MM: Sehr geehrter Hudschat-ul-Islam Muhammad
Waldmann. Wahrscheinlich sind Sie der erste oder zumindest einer der ersten
ausgebildeten islamischen Gelehrten österreichischer Herkunft. Wie verträgt
es sich als Österreicher Turbanträger zu sein?
Waldman: Im Namen Gottes. Einen Turban zu
tragen ist sicherlich noch nicht etwas besonders, den Turban aber als
muslimischer Geistlicher zu tragen ist aber gewiss für einen Österreicher
keine selbstverständliche Sache. Bei der Entscheidung, die Geistlichentracht
zu tragen oder nicht, ging es mir nicht darum, eine extravagante Kleidung zu
tragen, um dadurch Aufsehen zu erregen, sondern das Erste, das mir durch den
Kopf gegangen ist, war die Verantwortung, die mit dem Tragen dieser Kleidung
einhergeht. Als Geistlicher repräsentiert man gewisser Maßen den Islam und
das ist sicherlich keine einfache Sache. Es hängt also nicht so sehr davon
ab, ob man Österreicher oder nicht Österreicher ist, sondern davon, ob man
der Geistlichentracht würdig ist oder nicht, und da habe ich bei mir
sicherlich noch die größten Zweifel. Ansonsten bedarf es sicherlich keiner
allzu großen Verträglichkeit. Ich kenne viele muslimische Brüder aus
westlichen wie östlichen Ländern, die als Geistliche auch die
Geistlichentracht tragen und somit einer langen Tradition von Geistlichen
folgen.
MM: Die Konversion eines Österreichers zum
Islam ist ja bereits etwas Besonderes, was hat Sie aber dazu bewegt, die
islamische Gelehrtenlaufbahn einzuschlagen und noch dazu im Iran studieren
zu wollen?
Waldmann: Als ich 1982 zum Islam
konvertierte, empfand ich einen sehr starken inneren Drang, den Islam näher
kennen zu lernen. Ich wollte die Religion, der ich mich nun angeschlossen
hatte, tief und genau kennen lernen. Als ich mich erkundigte, wo man den
Islam studieren kann, wurde mir das theologische Institut in Qom empfohlen.
Ich machte mich noch im selben Jahr auf nach Qom, um das Islamstudium zu
beginnen.
MM: Wie wurden sie an der religiösen
Hochschule in Qum aufgenommen? Ist die Hochschule überhaupt darauf
vorbereitet Muslime mit westeuropäischer Herkunft auszubilden?
Waldmann: Natürlich war die Situation zu der
damaligen Zeit noch viel anders als heute. Man darf sich das, was man unter
der theologischen Fakultät in Qom versteht, nicht als einheitliche
Institution vorstellen. Es handelt sich vielmehr um ein System von
verschiedenen theologischen Schulen. 1982 das sind 3 Jahre nach dem Sieg der
islamischen Revolution und zwei Jahre nach dem Angriff von Saddam Hussein
auf den Iran. Es gab damals oft täglich Luftangriffe und vieles war noch im
Aufbau begriffen. Auch der Unterricht für westeuropäische Studenten war
damals noch im Aufbau. Seit dem hat sich viel getan. Auch der Unterricht in
den theologischen Schulen der iranischen Studenten hat sich stark verändert.
Damals gab es praktisch nur die Ausbildung zu einem Mudschtahid. Heute aber
gibt es neben dieser Ausbildung unzählige Fachrichtungen, in denen die
Theologiestudenten eine Fachausbildung machen können. Auch der Unterricht
für Studenten westlicher Herkunft, hat sich stark verändert. So ist es in
den letzten Jahren zu einer drastischen Verbesserung des Studiums gekommen,
wodurch das Studium den jeweiligen Anforderungen der Studenten angepasst
wurde.
MM: Wie muss man sich das Grundstudium und
die weiterführenden Studien in der religiösen Hochschule in Qum vorstellen?
Waldmann: Wie gesagt gibt es heute zwei
verschiedene Möglichkeiten als Geistlicher zu studieren. Die eine
Möglichkeit ist die Ausbildung zum Mudschtahid. Dabei handelt es sich um ein
sehr langwieriges Studium, bei dem man nach rund 8 bis 10 Jahren die
Vorstudien absolviert hat und sich als Mudschtahid, dem Studium der
islamischen Quellen widmet. Die Ausbildung zum Mudschtahid sieht
folgendermaßen aus:
1. zwei Jahre arabische Grammatik
2. Studium der Regeln, die man bei der Ableitung der islamischen
Bestimmungen von den islamischen Quellen beachten muss.
3. Einführende Studien in die islamische Rechtswissenschaft (Al-Fiqh).
4. Studium der wichtigsten alten Texte der islamischen Rechtswissenschaft.
5. Studium bei einem praktizierenden Mudschtahid, der bei seinem
Unterricht die jeweilige Begründung für seine Gesetzesableitung anführt.
Dabei muss er eventuelle Einwände anderer Mudschtahids widerlegen und
seine Argumente beweiskräftig darlegen.
Damit ist das Grundstudium absolviert und der
ausgebildete Theologe erlangt durch das absolvierte Studium die Fähigkeit,
die Gesetz und Vorschriften des Islam aus den islamischen Quellen
abzuleiten.
6. die Untersuchung der islamischen Quellen
(hauptsächlich Koran und Überlieferungen) um aus ihnen die islamischen
Bestimmungen abzuleiten. (Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Quellen
der islamischen Überlieferungen sehr umfangreich sind. Eine der
umfangreichsten umfasst 110 Bände.)
Neben der Ausbildung zum Mudschtahid, kann man aber
auch eine Ausbildung in verschiedenen islamischen Fachrichtungen machen.
Dieses Studium gleicht heutzutage sehr stark dem Studium an einer
Universität. Hier gibt es verschiedene Spezialfächer wie z.B. islamische
Philosophie, islamische Geschichte, islamische Soziologie, Koran und
Hadithwissenschaft, islamische Wirtschaft, islamische Psychologie,
islamische Theologie usw. Das Grundstudium bei dieser Ausbildung ist aber
auch die arabische Sprache, besonders natürlich deren Grammatik. Daneben
haben die Studenten auch verschiedene Fächer des herkömmlichen Studiums zu
absolvieren.
MM: In wie weit sehen Sie Möglichkeiten ihr
erworbenes Wissen in Österreich anzuwenden und welche Bereitschaft sehen sie
in Österreich zu einem aufrichtigen Dialog?
Waldmann: Natürlich besteht die Möglichkeit,
mein Wissen in Österreich anzuwenden. Diese Möglichkeit besteht in erster
Linie sicherlich unter den Muslimen aber auch innerhalb der Bevölkerung an
sich. Ich finde, dass die Bereitschaft zu einem aufrichtigen Dialog
innerhalb der Bevölkerung sehr groß ist. Sicherlich hat es in der letzten
Zeit immer wieder Ereignisse gegeben, die einem Dialog gegenüber hinderlich
sind. Diese Ereignisse sind zum größten Teil die Terroranschläge gegen
westliche Einrichtungen und die militärischen Angriffe der USA auf
Afghanistan und den Irak. Dabei ist natürlich zu sagen, dass sich auf der
einen Seite die Muslime (ich möchte hier die Angehörige von
Terrororganisationen wie der Al-Qaidah nicht als Nichtmuslime bezeichnen,
ihnen aber ein islamisches Verhalten absprechen) von jeglichen
Terroranschlägen öffentlich und offiziell distanzieren. Auf der anderen
Seite ist auch zu sagen, dass der Großteil der westlichen Bevölkerung, wie
auch die österreichische Bevölkerung, gegen die militärischen Angriffe der
USA steht. Doch obwohl dies der Fall ist, stellen diese Ereignisse
wahrscheinlich das größte Hindernis dar, mit dem der Dialog zwischen der
westlichen Bevölkerung und den Muslimen konfrontiert ist.
Ich glaube, dass in diesem Zusammenhang noch viel
Aufklärungsarbeit geleistet werden muss, damit ein vorurteilsloser Dialog
stattfinden kann.
MM: Während es - wenn auch wenige -
Touristen aus dem Iran in Österreich gibt, besuchen noch viel weniger
Österreicher den Iran. Würden Sie Ihren Landsleuten eine Besichtigungsreise
in den Iran empfehlen?
Waldmann: In den letzten Jahren hat sich die
Besucherzahl österreichischer wie auch deutscher Touristen in den Iran, so
meine ich, doch stark erhöht. Ich glaube, den Iran aus der Nähe zu
besichtigen, kann den Menschen aus westlichen Kreisen einen viel tieferen
Eindruck bieten, als das noch so viele Zeitungs- und Filmberichte zu tun
vermögen. Im Iran gibt es sowohl viele Sehenswürdigkeiten als auch eine
islamisch-schiitische Kultur, die den Menschen trotz des großen
Informationsaustausches der letzten Jahrzehnte noch immer fremd ist. Durch
einen Besuch des Irans ist es den Menschen möglich, beides kennen zu lernen.
Ich kann meinen Landsleuten einen Besuch im Iran
nur empfehlen.
MM: Zunehmend wird darüber diskutiert,
islamische Gelehrte in dem jeweiligen Land, in dem Sie wirken wollen,
auszubilden, also in Ihrem Fall in Österreich. Glauben Sie das ist
realistisch?
Waldmann: Ich glaube, wenn man wirklich
ernsthaft daran interessiert ist, die Muslime als einen Teil der westlichen
Gesellschaft zu akzeptieren und ihnen einen gesellschaftlichen Rang
einzugestehen, kann man ihnen keine Zensur in der Religion aufzwingen.
Muslimische Gelehrte im westen auszubilden würde soviel bedeuten, wie
Gelehrte des Vatikan nur in muslimischen Ländern auszubilden. Ich kann mir
kaum vorstellen, dass eine christliche Gemeinschaft einen Geistlichen
akzeptieren würde, der in einem muslimischen Land ausgebildet wurde.
In der heutigen Zeit gibt es keine wirklichen
Zentren im Westen, die von muslimischer Seite als Ausbildungszentren für
muslimische Geistliche akzeptiert werden könnte. Aus diesem Grund meine ich,
dass es nicht viel Sinn hat, muslimische Geistliche im Westen auszubilden.
Ich meine vielmehr, dass es sinnvoller ist, ein besseres und tieferes
Verständnis dem Islam gegenüber anzustreben.
Die Verbreitung des Islam durch Geistliche, die im
Westen ausgebildet wurden, würde sicherlich nur zur Bestärkung der
Taliban-Geistlichen beitragen, denn diese können sich dann als die wahren
Geistlichen profilieren.
Natürlich sollte man die Verbreitung
terroristischer Theorien, wie die der Taliban, verhindern. Dabei ist
natürlich zu sagen, dass die ersten Opfer des Taliban-Terrors die Muslime
waren und das zu einer Zeit, in der es niemanden unter den westlichen
Verantwortlichen gestört hat, dass tagtäglich Muslime vom Taliban-Regime in
Afghanistan gefoltert und ermordet wurden. Zu dieser Zeit haben viele
westliche Regierungen die besten Beziehungen zu diesem Regime gepflegt.
Der Islam verurteilt das Töten unschuldiger
Menschen, ob Christen, Juden, Muslime sowie jeglicher anderer Überzeugung
auf das Strikteste. Der Islam fördert den Dialog unter den Völkern und das
friedliche Zusammenleben der Menschen in aller Welt. In diesem Sinn braucht
man im Westen keine Angst vor der Verbreitung des Islam haben.
Natürlich streben auch wir Muslime eine Verbreitung
des Islam in deutscher Sprache an. Somit wäre eine der Möglichkeiten,
islamischen Gelehrten in die deutsche Sprache zu lehren und sie dadurch bei
ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Somit wäre es sicherlich möglich,
nachzuvollziehen, was in den Moscheen gelehrt und gepredigt wird.
Die Predigten aber ganz auf die deutsche Sprache zu
beschränken ist sicherlich auch nicht möglich, denn viele Muslime der ersten
Generation von Gastarbeitern sprechen nur wenig Deutsch. Die Predigten und
Ansprachen auf Deutsch einzuschränken würde bedeuten, diese Generation
auszugrenzen. Damit wären sie sicherlich den, von den Taliban verbreiteten
Lehren ausgeliefert, ohne dass sie jemand darüber aufklärt, dass diese
Lehren zum Großteil nicht mit dem Islam übereinstimmen.
MM: Einem zunehmend bedrohlicher werdenden
Kampf der Kulturen wird der Dialog der Kulturen gegenüber gestellt. Glauben
Sie, dass der Dialog aufrichtig geführt werden kann und Missverständnisse
abbauen helfen kann?
Waldmann: Ich bin der Überzeugung, dass ein
Kampf der Kulturen nur zur Vernichtung der Kulturen beiträgt. Ich verstehe
nicht, dass man zwar immer von einer gewissen Toleranz spricht, dass man
aber im Westen nur die westliche Kultur akzeptiert. Alles was außerhalb des
Rahmens der westlichen Kultur steht, wird völlig abgelehnt. Dabei meine ich,
dass die Menschen im Westen viel toleranter als die Medien sind. Viele
Menschen sind bereit, andere Kulturen als solche zu akzeptieren, auch wenn
sie nicht westlichen Vorstellungen entsprechen. Ich meine, die verschiedenen
Völker und Kulturen können von einem aufrichtigen Dialog viel lernen und
einen großen Nutzen daraus ziehen.
Darüber hinaus muss man auch die kommende
Entwicklung der westlichen Kultur in Betracht ziehen. Viele westliche Denker
sprechen heute schon von einem moralischen Manko in westlichen
Gesellschaften. Da können die westlichen Kulturen sicherlich viel von den
östlichen, ohne hier eine bestimmte zu erwähnen, profitieren und lernen. Es
wäre sicherlich ein Fehler, Kulturen, von denen man lernen und profitieren
kann, zu bekämpfen.
Ein Kampf der Kulturen ist für mich darüber hinaus
auch eine eigenartige Formulierung. Wenn eine Kultur etwas zu bieten hat,
dann braucht sie eine andere nicht zu bekämpfen. Wir sehen, dass sich im
Laufe der Geschichte zwar Völker immer wieder bekämpft haben, dass die
Verbreitung einer gewissen Kultur aber immer friedlich verlaufen ist. Man
kann eine Kultur keinem anderen Volk durch Gewalt nehmen oder aufzwingen.
MM: Wie schätzen Sie generell die Situation
zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit in
Österreich ein?
Waldmann: Ich glaube, Österreich kann immer
noch die Gelegenheit wahren, um innerhalb der EU Vorbild für ein friedliches
Zusammenleben zwischen Christen, Muslimen und Menschen mit anderer
Überzeugung zu sein. Wenn wir uns die Situation in Österreich vor Augen
halten, dann muss man sowohl den Nichtmuslimen als auch den Muslimen ein
Kompliment machen, da sie es bisher geschafft haben in Respekt und Toleranz
mit einander die Gesellschaft zu gestalten. Dabei hat sicherlich auch der
Österreichische Staat dazu beigetragen, indem er den Islam rechtlich
anerkannt und so den Muslimen in Österreich die Möglichkeit gegeben hat,
ihre Religion auch zu praktizieren. Vielleicht war es gerade diese
Möglichkeit die Religion zu Praktizieren, die viele Probleme erst gar nicht
aufkommen ließ.
MM: Welchen konstruktiven Beitrag kann der
Islam und die Muslime für die österreichische Gesellschaft leisten, so dass
die Mehrheitsgesellschaft die Anwesenheit des Islam begrüßt?
Waldmann: Wir befinden uns im 21.
Jahrhundert. Man spricht davon, dass es das Jahrhundert des
Informationsaustausches ist. Im 21. Jahrhundert wissen die Menschen, was in
den fernsten Gebieten der Erde passiert, wie die Menschen dort leben, welche
Überzeugung sie haben usw. Doch obwohl es zu einer weltweiten Annäherung der
Völker gekommen ist, scheint es, als ob die Kluft zwischen den in Europa
lebenden Muslimen und den Nichtmuslimen noch nie so groß gewesen ist wie
Heute. Hier fehlt es meiner Meinung nach an ausreichendem
Informationsaustausch. Aus diesem Grund finde ich, dass die Muslime
versuchen sollen, diesen Mangel gutzumachen. Wenn die Menschen in Europa
heutzutage wissen, was in Afrika, in der Antarktis, in Sibirien, in Alaska,
am Nordpol usw. vor sich geht, sollten sie auch wissen, was in den Muslimen,
die unter ihnen Leben, die ihre Nachbarn und Mitbürger sind, vor sich geht.
Das Herstellen des notwendigen Informationsaustausches kann in erster Linie
sicherlich von den Muslimen ausgehen. In der Folge liegt es aber sicherlich
auch an der Mehrheitsbevölkerung, das Manko an Informationsaustausch
wettzumachen, indem auch sie die Annäherung zu den Muslimen vertiefen.
Ich kann nur sagen, ich bin sehr zuversichtlich,
dass sich die Beziehung der Mehrheitsbevölkerung zu den Muslimen und
umgekehrt sehr stark verbessern wird. Die Ansätze dazu sind sicherlich schon
zu beobachten, dann die Herzen der Völker scheinen immer einheitlicher zu
schlagen. Das haben die gesellschaftlichen Umwälzungen der letzen Jahre
sicherlich erkennen lassen.
MM: Sehr geerter Hudschat-ul-Islam Muhammad
Waldmann, wir danken Ihnen für das Interview. |