MM: Sehr geehrte Frau Harrer, was führt eine
Musikstudentin zu Arabistik und Islamwissenschaften?
Harrer: Am Anfang war es eher ein rein
linguistisches Interesse, ich hatte während meines Musikstudiums immer
Sprachen gelernt und war dabei auch in "exotische" Bereiche vorgedrungen.
Als ich über ein zweites Studium nachdachte, war dann Arabistik für mich
irgendwie nahe liegend: politisch interessant, eine große Kultur dahinter,
nicht gerade ein Mainstream-Studium.
MM: Konnten Sie diese Studienerkenntnisse
auch praktisch nutzen, führen Sie z.B. Ihre Interviews in der arabischen
Welt ohne Dolmetscher?
Harrer: Nein, mein gesprochenes Arabisch war
nie besonders gut, und es ist über die Zeit noch schwächer geworden, weil
ich mich nie so richtig aufraffen konnte, es zu praktizieren. Viele
Interviews mit Offiziellen finden auf Englisch statt, und das ist nicht
schlecht, da herrscht sozusagen Waffengleichheit, ich mache ja auch manchmal
politisch sehr brisante Interviews. Aber dass ich ständig von meinem Studium
profitiere, liegt auf der Hand - nicht nur durch die Sprache, vor allem das
Wissen um kulturelle Hintergründe ist wichtig.
MM: Bei den außenpolitischen Berichten Ihrer
Zeitung "der Standard" fällt für den Beobachter aus Deutschland auf, dass
sowohl Ihre Zeitung als auch die Zeitungen in Österreich im Allgemeinen eine
viel differenziertere Sichtweise der islamischen Welt pflegen, als wir es
von Deutschland kennen. Sind Journalisten in Österreich freier?
Harrer: Danke für das Lob. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass wir "freier" sind. Wahrscheinlich ist es einfach so,
dass dadurch, dass es in Deutschland so viel mehr Zeitungen gibt, auch der
qualitativ mittlere Sektor massiver daherkommt. Und vielleicht - beweisen
kann ich das nicht - gibt es wirklich weniger Spannungen zwischen Muslimen
und Nichtmuslimen in der österreichischen Gesellschaft, was uns einen
entspannteren Blick auf die islamische Welt erlaubt. Medien sind ja nichts
anderes als ein Spiegel der Gesellschaft.
MM: Insbesondere bei der jüngsten
Berichterstattung über die Präsidentschaftswahlen im Iran hat "der Standard"
durch teilweise sehr ausführliche Berichte und auch das Einbinden geeigneter
Expertenmeinungen ein teilweise völlig anderes Bild der Geschehnisse
wiedergegeben, als die so genannte Main-Stream-Presse. Haben Sie einen
besseren Zugang zu der iranischen Bevölkerung?
Harrer: Eine differenzierte
Iran-Berichterstattung ist mir persönlich ein großes Anliegen. Ich finde den
Iran ein ungemein spannendes, vielschichtiges Land mit einer großen Kultur
und großartigen Menschen. Ich interessiere mich auch sehr für die Schia mit
ihrer großen intellektuellen und spirituellen Vielfalt. Es ist ganz
furchtbar, was da die jahrelange US-Propaganda in den westlichen Köpfen
bewirkt hat, diese antischiitische Stimmung. Was nicht heißen soll, dass ich
die Probleme verharmlosen will, die es gibt. Aber man muss sie analysieren,
auch kritisieren, aber gewiss nicht dämonisieren. Selbstverständlich ist es
hilfreich, wenn man, wie ich, Freunde im Iran hat. Ich würde aber auch nicht
den Dialog mit iranischen Offiziellen missen wollen, auch da lernt man, dass
es schwarz-weiß nicht gibt auf dieser Welt. Und dann habe ich noch das
Glück, dass ich durch meinen Hintergrund weiß, wen ich in der akademischen
Welt - übrigens auch in den USA, die haben ganz hervorragende Leute -
anrufen kann, wenn ich etwas mehr in die Tiefe gehen will.
MM: Und wie ertragen Sie das Kopftuch auf
Ihrem Haupt, wenn Sie in das Land reisen?
Harrer: Freuen tut es mich nicht - ich bin
noch dazu leicht schwerhörig, und bedeckte Ohren sind da absolut
kontraproduktiv! -, aber es regt mich auch nicht besonders auf. Ich habe
überhaupt ein Verhältnis zum Kopftuch, das ich als unaufgeregt bezeichnen
würde. Übrigens hat sich Präsident Khatami bei mir einmal quasi
entschuldigt, dass ich es im Iran tragen muss, er sagte ausdrücklich, das
ist ein iranisches Gesetz, im Islam gibt es nichts, was eine Nichtmuslimin
zum Tragen eines Kopftuchs verpflichten könnte.
MM: Während man bei vielen "westlichen"
Journalisten das Gefühl hat, bewusst oder unbewusst Schreiber des "Clash of
Cultures" zu sein, erweckt der Standard den Eindruck dem "Dialog der
Kulturen" verschrieben zu sein. Ist das eine redaktionelle Vorgabe oder wie
kommt es zu solch einer Einstellung?
Harrer: Zur Blattlinie des Standard gehört
ausdrücklich die "Toleranz gegenüber allen ethnischen und religiösen
Gemeinschaften" (wobei ich persönlich über das Wort "Toleranz" gar nicht so
glücklich bin), aber ich nehme an, so etwas haben viele Zeitungen in ihrer
Blattphilosophie stehen. Aber es wird schon ernst genommen bei uns, Hetze
oder ähnliches würde im Blatt nicht geduldet. Trotzdem muss ich sagen, dass
das wichtigste Wort für mich "Qualität" ist. Es ist völlig egal, ob ich nun
den neuen iranischen Präsidenten gut finde oder nicht, er verdient eine
seriöse Analyse. Das gleiche gilt für das ganze iranische System. Qualität
ist per se Differenziertheit, dadurch dient sie wiederum dem Verständnis und
wirkt deeskalierend - und dem Dialog. Da gibt es dann keinen "Jetzt zeigt
der Iran sein wahres Gesicht"-Unfug.
MM: Wie schätzen Sie den Einfluss der aus
westlicher Sicht teils widersprüchlich wirkenden Entwicklungen im Iran auf
die muslimische Welt ein?
Harrer: Das ist im Moment noch schwer
einzuschätzen, weil wir ja noch nicht wissen, ob und was sich mit dem neuen
Präsidenten ändert. Die Reaktion bei manchen meiner arabischen Freunde
enthielt ein gewisses Maß an Schadenfreude - gegen die Amerikaner gerichtet,
weil die iranischen Wähler ihren eigenen Weg gegangen sind und darauf
gepfiffen haben, was die US-Regierung von ihnen denkt. Das kommt gut an auf
der arabischen Straße. Sonst glaube ich eher, dass momentan in der
sunnitischen Welt ein gewisses antischiitisches Misstrauen da ist,
angesichts der Machtübernahme, wenn man das so nennen kann, der Schiiten im
Irak.
MM: Sie selbst gelten - auch ausgehend von
Ihrer Buchveröffentlichung zur Irak-Besatzung - als US-kritische
Journalistin. Welche Verantwortung tragen Ihrer Meinung nach Journalisten
für den Frieden in der Welt?
Harrer: Ich stehe natürlich zu meiner Kritik
an der Nahost-Politik der USA, leider hatten wir ja recht mit unseren
Zweifeln, trotzdem ist das "US-kritisch" viel zu kurz gegriffen. Die Sache
ist komplizierter, ich bin nicht so leicht zuzuordnen - und zu vereinnahmen.
Das macht manchmal sehr einsam. Mit der Verantwortung für den Frieden in der
Welt tue ich mir schwer, ehrlich gesagt. Ich kann immer gerade nur die
Verantwortung dafür übernehmen, was ich schreibe, dass ich es im Moment nach
bestem Wissen und Gewissen mache... wobei bestes Wissen und Gewissen eben
leider auch nicht immer ausreichen, und dann macht man Fehler.
MM: Haben Sie auch Beziehungen zu Muslimen
in Österreich?
Harrer: Ja, selbstverständlich. Aber ich
muss folgendes dazusagen: Ich bin selbst überhaupt nicht religiös, und
dadurch habe ich keine engen religiösen Freunde und Freundinnen, weder
Juden, Christen, Muslime oder sonst etwas. Ich glaube, das ist die
Trennlinie. Wenn man selbst nicht religiös ist, ist es schwer, mit dem
religiösen Weltbild eines anderen zu leben. Darum: Meine mir wirklich sehr
nahestehenden Freunde aus der arabischen und islamischen Welt sind durchwegs
nicht religiös. Ihren kulturellen Hintergrund erlebe ich als große
Bereicherung - bestimmt auch, weil er mich beruflich interessiert.
MM: Hätten Sie denn gerne auch Kontakt zu
"religiösen", nicht nur beruflich?
Harrer: Moment, das ist ein Missverständnis:
Ich habe offenen freundschaftlichen privaten Kontakt zu religiösen Menschen.
Aber meine besten Freunde sind eben nicht religiös, so wie ich.
MM: Und was interessiert eine sich selbst
als "unreligiös" bezeichnenden Frau an der spirituellen Vielfalt der Schia?
Harrer: Erstens kann man sehr wohl ein
akademisches Interesse an etwas haben, an das man nicht "glaubt", und dafür
Faszination und Bewunderung verspüren. Aber zweitens: Ihre Frage enthält
auch schon die Antwort, das Wort Spiritualität. Wenn ich nicht an eine
allein seligmachende Religion, welche auch immer, glaube, dann heißt das
nicht, dass ich gar nichts mit dem, was über den Religionen steht, eben der
Spiritualität, anfangen kann. Und ich meine, dass die Schia da eben sehr
viele Wege offen hält.
MM: Abschließende Frage: Können Sie sich
vorstellen, dass der Leser dieses Interviews, der sie nicht persönlich
kennt, etwas verwirrt sein könnte über die Aspekte einer Person, die
teilweise widersprüchlich wirken?
Harrer: Widersprüchlich wird das vielleicht
auf jemanden wirken, der bestimmte Eigenschaften bestimmten Menschentypen
zuordnet. Es ist übrigens auch eine Art von Diskriminierung, wenn gewisse
Werte nur religiösen Personen zugestanden werden. Das ist ja eines meiner
Probleme mit den Religionen: Dass sie ihre Anhänger eben doch für die
besseren Menschen halten, die Anteil an "der Wahrheit" haben. Meine
Wahrheit, wenn Sie so wollen, ist der Humanismus, und in seinem Sinne
verstehe, respektiere und verteidige ich Religion als ein zutiefst
menschliches Phänomen.
MM: Frau Harrer wir danken Ihnen für das
Interview.
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