MM:
Sehr geehrter Herr Edlinger, welche Aufgaben hat ein Generalsekretär der
Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen?
Edlinger:
Die Gesellschaft ist ein eingetragener Verein, der Generalsekretär ist de
facto dessen Geschäftsführer. Ich bin also für die laufenden Arbeiten der
GÖAB verantwortlich. Dies reicht von der Durchführung und Koordination
unserer großen humanitären Auslandsprojekte über die Veranstaltungstätigkeit
in Österreich, die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit bis hin zur
Betreuung der rund 500 Mitglieder der Gesellschaft. Darüber hinaus ergeben
sich immer wieder Sonderaufgaben wie beispielsweise die Beratung von
politischen Persönlichkeiten und/oder Organisationen. Ganz besonders am
Herzen liegt mir auch meine eigene publizistische
Tätigkeit sowie jene als Referent bei den verschiedensten in- und
ausländischen Veranstaltungen.
MM:
Wie
schätzen Sie denn die Österreichisch-Arabische Beziehungen heute ein?
Edlinger:
Um es ganz offen zu sagen, die gegenwärtigen Beziehungen Österreichs zur
Arabischen Welt sind leider um einiges distanzierter als es in den Siebziger
und Achtziger Jahren der Fall war. Dies liegt zum einen daran, dass seit dem
Beitritt Österreichs zur EU der außenpolitische Spielraum deutlich kleiner
geworden ist bzw. von den für die österreichische
Außenpolitik Verantwortlichen selbst enger definiert worden ist, als dies
angesichts der geltenden Rechtslage eigentlich der Fall ist. Aber die
österreichische Außenpolitik hat sich und dies ist der zweite Grund für
diese distanziertere Haltung im Laufe der
letzten Jahre von Positionen verabschiedet, welche über mehr als 20 Jahre
hindurch zum fixen Bestandteil der österreichischen Außenpolitik gehört
haben. Diese Entwicklung ist meines Erachtens vor allem in den Gebieten der
Nord-Südpolitik, der Entwicklungspolitik und eben auch in der Nahostpolitik
zu registrieren.
MM:
Sie sind
u.a. Herausgeber des Buches "Befreiungskampf
in Palästina. Von der Madrid-Konferenz zur Al
Aqsa-Intifada". Sehen Sie sich als Verteidiger des
Widerstandsrechtes des palästinensischen Volkes nicht immer wieder dem
Vorwurf des Antisemitismus gegenüber? Darf man in Österreich problemlos das
Widerstandsrecht der Palästinenser gegen die israelischen Besatzer
verteidigen?
Edlinger:
Es ist leider eine unbestreitbare und für mich sehr schmerzhafte Erfahrung,
dass mein Eintreten für die legitimen Rechte des Palästinensischen Volkes
immer wieder in die antisemitische Ecke gestellt wird. Dies ist in den
letzten Jahren, vor allem seit dem Ausbruch der zweiten
Intifada und dem Amtsantritt von Arik Sharon als israelischer
Ministerpräsident, deutlich stärker geworden. Die von Israel ausgehende
Kampagne soll ganz offensichtlich von den Übergriffen und
Menschenrechtsverletzungen der israelischen Besatzungsmacht in den
palästinensischen Gebieten ablenken. Es ist tragisch und unverständlich
zugleich, wie ein Volk wie das jüdische, welches mit allen Mitteln für sein
Recht auf einen eigenen Staat kämpft, genau das gleiche Recht einem anderen
Volk streitig macht.
Für
mich, der ich aus einem klar antifaschistischen und antirassistischen
politischen Milieu stamme, ist es besonders schmerzhaft, mit
Holocaustleugnern und anderen westlichen Faschisten in einen Topf geworfen
zu werden. Ich trete gegen die israelische Besatzungs- und
Vertreibungspolitik sicherlich nicht aus rassistischen und antisemitischen
Gründen ein sondern schlicht und einfach deshalb, weil ich das Recht auf
nationale Selbstbestimmung für unteilbar halte. Was für die Israelis gilt,
hat ohne Wenn und Aber auch für die Palästinenser zu gelten!
Die
Situation in Österreich unterscheidet sich von jener in Deutschland nicht
besonders. Zum einen ist es verständlich, dass man in unseren beiden
Ländern, die ja schließlich mit dem Naziregime eine der schrecklichsten und
verbrecherischsten Diktaturen der Menschheitsgeschichte hervorgebracht
haben, ganz besonders darauf achtet, dass sich die Geschichte nicht
wiederholt. Andererseits nutzen gerade in Deutschland und in Österreich die
Befürworter der zionistischen Besatzungspolitik dieses Faktum dazu aus,
Israelkritiker besonders vehement zu verfolgen und sie sofort in die
antisemitische Ecke zu stellen. Es ist also in Österreich sicherlich um
nichts leichter und angenehmer, eine israelkritische
und palästinafreundliche Haltung einzunehmen. Um
meine ganz persönliche Einstellung dazu zu offenbaren, so möchte ich sagen,
dass ich meine Meinung nicht aus einer oberflächlichen Emotion heraus
entwickelt habe sondern aufgrund langjähriger Studien und zahlreicher
persönlicher Erfahrungen sowie vieler Reisen in die Region. Wenn mich
irgendwelche israelische PR-Agenten nun des Antisemitismus zeihen, so ist
mir das ehrlich gesagt inzwischen ziemlich gleichgültig. Ich verfüge
über genug Selbstkritik, um meine Haltungen ständig zu überprüfen und auch
mit der Realität zu vergleichen, und ich weiß, dass ich ein vehementer
Vertreter der Rechte des palästinensischen Volkes aber sicher kein Antisemit
bin.
MM:
Sie
wehren sich also gegen Rassismus in jeglicher Form, ob gegen Juden, Christen
oder Muslime. Warum fällt es so schwer, den Rassismus gegen Palästinenser
offen anzuprangern? Ist der Rassismus gegen Palästinenser so "versteckt", so
unwirklich?
Edlinger:
Angesichts der tragischen historischen Ereignisse (Stichwort Holocaust)
nimmt der Kampf gegen den Antisemitismus in Europa natürlich eine ganz
besondere Stellung ein. Dies ist auch richtig so. Weniger richtig ist
hingegen die Tatsache, dass der durchaus berechtigte Kampf gegen
Antisemitismus von Seiten der Befürworter der israelischen Besatzungspolitik
zum Vorwand für eine ständige pro-israelische Propaganda genommen wird.
Dadurch wird leider auch die unbestreitbare Tatsache verdrängt, dass es
einen gefährlichen Rassismus in Europa gibt, der sich gegen andere nationale
und religiöse Minderheiten wendet.
Aus
meiner Sicht und nach meinen Erfahrungen wendet sich der europäische
Rassismus derzeit viel mehr und weitaus aggressiver gegen Muslime. Der 11.
September und der von den USA geführte Kreuzzug gegen den Terrorismus
haben leider dazu geführt, dass Muslime mehr oder minder pauschal unter
Terrorverdacht gestellt werden. Und es ist nicht auszuschließen, dass in
diesem Verdacht durchaus auch fremdenfeindliche und rassistische Motive
mitschwingen.
Dass
die Palästinenser sich in ihrer eigenen Heimat mit einem aggressiven
Rassismus seitens der Zionisten konfrontiert sehen, ist eine Tatsache, die
selbst von Angehörigen der israelischen Friedensbewegung bestätigt und
verurteilt wird. Gerade aus europäischer Sicht ist es besonders bedauerlich,
dass es in Teilen der israelischen Gesellschaft nicht nur einen eklatanten
Rassismus sondern auch eine mehr oder minder klare faschistische Ideologie
gibt. Um Ihre Frage kurz und bündig zu beantworten: Der Rassismus, der in
Israel und in den von Israel besetzten Gebieten den Palästinensern
entgegenschlägt, ist absolut nicht versteckt, er ist leider sehr, sehr real.
MM:
Sie sind
auch Herausgeber eines Buches von Israel Shamir, kennen Sie ihn persönlich?
Edlinger:
Nein. Ich kenne ihn nur seit langem aus seinen Schriften und
Veröffentlichungen.
MM:
Nun wird
in manchen Medien behauptet, dass es Etikettenschwindel sei, Herrn Shamir
als kritischen Juden vorzustellen. Israel Shamir lebe schon lange nicht mehr
in Israel, sei in Wirklichkeit zum orthodoxen Christentum konvertiert und
inzwischen schwedischer Staatsbürger, der in Stockholm lebt und dort 2001
den Namen Jöran Jermas
angenommen habe. Was antworten Sie jenen Kritikern?
Edlinger:
Zunächst einmal ist festzustellen, dass ich noch selten eine derartig
massive und hysterische Kampagne erlebt habe, wie jene gegen Israel Shamir
und seine Schriften. Offensichtlich trifft er mit seiner Kritik einige für
die Zionisten ganz besonders heikle Punkte. Shamir ist ein äußerst
kritischer und scharfzüngiger Mann, der sicherlich sehr provokant, da und
dort vielleicht sogar zu provokant, formuliert. Aber viele, die ihn äußerst
hart und unsachlich angreifen, sollten vor ihrer eigenen Türe kehren. Ich
kenne manche davon, wie die Schreiber der zionistischen Internetpostille
die jüdische, selbst nur zu gut. Hier handelt es sich um
hard-core-Propagandisten der israelischen
Besatzungs- und Vertreibungspolitik, die in der Wahl ihrer Mittel nicht
besonders wählerisch sind. Lügen und persönliche Diffamierungen gehören zu
ihrem tagtäglichen Handwerkszeug. Ich selbst wurde mit den Methoden dieser
Leute bereits des öfteren
konfrontiert.
Ob Herr
Shamir nach wie vor Jude ist oder tatsächlich zum Christentum konvertiert
ist, interessiert mich absolut nicht. Was das mit seiner Kritik an der
israelischen Besatzungspolitik zu tun haben soll, entzieht sich meinem
Verständnis. Ähnliches gilt für die Frage, wo er nun seinen ständigen
Wohnsitz hat und welche Staatsbürgerschaft er besitzt. Ich weiß nur, dass
der Verleger des Buches mit ihm in ständiger Verbindung ist und er ganz
offensichtlich in Israel wohnhaft ist. Ob er wie so viele Israelis über
einen zweiten Wohnsitz verfügt, entzieht sich meiner Kenntnis und ist mir
ganz offen gesagt auch völlig gleichgültig.
Wie
gesagt, mich interessieren biografische und geografische Details nicht, mich
interessiert die absolut zutreffende Schilderung der brutalen israelischen
Politik gegenüber dem palästinensischen Volk. Und damit hat Israel Shamir
absolut Recht.
MM:
Wie sieht
Ihre Idealvorstellung für das Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen
im für alle drei Religionen Heiligen Land aus und glauben Sie, dass sie
realisierbar ist?
Edlinger:
In diesem Zusammenhang noch ein letztes Wort zu Israel Shamir: Er provoziert
die Zionisten auch deshalb so sehr, da er ein vehementer Verfechter der so
genannten Einstaatenlösung ist. Er tritt also für einen gemeinsamen Staat
der Juden und der Palästinenser ein, übrigens eine alte Forderung der
Palästinenser. Dass dieser Staat säkular sein muss, ergibt sich von selbst.
Ich
persönlich träume von einem friedlichen Zusammenleben von Muslimen, Juden
und Christen im Heiligen Land oder im ehemaligen britischen
Völkerbundsmandat Palästina, um es mit einem anderen Begriff zu benennen.
Jede Religion sollte frei sein, keine sollte die andere beherrschen oder
unterdrücken. Es muss also eine absolut freie Religionsausübung garantiert
sein, der Zugang zu den religiösen Stätten muss für die Angehörigen jedes
Glaubensbekenntnisses frei und ungehindert sein.
Leider
zweifle ich an der Realisierbarkeit dieser Vision. Dazu ist in den letzten
Jahrzehnten einfach zu viel an Blut geflossen und viel zu viel an Unrecht
geschehen. Und, was noch wichtiger ist, es fehlt vor allem einer Seite,
nämlich der israelischen, die Einsicht in die Unhaltbarkeit ihrer
Grundposition. Solange der moderne Zionismus, der knapp 60 Jahre nach
Gründung des Staates Israel, eine ganz merkwürdige Mischung von religiösen
Glaubenssätzen und nationalistisch-kolonialistischer
Blut-und-Boden-Ideologie repräsentiert, den alleinigen Anspruch auf das von
Gott verheißene Land aufrecht erhält, wird es kaum eine Lösung geben
können, welche auch die zumindest ebenso berechtigten nationalen und
religiösen Ansprüche der Palästinenser berücksichtigt.
Ich
befürchte also, der israelisch-palästinensische Konflikt wird noch viele
Jahre dauern und wird noch viele, viel zu viele, Opfer kosten.
MM:
Was
können Ihrer Meinung nach Österreicher und Deutsche tun, damit der Frieden
in der Region etwas näher rückt?
Edlinger:
Meine Antwort wird sicherlich manche nicht zufrieden stellen, weil sie keine
kurzfristige Perspektive beinhaltet. Also, ich meine, dass wir uns jenen
entgegenstellen müssen, die in der Friedenspolitik der letzten Jahre eine
Lösung sehen. Diese Politik ist kurzsichtig, in erster Linie an gut
verkäuflichen PR-Gags orientiert. Und sie stellt natürlich auch ein
einseitiges Diktat des Stärkeren (Israel) und dessen Protektor (USA) dar,
d.h. sie berücksichtigt in erster Linie die Interessen der israelischen
Seite.
Ich bin
davon überzeugt, dass eine wirkliche und dauerhafte Lösung dieses Konfliktes
nur dadurch möglich sein wird, auf die historischen Wurzeln zurück zu gehen
und die tatsächlichen Konflikte zu benennen und schrittweise Lösungen zu
suchen. Dies ist äußerst mühsam, wird mit vielen Schmerzen auf beiden Seiten
verbunden sein, und daher sehr lange dauern.
Und wir
Österreicher und Deutsche sollten, so wie alle anderen
friedensliebenden Menschen Europas, uns an diesem langfristigen
Prozess beteiligen. Wir sollten unsere Erfahrungen in Krisenbewältigung und
management einbringen.
MM:
Erlauben
Sie noch einen Themenwechsel. Wie erleben Sie das Leben von
arabischstämmigen Bürgern in Österreich seit dem 11. September, insbesondere
die Muslime?
Edlinger:
Österreich hat, ich glaube, darauf ist bereits des Öfteren hingewiesen
worden, eine europaweit wohl beispielhafte Situation. Im Gegensatz zu den
meisten anderen europäischen Ländern gibt es seit langem mit der Islamischen
Glaubensgemeinschaft eine allseits anerkannte Vertretung der in Österreich
lebenden Muslime. Von ganz wenigen Irritationen abgesehen, hat es nach dem
11. September keine negative Entwicklungen
gegeben. Dies war meiner Meinung nach vor allem auf eine sehr vorsichtige
und verantwortungsbewusste Vorgangsweise aller Seiten zurück zu führen.
Natürlich gibt es immer wieder radikale Minderheitenpositionen sowohl
innerhalb der österreichischen Muslime als auch bei rechten politischen
Parteien, dies hat aber im Großen und Ganzen keinen besonderen negativen
Einfluss auf die in Österreich lebenden nationalen und religiösen
Minderheiten.
MM:
Offensichtlich haben Österreicher weniger Angst vor Kopftuch tragenden
Frauen, auch in der Schule. Kann Europa also vom kleinen Österreich lernen?
Edlinger:
Ich glaube schon!
MM:
Herr
Edlinger, wir danken für das Interview.
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