MM: Sehr geehrter Herr Mazyek. Bitte
erläutern Sie unseren Lesern die Aufgaben eines Generalsekretärs des Zentralrats der Muslime in Deutschland?
Mazyek: Der Zentralrat der Muslime in
Deutschland ist ein ganz normaler Verein nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch
(BGB) mit Vorsitzenden, Stellvertreter und in unserer Satzung ist auch ein
Generalsekretär vorgesehen. Die Aufgaben des Generalsekretärs bestehen vor
allem in den Aufgaben der Geschäftführung, im Sekretariat und Außendarstellung.
MM: Sie waren bei der Islamkonferenz beim
Innenminister Schäuble dabei. Wie ist ihr Eindruck jetzt rückblickend nach
einigen Wochen?
Mazyek: Grundsätzlich haben wir begrüßt,
dass zum ersten Mal und endlich der Staat mit den Muslimen spricht und nicht
über die Muslime, es gibt aber viel Klärungsbedarf, was die Bestückung der
Arbeitsgruppen angeht, was die Zusammensetzung des Plenums angeht; es geht
um das Thema Islam-Integration in das deutsche Staatswesen, in die deutsche
Gesellschaft im größeren Sinn. Und das bedeutet, dass wir nicht eine
Diskussionsrunde machen sondern dass wir wirklich Handfest mit Vertretern
der Muslime sprechen. Auch der
ganze Mittelbau, regionale und auch Landesvertretungen, Zivilorganisationen
von Muslimen usw. sind nicht dabei gewesen.
MM: Da wollen wir nachfragen. Wenn die Bundesrepublik Deutschland mit
Vertretern der Christen spricht, lädt sie keine Kritiker des Christentum und
bei Juden keine Kritiker des Judentums. Wie können Sie es akzeptieren, dass Leute den
Islam mitvertreten dürfen, die öffentlich dazu aufrufen, dass Muslimas das
Kopftuch abnehmen sollen?
Mazyek: Wir haben kein Problem mit
Islamkritikern an einen Tisch zu sitzen, wir machen das auch, wir tauschen
uns aus, wir fordern den Disput und die Disputation hat seine guten Seiten
für die Muslime. Die
Frage ist nur, ob eine Disputation dieser Art bei einer staatlichen
Islamkonferenz etwas zu suchen hat. Und da sagen wir eindeutig "nein", weil
es nicht darum geht, dass der Staat eine Disputation oder eine Diskussion
moderiert, sondern es geht darum, das man eine tragfähige
Verhandlungsgrundlage schafft, dass Muslime als Religionsgemeinschaft auf
der einen Seite und der Staat auf der anderen Seite ein Konzept entwickeln,
wie der Islam in Deutschland integriert wird und als gleichberechtigte
Religionsgemeinschaft anerkannt werden kann.
MM: Deutsche und deutschsprachige Muslime
erhoffen sich andererseits eine leistungsstarke und möglichst einstimmige Vertretung des
Islam gegenüber dem Staat. In wie weit sehen auch Sie Hoffnungen auf eine
Vereinigung der Verbände in welcher Form auch immer.
Mazyek: Es gibt ganz gute Ansätze, die in
der jüngsten Vergangenheit zu verzeichnen sind, dass die großen Dachverbände
bzw. Spitzenverbände, namentlich DITIP, Islamrat, Zentralrat, und VIKZ, sich
in vielen Dingen absprechen, so auch geschehen vor der Islamkonferenz, wie
auch bei der Position, die ich vorher genannt habe, was die Kritik an der
Islamkonferenz angeht. Das ist Konsens in den vier Verbänden. Und man geht
sogar dahin, dass man in einigen Bundesländern, z.B. in Nordrhein-Westfalen
jetzt auch einen Schritt weiter gegangen ist, dass man sich Ansprechpartner
generiert, dass man auch dabei ist, eine gemeinsame Geschäftsgrundlage zu
bilden. Das sind sehr gute Zeichen und Signale und es sind auch
hoffnungsvolle Signale für die Muslime in Deutschland.
MM: Wie sieht es grundsätzlich aus im
innerislamischen Dialog? Werden z.B. Diskussionsgruppen deutschsprachiger
Sunniten und Schiiten angedacht und denkt der Zentralrat auch einmal daran,
diesbezüglich vielleicht ein Großveranstaltung zu planen?
Mazyek: Also es gibt unglaublich viel
Anforderungen und Forderungen an die Verbände, und dass die Verbände in
vieler Hinsicht noch Nachholbedarf haben steht außer Zweifel, und auch der
Staat und die Gesellschaft ist fast täglich dabei zu kommunizieren und zu
formulieren, welche Anforderungen und welche Erwartungen man gegenüber den
muslimischen Verbänden hat. Die alle zu erfüllen ist gar unmöglich, vor
allem auch vor dem Hintergrund, das wir seit 40-50 Jahren alle unsere
Tätigkeiten und Aktivitäten, wie Sie wissen, rein aus privater Seite
finanzieren. Und auch da muss die Frage gestellt werden - und die ist bisher
unbeantwortet geblieben - wie diese ganzen Anforderungen, wie diese ganzen
Forderungen und Erwartungen auch materielle ausgestattet bzw. abgefedert
werden können.
MM: Sie waren vor einigen Wochen bei
Christiansen im ARD. Wie steht es allgemein derzeit im Umgang mit den
Medien. Und obwohl es über den Islam ging, mussten sie sich alleine als
Vertreter des Islam gleich gegen 6 andere Diskussionsteilnehmer erwehren.
Bei einer ähnlichen Konstellation zum Thema Judentum wäre Frau Christiansen
anschließend gekündigt worden. Welche Vorschläge haben Sie an ihre
Glaubensgeschwister bezüglich der Ungleichbehandlung in den Medien.
Mazyek: Der Hinweis zu den
Juden ist spekulativ und und polemisch und ich kann ihn so nicht nachvollziehen. Ich sah mich
auch nicht allein in der Runde. Ich fand sie ganz amüsant. Es war ein
Kabarettist und eine Juristin da, ich habe die Anderen nicht als Gegner
verstanden, es war eben eine "Talkshow", so wie es eben heißt:
Eine Rede-Show im deutschen Fernsehen.
MM: Erlauben sie auch einen kritischen Punkt
anzusprechen. Eines der ständig wiederholten Vorwürfe der Medien besteht ja
darin, dass sich Muslime von so genannten Extremisten distanzieren sollen.
Dabei hat sich z.B. der ZMD wohl schon einige hundert Mal von Gewalttätern
distanziert. Doch wenn man genau hinhört, will man Muslime offenbar auch dazu
bringen, das international verbriefte Widerstandsrecht gegen Besatzung, sei
es in Palästina oder im Irak zu verurteilen. Wie geht der Zentralrat mit
solch kritischen Fragen um?
Mazyek: Der Zentralrat der Muslime versteht
sich als Dachorganisation der Muslime in Deutschland und maßt sich nicht an
außenpolitisch irgendwelche Empfehlungen oder Aktivitäten loszutreten.
Im Übrigen sehe ich keinen Zusammenhang zwischen
dem verbrieften Widerstandsrecht und der Distanzierung vom Terror. Eher sehe
ich großen Nachholbedarf bei der Erkenntnis der Muslimen, dass durch Terror
gegen unschuldige Zivilisten und durch dem von Islam verbotenen aber immer
noch praktizierenden Selbstmordattentaten tagtäglich die Muslime, oder die,
die sich dafür halten, ihren Widerstandkampf eklatant vor Allah und
der Völkergemeinschaft diskreditieren.
Die Frage ist hierbei nicht, ob wir uns hundertfach
distanziert habe, sondern die Frage ist, wie nimmt die Gesellschaft das an,
das Bekenntnis zum Grundgesetz, das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit, das
Bekenntnis zum friedliebenden Islam, den 99,9 % der Muslime wahrnehmen. Ich
habe sehr oft den Eindruck, dass man trotz dieser Bekenntnisse den Muslimen
nicht glaubt. Man nimmt es ihnen nicht ab. Und sicherlich ist die
Generalverdachtsdebatte einer der Gründe, warum man ihnen das nicht abnimmt.
Und da müssen gerade Muslime eine Menge mehr tun. Sie können sich nicht
einfach in die Ecke stellen und sagen, man glaube ihnen nicht, und man
schmollt in die Ecke, sondern man muss aktiv etwas dafür tun. Und ich
glaube, viele Muslime verstehen einfach nicht, dass man lokal handeln muss
und global denken und nicht umgekehrt, wie es viele machen und dann staunen,
wenn sie in Lethargie und Unmut verfallen. Gott hat ganze Menge Hausaufgaben
vor Ort gegeben. Wir aber schwänzen die Schule, geschweige denn machen die
Hausaufgaben für das große Etwas, was es aber so nur in unseren Träumen gibt
.. oder besser gesagt Alpträumen. Unserer Umma besteht heute aus vielen Hans-Guckin-die-Luft-Mitgliedern.
Das Zweite ist, das wir uns wirklich in der Tat
auch geistig, intellektuell, akademisch viel mehr, viel stärker mit dem
Thema Extremismus und Gewalt latent in der muslimischen Community
auseinander setzen müssen. Wir können uns auch nicht einfach so zurücklehnen
und sagen: "Damit haben wir kein Problem". In der Tat ist zu verzeichnen,
dass Nihilismus, Dekadenz in der muslimischen Geisteswelt auch eingezogen
hat. Und da müssen wir gucken, wie gehen wir damit um, wie tauschen wir uns
aus, wie können wir uns darüber Erkenntnis verschaffen, dass das eine
Entwicklung ist, die gefährlich und nicht in Ordnung ist. Und ich glaube
letzteres würde auch Vertrauensbildend für die Mehrheitsgesellschaft
dastehen.
MM: Neben Ihrer Tätigkeit als
Generalsekretär des ZMD haben sie auch viele andere Aufgaben übernommen.
Worin besteht ihre Tätigkeit bei dem Verein GRÜNHELME e.V.
Mazyek: Wir haben dort vor drei Jahren eine
bescheidene Organisation mit Rupert Neudeck zusammen gegründet. Wir haben
uns gedacht, dass wir den Dialog zwischen Christen und Muslimen insbesondere
- aber der Verein ist offen für alle, alle Menschen guten Willens, wie es da
heißt - dass wir uns überlegen, wie können wir den Dialog auf praktische Art
und Weise führen. Und da haben wir uns eine humanitäre Organisation die
gerade Schulen in Krisengebieten wieder aufbaut, mit Muslimen und mit
Christen zusammen, überlegt. Und deshalb ist das Kuratorium, der Vorstand
aber auch die Teams vor Ort in Sumatra, in Afghanistan und bald auch in
Mittelafrika oder auch in Pakistan werkeln und arbeiten sind auch mit
Muslimen und Christen bestückt. Und für mich war das einfach eine logische
Konsequenz aus den Dialogveranstaltungen und Dialogkreisen, die wir haben,
die viel Gutes produzieren aber auch viel Paper produzieren - mir war es ein
Herzenswunsch, dass man den Dialog auch praktisch umsetzt.
MM: In diesem Zusammenhang sind sie auch noch
Mitglied der Christlich-islamischen Gesellschaft. Haben Sie Verständnis für
ihre Glaubensgeschwister, deren Euphorie für den Dialog mit den Kirchen in
letzter Zeit etwas abgeklungen ist?
Mazyek: Ja, wer die Statements des
Zentralrats verfolgt, der erkennt, das wir uns ähnlich euphorisch bzw.
uneuphorisch mehr dazu äußern. Und da kann ich nur verweisen: Versuchen wir
den Dialog auf praktischem Boden oder ein praktisches Fundament zu setzen.
GRÜNHELME e.V. ist vielleicht ein bescheidenes Pflänzchen. Solche Dinge
brauchen wir vielleicht mehr in Zukunft.
MM: Gleichzeitig sind sie in der FDP
engagiert und sind auch als Bürgermeisterkandidat angetreten? Wie kam es zu
dem Engagement bei der FDP?
Mazyek: Ganz einfach weil ich meine Welt
nicht aufteile in eine muslimische und eine nichtmuslimische Welt. Für mich
ist alles eine Welt, und wenn ich mich engagiere, gesellschaftlich,
politisch, dann gehört es einfach dazu, dass man auch seine Kraft und seine
Arbeit auch für das Gemeinwohl einsetzt, und das Gemeinwohl besteht nicht
nur aus Moscheestrukturen.
MM: Abschließende Frage: Sie haben drei
Kinder, die hier groß werden. Was wünschen Sie sich für sie in Deutschland?
Mazyek: Ich wünsche mir, dass sie von den
vielen Zielen, die wir seit Jahren diskutieren, profitieren können. Z.B.
diskutieren wir seit 20 Jahren über den islamischen Religionsunterricht. Ich
wünsche mir, dass mein Sohn, der jetzt 11 Jahre alt ist, die Möglichkeit
erhält islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen zu bekommen. Das
sind dicke Bretter, die wir zu bohren haben, und vielleicht kann ich eines
der durchgebohrten Bretter meinen Kindern überreichen.
MM: Herr Mazyek, wir danken für das
Interview.
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