MM:
Sehr geehrter Herr Külbel, warum schreibt ein Karatekämpfer, der diese
Fähigkeiten in Japan erworben hat und in der DDR Ermittler schwieriger
Fälle war, ausgerechnet über den Nahen Osten?
Külbel: Ich hatte das seltene Glück,
in den 90er Jahren in Ägypten leben zu können. Und zwar auf eine Art,
die jeden zivilisierten Europäer abschrecken würde: Ich wohnte mit
meiner Familie auf dem Lande. Wir freundeten uns mit den Fellachen an,
verbrachten viel Zeit mit ihnen, diskutierten mit Händen und Füßen
über ihre Probleme, Befindlichkeiten, Sorgen, sprachen über Politik
und auch den Pharao Mubarak, den viele gar nicht mochten, wobei sie
ihre Abneigung nur flüsternd kundtaten. Unsere damals dreizehnjährige
Tochter ging zum Beispiel regelmäßig mit zum Viehaustrieb; der Sohn
des Fellachen sang ihr - abends vor dem Haus stehend Liebeslieder.
Es war eine schöne Zeit, in der ich wichtige Freunde kennen lernte und
menschliches Miteinander, wie es in Europa längst nicht stattfindet.
Seither lässt mich Ägypten als auch der Nahe
Osten im Allgemeinen überhaupt nicht mehr los; sowohl Kultur, Historie
als auch Moderne betreffend. Wütend machen mich die Vorbehalte vieler
Amerikaner und der angeblich Zivilisierten innerhalb der Festung
Europa gegenüber den Arabern, im Allgemeinen und den
Fundamentalisten im Besonderen: Denn die Konflikte, die heute im
Nahen Osten ausgetragen werden, sind nichts anderes als die Folge
politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme der Imperialisten,
allen voran Frankreich, England, USA, die im vergangenen Jahrhundert
begann und noch immer kein Ende gefunden hat. Allein das zeichnet für
das heutige Desaster im Nahen Osten verantwortlich. Hier schreit es
nach Aufklärung.
MM: Jetzt haben Sie ein Buch über das
Attentat auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq
Hariri, welcher vor über einem Jahr ermordet wurde, geschrieben.
Seither stellt die internationale Politik die Regierenden in Damaskus
als Drahtzieher des Verbrechens an den Pranger; Sie nicht. Wissen Sie
es besser als die deutschen Geheimdienste?
Külbel: Was die wissen, zu wissen
vorgeben oder wissentlich verschleiern, weiß ich nicht. Geheimdienste
sind selbstredend immer die Huren des Systems, das heißt, ein Teil des
Staatsapparates. Und wie Engels schrieb, ist der Staat in allen
Fällen wesentliche Maschine zur Niederhaltung der unterdrückten,
ausgebeuteten Klasse. Das gilt dann natürlich auch, wenn
Geheimdienste international kollaborieren, wie in den 70er und 80er
Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als sie erheblich in den
neokolonialistischen Aktivitäten gegen junge Nationalstaaten und
nationale Befreiungsbewegungen in Asien, Afrika, Lateinamerika und
eben auch im Nahen und Mittleren Osten beteiligt waren. Selbiges hat
nie aufgehört; die Verniedlichung des deutschen Geheimdienst-Beitrages
zum Irak-Krieg sei das aktuellste Beispiel. Daher habe ich keine
Veranlassung, irgendwelchen Aussagen der Geheimdienste, seien es
deutsche oder ausländische, sämtlich verlängerter Arm
imperialistischer Politik, überhaupt Glauben zu schenken.
Die Leiche Hariris lag noch auf dem
Autopsietisch, da verbreiteten die Kumpane in der USA-Administration,
denen es nach Meinung des Ende März verstorbenen international
bekannten Science Fiction Autors Stanislaw Lem an Verstand mangelt,
dass die Syrer hinter dem Mord stecken würden. Und die
Regierungsclique in Jerusalem, die auf ihrem Staatsterritorium in
Geheimgefängnisse verschleppte In- und Ausländer foltern lässt und
suspekte Menschen gezielt und vorbeugend eliminiert, kreischte
prompt im Chor. Ich jedenfalls gehe davon aus, dass alle
Informationen, die ich im Mordfall Hariri ermittelt und aufgeschrieben
habe, jeder noch so kleine Geheimdienst auch wissen müsste; der Mossad
und die CIA sowieso. Denn es handelt sich dabei keinesfalls um
Fiktionen, sondern um reale Fakten; für Leute vom Fach nicht allzu
schwer ermittelbar, vorausgesetzt und das ist der Dreh- und
Angelpunkt - man will sie überhaupt wissen. Den von mir ermittelten
Tatsachen kann ein Bezug zum Attentat nicht abgesprochen werden;
allerdings passen sie nicht in das Konzept offizieller
internationaler Politik gegenüber Syrien und dem Libanon, die von
den Dummköpfen, um bei Lem zu bleiben, die Amerika lenken und die Welt
beherrschen wollen, vorgeschrieben wird. Somit werden diese Tatsachen
nicht einmal unterdrückt; sie werden schlicht und einfach ignoriert.
Wer wird sich denn selbst belasten wollen, wenn er die Fäden der Macht
in den Händen hält? Daher ist im Mordfall Hariri nicht Geheimdienst oder
Politik sondern allein der investigative Journalismus gefragt.
MM: Ihre Spuren führen in eine ganz
andere Region der Welt, nämlich in die USA. Sie haben die derzeitige
neokonservative Regierung mit dem Begriff Neokon-Kabale belegt. Was
ist darunter zu verstehen?
Külbel: Die US-amerikanische Neokon-Intrige
- Politiker vom rechten Rand, kalte Krieger, Antikommunisten, denen
das Imperium Americanum und die unipolare Welt mit der Hypermacht
Amerika im Hirn saust gründet ihre krankhafte Fiktion auf die Lehre
des jüdischen Philosophen Leo Strauss, ihres ideologischen Ziehvaters,
der da behauptete: "Weil der Mensch von Natur aus Böse ist, braucht er
Herrschaft. Herrschaft ist nur herzustellen in einer Einheit gegen
andere Menschen." Strauss wurde 1934 von Hitlers Kronjurist Schmitt an
die Rockefeller Foundation empfohlen, lehrte bis zum Tod 1973 in
Chicago.
Seine Schüler waren US-Vize Cheney,
Verteidigungsminister Rumsfeld, der ehemalige Stabschef Libby, der
ehemalige Pentagon-Vize und jetzige Chef der Weltbank, Paul Wolfowitz,
der Planungschef des Pentagon Feith, der ehemalige Stellvertretende
Außenminister Armitage und so weiter; die Welt kennt die Banditen.
Wolfowitz verfasste 1992 ein Strategiepapier
mit der Vision von Amerika als Supermacht, die ihre militärische
Überlegenheit uneinholbar gestalten, die Konkurrenten Deutschland,
Japan niederhalten und mehrere Kriege simultan führen kann. Kurz vor
der Präsidentenwahl im Jahr 2000 veröffentlichten die Neokons den
Artikel "Rebuilding Americas Defenses", eine verfeinerte Variante des
Wolfowitzschen Pamphlets und stellten klar, was nach der
Machtübernahme kommt: Ausbau amerikanischer Streitkräfte, Entwicklung
neuer Atomwaffen, Militärbasen in Asien, Kriege gegen Irak, Iran,
Nordkorea. Wolfowitz vermutete, dass "der Umwandlungsprozess
wahrscheinlich sehr lange dauern wird, es sei denn, ein katastrophales
Ereignis tritt ein, das als Katalysator dient wie ein neues Pearl
Harbor".
Das trat ja dann auch am 11. September 2001
ein. Drei Tage später nannte Wolfowitz die Täter: den verstorbenen
Osama bin Laden, Al Kaida, Saddam Hussein. Der Afghanistan-Krieg,
Auftakt zum weltweiten "Krieg gegen den Terror", schmiegte sich sodann
den Plänen der US-Öl-Gruppe UNOCAL an, die eine Öl- und Gaspipeline
von Turkmenistan nach Pakistan via Afghanistan zu bauen gedachte,
wegen des Taliban-Regimes aber nie zum Zuge kam. Die US-Marionette
Hamid Karzai, ehemals UNOCAL-Berater, schloss im Mai 2002, kurz nach
dem Krieg, den Vertrag zum Trassenbau ab.
Beweise gegen Kriegsgegner Nummer zwei,
Saddam Hussein, fand das Pentagon nicht, ebensowenig Dokumente, die
Verbindungen des Irak zum Terrorismus und sein Programm zum Bau von
Massenvernichtungswaffen belegen. Die wurden frech und dreist
gefälscht, daraufhin der Einmarsch im Irak beschlossen. Wolfowitz
erklärte später, die Existenz irakischer Massenvernichtungsmittel sei
nie wichtigster Kriegsgrund der USA gewesen sei, nur zum Thema gemacht
worden war, weil es "der eine Grund war, dem jeder zustimmen konnte."
Frei nach Leo Strauss, bei dem er promovierte: "Ist aber die
Gefährlichkeit des Menschen nur vermutet oder geglaubt, nicht
eigentlich gewusst, so kann auch das Gegenteil für möglich gehalten
und der Versuch, die bisher immer wirklich gewesene Gefährlichkeit des
Menschen zu beseitigen, ins Werk gesetzt werden."
Die Öl-Weltreserven, die in Zentralasien,
Irak, Iran und Saudi-Arabien lagern, sind für den weltgrößten
Energiemarkt USA lebenswichtig. Bush, texanischer Öl-Millionär,
Repräsentant der Macht der Öl-Konzerne, schuf mit seiner
Regierungs-Kabale die ideologische und politische Basis, um das
geostrategische Begehren der Lobby abzuwickeln. Der imperiale
Weltentwurf der Neokonservativen, jahrzehntelang belächelt, taugte
plötzlich zur Verwirklichung der neokolonialen Gelüste der
Ölwirtschaft.
MM: Jetzt überraschen Sie uns aber.
Wir wussten noch nicht einmal sicher, dass USAma bin Laden jemals
gelebt hat und Sie wollen wissen, dass er verstorben ist. Woher haben
Sie diese Information?
Külbel: Ja, ich gebe vor, das zu
wissen. Da ich darüber gerade arbeite, nämlich an einem Buch mit dem
Arbeitstitel Osama bin Laden Welttheater mit Leiche, möchte ich
ungern darüber sprechen. Aber einigen wir uns an dieser sensiblen
Stelle einfach auf den Markenartikel Osama bin Laden oder auch USAma
bin Laden, der zugleich PR-Plattform für Freund und Feind ist.
MM: Die so genannte Zedernrevolution,
die noch vor der orangenen und blauen Revolution in die Wege geleitet
werden sollte, hat offenbar noch nicht die gewünschten Ziele erreicht.
Warum fällt es Ihrer Meinung nach den MainStream-Medien so schwer den
Gesamtzusammenhang im globalen Rahmen zu sehen?
Külbel: Wie gesagt, die Kabale um Bush
treibt handfeste wirtschaftliche, ölige Interessen. Das vorgebliche nation
building durch Demokratisierung bedeutet übersetzt: Installieren
von Vasallenstaaten über den Ölblasen und in den Ländern, durch die
strategisch wichtige Pipelines führen. Für Washington dreht sich doch
letztendlich alles um wirtschaftliche, geopolitische, strategische und
finanzielle Interessen. Um Demokratie, die Gangster im Weißen Haus
haben keine Scham, das Wort bei jeder passenden Gelegenheit in den
Mund zu nehmen, geht es dabei überhaupt nicht.
Der Mord an Hariri bot ihnen
selbstverständlich die Möglichkeit, auch im Libanon eine dieser Obst-
und Gemüserevolutionen der Condoleezza-Neuzeit in Gang zu bringen.
Jetzt sitzt dort eine Regierung, die sich mehr oder weniger von
Washington fernsteuern lässt. Weniger bekannt: In London traf sich
Ende Februar eine weitere Fünfte Kolonne von Exil-Libanesen, die
liebend gern ins politische Leben im Libanon eingreifen wollen, mit
Mitgliedern des britischen Parlamentes, um dort Unterstützung für eben
dieses Vorhaben zu erheischen. In Brüssel traf sich kurze Zeit später
eine analoge Fünfte Kolonne, die sich nun die baldige
Demokratisierung Syriens auf die Fahne geschrieben hat; sämtlich
unterstützt von den Demokratienarren aus Übersee.
Das Märchen von der Demokratie aus
Washington erinnert an alte Menschheitstage, in denen unsere Ahnen die
Mythen von Kulturbringern tradierten; heute wollen sich die
Coca-Cola-Erfinder zum einzig wahren Demokratiebringer aufschwingen.
Das ist eine beispiellose Arroganz.
Da kommen wir zum zweiten Teil Ihrer Frage.
Merkwürdigerweise macht ein Großteil der demokratischen zivilisierten
Welt trotz besseren Wissens da mit; ein Indikator, was unsere
Zivilisation eigentlich wert ist; denn die weiß längst, dass erstens
Bush die Eigenschaft hat, dumm zu sein, um den weltbekannten
polnischen Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem aufzugreifen, der vor
wenigen Tagen verstarb, und dass zweitens wegen solcher Leute wie dem
stellvertretenden Präsidenten Dick Cheney, dem Kriegsverbrecher Donald
Rumsfeld oder der Demokratie-Natter Condoleezza Rice die Welt immer
schlechter wird. Eigentlich haben auch die bürgerlichen Medien keinen
Grund mehr, diesen kriminellen Amerikanern auch nur ein einziges Wort
zu glauben. Spätestens seit dem mit gefakten Gründen vom Zaun
gebrochenen Irak-Krieg haben sich die führenden Barbaren im Weißen
Haus zu Kriegsverbrechern qualifiziert und gehören normalerweise vor
ein internationales Tribunal gestellt, das ihnen den Garaus macht. Man
kann ja mal träumen: Jede Demokratie was das auch immer sein soll
hätte danach die diplomatischen Beziehungen abbrechen und auf
Einschaltung der UNO drängen müssen, um gegen die Gangster in
Washington Front zu machen. Das fatale aber ist, dass unsere
vorgeblich demokratischen Gebilde in Europa samt den sich ihnen
andienenden Medien sich nicht entblöden, dieser die Vereinigten
Staaten regierenden kriminellen Clique, noch immer den Hof zu machen.
Die devote demokratische Internationale
samt ihrer medialen Sprachrohre und dort arbeiten kluge Leute -
hatte auch seit dem Mord an Hariri nichts weiter zu tun, als die aus
Washington stammende unbewiesene Dummschwätzerei gegen Syrien
großenteils völlig unkritisch zu kolportieren. Bislang gibt es keinen
einzigen Beweis für die von den Amerikanern und Israelis in die Welt
gesetzte Verschwörungstheorie. Aber die Anschuldigung steht. Auch dank
der deutschen bürgerlichen Medien und sogar einiger Blätter, die sich
selbst aus welchen Gründen auch immer in die linke Ecke gestellt sehen
möchten.
MM: Dieser Tage haben Sie einen
Bericht veröffentlicht über einen jüngst verhinderten Mordkomplott
gegen den Hisbollah-Chef im Libanon Seyyid Hassan Nasrullah.
Letztgenannter, aber auch geistige Größen z.B. im Iran, sind in der
muslimischen Welt bekannt für ihre zahllosen spirituellen
Veröffentlichungen, während in der westlichen Welt keine einzige ihrer
Schriften bekannt ist. Erinnert Sie das nicht an die Zeit des früheren
Feindbildes, dem Kommunismus? Damals gab es z.B. das Buch "Der
Islamische Staat" von Imam Khomeini in deutscher Übersetzung nur in
der DDR zu kaufen, nicht aber in der Bundesrepublik. Welche Quellen
nutzen Sie für Ihre Recherchen und wie kommt es, dass Sie über einen
aufgedeckten Mordkomplott berichten, über den - wir haben es überprüft
- bisher außer Ihnen keine andere Quelle in Deutschland berichtet hat?
Külbel: Selbstverständlich haben sich
die Vereinigten Staaten nach dem Zusammenbruch des
Möchtegern-Kommunismus umgehend ein neues Feindbild suchen müssen, um
wieder einmal die Welt und vor allem sich selbst aus der Krise retten
zu können. Denken Sie etwa, diese schwachköpfigen Weltrettungsorgien
findet nur in den Zelluloidschinken in Hollywood statt. Kein
kapitalistisches System, das auf seine diabolischen Tugenden schwört,
schon gar nicht Mordamerika, wie mein unerreichbares
schriftstellerisches Vorbild, der leider 2003 verstorbene größte
Dramatiker der DDR, Peter Hacks, schrieb, entlässt seinen
militärisch-industriellen Komplex in die Arbeitslosigkeit. Sehen Sie,
das neue Feindbild der demokratischen Internationale, der
fundamentalistische Islam nämlich und dessen angebliche Ehe mit dem
das gesamte Sonnensystem bedrohenden Terrorismus, hat gegenüber dem
Feindbild Kommunismus allerdings zweierlei deutliche Vorteile:
Endlich darf richtig Krieg geführt werden, was die Rüstungsindustrie
freut, die die Sektkorken knallen lässt, und parallel dazu können sich
die Banditen gleich mal die Bodenschätze in die Taschen stopfen. Was
braucht der Imperialismus mehr? Die weggebombten Kinderärmchen oder
die abgetrennten Köpfe, Gliedmaßen etc. kann man doch wieder annähen?
Oder?
Zum zweiten Teil der Frage: Meine Quellen
lege ich natürlich nicht offen; aber ich beziehe meine Informationen
direkt aus dem Arabisch sprechenden Raum. Keinesfalls aber vom
berüchtigten Middle East Media Research Institute (MEMRI), das, von
einem ehemaligen israelischen Geheimdienstler geführt, den Medien der
demokratischen Internationale z.T. gefakte Übersetzungen von im
arabischen Raum erschienenen Artikeln unterjubelt.
MM: Erlauben Sie ein Frage an den
EX-DDR-Bürger. Wir wissen aus vielen Kontakten mit Ostdeutschen, dass
sie einstmals bei vergleichsweise hohem politischen Bewusstsein die
eigenen Medien immer sehr kritisch beäugt haben. Warum ist die
Kritikfähigkeit verloren gegangen?
Külbel: Das würde ich so nicht
behaupten wollen, auch wenn die Menge der kritischen Menschen
geschrumpft sein mag. Hoffnung macht aber eine These des bereits
genannten Hacks: Der Geist des Arbeiterstandes ist nicht unkräftig
institutionalisiert. Die westdeutsche Arbeiterklasse halte ich nicht
für so ungebildet, wie sie sich zu geben beliebt. Sie weiß ganz gut,
was gespielt wird. Ich würde sie eher verderbt oder lasterhaft denn
dumm nennen. Ihrem etwas verbasterten Stamm die Arbeiterklasse der
DDR, die, beiläufig gesagt, nicht nur belesen, sondern auch bewaffnet
war, aufokuliert zu haben, wird die deutsche Bourgeoisie noch
bereuen. Ich würde ergänzen, die Masse der Kritischen im Osten ist
vorerst auf dem Weg, sich den westdeutschen Befindlichkeiten
anzupassen und vorderhand verderbt und lasterhaft zu werden. So Hacks
Recht hat, sollte den Ostdeutschen ebenso wie den Westdeutschen die
allgemeine Volksverdummung lediglich zur Zierde denn zur
Charakterprägung gereichen. Ich vertraue diesbezüglich einfach mal auf
Hacks und bin daher guter Hoffnung; zumindest was die Ostdeutschen
betrifft.
MM: Sie lassen in Ihrer Argumentation
Ihre Vorliebe für den Sozialismus bzw. Kommunismus sehr deutlich
durchblicken. Aber offensichtlich hat jene Ideologie gegen das, was
wir Raubtierkapitalismus nennen, vorerst verloren. Und diejenigen, die
Sie als "Dummköpfe" darstellen, sind immerhin so klug, dass Sie einen
großen Teil der Welt beherrschen. Kann es nicht sein, dass
Kapitalismus und Kommunismus gleichermaßen gescheitert sind und das
scheitern sich nur unterschiedlich äußert?
Külbel: Ich kann Ihnen nur zustimmen;
würde aber präzisieren: Das, was wir als Sozialismus bzw. Kommunismus
kennen gelernt haben und wie das praktiziert wurde, ist nicht im Sinne
der Erfinder gewesen, um es mal salopp auszudrücken. Ein Sozialismus,
der eigentlich Frieden zum Gedeihen braucht, hat es schwer, wenn er
neben seinen umfangreichen Leistungen im Sozialbereich darauf ist ja
ein solcher Gesellschafsvertrag ausgerichtet Unmengen für seinen
Schutz ausgeben muss. Darauf hat der Imperialismus auch spekuliert;
man spricht nicht umsonst davon, es gab natürlich auch andere
Umstände, die zu seinem Niedergang geführt haben, dass der Sozialismus
am Ende tot gerüstet wurde.
Um für mich zu sprechen: Natürlich bin ich
Kommunist; mir gefällt die Idee eines menschenwürdigen Miteinanders.
Ob der Kapitalismus gescheitert ist?
Natürlich nicht. Viele verwechseln da meiner Meinung nach etwas. Sagen
wir mal so: Der Kapitalismus in der Variante der sozialen
Marktwirtschaft, die sich viele Menschen zurückwünschen, eben weil sie
eine soziale Komponente hatte, ist vergleichbar mit dem Stadium eines
Krebspatienten kurz vor dem Tod. In dem Falle muss sich der
Kapitalismus, weil er gegen seine Natur, das Profitstreben, lebt,
jeden Tag aufs Neue wegen des unfreiwilligen Aderlasses an seine
Mitbürger übergeben. Der Kapitalismus blüht erst dann auf, wenn er
ungehemmt akkumulieren kann. Und das momentane demokratische
Barbarentum (mein Arbeitsbegriff), ein äußerst aggressives Stadium
des Imperialismus nach dem Implodieren des sozialistischen
Weltsystems, schafft eben die besten Voraussetzungen für seinen
Tigerritt nach Kapital und Aktien. Doch das leitet auch, so hoffe ich
und wieder auf Hacks vertrauend, sein Ende ein, und dieser
Imperialismus gerät an den Abgrund. Denn: Die Erniedrigung der immer
mehr verarmenden Menschenmasse kann nicht bis in die Unendlichkeit
gesteigert werden. In Frankreich konnte man vor wenigen Tagen
schemenhaft die Umrisse der während der Französischen Revolution
errichteten Guillotinen sehen. Die Menschen sind klug genug, um
irgendwann zu erkennen, wenn sie keinen Ausweg mehr haben sollten,
dass ein gesellschaftlicher Umsturz unumgänglich ist. So läuft die
Geschichte. Auch ich bin dafür; sollen diejenigen, die arbeiten, auch
die Lorbeeren ernten und nicht diejenigen mit den Yachten, Banken,
Spielkasinos, all die Vettern und Kriegsherren, die ihre Völker immer
und wieder in blutige Schlachten führen.
MM: Sie erwähnten den "Geist des
Arbeiterstande". Können Sie sich vorstellen, dass ein "Geist", der
viel umfassender ist, eine Gefahr für den Raubtierkapitalismus
darstellt, und dass neben all den von Ihnen erwähnten Interessen auch
eine ideologische "Gefahr" für diejenigen besteht, die heute den Irak,
den Iran und den Libanon verunsichern wollen.
Külbel: Ich erkenne, was Sie
vorsichtig andeuten. Sie stellen diese Frage natürlich einem
Kommunisten. Schließen wir vorderhand einen so genannten Dhimmi
(Schutzbefohlenen) aus, so würde auch ich vorsichtig antworten, dass
es nicht nur einen Geist auf unserem Globus gibt, der den
Säbelrasslern zur bedeutenden ideologischen Gefahr werden könnte.
Toleranz zwischen diesen Geistern könnte Schulterschluss bewirken.
Vielleicht ließe sich da was machen.
MM: Was für zukünftige Projekte sind
von Ihnen als Ermittler zu erwarten?
Külbel: Erstens, wie angedeutet, das
Buch über Osama aka USAma bin Laden. Zweitens arbeite ich an einer
Fortsetzung der Mordakte Hariri. Der neue Band soll sich
hauptsächlich mit dem ölwirtschaftlichen Hintergrund befassen, der
bislang weitestgehend unbekannt ist und untrennbar mit den im ersten
Band erläuterten politischen Aspekten verbunden ist. Das alles
zusammen hätte den Rahmen nur eines Buch gesprengt.
MM: Mit Karate begann die erst Frage,
mit Karate wollen wir enden. Warum war Karate in der DDR verboten?
Külbel: Da kann ich Ihnen sogar mit
einem offiziellen Statement des Ministerrates der DDR vom 4.5.1987
dienen. Ich schrieb damals eine Beschwerde und erhielt folgende
Antwort: Die DDR ist nicht an der Ausübung von Karate durch ihre
Bürger im Freizeitbereich interessiert. Karate als aggressive Form der
Selbstverteidigung und als derzeitiger Modetrend zur kommerziellen
Vermarktung in kapitalistischen Ländern, liegt nicht im Interesse
unserer sozialistischen Gesellschaft
Kurzum, die Machthaber hatten
kein Interesse, dem Volk eine solche Waffe in den Schoß zu legen.
MM: Herr Külbel, wir danken für das
Interview.
Külbel: War mir Ehre und Vergnügen
zugleich.
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