Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Hudschat-ul-Islam Waldmann
 

Muslim-Markt interviewt Hudschat-ul-Islam Muhammad Waldmann - Islamischer Geistlicher österreichischer Herkunft
4.8.2005

Hudschat-ul-Islam Muhammad Waldmann ist 1962 in Österreich (Leoben) geboren und in einer katholischen Familie aufgewachsen. Nach seiner Berufsausbildung konvertierte er 1982 zum Islam. Seither studiert er an der wissenschaftlichen Hochschule in Qom (Iran) Theologie. In 2001 erlang er das Magister der Islamwissenschaft und arbeitet derzeit an einer Habilitation zum Doktor der Koran- und Hadiswissenschaft. Muhammad Waldmann ist verheiratet und hat 2 Kinder.

 

MM: Sehr geehrter Hudschat-ul-Islam Muhammad Waldmann. Wahrscheinlich sind Sie der erste oder zumindest einer der ersten ausgebildeten islamischen Gelehrten österreichischer Herkunft. Wie verträgt es sich als Österreicher Turbanträger zu sein?

Waldman: Im Namen Gottes. Einen Turban zu tragen ist sicherlich noch nicht etwas besonders, den Turban aber als muslimischer Geistlicher zu tragen ist aber gewiss für einen Österreicher keine selbstverständliche Sache. Bei der Entscheidung, die Geistlichentracht zu tragen oder nicht, ging es mir nicht darum, eine extravagante Kleidung zu tragen, um dadurch Aufsehen zu erregen, sondern das Erste, das mir durch den Kopf gegangen ist, war die Verantwortung, die mit dem Tragen dieser Kleidung einhergeht. Als Geistlicher repräsentiert man gewisser Maßen den Islam und das ist sicherlich keine einfache Sache. Es hängt also nicht so sehr davon ab, ob man Österreicher oder nicht Österreicher ist, sondern davon, ob man der Geistlichentracht würdig ist oder nicht, und da habe ich bei mir sicherlich noch die größten Zweifel. Ansonsten bedarf es sicherlich keiner allzu großen Verträglichkeit. Ich kenne viele muslimische Brüder aus westlichen wie östlichen Ländern, die als Geistliche auch die Geistlichentracht tragen und somit einer langen Tradition von Geistlichen folgen.

MM: Die Konversion eines Österreichers zum Islam ist ja bereits etwas Besonderes, was hat Sie aber dazu bewegt, die islamische Gelehrtenlaufbahn einzuschlagen und noch dazu im Iran studieren zu wollen?

Waldmann: Als ich 1982 zum Islam konvertierte, empfand ich einen sehr starken inneren Drang, den Islam näher kennen zu lernen. Ich wollte die Religion, der ich mich nun angeschlossen hatte, tief und genau kennen lernen. Als ich mich erkundigte, wo man den Islam studieren kann, wurde mir das theologische Institut in Qom empfohlen. Ich machte mich noch im selben Jahr auf nach Qom, um das Islamstudium zu beginnen.

MM: Wie wurden sie an der religiösen Hochschule in Qum aufgenommen? Ist die Hochschule überhaupt darauf vorbereitet Muslime mit westeuropäischer Herkunft auszubilden?

Waldmann: Natürlich war die Situation zu der damaligen Zeit noch viel anders als heute. Man darf sich das, was man unter der theologischen Fakultät in Qom versteht, nicht als einheitliche Institution vorstellen. Es handelt sich vielmehr um ein System von verschiedenen theologischen Schulen. 1982 das sind 3 Jahre nach dem Sieg der islamischen Revolution und zwei Jahre nach dem Angriff von Saddam Hussein auf den Iran. Es gab damals oft täglich Luftangriffe und vieles war noch im Aufbau begriffen. Auch der Unterricht für westeuropäische Studenten war damals noch im Aufbau. Seit dem hat sich viel getan. Auch der Unterricht in den theologischen Schulen der iranischen Studenten hat sich stark verändert. Damals gab es praktisch nur die Ausbildung zu einem Mudschtahid. Heute aber gibt es neben dieser Ausbildung unzählige Fachrichtungen, in denen die Theologiestudenten eine Fachausbildung machen können. Auch der Unterricht für Studenten westlicher Herkunft, hat sich stark verändert. So ist es in den letzten Jahren zu einer drastischen Verbesserung des Studiums gekommen, wodurch das Studium den jeweiligen Anforderungen der Studenten angepasst wurde.

MM: Wie muss man sich das Grundstudium und die weiterführenden Studien in der religiösen Hochschule in Qum vorstellen?

Waldmann: Wie gesagt gibt es heute zwei verschiedene Möglichkeiten als Geistlicher zu studieren. Die eine Möglichkeit ist die Ausbildung zum Mudschtahid. Dabei handelt es sich um ein sehr langwieriges Studium, bei dem man nach rund 8 bis 10 Jahren die Vorstudien absolviert hat und sich als Mudschtahid, dem Studium der islamischen Quellen widmet. Die Ausbildung zum Mudschtahid sieht folgendermaßen aus:

1. zwei Jahre arabische Grammatik
2. Studium der Regeln, die man bei der Ableitung der islamischen Bestimmungen von den islamischen Quellen beachten muss.
3. Einführende Studien in die islamische Rechtswissenschaft (Al-Fiqh).
4. Studium der wichtigsten alten Texte der islamischen Rechtswissenschaft.
5. Studium bei einem praktizierenden Mudschtahid, der bei seinem Unterricht die jeweilige Begründung für seine Gesetzesableitung anführt. Dabei muss er eventuelle Einwände anderer Mudschtahids widerlegen und seine Argumente beweiskräftig darlegen.

Damit ist das Grundstudium absolviert und der ausgebildete Theologe erlangt durch das absolvierte Studium die Fähigkeit, die Gesetz und Vorschriften des Islam aus den islamischen Quellen abzuleiten.

6.  die Untersuchung der islamischen Quellen (hauptsächlich Koran und Überlieferungen) um aus ihnen die islamischen Bestimmungen abzuleiten. (Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Quellen der islamischen Überlieferungen sehr umfangreich sind. Eine der umfangreichsten umfasst 110 Bände.)

Neben der Ausbildung zum Mudschtahid, kann man aber auch eine Ausbildung in verschiedenen islamischen Fachrichtungen machen. Dieses Studium gleicht heutzutage sehr stark dem Studium an einer Universität. Hier gibt es verschiedene Spezialfächer wie z.B. islamische Philosophie, islamische Geschichte, islamische Soziologie, Koran und Hadithwissenschaft, islamische Wirtschaft, islamische Psychologie, islamische Theologie usw. Das Grundstudium bei dieser Ausbildung ist aber auch die arabische Sprache, besonders natürlich deren Grammatik. Daneben haben die Studenten auch verschiedene Fächer des herkömmlichen Studiums zu absolvieren.

MM: In wie weit sehen Sie Möglichkeiten ihr erworbenes Wissen in Österreich anzuwenden und welche Bereitschaft sehen sie in Österreich zu einem aufrichtigen Dialog?

Waldmann: Natürlich besteht die Möglichkeit, mein Wissen in Österreich anzuwenden. Diese Möglichkeit besteht in erster Linie sicherlich unter den Muslimen aber auch innerhalb der Bevölkerung an sich. Ich finde, dass die Bereitschaft zu einem aufrichtigen Dialog innerhalb der Bevölkerung sehr groß ist. Sicherlich hat es in der letzten Zeit immer wieder Ereignisse gegeben, die einem Dialog gegenüber hinderlich sind. Diese Ereignisse sind zum größten Teil die Terroranschläge gegen westliche Einrichtungen und die militärischen Angriffe der USA auf Afghanistan und den Irak. Dabei ist natürlich zu sagen, dass sich auf der einen Seite die Muslime (ich möchte hier die Angehörige von Terrororganisationen wie der Al-Qaidah nicht als Nichtmuslime bezeichnen, ihnen aber ein islamisches Verhalten absprechen) von jeglichen Terroranschlägen öffentlich und offiziell distanzieren. Auf der anderen Seite ist auch zu sagen, dass der Großteil der westlichen Bevölkerung, wie auch die österreichische Bevölkerung, gegen die militärischen Angriffe der USA steht. Doch obwohl dies der Fall ist, stellen diese Ereignisse wahrscheinlich das größte Hindernis dar, mit dem der Dialog zwischen der westlichen Bevölkerung und den Muslimen konfrontiert ist.

Ich glaube, dass in diesem Zusammenhang noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss, damit ein vorurteilsloser Dialog stattfinden kann.

MM: Während es - wenn auch wenige - Touristen aus dem Iran in Österreich gibt, besuchen noch viel weniger Österreicher den Iran. Würden Sie Ihren Landsleuten eine Besichtigungsreise in den Iran empfehlen?

Waldmann: In den letzten Jahren hat sich die Besucherzahl österreichischer wie auch deutscher Touristen in den Iran, so meine ich, doch stark erhöht. Ich glaube, den Iran aus der Nähe zu besichtigen, kann den Menschen aus westlichen Kreisen einen viel tieferen Eindruck bieten, als das noch so viele Zeitungs- und Filmberichte zu tun vermögen. Im Iran gibt es sowohl viele Sehenswürdigkeiten als auch eine islamisch-schiitische Kultur, die den Menschen trotz des großen Informationsaustausches der letzten Jahrzehnte noch immer fremd ist. Durch einen Besuch des Irans ist es den Menschen möglich, beides kennen zu lernen.

Ich kann meinen Landsleuten einen Besuch im Iran nur empfehlen.

MM: Zunehmend wird darüber diskutiert, islamische Gelehrte in dem jeweiligen Land, in dem Sie wirken wollen, auszubilden, also in Ihrem Fall in Österreich. Glauben Sie das ist realistisch?

Waldmann: Ich glaube, wenn man wirklich ernsthaft daran interessiert ist, die Muslime als einen Teil der westlichen Gesellschaft zu akzeptieren und ihnen einen gesellschaftlichen Rang einzugestehen, kann man ihnen keine Zensur in der Religion aufzwingen. Muslimische Gelehrte im westen auszubilden würde soviel bedeuten, wie Gelehrte des Vatikan nur in muslimischen Ländern auszubilden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine christliche Gemeinschaft einen Geistlichen akzeptieren würde, der in einem muslimischen Land ausgebildet wurde.

In der heutigen Zeit gibt es keine wirklichen Zentren im Westen, die von muslimischer Seite als Ausbildungszentren für muslimische Geistliche akzeptiert werden könnte. Aus diesem Grund meine ich, dass es nicht viel Sinn hat, muslimische Geistliche im Westen auszubilden. Ich meine vielmehr, dass es sinnvoller ist, ein besseres und tieferes Verständnis dem Islam gegenüber anzustreben.

Die Verbreitung des Islam durch Geistliche, die im Westen ausgebildet wurden, würde sicherlich nur zur Bestärkung der Taliban-Geistlichen beitragen, denn diese können sich dann als „die wahren Geistlichen“ profilieren.

Natürlich sollte man die Verbreitung terroristischer Theorien, wie die der Taliban, verhindern. Dabei ist natürlich zu sagen, dass die ersten Opfer des Taliban-Terrors die Muslime waren und das zu einer Zeit, in der es niemanden unter den westlichen Verantwortlichen gestört hat, dass tagtäglich Muslime vom Taliban-Regime in Afghanistan gefoltert und ermordet wurden. Zu dieser Zeit haben viele westliche Regierungen die besten Beziehungen zu diesem Regime gepflegt.

Der Islam verurteilt das Töten unschuldiger Menschen, ob Christen, Juden, Muslime sowie jeglicher anderer Überzeugung auf das Strikteste. Der Islam fördert den Dialog unter den Völkern und das friedliche Zusammenleben der Menschen in aller Welt. In diesem Sinn braucht man im Westen keine Angst vor der Verbreitung des Islam haben.

Natürlich streben auch wir Muslime eine Verbreitung des Islam in deutscher Sprache an. Somit wäre eine der Möglichkeiten, islamischen Gelehrten in die deutsche Sprache zu lehren und sie dadurch bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Somit wäre es sicherlich möglich, nachzuvollziehen, was in den Moscheen gelehrt und gepredigt wird.

Die Predigten aber ganz auf die deutsche Sprache zu beschränken ist sicherlich auch nicht möglich, denn viele Muslime der ersten Generation von Gastarbeitern sprechen nur wenig Deutsch. Die Predigten und Ansprachen auf Deutsch einzuschränken würde bedeuten, diese Generation auszugrenzen. Damit wären sie sicherlich den, von den Taliban verbreiteten Lehren ausgeliefert, ohne dass sie jemand darüber aufklärt, dass diese Lehren zum Großteil nicht mit dem Islam übereinstimmen.

MM: Einem zunehmend bedrohlicher werdenden Kampf der Kulturen wird der Dialog der Kulturen gegenüber gestellt. Glauben Sie, dass der Dialog aufrichtig geführt werden kann und Missverständnisse abbauen helfen kann?

Waldmann: Ich bin der Überzeugung, dass ein Kampf der Kulturen nur zur Vernichtung der Kulturen beiträgt. Ich verstehe nicht, dass man zwar immer von einer gewissen Toleranz spricht, dass man aber im Westen nur die westliche Kultur akzeptiert. Alles was außerhalb des Rahmens der westlichen Kultur steht, wird völlig abgelehnt. Dabei meine ich, dass die Menschen im Westen viel toleranter als die Medien sind. Viele Menschen sind bereit, andere Kulturen als solche zu akzeptieren, auch wenn sie nicht westlichen Vorstellungen entsprechen. Ich meine, die verschiedenen Völker und Kulturen können von einem aufrichtigen Dialog viel lernen und einen großen Nutzen daraus ziehen.

Darüber hinaus muss man auch die kommende Entwicklung der westlichen Kultur in Betracht ziehen. Viele westliche Denker sprechen heute schon von einem moralischen Manko in westlichen Gesellschaften. Da können die westlichen Kulturen sicherlich viel von den östlichen, ohne hier eine bestimmte zu erwähnen, profitieren und lernen. Es wäre sicherlich ein Fehler, Kulturen, von denen man lernen und profitieren kann, zu bekämpfen.

Ein Kampf der Kulturen ist für mich darüber hinaus auch eine eigenartige Formulierung. Wenn eine Kultur etwas zu bieten hat, dann braucht sie eine andere nicht zu bekämpfen. Wir sehen, dass sich im Laufe der Geschichte zwar Völker immer wieder bekämpft haben, dass die Verbreitung einer gewissen Kultur aber immer friedlich verlaufen ist. Man kann eine Kultur keinem anderen Volk durch Gewalt nehmen oder aufzwingen.

MM: Wie schätzen Sie generell die Situation zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit in Österreich ein?

Waldmann: Ich glaube, Österreich kann immer noch die Gelegenheit wahren, um innerhalb der EU Vorbild für ein friedliches Zusammenleben zwischen Christen, Muslimen und Menschen mit anderer Überzeugung zu sein. Wenn wir uns die Situation in Österreich vor Augen halten, dann muss man sowohl den Nichtmuslimen als auch den Muslimen ein Kompliment machen, da sie es bisher geschafft haben in Respekt und Toleranz mit einander die Gesellschaft zu gestalten. Dabei hat sicherlich auch der Österreichische Staat dazu beigetragen, indem er den Islam rechtlich anerkannt und so den Muslimen in Österreich die Möglichkeit gegeben hat, ihre Religion auch zu praktizieren. Vielleicht war es gerade diese Möglichkeit die Religion zu Praktizieren, die viele Probleme erst gar nicht aufkommen ließ.

MM: Welchen konstruktiven Beitrag kann der Islam und die Muslime für die österreichische Gesellschaft leisten, so dass die Mehrheitsgesellschaft die Anwesenheit des Islam begrüßt?

Waldmann: Wir befinden uns im 21. Jahrhundert. Man spricht davon, dass es das Jahrhundert des Informationsaustausches ist. Im 21. Jahrhundert wissen die Menschen, was in den fernsten Gebieten der Erde passiert, wie die Menschen dort leben, welche Überzeugung sie haben usw. Doch obwohl es zu einer weltweiten Annäherung der Völker gekommen ist, scheint es, als ob die Kluft zwischen den in Europa lebenden Muslimen und den Nichtmuslimen noch nie so groß gewesen ist wie Heute. Hier fehlt es meiner Meinung nach an ausreichendem Informationsaustausch. Aus diesem Grund finde ich, dass die Muslime versuchen sollen, diesen Mangel gutzumachen. Wenn die Menschen in Europa heutzutage wissen, was in Afrika, in der Antarktis, in Sibirien, in Alaska, am Nordpol usw. vor sich geht, sollten sie auch wissen, was in den Muslimen, die unter ihnen Leben, die ihre Nachbarn und Mitbürger sind, vor sich geht. Das Herstellen des notwendigen Informationsaustausches kann in erster Linie sicherlich von den Muslimen ausgehen. In der Folge liegt es aber sicherlich auch an der Mehrheitsbevölkerung, das Manko an Informationsaustausch wettzumachen, indem auch sie die Annäherung zu den Muslimen vertiefen.

Ich kann nur sagen, ich bin sehr zuversichtlich, dass sich die Beziehung der Mehrheitsbevölkerung zu den Muslimen und umgekehrt sehr stark verbessern wird. Die Ansätze dazu sind sicherlich schon zu beobachten, dann die Herzen der Völker scheinen immer einheitlicher zu schlagen. Das haben die gesellschaftlichen Umwälzungen der letzen Jahre sicherlich erkennen lassen.

MM: Sehr geerter Hudschat-ul-Islam Muhammad Waldmann, wir danken Ihnen für das Interview.

 

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