist ein Zusammenschluss äußerst unterschiedlicher muslimischer
Vereinigungen. Wie kam es zu diesem Zusammenschluss?
Yoldas: Es gab in Hamburg bereits in den
siebziger Jahren Bemühungen um eine gemeinsame Interessenvertretung unter
den Muslimen, jedoch haben die spezifischen politischen Verhältnisse in den
Herkunftsländern der Muslime mit ihrem dominierenden Einfluss auf die
hiesigen Gemeinden und die mangelnde Einsicht einen solchen Zusammenschluss
verhindert. Bei der Gründung der SCHURA war sehr viel Überzeugungsarbeit
notwendig. Es gab unzählige Vorbereitungssitzungen mit den einzelnen
Gemeinden, um sie von einer gemeinsamen Plattform zu überzeugen. Dabei haben
wir uns an alle islamischen Gemeinden in Hamburg gewandt, die ihre Ziele auf
demokratischem Wege erreichen wollen und Gewalt als Mittel der politischen
Auseinandersetzung ablehnen. Wir machten keinen Unterschied zwischen
Sunniten und Schiiten und auch nicht zwischen den einzelnen Nationalitäten.
MM: Worin bestehen die Hauptaufgaben der
SCHURA Hamburg?
Yoldas: Wir haben uns von Anfang auf die
praktischen Probleme der Muslime konzentriert. Wir haben kontroverse
theologische Diskussionen um Fragen der Glaubenspraxis vermieden, die auch
in den letzten 14 Jahrhunderten der islamischen Geschichte nicht
einvernehmlich gelöst werden konnten. Vielmehr haben wir uns um die
praktischen Fragen des Alltags bemüht wie islamischer Religionsunterricht
bzw. mit dem spezifischen Hamburger Modell eines Religionsunterrichtes für
alle, die Ausbildung von Imamen und Religionslehrern an einem Lehrstuhl für
islamische Theologie, die Errichtung von muslimischen Gräberfeldern, aber
auch die Integrations- und Partizipationsmöglichkeiten von Muslimen in der
hiesigen Gesellschaft zu verbessern. Die SCHURA versteht sich als ein
verbindlicher und vertretungsberechtigter Ansprechpartner für Gesellschaft
und Politik. Sie ist aber auch eine Basis, auf der der innerislamische Dialog
verstärkt werden sollte, denn die Muslime kommen aus der ganzen Welt in den
Schmelztiegel Hamburg, und auch sie müssen ihr Bild über andere Muslime
neu bedenken. Dies gilt besonders für das Verhältnis von Sunniten und
Schiiten.
MM: Steht die SCHURA in Konkurrenz zu den
Dachverbänden der Muslime?
Yoldas: Nein, denn innerhalb der SCHURA sind
sowohl Gemeinden, die Mitglied im Zentralrat der Muslime sind als auch
solche, die Mitglied im Islamrat sind. Für die Zukunft erscheint mit das
auch der einzig vernünftige Weg zu sein, dass sich die islamischen Gemeinden
in einer föderalen Struktur auf Bundesebene organisieren, weil die
landesrechtliche Situation und die demographische Zusammensetzung der
Muslime in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich sind.
MM: Wie werden mögliche sprachliche sowie
kulturelle Hürden zwischen den Gemeinden überwunden?
Yoldas: Die Diskussionssprache und der
Schriftverkehr unter uns ist Deutsch. Die Delegierten sind dann folglich
solche, die der deutschen Sprache mächtig sind. Anfänglich hatte man etwas
Schwierigkeiten, die rituellen Gebete gemeinsam zu verrichten, aber im
Verlauf hat man auch das überwunden. Sunniten beten hinter Schiiten und
umgekehrt. Es gab aber auch Vereine, die die SCHURA für ihre politischen,
nationalistischen oder egoistischen Ziele glaubten, instrumentalisieren zu
können. Da sie in der Sache nicht aufrichtig waren, sind sie nach und nach
ausgetreten. So trennt sich die Spreu vom Weizen.
MM: Manche Kritiker werfen der SCHURA vor, sie sei
zu türkischlastig, oder zu sehr von der Organisation Milli Görüs dominiert,
obwohl viele Glaubensgeschwister unterschiedlichster Organisationen sich in
die Arbeiten einbringen. Wie kommt es zu solchen Vorwürfen, und was kann man
ihnen entgegnen?
Yoldas: Das ist ein bekannter Vorwurf des
Verfassungsschutzes und kennzeichnend für die mangelnde Sorgfalt dieser
Institution bei ihren Recherchen. Denn ich bin in einem Vorstand von 12
Personen der einzige Türkischstämmige und der einzige Milli-Görüs Vertreter.
Unter den 41 Mitgliedern der SCHURA gehören nur 9 dem Kreis um Milli Görüs
an. Dass jedoch nach außen hin der Eindruck entsteht, als würde Milli Görüs
alle anderen dominieren, hängt einzig und allein an der Tatsache, dass die
Vorschläge, die Milli Görüs in die SCHURA einbringt, auch weitestgehend von den
anderen muslimischen Gemeinden akzeptiert werden, da sie schlichtweg
vernünftig sind. Im Übrigen machen sich die anderen Muslime ihr Bild über
Milli Görüs nicht anhand der Verfassungsschutzberichte sondern an der
innerislamischen Leistung dieser Gemeinschaft.
MM: Eine ganze Reihe der Mitgliedsorganisationen
werden vom Verfassungsschutz - teilweise seit Jahrzehnten - beobachtet, und
so manche Mitgliedsorganisation findet sich auch im Hamburger
Verfassungsschutzbericht wieder. Wie steht die SCHURA zu solch einem Druck
von außen?
Yoldas: Die Verfassungsschutzberichte in
Hamburg können uns Muslime nicht auseinander dividieren. Sie sind eher ein
Grund zum Amüsement unter uns, weil sie jeglicher Seriosität entbehren. Im
letzten Fauxpas, den sich die Hamburger Innenbehörde geleistet hat, werden
nämlich in einer Broschüre, in der für Demokratie und gegen Extremismus
geworben soll, der PKK nur zwei Seiten gewidmet, während der Milli Görüs
sechs Seiten gewidmet worden sind. Die PKK hat 30.000 Menschen auf dem
Gewissen, während die Anhänger von Milli Görüs in ihrer 35-jährigen
Geschichte nirgends mit Gewalt aufgefallen sind. Als einziger Beleg für den
vermeintlichen Extremismus werden Zitate aus der Milli Gazete abgedruckt, in
der sicherlich hin und wieder unglückliche Äußerungen stehen. Nur diese
Zeitung wird in der Türkei gedruckt, in Hamburg gibt es nur ganze 120
Abonnenten dieser Zeitung. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der
Verfassungsschutz diese Zeitung selbst finanzieren könnte, um nur daraus
zitieren zu können, damit die Mitarbeiter ihren Job dort nicht verlieren;
quasi aus dem Selbsterhaltungstrieb. Denn das Geld für die Errichtung eines
Lehrstuhls für Islamische Theologie an der Uni Hamburg wäre eine wesentlich
bessere Investition für die Integration der Muslime als die Neueinstellung
von 14 neuen Mitarbeitern nach dem 11.9. .
Schade um die vergeudeten Ressourcen.
Ich will nicht die Existenzberechtigung dieser
Sicherheitsbehörde oder das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung in Frage
stellen, aber im Falle der SCHURA-Mitglieder sind die Vorwürfe nicht
hinnehmbar.
MM: Hat sich die Arbeit der SCHURA Hamburg
nach dem 11. September verändert?
Yoldas: Ja, es hat sich auch vieles Positive
ergeben, das Interesse am Islam ist beispielsweise gestiegen, aber es
überwiegen doch die negativen Ereignisse. Islamophobie ist im Alltag
gegenwärtig. Die ganze Debatte um das Kopftuch, die Integration,
Parallelgesellschaften, Zwangsheiraten, Ehrenmorde usw. hätte sicherlich
nicht in der hemmungslosen Art und Weise zu einer islamfeindlichen
Atmosphäre geführt, wenn es den 11.9. nicht gegeben hätte. Der
Generalverdacht über die Muslime und der Vorwurf der
Integrationsunwilligkeit bzw. -fähigkeit der Muslime hat zu zahlreichen
Frustrationserlebnissen und zum Rückzug bei vielen Muslimen geführt. Ich
persönlich war seit dem 11.9. in über 270 Veranstaltungen als Referent und
Diskutant unterwegs, im Übrigen auch viele andere aus dem SCHURA-Vorstand.
MM: Strebt die Schura Hamburg die
Anerkennung als Religionsgemeinschaft an?
Yoldas: Es wäre sicherlich gut für uns und den
Staat, wenn er verlässliche und vertretungsberechtigte Ansprechpartner
hätte, aber wir merken doch den politischen Unwillen, den Muslimen bei der
Institutionalisierung behilflich zu sein. Der Status der Körperschaft des
öffentlichen Rechts ist sicherlich gut zugeschnitten auf die Amtshierarchie
der Kirchen, aber ob es für uns 1:1 umsetzbar oder auch die einzige
alternative Rechtsform sein muss, bleibt auszudiskutieren. Wir merken auch,
dass die Maßstäbe gegenüber den Muslimen andere sind als die gegenüber den
anderen Religionsgemeinschaften. Mit den Juden wurde ein Staatsvertrag
geschlossen, obwohl sie im Vergleich zu den Muslimen eine 30-fach kleinere
Gemeinschaft bilden. Sicherlich wird man die Geschichte und die Diversität
unter den Muslimen als Gegenargument aufführen, aber das Grundgesetz
zumindest macht keinen Unterschied zwischen den Religionsgemeinschaften. Wer eine
Lösung will, sucht nach Wegen, wer keine Lösung will, sucht nach Ausreden.
MM: Gibt es da neue Entwicklungen, um die
Einheit der Muslime zu fördern?
Yoldas: Für diese Frage bin ich dankbar.
Denn wir als SCHURA Hamburg hatten am vergangenen Wochenende die große Ehre,
nahezu alle Landes- und Bundesverbände unter den Muslimen als Gastgeber zu
einer Tagung zu beherbergen, um genau über diese Frage zu diskutieren. Die
Muslime sind auf einem sehr guten Weg. Dort wurde eine Zielvereinbarung
getroffen, wonach in kürzestmöglicher Zeit eine föderale Neuorganisation des
Islam angestrebt werden soll. Es wurde dafür eine Lenkungsgruppe und ein
Kompetenzteam ins Leben gerufen, die sich u.a. auch mit den Fragen des
Staatskirchenrechts auseinandersetzen sollen. Es gibt positive
Überraschungen in den kommenden Monaten, inschaAllah!
MM: Es war zu beobachten, dass die Schura
von Wahlen, welche die Hamburger Bürger direkt betrafen, (Bundestagswahlen,
Bürgerschaftswahlen) Veranstaltungen organisiert hat, bei denen Vertreter
der großen Parteien befragt werden konnten. Wie haben die Parteien darauf
reagiert, und wie war die Resonanz bei den muslimischen Teilnehmern?
Yoldas: Es ist schon zur Tradition geworden,
dass wir vor allen Wahlen sogenannte Wahlprüfsteine an die Parteien
zusenden. Des weiteren machen wir regelmäßig Veranstaltungen mit politischen Vertretern,
um sie über ihre islamspezifischen Positionen zu befragen. Danach sprechen
wir auch gelegentlich Wahlempfehlungen aus. Wir stecken jedoch in einem
Dilemma, dass in jeder Partei gute Politiker sind aber deren
parteipolitischen Grundsätze mit unserem Weltbild nicht immer kompatibel
sind. Alle guten Politiker in die richtige Partei zu bekommen ist
illusorisch. Beispielsweise die SPD; bekanntlich wird diese Partei von der
Mehrheit der Muslime gewählt, allerdings haben Sie kein Verständnis für das
Gebaren eines Otto Schily, der sich wie ein Henker von Gottes Gnaden
aufführt und die CSU vor Neid in den Finger beißen lässt. Auch das Vorhaben
des Parteirates der SPD, das Kopftuch generell im öffentlichen Raum
verbieten zu wollen, wird uns zu bedenken geben. Wir Muslime haben unsere
Stimmen keiner Partei für immer und ewig verpachtet. Mein Schwiegervater
sagte einst: Von meinen Schwiegersöhnen mag ich denjenigen am meisten, der
mit meiner Tochter am besten klar kommt!. So, denke ich auch. Wir werden
künftig die Partei wählen, die uns das beste Gehör schenkt.
MM: Empfiehlt die Schura den Muslimen
deutscher Staatsangehörigkeit die Teilnahme an Wahlen?
Yoldas: Ja, es ist für uns eine wichtige
Partizipationsmöglichkeit. Wir können bei den Politikern für unsere
Interessen werben und im Gegenzug unsere Stimmen anbieten. So einfach
funktioniert Demokratie. Und gerade in Großstädten werden die Muslime in
absehbarer Zeit auch eine politische Kraft sein, der sich auch die großen
Parteien nicht weiterhin gleichgültig gegenüber verhalten dürften.
MM: Abschließende Frage, Ihr Nachname
bedeutet übersetzt etwa "Weggefährte, Freund, Leidensgenosse". Kann das auch
ein symbolischer Name für Ihre Arbeit in der SCHURA sein und können Sie sich
vorstellen, dass das Hamburger Beispiel Schule macht; in Niedersachsen wird
ja Ähnliches versucht?
Yoldas: Dass die Geschwister in Niedersachsen
unseren Namen kopiert haben, erfreut uns sehr. Es wäre schön, wenn es 16 SCHURAs in Deutschland gäbe, die sich dann zur Bundes-SCHURA
zusammenschließen. Das wäre mein Traum. Man sagt mir nach, dass in
meinem Falle nomen est omen zuträfe. Ich habe ein freundliches
Wesen. Mit Freunden gehe ich durch dick und dünn, mit meinen Gegnern
bin ich unerbittlich polemisch. Das ist meine Schwäche. Ich verstehe
mich als Weggefährte und Leidensgenosse meiner gegängelten und allzu
häufig diskriminierten Glaubensgemeinschaft. Ich schäme mich auch
nicht, als Anwalt einer unterprivilegierten Gruppe aufzutreten. Ich
bin mir aber auch bewusst und Gott dankbar, dass ich zahlreiche
Menschen in dieser Gesellschaft als meine Freunde nennen darf, die
nicht Muslime sind. Deren Beistand gibt mir Hoffnung, dass ich mich
weiterhin als anatolischer Hanseat für ein positives Image meiner Religion
einsetzen kann.
MM: Wir danken für das Interview.
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