Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Fritz Edlinger
 

Muslim-Markt interviewt 
Fritz Edlinger, Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen

18.9.2005

Fritz Edlinger (Jahrgang 1948) absolvierte seine Schulausbildung bis zur Matura (Abitur) 1964 in Wien. Anschließend studierte er Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaften an der Universität Wien.

Von 1971-1973 war er Bildungssekretär der Sozialistischen Jugend Österreich und anschließend bis 1976 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Wiener Institut für Entwicklungsfragen. Er arbeitete als später  als Pressereferent des Bundesministers für Bauten und Technik, als Verleger und selbständiger PR-Berater sowie als Konsulent verschiedener österreichischer Unternehmen (darunter Bank Austria, Maculan, Novomatic, und VAMED Engineering). Seit 1996 ist er Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen (GÖAB). Daneben hatte es diverse politische Funktionen innerhalb der SPÖ und ist seit 1979 Herausgeber der Zeitschrift INTERNATIONAL (Zeitschrift für international Politik) mit zahlreichen Artikeln, u.a. zu den Themen:  Nah-Ost-Politik, Arabische Welt und Internationale Beziehungen

Fritz Edlinger ist Österreichischer Staatsbürger und wohnt in Wien.

MM: Sehr geehrter Herr Edlinger, welche Aufgaben hat ein Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen?

Edlinger: Die Gesellschaft ist ein eingetragener Verein, der Generalsekretär ist de facto dessen Geschäftsführer. Ich bin also für die laufenden Arbeiten der GÖAB verantwortlich. Dies reicht von der Durchführung und Koordination unserer großen humanitären Auslandsprojekte über die Veranstaltungstätigkeit in Österreich, die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit bis hin zur Betreuung der rund 500 Mitglieder der Gesellschaft. Darüber hinaus ergeben sich immer wieder Sonderaufgaben wie beispielsweise die Beratung von politischen Persönlichkeiten und/oder Organisationen. Ganz besonders am Herzen liegt mir auch meine eigene publizistische Tätigkeit sowie jene als Referent bei den verschiedensten in- und ausländischen Veranstaltungen.

MM: Wie schätzen Sie denn die Österreichisch-Arabische Beziehungen heute ein?

Edlinger: Um es ganz offen zu sagen, die gegenwärtigen Beziehungen Österreichs zur Arabischen Welt sind leider um einiges distanzierter als es in den Siebziger und Achtziger Jahren der Fall war. Dies liegt zum einen daran, dass seit dem Beitritt Österreichs zur EU der außenpolitische Spielraum deutlich kleiner geworden ist bzw. von den für die österreichische Außenpolitik Verantwortlichen selbst enger definiert worden ist, als dies angesichts der geltenden Rechtslage eigentlich der Fall ist. Aber die österreichische Außenpolitik hat sich – und dies ist der zweite Grund für diese distanziertere Haltung – im Laufe der letzten Jahre von Positionen verabschiedet, welche über mehr als 20 Jahre hindurch zum fixen Bestandteil der österreichischen Außenpolitik gehört haben. Diese Entwicklung ist meines Erachtens vor allem in den Gebieten der Nord-Südpolitik, der Entwicklungspolitik und eben auch in der Nahostpolitik zu registrieren.

MM: Sie sind u.a. Herausgeber des Buches "Befreiungskampf in Palästina. Von der Madrid-Konferenz zur Al Aqsa-Intifada". Sehen Sie sich als Verteidiger des Widerstandsrechtes des palästinensischen Volkes nicht immer wieder dem Vorwurf des Antisemitismus gegenüber? Darf man in Österreich problemlos das Widerstandsrecht der Palästinenser gegen die israelischen Besatzer verteidigen?

Edlinger: Es ist leider eine unbestreitbare und für mich sehr schmerzhafte Erfahrung, dass mein Eintreten für die legitimen Rechte des Palästinensischen Volkes immer wieder in die antisemitische Ecke gestellt wird. Dies ist in den letzten Jahren, vor allem seit dem Ausbruch der zweiten Intifada und dem Amtsantritt von Arik Sharon als israelischer Ministerpräsident, deutlich stärker geworden. Die von Israel ausgehende Kampagne soll ganz offensichtlich von den Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen der israelischen Besatzungsmacht in den palästinensischen Gebieten ablenken. Es ist tragisch und unverständlich zugleich, wie ein Volk wie das jüdische, welches mit allen Mitteln für sein Recht auf einen eigenen Staat kämpft, genau das gleiche Recht einem anderen Volk streitig macht.

Für mich, der ich aus einem klar antifaschistischen und antirassistischen politischen Milieu stamme, ist es besonders schmerzhaft, mit Holocaustleugnern und anderen westlichen Faschisten in einen Topf geworfen zu werden. Ich trete gegen die israelische Besatzungs- und Vertreibungspolitik sicherlich nicht aus rassistischen und antisemitischen Gründen ein sondern schlicht und einfach deshalb, weil ich das Recht auf nationale Selbstbestimmung für unteilbar halte. Was für die Israelis gilt, hat ohne Wenn und Aber auch für die Palästinenser zu gelten!

Die Situation in Österreich unterscheidet sich von jener in Deutschland nicht besonders. Zum einen ist es verständlich, dass man in unseren beiden Ländern, die ja schließlich mit dem Naziregime eine der schrecklichsten und verbrecherischsten Diktaturen der Menschheitsgeschichte hervorgebracht haben, ganz besonders darauf achtet, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Andererseits nutzen gerade in Deutschland und in Österreich die Befürworter der zionistischen Besatzungspolitik dieses Faktum dazu aus, Israelkritiker besonders vehement zu verfolgen und sie sofort in die antisemitische Ecke zu stellen. Es ist also in Österreich sicherlich um nichts leichter und angenehmer, eine israelkritische und palästinafreundliche Haltung einzunehmen. Um meine ganz persönliche Einstellung dazu zu offenbaren, so möchte ich sagen, dass ich meine Meinung nicht aus einer oberflächlichen Emotion heraus entwickelt habe sondern aufgrund langjähriger Studien und zahlreicher persönlicher Erfahrungen sowie vieler Reisen in die Region. Wenn mich irgendwelche israelische PR-Agenten nun des Antisemitismus zeihen, so ist mir das – ehrlich gesagt – inzwischen ziemlich gleichgültig. Ich verfüge über genug Selbstkritik, um meine Haltungen ständig zu überprüfen und auch mit der Realität zu vergleichen, und ich weiß, dass ich ein vehementer Vertreter der Rechte des palästinensischen Volkes aber sicher kein Antisemit bin.

MM: Sie wehren sich also gegen Rassismus in jeglicher Form, ob gegen Juden, Christen oder Muslime. Warum fällt es so schwer, den Rassismus gegen Palästinenser offen anzuprangern? Ist der Rassismus gegen Palästinenser so "versteckt", so unwirklich?

Edlinger: Angesichts der tragischen historischen Ereignisse (Stichwort Holocaust) nimmt der Kampf gegen den Antisemitismus in Europa natürlich eine ganz besondere Stellung ein. Dies ist auch richtig so. Weniger richtig ist hingegen die Tatsache, dass der durchaus berechtigte Kampf gegen Antisemitismus von Seiten der Befürworter der israelischen Besatzungspolitik zum Vorwand für eine ständige pro-israelische Propaganda genommen wird. Dadurch wird leider auch die unbestreitbare Tatsache verdrängt, dass es einen gefährlichen Rassismus in Europa gibt, der sich gegen andere nationale und religiöse Minderheiten wendet.

Aus meiner Sicht und nach meinen Erfahrungen wendet sich der europäische Rassismus derzeit viel mehr und weitaus aggressiver gegen Muslime. Der 11. September und der von den USA geführte „Kreuzzug gegen den Terrorismus“ haben leider dazu geführt, dass Muslime mehr oder minder pauschal unter Terrorverdacht gestellt werden. Und es ist nicht auszuschließen, dass in diesem Verdacht durchaus auch fremdenfeindliche und rassistische Motive mitschwingen.

Dass die Palästinenser sich in ihrer eigenen Heimat mit einem aggressiven Rassismus seitens der Zionisten konfrontiert sehen, ist eine Tatsache, die selbst von Angehörigen der israelischen Friedensbewegung bestätigt und verurteilt wird. Gerade aus europäischer Sicht ist es besonders bedauerlich, dass es in Teilen der israelischen Gesellschaft nicht nur einen eklatanten Rassismus sondern auch eine mehr oder minder klare faschistische Ideologie gibt. Um Ihre Frage kurz und bündig zu beantworten: Der Rassismus, der in Israel und in den von Israel besetzten Gebieten den Palästinensern entgegenschlägt, ist absolut nicht versteckt, er ist leider sehr, sehr real.

 MM: Sie sind auch Herausgeber eines Buches von Israel Shamir, kennen Sie ihn persönlich?

Edlinger: Nein. Ich kenne ihn nur seit langem aus seinen Schriften und Veröffentlichungen.

MM: Nun wird in manchen Medien behauptet, dass es Etikettenschwindel sei, Herrn Shamir als kritischen Juden vorzustellen. Israel Shamir lebe schon lange nicht mehr in Israel, sei in Wirklichkeit zum orthodoxen Christentum konvertiert und inzwischen schwedischer Staatsbürger, der in Stockholm lebt und dort 2001 den Namen Jöran Jermas angenommen habe. Was antworten Sie jenen Kritikern?

Edlinger: Zunächst einmal ist festzustellen, dass ich noch selten eine derartig massive und hysterische Kampagne erlebt habe, wie jene gegen Israel Shamir und seine Schriften. Offensichtlich trifft er mit seiner Kritik einige für die Zionisten ganz besonders heikle Punkte. Shamir ist ein äußerst kritischer und scharfzüngiger Mann, der sicherlich sehr provokant, da und dort vielleicht sogar zu provokant, formuliert. Aber viele, die ihn äußerst hart und unsachlich angreifen, sollten vor ihrer eigenen Türe kehren. Ich kenne manche davon, wie die Schreiber der zionistischen Internetpostille „die jüdische“, selbst nur zu gut. Hier handelt es sich um hard-core-Propagandisten der israelischen Besatzungs- und Vertreibungspolitik, die in der Wahl ihrer Mittel nicht besonders wählerisch sind. Lügen und persönliche Diffamierungen gehören zu ihrem tagtäglichen Handwerkszeug. Ich selbst wurde mit den Methoden dieser Leute bereits des öfteren konfrontiert.

Ob Herr Shamir nach wie vor Jude ist oder tatsächlich zum Christentum konvertiert ist, interessiert mich absolut nicht. Was das mit seiner Kritik an der israelischen Besatzungspolitik zu tun haben soll, entzieht sich meinem Verständnis. Ähnliches gilt für die Frage, wo er nun seinen ständigen Wohnsitz hat und welche Staatsbürgerschaft er besitzt. Ich weiß nur, dass der Verleger des Buches mit ihm in ständiger Verbindung ist und er ganz offensichtlich in Israel wohnhaft ist. Ob er – wie so viele Israelis – über einen zweiten Wohnsitz verfügt, entzieht sich meiner Kenntnis und ist mir – ganz offen gesagt – auch völlig gleichgültig.

Wie gesagt, mich interessieren biografische und geografische Details nicht, mich interessiert die absolut zutreffende Schilderung der brutalen israelischen Politik gegenüber dem palästinensischen Volk. Und damit hat Israel Shamir absolut Recht.

 MM: Wie sieht Ihre Idealvorstellung für das Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen im für alle drei Religionen Heiligen Land aus und glauben Sie, dass sie realisierbar ist?

Edlinger: In diesem Zusammenhang noch ein letztes Wort zu Israel Shamir: Er provoziert die Zionisten auch deshalb so sehr, da er ein vehementer Verfechter der so genannten Einstaatenlösung ist. Er tritt also für einen gemeinsamen Staat der Juden und der Palästinenser ein, übrigens eine alte Forderung der Palästinenser. Dass dieser Staat säkular sein muss, ergibt sich von selbst.

Ich persönlich träume von einem friedlichen Zusammenleben von Muslimen, Juden und Christen im „Heiligen Land“ oder im ehemaligen britischen Völkerbundsmandat „Palästina“, um es mit einem anderen Begriff zu benennen. Jede Religion sollte frei sein, keine sollte die andere beherrschen oder unterdrücken. Es muss also eine absolut freie Religionsausübung garantiert sein, der Zugang zu den religiösen Stätten muss für die Angehörigen jedes Glaubensbekenntnisses frei und ungehindert sein.

Leider zweifle ich an der Realisierbarkeit dieser Vision. Dazu ist in den letzten Jahrzehnten einfach zu viel an Blut geflossen und viel zu viel an Unrecht geschehen. Und, was noch wichtiger ist, es fehlt vor allem einer Seite, nämlich der israelischen, die Einsicht in die Unhaltbarkeit ihrer Grundposition. Solange der moderne Zionismus, der knapp 60 Jahre nach Gründung des Staates Israel, eine ganz merkwürdige Mischung von religiösen Glaubenssätzen und nationalistisch-kolonialistischer Blut-und-Boden-Ideologie repräsentiert, den alleinigen Anspruch auf das „von Gott verheißene Land“ aufrecht erhält, wird es kaum eine Lösung geben können, welche auch die zumindest ebenso berechtigten nationalen und religiösen Ansprüche der Palästinenser berücksichtigt.

Ich befürchte also, der israelisch-palästinensische Konflikt wird noch viele Jahre dauern und wird noch viele, viel zu viele, Opfer kosten.

 MM: Was können Ihrer Meinung nach Österreicher und Deutsche tun, damit der Frieden in der Region etwas näher rückt?

Edlinger: Meine Antwort wird sicherlich manche nicht zufrieden stellen, weil sie keine kurzfristige Perspektive beinhaltet. Also, ich meine, dass wir uns jenen entgegenstellen müssen, die in der „Friedenspolitik“ der letzten Jahre eine Lösung sehen. Diese Politik ist kurzsichtig, in erster Linie an gut verkäuflichen PR-Gags orientiert. Und sie stellt natürlich auch ein einseitiges Diktat des Stärkeren (Israel) und dessen Protektor (USA) dar, d.h. sie berücksichtigt in erster Linie die Interessen der israelischen Seite.

Ich bin davon überzeugt, dass eine wirkliche und dauerhafte Lösung dieses Konfliktes nur dadurch möglich sein wird, auf die historischen Wurzeln zurück zu gehen und die tatsächlichen Konflikte zu benennen und schrittweise Lösungen zu suchen. Dies ist äußerst mühsam, wird mit vielen Schmerzen auf beiden Seiten verbunden sein, und daher sehr lange dauern.

Und wir Österreicher und Deutsche sollten, so wie alle anderen friedensliebenden Menschen Europas, uns an diesem langfristigen Prozess beteiligen. Wir sollten unsere Erfahrungen in Krisenbewältigung und –management einbringen.

MM: Erlauben Sie noch einen Themenwechsel. Wie erleben Sie das Leben von arabischstämmigen Bürgern in Österreich seit dem 11. September, insbesondere die Muslime?

Edlinger: Österreich hat, ich glaube, darauf ist bereits des Öfteren hingewiesen worden, eine europaweit wohl beispielhafte Situation. Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern gibt es seit langem mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft eine allseits anerkannte Vertretung der in Österreich lebenden Muslime. Von ganz wenigen Irritationen abgesehen, hat es nach dem 11. September keine negative Entwicklungen gegeben. Dies war meiner Meinung nach vor allem auf eine sehr vorsichtige und verantwortungsbewusste Vorgangsweise aller Seiten zurück zu führen. Natürlich gibt es immer wieder radikale Minderheitenpositionen sowohl innerhalb der österreichischen Muslime als auch bei rechten politischen Parteien, dies hat aber im Großen und Ganzen keinen besonderen negativen Einfluss auf die in Österreich lebenden nationalen und religiösen Minderheiten. 

MM: Offensichtlich haben Österreicher weniger Angst vor Kopftuch tragenden Frauen, auch in der Schule. Kann Europa also vom kleinen Österreich lernen?

Edlinger: Ich glaube schon!

MM: Herr Edlinger, wir danken für das Interview.

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