Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Fatimah Zahraa
 

Muslim-Markt interviewt 
Fatimah Zahraa, islamische Gedichtschreiberin

25.8.2006

Eigentlich heißt sie Marlis Cacha. Sie ist 1953 in Berlin-Kaulsdorf als erstes von vier Kindern einer Fabrikarbeiterin und eines Invaliden geboren. Nach ihrem Abschluss Oberschule absolvierte sie eine Ausbildung zur Gärtnerin. Aus ihrer Ehe als Nichtmuslima stammen zwei inzwischen erwachsene Söhne.

Mit 40 Jahren nahm sie den Islam an. Ihr jüngerer Sohn ist ein Jahr nach ihr ebenfalls zum Islam konvertiert. Unter Muslimen ist sie vor allem unter ihrem islamischen Namen Fatimah Zahraa bekannt. Aufgrund einer Muskelschwunderkrankung ist sie seit 15 Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. Daher ist das Internet für sie eines der wichtigsten Kommunikationselemente in dem sie vor allem durch ihre eindringlichen Gedichte auffällt. Ihre Gedichte, veröffentlicht sie im Muslim-Forum sowohl zu aktuellen als auch zu zeitlosen Themen und erfreut damit viele Leser. Der Muslim-Markt hat zahlreiche Ihrer Gedichte in die Gedichtsammlung mit aufgenommen. Fatimah Zahraa lebt in Berlin.

MM: Sehr geehrter Fatima Zahraa, auch wenn sie es schon hunderte Male erzählt haben, so interessiert es auch unsere Leser. Wie war Ihr Weg zum Islam?

Fatima Zahraa: Es ging mit meinem Umzug nach Neukölln einher. Irgendwie war ich innerlich berührt von den Frauen, welche verhüllt und mit Kopftüchern bedeckt würdevoll und erhobenen Hauptes durch die Straßen gingen. Noch zu DDR-Zeiten erkämpfte ich mir, meine im damaligen Westteil der Stadt wohnenden Angehörigen zu besuchen und bekam dabei einen Einblick, wie verachtend und feindlich man diesen Menschen gegenüber stand. Die einzigen nicht deutschen Menschen, welche ich aus der DDR kannte, waren Kubaner und Vietnamesen.

Durch meine Erziehung in der DDR nahm ich eine verächtliche Haltung ein, obwohl sie mich andererseits faszinierten. Sie erinnerten mich immer irgendwie an meine Kindheit. Ich erinnere mich an ein sehr großes Plakat, auf welchem ein Mann in arabischer Kleidung stand, mit einem Kamel, oder Pferd, ich weiß es nicht mehr so genau, er stand jedenfalls mitten in der Wüste. Dieses Plakat zog mich immer wieder magisch an, und man musste mich ein jedes Mal davon wegzerren, weil ich lautstark protestierte, ich wollte immer nur vor diesem Bild stehen. Es war, als würde es zu mir sprechen, und ich fühlte mich diesem Bild sehr stark verbunden. Es gab auch Fragen, welche ich immer und immer wieder stellte, weil, ich keine für mich erschöpfende Antwort bekam.

Ich ging von Einem zum Anderen und fragte jeden Erwachsenen, den ich erreichen konnte: "Ich weiß, ich heiße Marlis, ich weiß, ich komme von meinen Eltern, sie kommen von ihren Eltern. Ich wohne in Kaulsdorf, Kaulsdorf ist in Lichtenberg, Lichtenberg ist in Berlin, Berlin ist in der DDR, die DDR ist in Europa, Europa ist auf der Erde, die Erde ist im Weltall. Aber wo kommt denn bloß das Weltall her?"

Die ersten Male machte man sich noch die Mühe, mir irgend etwas zu erzählen, aber ich schob dann stets die nächsten Fragen hinterher, weil ich die Antworten als inakzeptabel empfand. Irgendwo war dann immer der Punkt erreicht, wo man keine Antworten mehr hatte und es hieß dann immer: "Oh man, nicht schon wieder! Hau ab, geh jemand anderes nerven." Das waren zwei Begebenheiten aus meiner Vorschulzeit.

Aber nun wieder zurück zu meinem Umzug. Das war 1993. Wenn mich jemand fragte: "Na, Lisa, wo ziehst du denn hin?", so antwortete ich stets: "Nach Klein-Istanbul.", was ich aber keines Falls negativ meinte, sondern es bezog sich auf die vielen Kopftuch tragenden Frauen, weil es einfach ungewohnt war für mich.

Zu dieser Zeit war ich bereits auf der Suche. Mit dem Zusammenbruch der DDR zerbrach auch eine Mauer in mir drin und es gab in mir Weite frei. Ich erinnerte mich, wie ich als Teenager christliche Lektüre verschlang. Ich suchte, letztendlich konnte mich aber letztendlich doch nicht damit identifizieren.

Ich tastete für mich als erstes die verschiedenen kirchlichen Richtungen ab, um dann im Judentum und danach im Buddhismus zu suchen, aber auch damit konnte ich mich nicht identifizieren. Dann kaufte ich mir das Buch des Dalai Lama, welches ich aber ganz schnell wieder als für mich unlogisch zur Seite legte.

Mit dem Einzug in Neukölln bekam ich erste Kontakte zu türkischen Nachbarn, welche mich auch sehr schnell zu sich einluden. Es lag nicht nur an ihrer äußerst delikaten Küche, dass ich immer wieder kam. Bei ihnen und ihrer Glaubensauslebung fühlte ich mich zuhause. Das blieb auch meinen Nachbarn nicht verborgen. Mein Gedicht "Der Traum, oder wie ich Muslima wurde" beschreibt sehr genau, wie ich zum Islam fand.

MM: Ungewöhnlich an Ihrem Weg ist ja, dass Ihr Sohn ein Jahr nach Ihnen als 11-jähriger ebenfalls den Islam angenommen hat. Wie kam es dazu?

Fatima Zahraa: Am Anfang stand er meiner Religiosität sehr feindlich gegenüber, er sagte mir, dass er ganz sicher nicht mit mir zusammen raus geht, sollte ich ein Tuch tragen. Das empfand ich als äußerst inakzeptabel und führte mit ihm eindringliche Gespräche, in denen ich ihn sehr klar und deutlich daran erinnerte, dass ich die Frau bin, welche ihn geboren hat, immer für ihn da war und ihn liebevoll umsorgt hat, und dass sich daran nichts ändern wird, nur weil ich ein Bekleidungsstück mehr trage und nicht mehr so freizügig gekleidet gehe. Auch wenn ich niemandem vorher etwas von meinem Schritt gesagt habe, so erwarte ich dennoch, dass er es respektiert. Aber das waren eigentlich nur Anfangsschwierigkeiten, denn, SubahanAllah (Gepriesen ist Gott), es ergaben sich viele ganz alltägliche Situationen, in denen ich die Möglichkeit hatte, Vergleiche zu ziehen. Im Anschluss daran stellte ich ihm immer wieder die Frage: "Nun sag selbst, welches Modell bietet die bessere Lösung an?", und es war dann ein jedes Mal der Islam, welcher das bessere Lösungsmodell bot, und auf all seine Fragen habe ich immer bereitwillig geantwortet. Ich habe ihm vom Islam erzählt, mal ganz direkt, mal eher beiläufig. Wenn ich bemerkte, dass er sich innerlich sperrte, habe ich sehr schnell das Thema gewechselt. Es ist ja sein Leben, er muss ganz allein für sich entscheiden, denn ich habe mir immer wieder gesagt, dass es keinen Zwang im Glauben gibt. Es muss einzig und allein seine eigene Entscheidung sein. Dann, ein Jahr später, stand er eines Morgens vor meinem Bett und sagte: "Was meinst du, wenn ich heute Moslem werde." Ich hatte niemals bedrängt, ich war völlig überrascht, aber plötzlich putzmunter. Etwas verunsichert sagte ich zu ihm: "Du, Schatz, mit solchen Sachen scherzt man aber nicht."

Er sah mich nur mit todernstem Gesicht an und sagte: "Sehe ich aus, als würde ich scherzen?" Danach drehte er sich um, sagte noch zu mir, dass wir nachher darüber sprechen, ging zur Schule, und ließ eine völlig verblüffte Mutter zurück. Ich bin mir ganz sicher, dass auch viele seiner muslimischen Freunde einen Großteil zu dieser Entscheidung beigetragen haben.

MM: Und wie fanden Sie in Neukölln die Liebe zu den Ahl-ul-Bait, zu den Reinen des Hauses des Propheten?

Fatima Zahraa: Eigentlich fand ich diesen Weg nicht in Neukölln, eher irrte ich hier in Neukölln hin und her und wusste mir keinen Rat, wie ich die Person Alis (a.) einzuordnen hätte. Ich bekam beispielsweise zu hören, dass Ali (a.) ein Hochgelehrter seiner Zeit war, der Gelehrteste von allen. Da stiegen in mir Fragen auf, wie es denn sein kann, dass ein anderer die Führerschaft der Muslime inne hat, wenn doch im heiligen Qur'an Karim steht, dass die muslimische Umma immer nur vom Gelehrtesten geführt werden soll. Das gleiche bezog sich auf die Charaktereigenschaften Alis (a.). Nach und nach erhielt ich immer mehr kleine Puzzlestücken, aber wenn ich darum bat, es mir zu erklären, so dass ich mir ein ganzes Bild daraus machen könne, stieß ich zunehmend auf Ablehnung. Plötzlich hatte man keine Zeit, wenn ich mit diesen Fragen kam, Menschen, welche ich nur als sehr freundlich mir gegenüber kannte, waren auf einmal sehr abrupt. Es ging sogar soweit, dass man mich fragte, ob ich denn in die Hölle wolle. Da war ich dann vollendens irritiert. Ich verstand nicht, warum man derartige Dinge zu mir sagte und war mir keinerlei Schuld bewusst. Wie kann es denn falsch sein, zu fragen, wenn der Islam uns doch immer wieder dazu anhält, uns unabhängig von Alter und Geschlecht unseren Möglichkeiten entsprechend Wissen anzueignen. Es stieg in mir der Verdacht auf, dass hier irgend etwas nicht stimmt. Später, hörte ich, dass Ali (a.) ein Imam ist und man erklärte mir, was dies bedeutet. Inzwischen hatte ich mich auch innerlich von der bisherigen Moschee abgewandt und fing an zu suchen. Wenn Imam Ali (a.) als einziger Mensch die Gnade hatte, in der heiligen Kaaba geboren zu werden, wenn der edle Gesandte Mohammad (s.) bei dessen Eltern aufwuchs, und später Imam Ali (a.) von unserem heiligen Gesandten aufgezogen wurde und sein ständiger Begleiter war, wenn er die Tochter des Propheten heiratete, um welche sich viele bewarben, so auch Abu Bakr, wie kann dann ein anderer besser sein als er. Wenn der heilige Prophet (s.) immer wieder seine Liebe zu Ali (s.) erklärte, von ihm sagte, dass dieser das Tor zu seiner Stadt des Wissens ist, dann sind das doch alles ganz besondere Dinge, welche sich auf diese hohe Persönlichkeit beziehen.

Zur Hadsch fuhr ich als jemand, der sich nicht zuzuordnen wusste. Ich sagte zwar noch immer, ich sei Sunnitin, denn ich wollte ja keine Ungläubige sein, wie man mir gegenüber behauptet hatte, würde ich diesen Weg verlassen, innerlich aber hatte ich mich längst abgewandt, nur war mir das zu dieser Zeit noch nicht klar.

Mein Weg zur Schiitin führte mich über Imam Ali (a.), seine Person war es, welche mir die Augen öffnete durch die wundervolle Gnade meines Hohen Herrn, welchen ich an allen heiligen Stätten immer wieder anflehte, mich den einzig wahren Weg zu führen. Alhamdulillah, und diese Gnade wurde mir zuteil. Auf meinem Rückweg von den heiligen Stätten war mir dann klar, dass ich nun Schiitin bin und mit meiner ganzen Person dafür einstehen würde.

MM: Sie kennen Deutschland ja sowohl aus ihrer Zeit vor der Erkrankung, die Sie an den Rollstuhl band und als Nichtmuslima als auch als Muslima, die an den Rollstuhl gebunden ist. Ist die Situation für eine Muslima im Rollstuhl doppelt schwer?

Fatima Zahraa: Ganz eindeutig ja.

An ein 'vor der Krankheit' kann ich mich nicht erinnern, ich weiß nur, dass mir mit etwa 4 bis 5 Jahren auffiel, dass ich einiges nicht konnte, womit andere keinerlei Schwierigkeiten hatten. Ich war ein sehr schüchternes, durch eine eher feindlich gesinnte Umwelt sehr verängstigtes Kind. Andere Eltern verboten ihren Kindern mit mir und meinen Geschwistern zu spielen, wegen meinem Elternhaus. Mitunter wurde mir das ganz direkt gesagt. Ich empfand als sehr ungerecht, denn wir Kinder können doch nichts für unsere Armut und Krankheit. Irgendwann gab ich es auf, die Eltern zu fragen, warum sie es tun, ich sei doch immer freundlich, höflich und hilfsbereit und mache nichts Schlimmes. Ich sagte ihnen, dass ich doch überhaupt nichts dafür kann, dass meine Eltern so arm sind und dass wir krank sind. Heute, im Nachhinein verblüfft es mich, dass ich trotz meiner Ängstlichkeit immer wieder den Mut fand, den anderen Eltern dies zu sagen. Auch in der damaligen DDR gab es so etwas wie ein Klassendenken, wir gehörten zu den Außenseitern.

Ich habe mich immer sehr genau beobachtet und immer für alles eine Lösung gesucht. Eines war mir immer oberstes Gesetz: Die Krankheit gehört zu mir, aber ich gehöre nicht der Krankheit. Irgendwann war es dann unausweichlich, ich musste einen Rollstuhl akzeptieren. Als Nichtmuslima im Rollstuhl kann ich mich an keinerlei Schwierigkeiten erinnern. Die begannen erst, nacdem ich meinen Glauben angenommen habe. Als ich damals zum Islam konvertierte, hatten wir noch einen Hund. Ich richtete es immer so ein, dass mein Sohn mit ihm vor der Schule raus ging, und wenn er wieder zurück kam. Eines Tages hatten wir verschlafen und es blieb keine Zeit, mein Sohn musste sich zur Schule beeilen. Es blieb mir nichts anderes übrig, ich musste gehen. Bisher bin immer nur mit meinen Nachbarinnen gemeinsam raus gegangen, ich dachte mir, naja, als Muslima unter Musliminnen fällt man nicht auf. Nun musste ich das erste Mal ganz allein raus gehen. Ich grübelte eine Weile, was ich denn nun tun sollte, entschied aber dann, dass es für mich ja eigentlich außer Frage steht, dass ich nur mit Kopftuch raus gehe. Am liebsten hätte ich mich in die hinterste Rollstuhlecke verkrümelt. Unterwegs durchfuhr mich eine Frage wie ein heißer Blitz: Schämst du dich für Allah? Durch meinen Körper ging ein gewaltiger Ruck und ich saß aufrecht und völlig selbstsicher in meinem Rollstuhl. Diese Selbstsicherheit wird auch von der Umwelt wahr genommen. Schon durch meine Körperhaltung signalisiere ich: Mit mir nicht. Allerdings gibt es leider auch so manchen Mitmenschen, der seinem 'Heldentum' dadurch Ausdruck verleiht, dass er eine schwerkranke Frau im Rollstuhl anpöbelt. Merkwürdigerweise sind es überwiegend Männer. Meistens fahr ich einfach weiter und tu so, als hätte ich überhaupt nichts bemerkt, es amüsiert mich, die Dummheit einfach auch dumm stehen zu lassen. Aber es gibt auch sehr heftige Fälle, wo ich dann doch nicht mehr ruhig bleibe. Dann muss mein Gegenüber erkennen, dass ich auch gegebenen Falls eine passende Antwort servieren kann, und schon sind sie es, die verunsichert werden. Das man mich öfter mal nach Anatolien 'zurück' schicken möchte, daran habe ich mich bereits gewöhnt. Erst vor einigen Tagen hatte ich eine 'nette' Begebenheit. Als ich auf dem Weg war, um mich mit einer Freundin zu treffen, kam von der anderen Straßenseite ein Mann schräg über den Fahrdamm laut rufend auf mich zugesteuert. Das erste verstand ich nicht. Da ich sehr in Eile war, denn die Freundin wartete schon, entschied ich mich, einfach weiter zu fahren. Irgendwie hatte seine Art etwas sehr bedrohliches. Inzwischen wurden auch andere Passanten aufmerksam, was den Rufer anscheinend etwas verunsicherte. Dann hörte ich, wie er mir lautstark nachrief (ich hatte über einer neutralen weiten Hose ein lange rotes Kleid an und ein rotes Kopftuch dazu um): "Aaachtuuung! Gefahr im Verzug! Die Ninja kommen. Erst einmal war ich ganz perplex, ich war ja schon so manches gewesen, aber der Ninja, der war neu. Auch jetzt noch, wenn ich das schreibe, muss ich in mich rein kichern.

Aber ich habe auch sehr viele schöne Erfahrungen gemacht. Es gibt sehr viele Menschen, für die ganz einfach nur ein Mensch unter Menschen bin.

MM: Wie kam es dazu, dass Sie anfingen Gedichte zu schreiben?

Fatima Zahraa: Gereimt habe ich schon immer gern, allerdings nur so, zum Spaß. Ich habe ganz einfach meine Freude daran.

Früher hatte ich viele Hobbys wie Kunsthandwerk, Malen, Seidenmalerei. Davor habe ich viel Handarbeiten gemacht: geknüpft, gestickt, gehäkelt, genäht. Ein Hobby nach dem anderen musste ich auf Grund meiner fortschreitenden Erkrankung aufgeben, bis irgendwann nichts davon mehr übrig war. Das war für mich bitter, also sah ich mich nach einen Ersatz um. Zu dieser Zeit war ich schon einige Jahre Muslima und ich hatte so manches mal das Gefühl, wenn ich jetzt nicht etwas heraus lasse, werde ich platzen. So entstanden die ersten Gedichte. Alles was ich in meinen Gedichten zum Ausdruck bringe, das bin zu 100% ich. Damit habe ich von meinem geliebten Herrn etwas erhalten, wodurch ich meine Stimme erheben und zum Ausdruck bringen kann, was mich bewegt. Ich sehe darin aber auch eine große Verantwortung und Aufgabe, welche mir der Gewaltige Schöpfer allen Seins auferlegt hat. Und ich bin Ihm unendlich dankbar dafür.

MM: Sie haben Ihre Hadsch 1999 durchgeführt. Bitte berichten Sie uns Ihre Erfahrungen dazu in der Sondersituation im Rollstuhl.

Fatima Zahraa: Unsere Pilgerreise sollte über Damaskus nach Jidda führen, von dort nach Medina und anschließend zu den heiligen Stätten, aber leider wurde unsere Vorfreude erheblich gedämpft, da wir den ganzen Tag vergebens auf den Abflug warteten, um dann zu erfahren, dass unser Flug erst am nächsten Tag möglich sei. Für die Nacht wurden wir im Hotel Estrel untergebracht. Aber dann war es soweit, als Zwischenstation flogen wir Damaskus an. Dort hatten wir wieder einen längeren Aufenthalt.

Als ganz besonderes schlimm habe ich die katastrophalen Zustände der Toiletten im Flughafen Damaskus empfunden, welche von denen in Jidda noch übertroffen wurden, für Menschen mit Behinderungen einfach nicht nutzbar. Daher lege ich jedem Hadschpilger, besonders jenen, welche der Gnadenvolle Herr allen Seins wie mich mit Seiner sichtbaren Gnade ausgezeichnet hat, nahe, in ihrem Gepäck eine Rolle Haushaltsfolie mit sich zu führen, um damit die unglaublichen Missstände der sanitären Anlagen abzudecken.

Ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich glaube wir brachten 2 Tage in Jidda im Freien zu, nur mit einem Sonnenschutz über uns. Schließlich ergab sich dann ein Flug nach Medina, wo wir Nachts ankamen. Mit dem Bus fuhren wir zum Hotel, nur welches war es? Im ersten Hotel sagte man uns, dass wir dort nicht gebucht hätten, obwohl der Name des Hotels stimmte. Nachdem wir 2 Stunden im Bus gewartet hatten und die Brüder, welche von Hotel zu Hotel gegangen waren, unverrichteter Dinge wieder zurück kehrten, entschloss man sich, noch einmal im ersten Hotel nachzufragen, da ja Name und Adresse stimmten. Und siehe da, nach längeren hin und her stellte sich heraus, dass man die von uns gebuchten Zimmer zweimal vermietet hatte. Wieder hieß es warten. Dann war es irgendwann endlich soweit, man stopfte uns zu viert und zu fünft in Zweibettzimmer, aber das war uns inzwischen schon alles egal, wir wollten ganz einfach nur noch ein wenig schlafen, bevor das Frühgebet begann. Dann war es endlich soweit, nach dem Frühstück gingen wir zur nahe angrenzenden Prophetenmoschee. Es war ein unbeschreibliches Gefühl! In dem Moment, in dem ich durch das große eiserne Tor fuhr, fing ich stark an zu zittern und die Tränen kullerten ohne Unterlass. Ich war einfach überwältigt von der Nähe unseres edlen heiligen Gesandten und jenen aus seiner heiligen Familie.

Bei Reiseantritt herrschten in Berlin noch sehr kalte Temperaturen, in Medina aber empfing uns eine glühende heiße Sonne.

Das Salz meiner Tränen und die starke Sonne lösten bei mir eine Sonnenallergie aus, welche sich darin zeigte, dass innerhalb kurzer Zeit mein ganzes Gesicht ein lilarote Färbung einnahm, stark verschwollen war und meine Augen blutunterlaufen und fast zugequollen waren. Ich glaube, ich war ein sehr erbärmlicher Anblick, denn immer wieder wurden mein Begleiter und ich von anderen Gruppen umringt. Sie alle hoben ihre Hände und machten Dua (Bittgebet). Einmal umringte uns eine Gruppe männlicher Pilger und, Subehanallah, sie weinten meinetwegen, hoben die Hände zum Dua für mich, oder aber es kamen gemischte Gruppen, um für mich Dua zu machen und die Frauen küssten mich und lasen auf mir Qur'an. Das waren alles sehr beeindruckende Erlebnisse für mich.

Aber auf Grund der Sonnenallergie ging es mir von Tag zu Tag immer schlechter.

Als ich dann bemerkte, dass ich auch noch Fieber bekam, bat ich nach einem Pflichtgebet meinen Hohen Herrn, meinen Gastgeber demütig um Hilfe. Da geschah etwas, wovon ich nicht weiß, wie ich es erklären soll, so etwas hatte ich zuvor noch niemals erlebt, ich nenne es die Stimme in mir drin, weil es dem am nächsten kommt.

Sie hieß mich, ins Bad zu gehen, die Gebetswaschung vorzunehmen, zwei Raka (Gebetsabschnitte) zu beten, anschließend Dua zu machen, dann zur Prophetenmoschee zu gehen, dort ebenfalls zwei Raka zu beten und Dua zu machen, und anschließend die Sura Yasin zu lesen.

Ich überlegte kurz, wie ich das bewerkstelligen könnte, denn in Medina sind die Bordsteinkanten sehr, sehr hoch und ich war ganz allein, selbstständig konnte ich sie unmöglich überwinden, aber dann dachte ich mir: "Nun gut, wenn dein Herr das sagt, dann hat Er ganz sicher auch eine Lösung dafür, also tu es". Als ich nach dem Gebet gerade mein Dua beendet hatte, ging die Tür auf und eine Zimmerkameradin kam herein. Ich fragte sie, was sie denn jetzt vorhätte und zu meiner Großen Überraschung antwortete sie mir, dass sie nur Wudu nehmen möchte, um dann zur Prophetenmoschee zu gehen und die Sure Yasin zu lesen. Ich sagte ihr: " Subahan Allah, genau das habe ich auch vor.", worauf sie mir antwortete, dass sie mich dann mitnehmen wird.

Dort angekommen, nach Gebet und Dua, schlug ich das heilige Buch auf, um die Sure Yasin zu lesen. Durch das weiße Papier verspürte ich einen starken Stich in meinen Augen und die Tränen kullerten vor Schmerzen, irgendwie hatte ich das Gefühl, als hätte mir jemand Säure in meine Augen gegossen und ich konnte anfangs keine Buchstaben erkennen. Vor Schmerzen wollte ich den heiligen Qur'an Karim gleich wieder zuklappen, aber ich sagte mir, "Wenn dein Herr sagt lies, dann lies." Also begann ich zu lesen, auch wenn es noch so schmerzhaft war. Nachdem ich eine ganze Weile gelesen hatte, wunderte ich mich, dass ich ja auf einmal richtig lesen, bzw. erkennen konnte, keine Tränen mehr kullerten und die Schmerzen verflogen waren. Als wir unser Qur'an lesen beendet hatten, machten wir uns auf den Heimweg. Nach dem Verlassen der Moschee fuhr mir das helle Tageslicht wie ein Blitz in meine Augen und ich zuckte kurz zusammen. Meine Begleiterin sah mich an und rief in einem sehr überraschten Ton meinen Namen. Das gleich mehrmals. Irritiert fragte ich sie, was denn los sei. "Sie sagte mir mit erstauntem Unterton: "Dein Gesicht !" , und ich fragte sie besorgt, was denn mit meinem Gesicht sei, worauf sie ganz verblüfft antwortete: "Nichts!" Nun verstand ich überhaupt nichts mehr und fragte mich, was denn jetzt wohl wieder los sein mag. Daher fragte ich sie noch einmal, was denn mit meinen Gesicht sei und sie antwortete mir, dass ich ganz klare leuchtende Augen und eine Gesichtshaut, so zart und so rosig wie ein Baby hätte.

SubahanAllah, so hat mir mein Allgütiger Herr, der Gnadevolle, Barmherzige, in der Moschee seines heiligen Gesandten Mohammad (s.) die Gnade erwiesen, dass die Sure Yasin mich heilen durfte. Die Stimme, von welcher ich eingangs sprach, begleitete mich den ganzen Hadsch über, bis ich wieder zu Hause angekommen war.

Das war ein kurzer Abriss meiner wunderschönen Erlebnisse in Madina, aber nun möchte ich zum Hadsch ganz allgemein kommen.

Es ist sehr wichtig, dass ein nicht gesunder Mensch, welcher sich auf dieser Pilgerreise befindet, geduldiger und stärker sein muss, als ein gesunder Pilger, in der Ausnahmesituation, welche der Hadsch ja darstellt, gelangen Menschen an ihre Grenzen der Belastbarkeit und es ist möglich, dass ein hilfsbedürftiger Mensch als zusätzliche Last angesehen wird und nicht als das, was er ist, eine Gnade des Allgewaltigen Herrn und eine Segnung für diese Pilgergruppe, da sie sich ihren Segen um ein vielfaches erhöhen könnten, würden sie mit einen mit den Zeichen der Gnade des Einen gesegneten Menschen liebevoll und barmherzig umgehen.

Daher kann ich den Menschen, welche auf die Hilfe andere angewiesen sind, nur dringendst empfehlen, mit einer Gruppe die Pilgerreise anzutreten, welche ihrer Nationalität entspricht (um sprachlich nicht ausgegrenzt zu werden). Von besonderer Wichtigkeit ist auch, darauf zu achten, dass sich in dieser Pilgergruppe wenigstens eine handvoll Menschen befinden, zu denen man ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat und mit ihnen sollte man vor Reiseantritt die einzelnen Stationen durchgehen um die dabei benötigten Hilfen bis ins kleinste Detail absprechen, damit es dem oder derjenigen nicht genauso ergeht wir mir, und man dann in Arafah, Mustalifah und Mina über 90 Stunden ununterbrochen im Rollstuhl sitzen muss. Ideal wäre es, wenn man mit wenigsten 3- 4 Gruppenmitgliedern sich von Fachkräften (z.B. in einer Physiotherapie-Praxis ) die benötigten Hilfeleistungen zeigen und erklären lässt.

Ein großes Problem stellen auch die sehr hohen Bordsteinkanten dar, wodurch man auf beständige Hilfe angewiesen ist. Auch würde ich dringend empfehlen, dass man sich mindestens eine wärmere Jacke oder Weste einpackt, da es Nachts und zum Frühlichtgebet eisig kalt ist. Wichtig ist auch ein kleines Kissen und eine wärmende Decke für Arafah, Mustalifa und Mina einzupacken.

Im Arafah und Mina gibt es Behindertentoiletten, welche bewacht und geputzt werden und daher wohltuend sauber sind, allerdings sind es in ganz Mina nur zwei und in Arafah eine.

Wenn man sich gut vorbereitet, alles vorher gut abspricht, sollte die Pilgerreise kein Problem darstellen. Ganz egal wie groß die Schwierigkeiten wären, ich würde immer wieder diese Pilgerreise antreten, sollte sich nur die Gelegenheit dazu bieten.

Die Hektik Mekkas unterscheidet sich stark von der Prophetenstadt Medina, in welcher überall der Segen der Anwesendheit des edlen Gesandten Mohammad (s.) zu spüren ist.

Es war sehr beeindruckend, wie die Pilger aus allen Richtungen nach Mekka strömten. Mit Worten ist es nicht zu beschreiben, wie die ganze Stadt Mekka von den lauten Labaika-Rufen und den Lobpreisungen des Einen Allgewaltigen Herrschers erbebt. Von überall her aus allen Straßen kommen die Busse, aus allen Richtungen mit ihren lauten Rufen, und alle haben ein Ziel: Al-Haram. Es ist einfach wundervoll, es ist ein Gefühl, als würde sich die Seele ganz weit öffnen und Erde und Universum in sich aufnehmen. Man fühlt sich wie ein Tropfen Wasser im großen Ozean. Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, einen Kloß im Hals und nasse Augen, wenn ich daran denke. Wenn ich davon erzähle, so ist es, als würde ich ein ganzes Buch mit einem einzigen Buchstaben erklären wollen. Es ist einfach überwältigend! Abschließend möchte ich noch einmal hervorheben, dass es von besonderer Wichtigkeit ist, sich umfassend vorzubereiten und fest darauf zu vertrauen, dass ein Hadschpilger Gast des Allerbesten Gastgebers ist, denn wer auf Ihn vertraut, ist niemals allein.

Allen zukünftigen Hadschpilgern wünsche ich eine wundervolle Zeit voller schöner Begebenheiten und Begegnungen und dass der Allgewaltige Barmherzige Herrscher allen Seins jegliche Bemühungen Gnadenvoll annehmen möge.

MM: Wie sind die islamischen Möglichkeiten für Muslimas im Rollstuhl in Berlin, und wie kann man sich selbst oder anderen helfen, wenn die Möglichkeiten begrenzt sind?

Fatima Zahraa: Als Großstadt bietet Berlin Muslimen Gebetsräume und Moscheen für alle Richtungen des Islam. Ein großes Problem für Rollstuhlfahrer ist, dass viele dieser islamischen Einrichtungen nicht ebenerdig zu erreichen sind, wodurch man in seiner Selbstständigkeit ganz erheblich eingeschränkt wird.

In Berlin gibt es einen Sonderfahrdienst für Menschen mit Behinderungen, welcher einen Tür-zu-Tür-Transport gewährleistet und Treppentransporte bis in die 4. Etage übernimmt, aber leider musste ich feststellen, dass er nicht immer so ganz zuverlässig ist. Aber dennoch bin ich sehr dankbar dafür, dass es ihn gibt. Die Mobilität hängt auch von der Art der Behinderung ab. So ist es einem Menschen mit Querschnittslähmung einfacher, sich notfalls umzusetzen, als es bei mir der Fall ist. Somit kann mit ein wenig Organisationsvermögen ein privater Transport durch Freunde stattfinden, um sein Ziel zu erreichen, was mir mit meiner Muskelschwunderkrankung leider nicht möglich ist. Dann bleibt für mich nur noch, traurig allein zu Hause sitzen zu bleiben, meinem Herrn für die Prüfung meiner Geduld zu danken und das Beste daraus zu machen.

Da ich leider durch Mobilitätsmangel schon des Öfteren nicht an Vorlesungen teilnehmen konnte, nehmen mir meine Freunde jetzt immer den Versäumten Unterricht mittels MP3-Player auf, so bin ich dann immer auf dem Laufenden.

Ansonsten heißt es, will man ein Problem in den Griff bekommen: telefonieren, telefonieren, telefonieren... beten, hoffen, und sich in Geduld fassen.

Auch außerhalb der muslimischen Umma gibt es viele Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten. Viele kulturelle Einrichtungen haben Sondereingänge für Rollstuhlfahrer und es gibt sehr schöne Naherholungsgebiete, die zu langen Spaziergängen und Picknicks einladen.

MM: Sehr geehrte Fatima Zahraa. Wir danke für das Interview.

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