MM:
Sehr geehrter Herr Prof. Berger. Sie haben sowohl in Philosophie als auch in
Volkswirtschaftslehre promoviert. Wie vertragen sich diese Disziplinen?
Prof. Berger:
Die vertragen sich gar nicht. Der Philosophie geht es um Weisheit, der
Ökonomie um Effizienz. Wir lassen heute zu, dass alles der Ökonomie
untergeordnet wird und sind deshalb gerade dabei, unseren Planeten als
Lebensraum mit großer Effizienz zu zerstören. Weisheit hingegen würde alles
einer anderen Frage unterordnen: Dient es dem Leben?
MM:
In Ihren Veröffentlichungen erläutern Sie u. a. die Schädlichkeit von Zinsen
für unser bestehendes Wirtschaftssystem, wie begründen Sie das?
Prof. Berger:
Zinsen vermehren Geld ohne Arbeit. Da Geld nicht arbeiten und sich auch
nicht von selbst vermehren kann, müssen die Zinsen von Menschen erarbeitet
werden von jedem von uns: In den Preisen von allem, für das wir Geld
ausgeben, stecken im Durchschnitt 40 % Zinsen und auch ein wesentlicher
Bestandteil der Steuern, die wir zahlen, sind Zinsen. Die meisten Menschen
geben deshalb die Hälfte ihres Einkommens für Zinsen aus, auch wenn sie
überhaupt keine Schulden haben. Nur wenige bekommen diese Zinsen. Nur wenn
Ihr Zinseinkommen höher ist als Ihr Arbeitseinkommen, gehören
Sie zu den Gewinnern des Systems. Ist Ihr Zinseinkommen aber niedriger als
Ihr Arbeitseinkommen, gehören Sie zu den Verlierern und das sind fast
alle. Ein System aber, in dem 90 % der Bevölkerung verlieren, was 10 %
unverdient hinzubekommen, ist auf Dauer nicht lebensfähig.
MM:
Warum nicht, anders gefragt: Woran soll das System zusammenbrechen?
Prof. Berger:
Den
wenigen, denen die inzwischen gigantischen Kapitaleinkommen zufließen,
gehört bald alles und alle anderen sind praktisch deren Sklaven. Bereits
heute gehört sechs Personen 60 % des gesamten Reichtums der Welt. Das
Römische Reich ist untergegangen, als seine unermesslichen Reichtümer 1.800
Familien gehört haben. Wir stehen jetzt vor dem Untergang der von den U. S.
A. geprägten Form von Kapitalismus.
MM:
Wie kommt es, dass nur so wenige Wirtschaftswissenschaftler in der
westlichen Welt diese Zusammenhänge erkennen oder publizieren?
Prof. Berger:
Der Zins ist für die Ökonomen so selbstverständlich, dass sie ihre eigene
Disziplin in Frage stellen, wenn sie den Zins in Frage stellen. Wer aber
seine eigene Disziplin verleugnet, verleugnet sich selbst und wird von
seiner Zunft ausgeschlossen. Wer viele Jahre studiert hat und mit diesem
Wissen einen Beruf ausübt, muss Mut haben, um das alles abzulegen.
MM:
Was schlagen Sie als Alternative vor?
Prof. Berger:
Sämtliche Religionen verbieten den Zins sämtliche! Als Ökonom sage ich,
dass man ihn nicht verbieten kann. Es würde sofort ein schwarzer
Finanzmarkt entstehen. So sind die großen Finanzdynastien der Fugger,
Rothschilds und Wallensteins entstanden. Die Zentralbank muss fließendes
Geld einführen, bei dem der Markt den Zins auf Null drückt. Dann haben wir
alle die doppelte Kaufkraft. Und weil viele dann lieber halb so viel
arbeiten, beendet fließendes Geld nicht nur die Staatverschuldung, sondern
auch die Arbeitslosigkeit. Dazu muss die Zentralbank eine Gebühr auf Geld (Demurrage)
erheben. Das Bankensystem bleibt von dieser veränderten Rahmenbedingung
abgesehen unverändert. Weil die Anleger die Demurrage sparen wollen,
stellen sie ihr Geld auch ohne Zins für Investitionen zur Verfügung.
MM:
Das ähnelt sehr den Konzepten mancher der Regionalgelder. Warum muss denn
"herumliegendes" Geld an Wert verlieren? Wenn man es stattdessen in Gold
anlegen würde, würde es doch auch nicht "automatisch" an Wert verlieren.
Prof. Berger:
Fließendes Geld hingegen verliert nicht an Wert. Im Gegenteil: die
Stabilität des Geldes ist garantiert, die Demurrage (Geldsteuer) macht es
möglich, die Lohnnebenkosten zu reduzieren vielleicht auch abzuschaffen
und dem Kapital die Finanzierung des Staates aufzubürden. Gold oder eine
Goldwährung hingegen würde dazu führen, dass das Geld dem
Wirtschaftskreis-lauf entzogen wird. Die Fachleute nennen das Deflation
die gefährlichste Form einer Wirtschaftskrise. Eine solche Krise mit einer
sehr hohen Arbeitslosigkeit und unermesslichem sozialen Elend hat den
Nationalsozialismus in Deutschland an die Macht gebracht und letztlich den
Zweiten Weltkrieg ausgelöst.
MM:
Was muss ich ein Laie unter Business Reframing vorstellen?
Prof. Berger:
Business Reframing verbindet Weisheit mit Effizienz: Wir sagen, dass ein
Unternehmen für die Mitarbeiter da ist, die sich dort bis an die Grenze
ihres Potenzials entwickeln sollen. Und wir sehen, dass da, wo das
geschieht, die Entwicklung des Unternehmens gar nicht mehr zu bremsen ist.
Unser letzter Kunde hat in kurzer Zeit den Umsatz und die Belegschaft
verdoppelt. Mit Business Reframing provozieren wir die Genialität in
Unternehmen.
MM:
Argumentieren Sie jetzt nicht auch genau auf der gleichen Basis des
"Wachstums", und ist nicht der Zwang zum Wachstum mit der Grund für die
Schwäche eines Systems, dass weder unbegrenzt wachsende Käufer noch
unbegrenzt wachsende Ressourcen hat?
Prof. Berger:
Wenn
Sie das Doppelte verdienen weil sie doppelt so tüchtig sind, ist das doch in
Ordnung. Bei einem einzelnen Unternehmen ist es ebenso. In einer
Marktwirtschaft setzen sich immer diejenigen durch, die besser sind. Das
bringt letztlich alle weiter. Ein quantitatives Wachstum aber, wie unser
destruktives Geldsystem es erzwingt, zerstört unseren Planeten als
Lebensraum.
Ein
einfaches Beispiel: Wenn wir das Bruttosozialprodukt von 100 um 15 auf 115
erhöhen, ist das ein Wachstum von 15 %. Das war die Situation in Deutschland
nach dem Krieg (und ist es heute in China). Wenn wir es von 1.000 um 15 auf
1.015 erhöhen, ist das bei dem gleichen absoluten Zuwachs nur noch ein
Wachstum von 1,5 %. Das ist die Situation in den reifen Volkswirtschaften
mit gesättigten Märkten auch in Deutschland. Wenn aber 3 % Zinsen vorab
den Kapitalgebern zufließen, muss der Fehlbetrag den Arbeitenden weggenommen
werden. Das ist der Grund für Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Ausdünnung der
Infrastruktur etc. Dass wir alle den Gürtel enger schnallen müssen, hat
nichts mit Politik zu tun, es ist systembedingt. Wir alle sind blind und
sehen es nicht.
MM:
Gibt es denn an deutschen Hochschulen wissenschaftlich abgesicherte Konzepte
für ein Wirtschaftssystem ohne Wachstum?
Prof. Berger:
Es
gibt mehrere Kollegen, die in Alternativen entwickelt haben, aber vom Mainstream
übersehen werden und die Politik nicht beraten. Das Konzept fließenden
Geldes, das ich vertrete, hat nur wenige Befürworter an den Hochschulen.
Dabei ist es die Lösung für viele der Probleme, die uns unter den Nägeln
brennen: die Staatsverschuldung, die Arbeitslosigkeit und die
Umweltzerstörung. Der bedeutendste deutsche Wissenschaftler, der exzellente
Bücher dazu verfasst hat, ist Privatgelehrter: Helmut Creutz.
MM:
Herr Prof.
Berger, wir danken für das Interview.
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