MM: Sehr geehrter Ahmed Nurani-Krausen; einige hundert Mal erzählt
und doch wieder gefragt: Wie fanden Sie zum Islam?
Nurani-Krausen: Nach dem ich Deutschland
verließ, reiste ich in vielen Ländern in Afrika und Asien. Ich wollte sehen,
wie man anders leben kann, denn ich hatte Zweifel daran, dass unsere
Lebensweise hier im Westen die einzige richtige ist. Ich habe beobachtet,
zugehört, Fragen gestellt und Antworten gesucht. Dabei hat die Fotografie
die wichtigste Rolle gespielt- auch heute noch- denn mit der Fotografie kann
man einen Bruchteil einer Sekunde für lange Zeit haltbar machen. Man sagt ja
auch, ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Es war ein langer und zäher Weg.
Leicht gemacht habe ich es mir dabei nicht. 14 Jahre habe ich dafür
gebraucht.
MM: Was hat man sich unter dem
Fotografiedokumentation "Islam in Europa" vorzustellen?
Nurani-Krausen: Wenn man von der islamischen
Architektur redet, ist damit in der Regel Damaskus, Bagdad oder Kairo
gemeint. Ich möchte mit meinen Bildern dokumentieren, dass die islamische
Architektur hier in Europa auch bewundernswert ist, ja in manchen Gegenden,
wie z.B. in Nord-Osteuropa sogar faszinierend und einmalig ist. Ich
fotografiere auch die Muslime, wie sie leben, arbeiten, wohnen usw. Ich
möchte zeigen, wie vielfältig der Islam in Europa ist. Daraus soll ein
illustriertes Buch werden, InschaAllah.
MM: Kann man davon leben?
Nurani-Krausen: Nein, das ganz bestimmt
nicht. Um mein Projekt fertig stellen zu können, benötige ich Sponsoren. Den
Lebensunterhalt für mich und meine Familie verdiene ich durch eine
Beschäftigung bei einer dänischen Firma, die digitale Rückteile für
Zwischen- und Großformatkameras baut.
MM: Sie verlinken auf Ihrer Homepage als
Erstes zu Halima Krausen, ist die Namensvetternschaft Zufall??
Nurani-Krausen: Nein, die Halima Krausen ist
meine ältere Schwester.
MM: Themenwechsel: Als muslimischer Bürger
Dänemarks haben Sie den so genannten Karikatur-Streit aus nächster Nähe
miterlebet. Wie stellt sich der Konflikt für Muslime in Dänemark in den
muslimischen Gemeinden dar?
Nurani-Krausen:
Der Konflikt fing nicht erst bei den Karikaturen an.
Seit Jahren, besonders durch die Rechts-liberalen Regierungsübernahme, wird
eine miese Stimmung verbreitet. Ausländer, Islam, Muslime waren die
Hauptthemen im Wahlkampf und sind heute fast täglich der Tagesordnungspunkt
im dänischem Parlament. Z.B. wenn ausländische Jugendliche etwas kriminelles
anstellen, steht das sofort mit riesigen Überschriften in den Zeitungen und
natürlich müssen auch sofort die Gesetze verschärft werden. Wenn es sich um
dänischen Jugendliche handelt, ist es dagegen meist still. Muslime werden
nach belieben in Kategorien eingeteilt: in Islamisten, Radikale, Moderate
usw. und gegeneinander ausgespielt. Die Karikaturen haben das Fass erst zum
Überlaufen gebracht. Die Muslime in Dänemark haben sich bisher sehr
beispielhaft verhalten. Natürlich kein einziges positives Wort darüber weder
in der Presse noch von Politikern.
MM: Dann geben Sie doch einige Worte dazu
ab.
Nurani-Krausen:
Kurz zusammen gefasst fing es an mit einem
Unterrichtsbuch für Schulen, dass das Leben des Propheten Mohammad (s.)
schildern sollte. Dafür benötigte man Bilder. Es wurden einige Zeichner
beauftragt den Propheten zu zeichnen. Diese lehnten es aber ab, weil sie
befürchteten mit dem Bilderverbot im Islam in Konflikt zu geraten.
Normalerweise würde ich- so wie es auch hier in Dänemark üblich ist -
erwarten, das eine Debatte über das Thema eröffnet wird. Das hätte ich
persönlich auch für richtig empfunden. Auch über andere Themen, so z.B. vor
Volksabstimmungen zur Einführung des Euro o.Ä. wird hier sehr
leidenschaftlich, kritisch und informativ diskutiert, was ich in Deutschland
sicherlich vermissen würde. Hier wählte die dänische Tageszeitung -
Jyttland-Posten - eine sehr konservatives Blatt übrigens, für viele
unerwartet, die Provokation anstelle der Debatte. Danach passierte aber
nicht sehr viel. Erst die sehr arrogante Haltung des dänischen
Staatsministers gegen über das Anfragen einer Reihe Botschafter von
islamischen Staaten, und das muss ich fairerweise hinzufügen, die
Übertreibungen eines einzelnen Imams hat den Konflikt zur Eskalation
gebracht.
MM: Nun ist Dänemark als kleines EU-Land
auch reich aufgrund seiner Exporte. Als Nicht-Däne bekommt man den Eindruck,
dass es die heutige Politik in Dänemark gar nicht interessiert, ob die
dänische Wirtschaft Schaden nimmt oder nicht, oder trügt der Eindruck?
Nurani-Krausen:
Die rechts-liberale Regierung zusammen mit der
rechtspopulistischen Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) hat in erster
Linie eine ausländerfeindliche und islamfeindliche Politik im Kopf. Im
letzten Wahlkampf war die Ausländerpolitik das einzige Thema gewesen. Der
Irak-Krieg- an dem Dänemark ja eine aktive Rolle spielt - wurde kein
einziges Mal erwähnt. Sicherlich spielen die wirtschaftlichen Interessen
eine Rolle, aber ich glaube, das die dänische Regierung die Reaktionen vor
allem von den islamischen Ländern total unterschätzt hat. Sie sind ja schon
am reparieren: Am 10. März findet in Kopenhagen eine internationale
Konferenz über Dialog statt.
MM: Wie ist denn die Reaktion der dänische
Bevölkerung. Steht sie einheitlich hinter den "Meinungsfreiheits"-Fanatikern,
oder gibt es auch besonnene Stimmen, die zu gegenseitigen Respekt mahnen?
Nurani-Krausen:
Laut einer Umfrage ist die dänische Bevölkerung in
zwei ungefähr gleich großen Lagern geteilt. Das eine Lager befürwortet eine
uneingeschränkte Meinungsfreiheit und die andere Seite wünscht
Rücksichtnahme, denn die Globalisierung die wir heute haben, macht dies
Notwendig.
MM: Wie hat sich im Zuge der
Konfliktverschärfung die Lage der Muslime in Dänemark noch weiter erschwert?
Nurani-Krausen:
Laut einer Umfrage hat die rechtspopulistische Dansk
Folkeparti vom Konflikt am meisten profitiert. Das lässt schlimmes für die
Zukunft erahnen.
MM: Bekommen Sie selbst oder Ihre
Familienangehörigen die Negative Stimmung auch direkt zu spüren?
Nurani-Krausen:
Ja leider. Meine Frau stammt aus Somalia. Wegen ihre
dunklen Hautfarbe und ihrem Kopftuch wird sie angerempelt z.B. in vollen
Bussen, und wenn wir gemeinsam mit unseren Kindern ausgehen, werden die
Kontraste ja noch stärker. Wenn Blicke töten könnten.
MM: Was können Ihrer Meinung nach dänische
Muslime wie auch Nichtmuslime tun, um die Lage zumindest zu besänftigen?
Nurani-Krausen:
Der Dialog ist das wichtigste Element in der dänischen
Gesellschaft und ist der einzige Weg zu einer Lösung. 70% der dänischen
Bevölkerung befürchtet terroristische Anschläge in Kopenhagen. Das wäre
furchtbar! Eine dänische nichtmuslimische Initiative hat eine Homepage
eröffnet um zu zeigen, das es auch ein anderes Dänemark gibt. Die Homepage
heißt:
www.anotherdenmark.org. Ich möchte noch
hinzu fügen, das am 18. Februar Grossdemonstrationen hier in Kopenhagen und
in anderen dänischen Stätten stattfanden für Dialog und Respekt, an denen
sowohl Muslime wie auch Nichtmuslime teilgenommen haben. Meine Idee ist,
diese Demonstrationen jede Woche zu wiederholen nach dem Vorbild der
Leipziger Montagsdemonstration. Es müssen noch viele Mauern fallen.
MM: Sehr geehrter Ahmed Nurani-Krausen, wir
danken für das Interview.
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