Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Gudrun Harrer
 

Muslim-Markt interviewt 
Gudrun Harrer, Leiterin des außenpolitischen Ressorts der österreichischen Tageszeitung „Der Standard

7.7.2005

Gudrun Harrer (Jahrgang 1959) ist in Schwanenstadt in Oberösterreich geboren. Nach dem Abitur studierte sie zuerst Musik in Detmold und Mailand und ab 1986 Arabistik und Islamwissenschaften an der Universität Wien, welches sie 1992 mit Magisterium abschloss.

Derzeit schreibt sie an ihrer Doktorarbeit in Politikwissenschaften über das irakische Atomprogramm und dessen Abrüstung durch die Internationale Atomenergiebehörde, wobei sie auch früher schon als Autorin in Erscheinung getreten ist (siehe Links). Frau Harrer ist seit Beginn der 90-er Jahre freie Journalistin, ab 1993 im außenpolitischen Ressort des Standard als Redakteurin angestellt und übernahm 1998 die Leitung des Ressorts. Durch den akademischen Hintergrund folgte die Spezialisierung auf die arabische und islamische Welt. Sie führte zahlreiche Reisen in die islamische Region durch und führte Interviews mit wichtigen Persönlichkeiten (z.B. Präsident Mohammed Khatami, Präsident Bashar al-Assad und vielen anderen). Als Lektorin für Moderne Arabische Geschichte an der Universität Wien wird Ihr Rat auch als Expertin außerhalb des Journalismus gesucht. Frau Harrer ist nicht verheiratet und hat keine Kinder.

MM: Sehr geehrte Frau Harrer, was führt eine Musikstudentin zu Arabistik und Islamwissenschaften?

Harrer: Am Anfang war es eher ein rein linguistisches Interesse, ich hatte während meines Musikstudiums immer Sprachen gelernt und war dabei auch in "exotische" Bereiche vorgedrungen. Als ich über ein zweites Studium nachdachte, war dann Arabistik für mich irgendwie nahe liegend: politisch interessant, eine große Kultur dahinter, nicht gerade ein Mainstream-Studium.

MM: Konnten Sie diese Studienerkenntnisse auch praktisch nutzen, führen Sie z.B. Ihre Interviews in der arabischen Welt ohne Dolmetscher?

Harrer: Nein, mein gesprochenes Arabisch war nie besonders gut, und es ist über die Zeit noch schwächer geworden, weil ich mich nie so richtig aufraffen konnte, es zu praktizieren. Viele Interviews mit Offiziellen finden auf Englisch statt, und das ist nicht schlecht, da herrscht sozusagen Waffengleichheit, ich mache ja auch manchmal politisch sehr brisante Interviews. Aber dass ich ständig von meinem Studium profitiere, liegt auf der Hand - nicht nur durch die Sprache, vor allem das Wissen um kulturelle Hintergründe ist wichtig.

MM: Bei den außenpolitischen Berichten Ihrer Zeitung "der Standard" fällt für den Beobachter aus Deutschland auf, dass sowohl Ihre Zeitung als auch die Zeitungen in Österreich im Allgemeinen eine viel differenziertere Sichtweise der islamischen Welt pflegen, als wir es von Deutschland kennen. Sind Journalisten in Österreich freier?

Harrer: Danke für das Lob. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir "freier" sind. Wahrscheinlich ist es einfach so, dass dadurch, dass es in Deutschland so viel mehr Zeitungen gibt, auch der qualitativ mittlere Sektor massiver daherkommt. Und vielleicht - beweisen kann ich das nicht - gibt es wirklich weniger Spannungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in der österreichischen Gesellschaft, was uns einen entspannteren Blick auf die islamische Welt erlaubt. Medien sind ja nichts anderes als ein Spiegel der Gesellschaft.

MM: Insbesondere bei der jüngsten Berichterstattung über die Präsidentschaftswahlen im Iran hat "der Standard" durch teilweise sehr ausführliche Berichte und auch das Einbinden geeigneter Expertenmeinungen ein teilweise völlig anderes Bild der Geschehnisse wiedergegeben, als die so genannte Main-Stream-Presse. Haben Sie einen besseren Zugang zu der iranischen Bevölkerung?

Harrer: Eine differenzierte Iran-Berichterstattung ist mir persönlich ein großes Anliegen. Ich finde den Iran ein ungemein spannendes, vielschichtiges Land mit einer großen Kultur und großartigen Menschen. Ich interessiere mich auch sehr für die Schia mit ihrer großen intellektuellen und spirituellen Vielfalt. Es ist ganz furchtbar, was da die jahrelange US-Propaganda in den westlichen Köpfen bewirkt hat, diese antischiitische Stimmung. Was nicht heißen soll, dass ich die Probleme verharmlosen will, die es gibt. Aber man muss sie analysieren, auch kritisieren, aber gewiss nicht dämonisieren. Selbstverständlich ist es hilfreich, wenn man, wie ich, Freunde im Iran hat. Ich würde aber auch nicht den Dialog mit iranischen Offiziellen missen wollen, auch da lernt man, dass es schwarz-weiß nicht gibt auf dieser Welt. Und dann habe ich noch das Glück, dass ich durch meinen Hintergrund weiß, wen ich in der akademischen Welt - übrigens auch in den USA, die haben ganz hervorragende Leute - anrufen kann, wenn ich etwas mehr in die Tiefe gehen will.

MM: Und wie ertragen Sie das Kopftuch auf Ihrem Haupt, wenn Sie in das Land reisen?

Harrer: Freuen tut es mich nicht - ich bin noch dazu leicht schwerhörig, und bedeckte Ohren sind da absolut kontraproduktiv! -, aber es regt mich auch nicht besonders auf. Ich habe überhaupt ein Verhältnis zum Kopftuch, das ich als unaufgeregt bezeichnen würde. Übrigens hat sich Präsident Khatami bei mir einmal quasi entschuldigt, dass ich es im Iran tragen muss, er sagte ausdrücklich, das ist ein iranisches Gesetz, im Islam gibt es nichts, was eine Nichtmuslimin zum Tragen eines Kopftuchs verpflichten könnte.

MM: Während man bei vielen "westlichen" Journalisten das Gefühl hat, bewusst oder unbewusst Schreiber des "Clash of Cultures" zu sein, erweckt der Standard den Eindruck dem "Dialog der Kulturen" verschrieben zu sein. Ist das eine redaktionelle Vorgabe oder wie kommt es zu solch einer Einstellung?

Harrer: Zur Blattlinie des Standard gehört ausdrücklich die "Toleranz gegenüber allen ethnischen und religiösen Gemeinschaften" (wobei ich persönlich über das Wort "Toleranz" gar nicht so glücklich bin), aber ich nehme an, so etwas haben viele Zeitungen in ihrer Blattphilosophie stehen. Aber es wird schon ernst genommen bei uns, Hetze oder ähnliches würde im Blatt nicht geduldet. Trotzdem muss ich sagen, dass das wichtigste Wort für mich "Qualität" ist. Es ist völlig egal, ob ich nun den neuen iranischen Präsidenten gut finde oder nicht, er verdient eine seriöse Analyse. Das gleiche gilt für das ganze iranische System. Qualität ist per se Differenziertheit, dadurch dient sie wiederum dem Verständnis und wirkt deeskalierend - und dem Dialog. Da gibt es dann keinen "Jetzt zeigt der Iran sein wahres Gesicht"-Unfug.

MM: Wie schätzen Sie den Einfluss der aus westlicher Sicht teils widersprüchlich wirkenden Entwicklungen im Iran auf die muslimische Welt ein?

Harrer: Das ist im Moment noch schwer einzuschätzen, weil wir ja noch nicht wissen, ob und was sich mit dem neuen Präsidenten ändert. Die Reaktion bei manchen meiner arabischen Freunde enthielt ein gewisses Maß an Schadenfreude - gegen die Amerikaner gerichtet, weil die iranischen Wähler ihren eigenen Weg gegangen sind und darauf gepfiffen haben, was die US-Regierung von ihnen denkt. Das kommt gut an auf der arabischen Straße. Sonst glaube ich eher, dass momentan in der sunnitischen Welt ein gewisses antischiitisches Misstrauen da ist, angesichts der Machtübernahme, wenn man das so nennen kann, der Schiiten im Irak.

MM: Sie selbst gelten - auch ausgehend von Ihrer Buchveröffentlichung zur Irak-Besatzung - als US-kritische Journalistin. Welche Verantwortung tragen Ihrer Meinung nach Journalisten für den Frieden in der Welt?

Harrer: Ich stehe natürlich zu meiner Kritik an der Nahost-Politik der USA, leider hatten wir ja recht mit unseren Zweifeln, trotzdem ist das "US-kritisch" viel zu kurz gegriffen. Die Sache ist komplizierter, ich bin nicht so leicht zuzuordnen - und zu vereinnahmen. Das macht manchmal sehr einsam. Mit der Verantwortung für den Frieden in der Welt tue ich mir schwer, ehrlich gesagt. Ich kann immer gerade nur die Verantwortung dafür übernehmen, was ich schreibe, dass ich es im Moment nach bestem Wissen und Gewissen mache... wobei bestes Wissen und Gewissen eben leider auch nicht immer ausreichen, und dann macht man Fehler.

MM: Haben Sie auch Beziehungen zu Muslimen in Österreich?

Harrer: Ja, selbstverständlich. Aber ich muss folgendes dazusagen: Ich bin selbst überhaupt nicht religiös, und dadurch habe ich keine engen religiösen Freunde und Freundinnen, weder Juden, Christen, Muslime oder sonst etwas. Ich glaube, das ist die Trennlinie. Wenn man selbst nicht religiös ist, ist es schwer, mit dem religiösen Weltbild eines anderen zu leben. Darum: Meine mir wirklich sehr nahestehenden Freunde aus der arabischen und islamischen Welt sind durchwegs nicht religiös. Ihren kulturellen Hintergrund erlebe ich als große Bereicherung - bestimmt auch, weil er mich beruflich interessiert.

MM: Hätten Sie denn gerne auch Kontakt zu "religiösen", nicht nur beruflich?

Harrer: Moment, das ist ein Missverständnis: Ich habe offenen freundschaftlichen privaten Kontakt zu religiösen Menschen. Aber meine besten Freunde sind eben nicht religiös, so wie ich.

MM: Und was interessiert eine sich selbst als "unreligiös" bezeichnenden Frau an der spirituellen Vielfalt der Schia?

Harrer: Erstens kann man sehr wohl ein akademisches Interesse an etwas haben, an das man nicht "glaubt", und dafür Faszination und Bewunderung verspüren. Aber zweitens: Ihre Frage enthält auch schon die Antwort, das Wort Spiritualität. Wenn ich nicht an eine allein seligmachende Religion, welche auch immer, glaube, dann heißt das nicht, dass ich gar nichts mit dem, was über den Religionen steht, eben der Spiritualität, anfangen kann. Und ich meine, dass die Schia da eben sehr viele Wege offen hält.

MM: Abschließende Frage: Können Sie sich vorstellen, dass der Leser dieses Interviews, der sie nicht persönlich kennt, etwas verwirrt sein könnte über die Aspekte einer Person, die teilweise widersprüchlich wirken?

Harrer: Widersprüchlich wird das vielleicht auf jemanden wirken, der bestimmte Eigenschaften bestimmten Menschentypen zuordnet. Es ist übrigens auch eine Art von Diskriminierung, wenn gewisse Werte nur religiösen Personen zugestanden werden. Das ist ja eines meiner Probleme mit den Religionen: Dass sie ihre Anhänger eben doch für die besseren Menschen halten, die Anteil an "der Wahrheit" haben. Meine Wahrheit, wenn Sie so wollen, ist der Humanismus, und in seinem Sinne verstehe, respektiere und verteidige ich Religion als ein zutiefst menschliches Phänomen.

MM: Frau Harrer wir danken Ihnen für das Interview.

 

Links zum Thema

 

Nachtrag vom 27.7.2005

Am 23/24. Juli 2005 vermeldete der Standard:

... Die Nahostkompetenz des STANDARD fällt über die Grenzen hinaus auf: Außenpolitik-Ressortchefin Gudrun Harrer hat soeben von den Vereinten Nationen ein hochrangiges Angebot im Büro für Politische Angelegenheiten der Irak-Mission UNAMI (U.N. Assistance Mission for Iraq) bekommen – und ausgeschlagen. In Österreich wurde sie kürzlich von 25 vom Branchenmagazin "Extradienst" beauftragten Chefredakteuren zur zweitbesten Journalistin des Landes gewählt ...

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