MM: Sehr geehrter Herr Prof. Heine. Ihr
Leben scheint geprägt zu sein von Ereignissen, die uns alle heute einholen.
So haben Sie bereits Anfang der 90er Jahre an einem DFG-Projekt
gearbeitet mit dem Titel "Sunnitisch-schiitischer Konflikt im Irak". Haben
sie jetzt die Arbeit wieder herausgekramt?
Prof. Heine: Ich habe mich weiterhin mit dem
Thema befasst. Über Irak erschien im Jahr 2002 das Buch Schauplatz Irak.
Hintergründe eines Weltkonflikts (HerderSpektrum). Die aktuelle Situation
ist dazu angetan, dass man das Thema verfolgt!
MM: Ein weiterer Aspekt Ihres Lebens bekam
dieser Tage hohe Medienaufmerksamkeit. In 1998 waren Sie Beiratsmitglied des
Projektes "Merhaba" zur Förderung von türkischen Oberstufenschülerinnen und
Studentinnen in Deutschland bei der Thomas-Morus-Akademie im Erzbistum Köln.
Haben Sie immer noch das Gefühl, dass Muslime in diesem Land "willkommen"
sind?
Prof. Heine: Wenn man den demoskopischen
Untersuchungen glaubt, stehen die Deutschen dem Islam verstärkt ablehnend
gegenüber: Wenn man aber mit deutschen Gesprächspartnern spricht, haben sie
in vielen Fällen, die mit den Muslimen zu tun haben, ein gutes Verhältnis.
Natürlich gibt es Streit überall, auch zwischen Herkunfts-Deutschen.
MM: Damit
sind wir auch schon bei Ihrem aktuellen Buch Vom 11. September zum 20. März
Der Dialog mit dem Islam als Herausforderung an die westliche Welt. Was
waren Ihre Beweggründe für solch ein Buch mit solch einem Titel?
Prof. Heine: Die beiden Ereignisse, von
denen das zweite nicht so tief im kollektiven Gedächtnis steckt es ist der
Beginn der amerikanischen Invasion im Irak hat den Dialog von einer eher
theologischen auf eine konkret politische Ebene gehoben und ist wichtiger
denn je.
MM: Sie schreiben, dass die Art und die
Zielsetzung des Dialogs zwischen Christen und Muslimen überdacht werden
muss. Wie meinen Sie das?
Prof. Heine: Der Dialog muss von der Ebene
der Fachleute, als Theologen und Religionswissenschaftler, auf die Ebene
derer gebracht werden, die sich in der täglichen Begegnung am Arbeitsplatz,
im Laden, in der Schule, gegenüber sehen. Ihre Probleme miteinander und mit
Dritten müssen im Mittelpunkt dieses neuen Dialogs stehen.
MM: Inzwischen haben Muslime in den Medien
selbst die Deutungshoheit über ihren eigenen Glauben verloren und lauter so
genannte "Islam-Experten" wollen den Muslimen und der Gesellschaft weis
machen, wie übel der Islam sei. Was ist Ihr Vorschlag an Muslime, dieser
Situation zu begegnen?
Prof. Heine: Muslime haben in den deutschen
Medien die Deutungshoheit nie gehabt. Inzwischen ist die Zahl muslimischer
Journalisten und Publizisten mit medialer Kompetenz gestiegen. Sie reicht
sicher noch nicht aus. Dennoch sollten diese muslimischen Journalisten damit
beginnen, eine religiöse Rundfunksendung zu konzipieren und den
öffentlich-rechtlichen Sendern anbieten.
MM: Ein auffälliger Konfliktpunkt ist
sicherlich das Kopftuch der praktizierenden Muslima. Neben dem Verbot für
Lehrerinnen wird auch immer mehr über eine "kopftuchfreien Schule"
diskutiert, was dann auch Schülerinnen treffen würde. Kann diese
Gesellschaft nicht mit Kopftuchträgerinnen im inneren Frieden leben?
Prof. Heine: Ich verstehe die ganze Debatte
nicht und auch nicht die damit verbundenen Diskussionen auf deutscher Seite.
Wahrscheinlich wird dort ein Stellvertreterkrieg geführt. In Wirklichkeit
geht es um die Frage der Stellung des Islams in der deutschen Gesellschaft.
MM: Können Sie sich bekennende Muslime als
Bereicherung der deutschen Gesellschaft, also "echte" deutsche Muslime als
normale Mitglieder der Gemeinschaft vorstellen?
Prof. Heine: Selbstverständlich! Ich kenne
muslimische Künstler, Schriftsteller, Unternehmer, Wissenschaftler, die eine
Bereicherung der deutschen Gesellschaft sind. Vielleicht ist es ein
positives Zeichen, dass uns diese vereinzelten Muslime von ihrer religiösen
Herkunft her als solche nicht bewusst sind, so wie wir die
Religionszugehörigkeit von vielen Deutschen auch nicht kennen.
MM: Was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft
bezüglich Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland?
Prof. Heine: Ich bin sicher, dass in 50
Jahren das Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen so
selbstverständlich ist wie heute zwischen Katholiken und Protestanten.
MM: Sehr geehrter Prof. Heine, wir danken
Ihnen für das Interview.
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