Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Ahmed Aries
 

Muslim-Markt interviewt 
Wolf D. Ahmed Aries, u.a. wissenschaftlicher Berater des Islamrats

13.5.2005

Wolf D. Ahmed Aries wurde 1938 in Hannover geboren. Nach dem Abitur und Wehrdienst begann er mit dem Studium der Psychologie (Vordiplom), um dann in einem Forschungsprojekt der Pädagogischen Hochschule in Hannover mitzuarbeiten. 1972 übernahm er die Leitung der Volkshochschule in Velbert und wenige Jahre später die der VHS Gütersloh, die er mit der frühzeitigen Pensionierung 1997 verließ. Kurz nach dem Beginn der Arbeit in Velbert begann er zusammen mit Mohammed Salim Abdullah zusammen die Dialogarbeit. So arbeitete er beim Aufbau des Islam Archives, das sich heute in Soest befindet, mit, schrieb in der Zeitschrift „Moslemische Revue“ und engagierte sich in der Lobbyarbeit. Seit 1992 hat Ahmed Aries Lehraufträge an der Universität Paderborn, der später die Universitäten Kassel und Bielefeld folgten.

Im Rahmen seines allgemeinen Engagements half Aries bei der Gründung des Islamrates und der Gesellschaft Muslimischer Sozial- und Geisteswissenschaftler mit. Er ist u.a. Mitglied des Beirates des Centrums für Interreligiöse Studien der Universität Münster.

MM: Sehr geehrter Herr Aries, sicherlich haben Sie die Geschichte schon tausende Male erzählt, aber auch unsere zumeist jungen Leser sind neugierig darauf, wann, warum und wie Sie zum Islam konvertiert sind.

Aries: Im Grunde mag ich den Begriff der Konversion für Pubertätsmuslime nicht. Ich bin in der Phase, da ein junger Mensch noch sucht, zum Islam gekommen. Ich war damals dreizehn Jahre alt. Ich hatte weder ein Erweckungserlebnis, noch kannte ich irgendeinen Muslim. Ich vermute, daß ich über die Lektüre irgendwelcher Bücher aus der Bibliothek meines Vaters auf den Gedanken gekommen war. Meine Familie hielt meine Hinwendung zum Islam für eine pubertäre Spinnerei.

MM: Und haben sie sich später damit abgefunden?

Aries: Ja. - Die Jüngeren sind mit mir herangewachsen und meine Generation ist mit mir gealtert und toleranter geworden.

MM: Obwohl Sie seit 1997 in den Vorruhestand eingetreten sind, übernehmen Sie dennoch sehr viele Aufgaben gleichzeitig, wird Ihnen das nicht manchmal zu viel?

Aries: Das Problem ist nicht das Zuviel, sondern das Phänomen, welches ich den „Verschleiß“ nennen würde. Manches Mal ist der Dialog wie eine Tretmühle. Da wiederholen sich die Fragen, Unterstellungen, Missinterpretationen oder die Diskussionen unter den Muslimen. Aber wenn man auf die dreißig Jahre der Arbeit zurückblickt, dann stellt man mit Verwunderung fest, daß die Schnecke sich doch bewegte. Das Beheimaten der Muslime in meinem Vaterland Deutschland in so großer Zahl und aus so unterschiedliche Kulturen dauert eben länger als wir es 1970 erwarteten.
Zudem habe ich vor vielen Jahren, weil ich verschlissen gewesen war, die Arbeit für gut zwei Jahre unterbrochen. Das Erschrecken über die mit dem ersten Golfkrieg wieder aufgebrochenen Vorurteile zwangen mich zurück in die Arbeit, weil ich mir angesichts der Minderheitengeschichte in diesem Lande sagte, nicht noch einmal.

MM: Als Deutscher "Alter Schule" haben Sie eine sehr langjährige Beobachtung der islamischen Landschaft in Deutschland sozusagen aus erster Hand miterlebt, was hat sich in den letzten Jahren verändert; glauben Sie heute noch daran, dass der Islam bzw. die Muslime wirklich eingebürgert werden können?

Aries: Man mag manches Mal sich verzweifelt fragen, ob sich überhaupt etwas in der islamischen Minderheit verändert; und dennoch bewegt sich die Schnecke vorwärts. Manches von dem, was heute selbstverständlich erscheint, war Anfang der siebziger des vergangnen Jahrhundertes schlichte Träumerei: Die Muslime verfügen heute über eine vielfältige Struktur aus Vereinen und Verbänden, eine Wochenzeitung und Verlage. Muslime sind Mitglieder in Parteien sowie anderen gesellschaftlichen Organisationen. Und wer hätte gedacht, daß eines Tages deutsche muslimische Soldaten in Kabul Dienst tun bzw. bei der Polizei oder als Unternehmer tätig sind.
Mit dem ersten Lehrstuhl für die Religion des Islam hat sogar der geistlich wissenschaftliche Diskurs begonnen.
Natürlich könnte ich jetzt alle unerledigten Aufgaben bzw. Herausforderungen aufzählen, aber der zurückgelegte Weg bleibt trotzdem erstaunlich. Und ich bin Allah zutiefst dankbar dafür.
Sollte der Aufbau einer Schurastruktur, wie er in Hamburg entworfen wurde, durchgesetzt werden, dann hätten wir einen großen Schritt getan, inscha´allah.

MM: Sie selbst waren einmal Sprecher einer Kommission der beiden bedeutenden islamischen Dachverbände Zentralrat der Muslime in Deutschland und Islamrat. Sehen Sie eine Chance einer weitergehenden Vereinigung der Dachverbände und dadurch Stärkung der islamischen Stimme und was sind mögliche Hindernisse?

Aries: Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn man sich den bisher zurückgelegten Weg vor Augen hält: Der erste Ansatz war über lokale Moschee-Vereine Gestalt zu gewinnen. Darauf folgte die Idee der Verbände und hierauf die anfangs umstrittene Gründung der (zentralen) Dachverbände (Islamrat 1986, Zentralrat 1994). Der Hinweis, daß allein die Landesebene verfassungsrechtlich der Ansprechpartner für Religionsgemeinschaften sei, wurde dabei stets ignoriert; zudem warnten manche Stimmen vor einer Klerikalisierung des Islam, wenn die Muslime auf die deutschen staatskirchenrechtlichen Vorstellungen eingingen.
Der föderale Ansatz, der während des Treffens in Hamburg entwickelt wurde, scheint mir nach meinem gegenwärtigen Kenntnisstand der vernünftigste. Dabei werden die Landesschuren eine eigene Position aufbauen, während die Bundesebene „nur“ noch repräsentative Funktionen haben wird. Jede Landesschura wird auf einen eigenen Vertrag zugehen und für seine Erfüllung stehen müssen. Das größte Hindernis wird die Frage sein, ob die Muslime dies wollen.

MM: In 1993 haben Sie einen Artikel verfasst in einen Buch mit dem Titel: "Dreißig Jahre christlich-islamischer Dialog in Deutschland". Inzwischen sind es mehr als 40 Jahre. Was sind Ihre Empfehlungen für den zukünftigen Dialog auf Basis der bisherigen Erfahrungen?

Aries: Der Dialog von heute ist nicht der gleiche wie 1970. Er ist vielfältiger geworden, es beteiligen sich mehr Muslime und Christen bzw. Juden an ihm, die Themen sind immer noch die gleichen – aber inzwischen entstanden Gesprächskreise gleich den Christlich-Islamischen Gesellschaften, die Islam Foren oder die Sommeruniversitäten an der Evangelischen Akademie in Loccum oder die Symposien im Hamburg und Bonn. Unsere Schwestern, von denen früher nichts zu hören war, verfügen nun über eigene Netzwerke und melden sich zu Worte, wo immer man sie lässt. Manche von ihnen absolvierten erfolgreich ein Studium, andere sind noch mitten drin.

MM: Können Sie sich vorstellen, dass der Islam einmal eine einheimische Religion in Deutschland wird?

Aries: Für viele Menschen in diesem Lande gehört ihr Glaube, der Islam, zu ihnen wie die Farbe ihrer Augen. Die Frage lautet vielmehr, ob aus den Türken, Arabern , Uighuren und den vielen anderen Deutsche werden. Ob es ihnen gelingt die Konflikte der Gedächtnisse, die Narrationen der Älteren (z.B. Kolonialismus versus Shoa) mit denen dieses Landes zu verbinden. Dazu gehört die Überwindung des Konfliktes der Höflichkeitssysteme, in denen sie sich von der Mehrheitsgesellschaft ständig gedemütigt oder schlecht behandelt fühlen. Man könnte es auch anders formulieren, wie ein älterer Muslim es einmal ausdrückte: Werden sich die Jungen eines Tages genauso schlecht benehmen wie die Deutschen?

MM: Als Berater des Islamrates erleben Sie deutlich mit, wie deren Organisationen in immer mehr Verfassungsschutzberichten auftauchen. Gleichzeitig entgeht Ihnen auch nicht, wie immer mehr Moscheen Opfer von Razzien werden. Wie können Muslime dieser tragischen Entwicklung entgegen treten?

Aries: Ich halte die Problematik der Verfassungsschutzberichte für eine vorübergehende Angelegenheit, die im Augenblick ärgerlich ist, aber den Blick nicht von den zukünftigen Aufgaben ablenken sollte.
Ich halte es für unglücklich, wenn in diesem Zusammenhang von „tragischer Entwicklung“ gesprochen wird. Die Flughafenkontrollen sind auch nicht tragisch. Wichtiger ist, daß wir Muslime unseren Weg in diese Gesellschaft weitergehen. Was kümmert es die Karawane, wenn der Hund bellt.
Nach rund dreißig Jahren Arbeit als Lobbyist, ehrenamtlicher Funktionär und Referent für die Muslime in Deutschland stehe ich vielen Dingen gelassener gegenüber, als ich es vor dreißig Jahren tat. Die Wunden, die ich im Dialog und von meinen muslimischen Freunden erhielt, sind verheilt und die Enttäuschungen überwunden. Jetzt lerne ich langsam, daß es auf das Durchhalten in der Arbeit ankommt. Manche nennen es Geduld oder gelassene Achtsamkeit, denn allein Allah weiß es besser, als Sein Khalifa kann ich mich nur bemühen. Es ist so. Als Muslim gilt nicht das griechische Bild des Sysiphos, sondern der gelassenen Arbeit.

MM: Und was erhoffen Sie von der Mehrheitsgesellschaft?

Aries: Die Annahme ihrer Glaubensminderheit als ihrer eigenen Minderheit, um so der Geschichte eine neue Wende zu geben, insha´allah.

MM: Was hätten Sie als langjähriger Volkshochschuldirektor getan, wenn eine besonders qualifizierte Lehrkraft mit Kopftuch sich beworben hätte?

Aries: Dies ist eine dumme Frage. Ich hätte mich bei ihr genauso wie bei den männlichen Kollegen gefragt, ob sie das kann, was ich von ihr pädagogisch erwarte.

MM: Worin sehen Sie Ihre persönlichen Aufgaben für die Zukunft des Islam und der Muslime in Deutschland.

Aries: Weiterarbeiten.

MM: Herr Aries, wir danken Ihnen für das Interview.

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