MM: Sehr geehrter Fatima Zahraa, auch wenn
sie es schon hunderte Male erzählt haben, so interessiert es auch unsere
Leser. Wie war Ihr Weg zum Islam?
Fatima Zahraa: Es ging mit meinem Umzug nach
Neukölln einher. Irgendwie war ich innerlich berührt von den Frauen, welche
verhüllt und mit Kopftüchern bedeckt würdevoll und erhobenen Hauptes durch
die Straßen gingen. Noch zu DDR-Zeiten erkämpfte ich mir, meine im damaligen
Westteil der Stadt wohnenden Angehörigen zu besuchen und bekam dabei einen
Einblick, wie verachtend und feindlich man diesen Menschen gegenüber stand.
Die einzigen nicht deutschen Menschen, welche ich aus der DDR kannte, waren
Kubaner und Vietnamesen.
Durch meine Erziehung in der DDR nahm ich
eine verächtliche Haltung ein, obwohl sie mich andererseits
faszinierten. Sie erinnerten mich immer irgendwie an meine Kindheit. Ich
erinnere mich an ein sehr großes Plakat, auf welchem ein Mann in arabischer
Kleidung stand, mit einem Kamel, oder Pferd, ich weiß es nicht mehr so
genau, er stand jedenfalls mitten in der Wüste. Dieses Plakat zog mich immer
wieder magisch an, und man musste mich ein jedes Mal davon wegzerren, weil
ich lautstark protestierte, ich wollte immer nur vor diesem Bild stehen. Es
war, als würde es zu mir sprechen, und ich fühlte mich diesem Bild sehr
stark verbunden. Es gab auch Fragen, welche ich immer und immer wieder
stellte, weil, ich keine für mich erschöpfende Antwort bekam.
Ich ging von Einem zum Anderen und fragte jeden
Erwachsenen, den ich erreichen konnte: "Ich weiß, ich heiße Marlis, ich
weiß, ich komme von meinen Eltern, sie kommen von ihren Eltern. Ich wohne in
Kaulsdorf, Kaulsdorf ist in Lichtenberg, Lichtenberg ist in Berlin, Berlin
ist in der DDR, die DDR ist in Europa, Europa ist auf der Erde, die Erde ist
im Weltall. Aber wo kommt denn bloß das Weltall her?"
Die ersten Male machte man sich noch die Mühe, mir
irgend etwas zu erzählen, aber ich schob dann stets die nächsten Fragen
hinterher, weil ich die Antworten als inakzeptabel empfand. Irgendwo war
dann immer der Punkt erreicht, wo man keine Antworten mehr hatte und es hieß
dann immer: "Oh man, nicht schon wieder! Hau ab, geh jemand anderes nerven."
Das waren zwei Begebenheiten aus meiner Vorschulzeit.
Aber nun wieder zurück zu meinem Umzug. Das war
1993. Wenn mich jemand fragte: "Na, Lisa, wo ziehst du denn hin?", so
antwortete ich stets: "Nach Klein-Istanbul.", was ich aber keines Falls
negativ meinte, sondern es bezog sich auf die vielen Kopftuch tragenden
Frauen, weil es einfach ungewohnt war für mich.
Zu dieser Zeit war ich bereits auf der Suche. Mit
dem Zusammenbruch der DDR zerbrach auch eine Mauer in mir drin und es gab in
mir Weite frei. Ich erinnerte mich, wie ich als Teenager christliche Lektüre
verschlang. Ich suchte, letztendlich konnte mich aber letztendlich doch
nicht damit identifizieren.
Ich tastete für mich als erstes die verschiedenen
kirchlichen Richtungen ab, um dann im Judentum und danach im Buddhismus zu
suchen, aber auch damit konnte ich mich nicht identifizieren. Dann kaufte
ich mir das Buch des Dalai Lama, welches ich aber ganz schnell wieder als
für mich unlogisch zur Seite legte.
Mit dem Einzug in Neukölln bekam ich erste Kontakte
zu türkischen Nachbarn, welche mich auch sehr schnell zu sich einluden. Es
lag nicht nur an ihrer äußerst delikaten Küche, dass ich immer wieder kam.
Bei ihnen und ihrer Glaubensauslebung fühlte ich mich zuhause. Das blieb
auch meinen Nachbarn nicht verborgen. Mein Gedicht "Der
Traum, oder wie ich Muslima wurde" beschreibt sehr genau, wie ich zum
Islam fand.
MM: Ungewöhnlich an Ihrem Weg ist ja, dass
Ihr Sohn ein Jahr nach Ihnen als 11-jähriger ebenfalls den Islam angenommen
hat. Wie kam es dazu?
Fatima Zahraa: Am Anfang stand er meiner
Religiosität sehr feindlich gegenüber, er sagte mir, dass er ganz sicher
nicht mit mir zusammen raus geht, sollte ich ein Tuch tragen. Das empfand
ich als äußerst inakzeptabel und führte mit ihm eindringliche Gespräche, in
denen ich ihn sehr klar und deutlich daran erinnerte, dass ich die Frau bin,
welche ihn geboren hat, immer für ihn da war und ihn liebevoll umsorgt hat,
und dass sich daran nichts ändern wird, nur weil ich ein Bekleidungsstück
mehr trage und nicht mehr so freizügig gekleidet gehe. Auch wenn ich
niemandem vorher etwas von meinem Schritt gesagt habe, so erwarte ich
dennoch, dass er es respektiert. Aber das waren eigentlich nur
Anfangsschwierigkeiten, denn, SubahanAllah (Gepriesen ist Gott), es ergaben
sich viele ganz alltägliche Situationen, in denen ich die Möglichkeit hatte,
Vergleiche zu ziehen. Im Anschluss daran stellte ich ihm immer wieder die
Frage: "Nun sag selbst, welches Modell bietet die bessere Lösung an?", und
es war dann ein jedes Mal der Islam, welcher das bessere Lösungsmodell bot,
und auf all seine Fragen habe ich immer bereitwillig geantwortet. Ich habe
ihm vom Islam erzählt, mal ganz direkt, mal eher beiläufig. Wenn ich
bemerkte, dass er sich innerlich sperrte, habe ich sehr schnell das Thema
gewechselt. Es ist ja sein Leben, er muss ganz allein für sich entscheiden,
denn ich habe mir immer wieder gesagt, dass es keinen Zwang im Glauben gibt.
Es muss einzig und allein seine eigene Entscheidung sein. Dann, ein Jahr
später, stand er eines Morgens vor meinem Bett und sagte: "Was meinst du,
wenn ich heute Moslem werde." Ich hatte niemals bedrängt, ich war völlig
überrascht, aber plötzlich putzmunter. Etwas verunsichert sagte ich zu ihm:
"Du, Schatz, mit solchen Sachen scherzt man aber nicht."
Er sah mich nur mit todernstem Gesicht an und
sagte: "Sehe ich aus, als würde ich scherzen?" Danach drehte er sich um,
sagte noch zu mir, dass wir nachher darüber sprechen, ging zur Schule, und
ließ eine völlig verblüffte Mutter zurück. Ich bin mir ganz sicher, dass
auch viele seiner muslimischen Freunde einen Großteil zu dieser Entscheidung
beigetragen haben.
MM: Und wie fanden Sie in Neukölln die Liebe
zu den Ahl-ul-Bait, zu den Reinen des Hauses des Propheten?
Fatima Zahraa: Eigentlich fand ich diesen
Weg nicht in Neukölln, eher irrte ich hier in Neukölln hin und her und
wusste mir keinen Rat, wie ich die Person Alis (a.) einzuordnen hätte. Ich
bekam beispielsweise zu hören, dass Ali (a.) ein Hochgelehrter seiner Zeit
war, der Gelehrteste von allen. Da stiegen in mir Fragen auf, wie es denn
sein kann, dass ein anderer die Führerschaft der Muslime inne hat, wenn doch
im heiligen Qur'an Karim steht, dass die muslimische Umma immer nur vom
Gelehrtesten geführt werden soll. Das gleiche bezog sich auf die
Charaktereigenschaften Alis (a.). Nach und nach erhielt ich immer mehr
kleine Puzzlestücken, aber wenn ich darum bat, es mir zu erklären, so dass
ich mir ein ganzes Bild daraus machen könne, stieß ich zunehmend auf
Ablehnung. Plötzlich hatte man keine Zeit, wenn ich mit diesen Fragen kam,
Menschen, welche ich nur als sehr freundlich mir gegenüber kannte, waren auf
einmal sehr abrupt. Es ging sogar soweit, dass man mich fragte, ob ich denn
in die Hölle wolle. Da war ich dann vollendens irritiert. Ich verstand
nicht, warum man derartige Dinge zu mir sagte und war mir keinerlei Schuld
bewusst. Wie kann es denn falsch sein, zu fragen, wenn der Islam uns
doch immer wieder dazu anhält, uns unabhängig von Alter und Geschlecht
unseren Möglichkeiten entsprechend Wissen anzueignen. Es stieg in mir der
Verdacht auf, dass hier irgend etwas nicht stimmt. Später, hörte ich, dass
Ali (a.) ein Imam ist und man erklärte mir, was dies bedeutet. Inzwischen
hatte ich mich auch innerlich von der bisherigen Moschee abgewandt und fing
an zu suchen. Wenn Imam Ali (a.) als einziger Mensch die Gnade hatte, in der
heiligen Kaaba geboren zu werden, wenn der edle Gesandte Mohammad (s.) bei
dessen Eltern aufwuchs, und später Imam Ali (a.) von unserem heiligen
Gesandten aufgezogen wurde und sein ständiger Begleiter war, wenn er die
Tochter des Propheten heiratete, um welche sich viele bewarben, so auch Abu
Bakr, wie kann dann ein anderer besser sein als er. Wenn der heilige Prophet
(s.) immer wieder seine Liebe zu Ali (s.) erklärte, von ihm sagte, dass
dieser das Tor zu seiner Stadt des Wissens ist, dann sind das doch alles
ganz besondere Dinge, welche sich auf diese hohe Persönlichkeit beziehen.
Zur Hadsch fuhr ich als jemand, der sich nicht
zuzuordnen wusste. Ich sagte zwar noch immer, ich sei Sunnitin, denn ich
wollte ja keine Ungläubige sein, wie man mir gegenüber behauptet hatte,
würde ich diesen Weg verlassen, innerlich aber hatte ich mich längst
abgewandt, nur war mir das zu dieser Zeit noch nicht klar.
Mein Weg zur Schiitin führte mich über Imam Ali
(a.), seine Person war es, welche mir die Augen öffnete durch die
wundervolle Gnade meines Hohen Herrn, welchen ich an allen heiligen Stätten
immer wieder anflehte, mich den einzig wahren Weg zu führen. Alhamdulillah,
und diese Gnade wurde mir zuteil. Auf meinem Rückweg von den heiligen
Stätten war mir dann klar, dass ich nun Schiitin bin und mit meiner ganzen
Person dafür einstehen würde.
MM: Sie kennen Deutschland ja sowohl aus
ihrer Zeit vor der Erkrankung, die Sie an den Rollstuhl band und als Nichtmuslima als auch als Muslima, die an den Rollstuhl gebunden ist. Ist
die Situation für eine Muslima im Rollstuhl doppelt schwer?
Fatima Zahraa: Ganz eindeutig ja.
An ein 'vor der Krankheit' kann ich mich nicht
erinnern, ich weiß nur, dass mir mit etwa 4 bis 5 Jahren auffiel, dass ich
einiges nicht konnte, womit andere keinerlei Schwierigkeiten hatten. Ich war
ein sehr schüchternes, durch eine eher feindlich gesinnte Umwelt sehr
verängstigtes Kind. Andere Eltern verboten ihren Kindern mit mir und meinen
Geschwistern zu spielen, wegen meinem Elternhaus. Mitunter wurde mir das
ganz direkt gesagt. Ich empfand als sehr ungerecht, denn wir Kinder können
doch nichts für unsere Armut und Krankheit. Irgendwann gab ich es auf, die
Eltern zu fragen, warum sie es tun, ich sei doch immer freundlich, höflich
und hilfsbereit und mache nichts Schlimmes. Ich sagte ihnen, dass ich doch
überhaupt nichts dafür kann, dass meine Eltern so arm sind und dass wir
krank sind. Heute, im Nachhinein verblüfft es mich, dass ich trotz meiner
Ängstlichkeit immer wieder den Mut fand, den anderen Eltern dies zu sagen.
Auch in der damaligen DDR gab es so etwas wie ein Klassendenken, wir
gehörten zu den Außenseitern.
Ich habe mich immer sehr genau beobachtet und immer
für alles eine Lösung gesucht. Eines war mir immer oberstes Gesetz: Die
Krankheit gehört zu mir, aber ich gehöre nicht der Krankheit. Irgendwann war
es dann unausweichlich, ich musste einen Rollstuhl akzeptieren. Als
Nichtmuslima im Rollstuhl kann ich mich an keinerlei Schwierigkeiten
erinnern. Die begannen erst, nacdem ich meinen Glauben angenommen habe. Als
ich damals zum Islam konvertierte, hatten wir noch einen Hund. Ich richtete
es immer so ein, dass mein Sohn mit ihm vor der Schule raus ging, und wenn
er wieder zurück kam. Eines Tages hatten wir verschlafen und es blieb keine
Zeit, mein Sohn musste sich zur Schule beeilen. Es blieb mir nichts anderes
übrig, ich musste gehen. Bisher bin immer nur mit meinen Nachbarinnen
gemeinsam raus gegangen, ich dachte mir, naja, als Muslima unter Musliminnen
fällt man nicht auf. Nun musste ich das erste Mal ganz allein raus gehen.
Ich grübelte eine Weile, was ich denn nun tun sollte, entschied aber dann,
dass es für mich ja eigentlich außer Frage steht, dass ich nur mit Kopftuch
raus gehe. Am liebsten hätte ich mich in die hinterste Rollstuhlecke
verkrümelt. Unterwegs durchfuhr mich eine Frage wie ein heißer Blitz:
Schämst du dich für Allah? Durch meinen Körper ging ein gewaltiger Ruck und
ich saß aufrecht und völlig selbstsicher in meinem Rollstuhl. Diese
Selbstsicherheit wird auch von der Umwelt wahr genommen. Schon durch meine
Körperhaltung signalisiere ich: Mit mir nicht. Allerdings gibt es leider
auch so manchen Mitmenschen, der seinem 'Heldentum' dadurch Ausdruck
verleiht, dass er eine schwerkranke Frau im Rollstuhl anpöbelt.
Merkwürdigerweise sind es überwiegend Männer. Meistens fahr ich einfach
weiter und tu so, als hätte ich überhaupt nichts bemerkt, es amüsiert mich,
die Dummheit einfach auch dumm stehen zu lassen. Aber es gibt auch sehr
heftige Fälle, wo ich dann doch nicht mehr ruhig bleibe. Dann muss mein
Gegenüber erkennen, dass ich auch gegebenen Falls eine passende Antwort
servieren kann, und schon sind sie es, die verunsichert werden. Das man mich
öfter mal nach Anatolien 'zurück' schicken möchte, daran habe ich mich
bereits gewöhnt. Erst vor einigen Tagen hatte ich eine 'nette' Begebenheit.
Als ich auf dem Weg war, um mich mit einer Freundin zu treffen, kam von der
anderen Straßenseite ein Mann schräg über den Fahrdamm laut rufend
auf mich zugesteuert. Das erste verstand ich nicht. Da ich sehr in Eile war, denn die
Freundin wartete schon, entschied ich mich, einfach weiter zu fahren.
Irgendwie hatte seine Art etwas sehr bedrohliches. Inzwischen wurden auch
andere Passanten aufmerksam, was den Rufer anscheinend etwas verunsicherte.
Dann hörte ich, wie er mir lautstark nachrief (ich hatte über einer
neutralen weiten Hose ein lange rotes Kleid an und ein rotes Kopftuch dazu
um): "Aaachtuuung! Gefahr im Verzug! Die Ninja kommen. Erst einmal war ich
ganz perplex, ich war ja schon so manches gewesen, aber der Ninja, der war
neu. Auch jetzt noch, wenn ich das schreibe, muss ich in mich rein kichern.
Aber ich habe auch sehr viele schöne Erfahrungen
gemacht. Es gibt sehr viele Menschen, für die ganz einfach nur ein
Mensch unter Menschen bin.
MM: Wie kam es dazu, dass Sie anfingen
Gedichte zu schreiben?
Fatima Zahraa: Gereimt habe ich schon immer
gern, allerdings nur so, zum Spaß. Ich habe ganz einfach meine Freude daran.
Früher hatte ich viele Hobbys wie Kunsthandwerk,
Malen, Seidenmalerei. Davor habe ich viel Handarbeiten gemacht: geknüpft,
gestickt, gehäkelt, genäht. Ein Hobby nach dem anderen musste ich auf Grund
meiner fortschreitenden Erkrankung aufgeben, bis irgendwann nichts davon
mehr übrig war. Das war für mich bitter, also sah ich mich nach einen Ersatz
um. Zu dieser Zeit war ich schon einige Jahre Muslima und ich hatte so
manches mal das Gefühl, wenn ich jetzt nicht etwas heraus lasse, werde ich
platzen. So entstanden die ersten Gedichte. Alles was ich in meinen
Gedichten zum Ausdruck bringe, das bin zu 100% ich. Damit habe ich von
meinem geliebten Herrn etwas erhalten, wodurch ich meine Stimme erheben und
zum Ausdruck bringen kann, was mich bewegt. Ich sehe darin aber auch eine
große Verantwortung und Aufgabe, welche mir der Gewaltige Schöpfer allen
Seins auferlegt hat. Und ich bin Ihm unendlich dankbar dafür.
MM: Sie haben
Ihre Hadsch 1999 durchgeführt. Bitte berichten Sie uns Ihre Erfahrungen dazu
in der Sondersituation im Rollstuhl.
Fatima Zahraa: Unsere Pilgerreise sollte
über Damaskus nach Jidda führen, von dort nach Medina und anschließend zu den
heiligen Stätten, aber leider wurde unsere Vorfreude erheblich gedämpft, da
wir den ganzen Tag vergebens auf den Abflug warteten, um dann zu erfahren,
dass unser Flug erst am nächsten Tag möglich sei. Für die Nacht wurden wir
im Hotel Estrel untergebracht. Aber dann war es soweit, als Zwischenstation
flogen wir Damaskus an. Dort hatten wir wieder einen längeren Aufenthalt.
Als ganz besonderes schlimm habe ich die
katastrophalen Zustände der Toiletten im Flughafen Damaskus empfunden,
welche von denen in Jidda noch übertroffen wurden, für Menschen mit
Behinderungen einfach nicht nutzbar. Daher lege ich jedem Hadschpilger,
besonders jenen, welche der Gnadenvolle Herr allen Seins wie mich mit Seiner
sichtbaren Gnade ausgezeichnet hat, nahe, in ihrem Gepäck eine Rolle
Haushaltsfolie mit sich zu führen, um damit die unglaublichen Missstände der
sanitären Anlagen abzudecken.
Ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich glaube wir
brachten 2 Tage in Jidda im Freien zu, nur mit einem Sonnenschutz über uns.
Schließlich ergab sich dann ein Flug nach Medina, wo wir Nachts ankamen. Mit
dem Bus fuhren wir zum Hotel, nur welches war es? Im ersten Hotel sagte man
uns, dass wir dort nicht gebucht hätten, obwohl der Name des Hotels stimmte.
Nachdem wir 2 Stunden im Bus gewartet hatten und die Brüder, welche von
Hotel zu Hotel gegangen waren, unverrichteter Dinge wieder zurück kehrten,
entschloss man sich, noch einmal im ersten Hotel nachzufragen, da ja Name
und Adresse stimmten. Und siehe da, nach längeren hin und her stellte sich
heraus, dass man die von uns gebuchten Zimmer zweimal vermietet hatte.
Wieder hieß es warten. Dann war es irgendwann endlich soweit, man stopfte
uns zu viert und zu fünft in Zweibettzimmer, aber das war uns inzwischen
schon alles egal, wir wollten ganz einfach nur noch ein wenig schlafen,
bevor das Frühgebet begann. Dann war es endlich soweit, nach dem Frühstück
gingen wir zur nahe angrenzenden Prophetenmoschee. Es war ein
unbeschreibliches Gefühl! In dem Moment, in dem ich durch das große eiserne
Tor fuhr, fing ich stark an zu zittern und die Tränen kullerten ohne
Unterlass. Ich war einfach überwältigt von der Nähe unseres edlen heiligen
Gesandten und jenen aus seiner heiligen Familie.
Bei Reiseantritt herrschten in Berlin noch sehr
kalte Temperaturen, in Medina aber empfing uns eine glühende heiße Sonne.
Das Salz meiner Tränen und die starke Sonne lösten
bei mir eine Sonnenallergie aus, welche sich darin zeigte, dass innerhalb
kurzer Zeit mein ganzes Gesicht ein lilarote Färbung einnahm, stark
verschwollen war und meine Augen blutunterlaufen und fast zugequollen waren.
Ich glaube, ich war ein sehr erbärmlicher Anblick, denn immer wieder wurden
mein Begleiter und ich von anderen Gruppen umringt. Sie alle hoben ihre
Hände und machten Dua (Bittgebet). Einmal umringte uns eine Gruppe
männlicher Pilger und, Subehanallah, sie weinten meinetwegen, hoben die
Hände zum Dua für mich, oder aber es kamen gemischte Gruppen, um für mich
Dua zu machen und die Frauen küssten mich und lasen auf mir Qur'an. Das
waren alles sehr beeindruckende Erlebnisse für mich.
Aber auf Grund der Sonnenallergie ging es mir von
Tag zu Tag immer schlechter.
Als ich dann bemerkte, dass ich auch noch Fieber
bekam, bat ich nach einem Pflichtgebet meinen Hohen Herrn, meinen Gastgeber
demütig um Hilfe. Da geschah etwas, wovon ich nicht weiß, wie ich es
erklären soll, so etwas hatte ich zuvor noch niemals erlebt, ich nenne es
die Stimme in mir drin, weil es dem am nächsten kommt.
Sie hieß mich, ins Bad zu gehen, die Gebetswaschung
vorzunehmen, zwei Raka (Gebetsabschnitte) zu beten, anschließend Dua zu
machen, dann zur Prophetenmoschee zu gehen, dort ebenfalls zwei Raka zu
beten und Dua zu machen, und anschließend die Sura Yasin zu lesen.
Ich überlegte kurz, wie ich das bewerkstelligen
könnte, denn in Medina sind die Bordsteinkanten sehr, sehr hoch und ich war
ganz allein, selbstständig konnte ich sie unmöglich überwinden, aber dann
dachte ich mir: "Nun gut, wenn dein Herr das sagt, dann hat Er ganz sicher
auch eine Lösung dafür, also tu es". Als ich nach dem Gebet gerade mein Dua
beendet hatte, ging die Tür auf und eine Zimmerkameradin kam herein. Ich
fragte sie, was sie denn jetzt vorhätte und zu meiner Großen Überraschung
antwortete sie mir, dass sie nur Wudu nehmen möchte, um dann zur
Prophetenmoschee zu gehen und die Sure Yasin zu lesen. Ich sagte ihr: "
Subahan Allah, genau das habe ich auch vor.", worauf sie mir antwortete,
dass sie mich dann mitnehmen wird.
Dort angekommen, nach Gebet und Dua, schlug ich das
heilige Buch auf, um die Sure Yasin zu lesen. Durch das weiße Papier
verspürte ich einen starken Stich in meinen Augen und die Tränen kullerten
vor Schmerzen, irgendwie hatte ich das Gefühl, als hätte mir jemand Säure in
meine Augen gegossen und ich konnte anfangs keine Buchstaben erkennen. Vor
Schmerzen wollte ich den heiligen Qur'an Karim gleich wieder zuklappen, aber
ich sagte mir, "Wenn dein Herr sagt lies, dann lies." Also begann ich zu
lesen, auch wenn es noch so schmerzhaft war. Nachdem ich eine ganze Weile
gelesen hatte, wunderte ich mich, dass ich ja auf einmal richtig lesen, bzw.
erkennen konnte, keine Tränen mehr kullerten und die Schmerzen verflogen
waren. Als wir unser Qur'an lesen beendet hatten, machten wir uns auf den
Heimweg. Nach dem Verlassen der Moschee fuhr mir das helle Tageslicht wie
ein Blitz in meine Augen und ich zuckte kurz zusammen. Meine Begleiterin sah
mich an und rief in einem sehr überraschten Ton meinen Namen. Das gleich
mehrmals. Irritiert fragte ich sie, was denn los sei. "Sie sagte mir mit
erstauntem Unterton: "Dein Gesicht !" , und ich fragte sie besorgt, was denn
mit meinem Gesicht sei, worauf sie ganz verblüfft antwortete: "Nichts!" Nun
verstand ich überhaupt nichts mehr und fragte mich, was denn jetzt wohl
wieder los sein mag. Daher fragte ich sie noch einmal, was denn mit meinen
Gesicht sei und sie antwortete mir, dass ich ganz klare leuchtende Augen und
eine Gesichtshaut, so zart und so rosig wie ein Baby hätte.
SubahanAllah, so hat mir mein Allgütiger Herr, der
Gnadevolle, Barmherzige, in der Moschee seines heiligen Gesandten Mohammad
(s.) die Gnade erwiesen, dass die Sure Yasin mich heilen durfte. Die Stimme,
von welcher ich eingangs sprach, begleitete mich den ganzen Hadsch über, bis
ich wieder zu Hause angekommen war.
Das war ein kurzer Abriss meiner wunderschönen
Erlebnisse in Madina, aber nun möchte ich zum Hadsch ganz allgemein kommen.
Es ist sehr wichtig, dass ein nicht gesunder
Mensch, welcher sich auf dieser Pilgerreise befindet, geduldiger und stärker
sein muss, als ein gesunder Pilger, in der Ausnahmesituation, welche der
Hadsch ja darstellt, gelangen Menschen an ihre Grenzen der Belastbarkeit und
es ist möglich, dass ein hilfsbedürftiger Mensch als zusätzliche Last
angesehen wird und nicht als das, was er ist, eine Gnade des Allgewaltigen
Herrn und eine Segnung für diese Pilgergruppe, da sie sich ihren Segen um
ein vielfaches erhöhen könnten, würden sie mit einen mit den Zeichen der
Gnade des Einen gesegneten Menschen liebevoll und barmherzig umgehen.
Daher kann ich den Menschen, welche auf die Hilfe
andere angewiesen sind, nur dringendst empfehlen, mit einer Gruppe die
Pilgerreise anzutreten, welche ihrer Nationalität entspricht (um sprachlich
nicht ausgegrenzt zu werden). Von besonderer Wichtigkeit ist auch, darauf zu
achten, dass sich in dieser Pilgergruppe wenigstens eine handvoll Menschen
befinden, zu denen man ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat und mit ihnen
sollte man vor Reiseantritt die einzelnen Stationen durchgehen um die dabei
benötigten Hilfen bis ins kleinste Detail absprechen, damit es dem oder
derjenigen nicht genauso ergeht wir mir, und man dann in Arafah, Mustalifah
und Mina über 90 Stunden ununterbrochen im Rollstuhl sitzen muss. Ideal wäre
es, wenn man mit wenigsten 3- 4 Gruppenmitgliedern sich von Fachkräften
(z.B. in einer Physiotherapie-Praxis ) die benötigten Hilfeleistungen zeigen
und erklären lässt.
Ein großes Problem stellen auch die sehr hohen
Bordsteinkanten dar, wodurch man auf beständige Hilfe angewiesen ist. Auch
würde ich dringend empfehlen, dass man sich mindestens eine wärmere Jacke
oder Weste einpackt, da es Nachts und zum Frühlichtgebet eisig kalt ist.
Wichtig ist auch ein kleines Kissen und eine wärmende Decke für Arafah,
Mustalifa und Mina einzupacken.
Im Arafah und Mina gibt es Behindertentoiletten,
welche bewacht und geputzt werden und daher wohltuend sauber sind,
allerdings sind es in ganz Mina nur zwei und in Arafah eine.
Wenn man sich gut vorbereitet, alles vorher gut
abspricht, sollte die Pilgerreise kein Problem darstellen. Ganz egal wie
groß die Schwierigkeiten wären, ich würde immer wieder diese Pilgerreise
antreten, sollte sich nur die Gelegenheit dazu bieten.
Die Hektik Mekkas unterscheidet sich stark von der
Prophetenstadt Medina, in welcher überall der Segen der Anwesendheit des
edlen Gesandten Mohammad (s.) zu spüren ist.
Es war sehr beeindruckend, wie die Pilger aus allen
Richtungen nach Mekka strömten. Mit Worten ist es nicht zu beschreiben, wie
die ganze Stadt Mekka von den lauten Labaika-Rufen und den Lobpreisungen des
Einen Allgewaltigen Herrschers erbebt. Von überall her aus allen Straßen
kommen die Busse, aus allen Richtungen mit ihren lauten Rufen, und alle
haben ein Ziel: Al-Haram. Es ist einfach wundervoll, es ist ein Gefühl, als
würde sich die Seele ganz weit öffnen und Erde und Universum in sich
aufnehmen. Man fühlt sich wie ein Tropfen Wasser im großen Ozean. Noch heute
bekomme ich eine Gänsehaut, einen Kloß im Hals und nasse Augen, wenn ich
daran denke. Wenn ich davon erzähle, so ist es, als würde ich ein ganzes
Buch mit einem einzigen Buchstaben erklären wollen. Es ist einfach
überwältigend! Abschließend möchte ich noch einmal hervorheben, dass es von
besonderer Wichtigkeit ist, sich umfassend vorzubereiten und fest darauf zu
vertrauen, dass ein Hadschpilger Gast des Allerbesten Gastgebers ist, denn
wer auf Ihn vertraut, ist niemals allein.
Allen zukünftigen Hadschpilgern wünsche ich eine
wundervolle Zeit voller schöner Begebenheiten und Begegnungen und dass der
Allgewaltige Barmherzige Herrscher allen Seins jegliche Bemühungen
Gnadenvoll annehmen möge.
MM: Wie sind die islamischen Möglichkeiten
für Muslimas im Rollstuhl in Berlin, und wie kann man sich selbst oder
anderen helfen, wenn die Möglichkeiten begrenzt sind?
Fatima Zahraa: Als Großstadt bietet Berlin
Muslimen Gebetsräume und Moscheen für alle Richtungen des Islam. Ein großes
Problem für Rollstuhlfahrer ist, dass viele dieser islamischen Einrichtungen
nicht ebenerdig zu erreichen sind, wodurch man in seiner Selbstständigkeit
ganz erheblich eingeschränkt wird.
In Berlin gibt es einen Sonderfahrdienst für
Menschen mit Behinderungen, welcher einen Tür-zu-Tür-Transport gewährleistet
und Treppentransporte bis in die 4. Etage übernimmt, aber leider musste ich
feststellen, dass er nicht immer so ganz zuverlässig ist. Aber dennoch bin
ich sehr dankbar dafür, dass es ihn gibt. Die Mobilität hängt auch von der
Art der Behinderung ab. So ist es einem Menschen mit Querschnittslähmung
einfacher, sich notfalls umzusetzen, als es bei mir der Fall ist. Somit kann
mit ein wenig Organisationsvermögen ein privater Transport durch Freunde
stattfinden, um sein
Ziel zu erreichen, was mir mit meiner Muskelschwunderkrankung leider nicht
möglich ist. Dann bleibt für mich nur noch, traurig allein zu Hause sitzen
zu bleiben, meinem Herrn für die Prüfung meiner Geduld zu danken und das
Beste daraus zu machen.
Da ich leider durch Mobilitätsmangel schon des
Öfteren nicht an Vorlesungen teilnehmen konnte, nehmen mir meine Freunde jetzt
immer den Versäumten Unterricht mittels MP3-Player auf, so bin ich dann
immer auf dem Laufenden.
Ansonsten heißt es, will man ein Problem in den
Griff bekommen: telefonieren, telefonieren, telefonieren... beten, hoffen,
und sich in Geduld fassen.
Auch außerhalb der muslimischen Umma gibt es viele
Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten. Viele kulturelle Einrichtungen haben
Sondereingänge für Rollstuhlfahrer und es gibt sehr schöne
Naherholungsgebiete, die zu langen Spaziergängen und Picknicks einladen.
MM: Sehr geehrte Fatima Zahraa. Wir danke
für das Interview.
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