MM: Sehr geehrter Herr Schönberg. Sie sind
Betreiber der Homepage 0815-Info. Warum ausgerechnet dieser Name, wenn Sie
doch alles Andere liefern wollen als 0815 Infos?
Schönberg: Das ist Sarkasmus pur. Wir werden
mit 0815-Infos, also belanglosen Informationen, tagtäglich überschüttet. Das
macht es nicht gerade einfach, die wichtigen Informationen für sich
herauszufiltern. Marktschreierische Schlagzeilen wenig Inhalt und das wird
dem Bundesbürger dann als "Wissen" verkauft. Dem wollte ich, persönlich,
etwas entgegen setzen. Natürlich liefern wir keine "0815-Infos", sondern
Nachrichten und Informationen die Sie derartig nicht bei Springer oder
Holtzbrinck & Co. finden werden.
0815-Info ist 2003 entstanden, auch als Antwort
darauf, dass der gesamte Mainstream den enormen Unstimmigkeiten rund um die
Anschläge in den USA am 11. Sept. 2001 keinerlei Beachtung schenkte, sie gar
massiv unterdrückte.
Sehr schnell kamen dann auch andere Themen dazu,
Soziale und Politische. Wenn man, so wie ich, politisch ziemlich weit
Links steht, hat man in diesem Land jede Menge Stoff, über den man
schreiben und berichten kann.
MM: Derzeit vertritt die "Linke" in der
internationalen Politik oft Positionen, die mit denen der so genannten
gewaltfreien "Islamisten" übereinstimmt. Haben Sie kein Sorge in eine
bestimmte Ecke abgedrängt zu werden - auch aufgrund dieses Interviews?
Schönberg: Stimmt sie? Über diese Positionen
müsste man sich im Einzelnen unterhalten. Wer oder was ist die Linke? Was
ist links? Wer definiert den Begriff Islamisten? Wenn man hierzulande zum
Beispiel gegen den G8-Gipfel protestiert gilt man schon als Linksextremist,
wird vom Verfassungsschutz beobachtet usw. Die Erkenntnis, dass das daraus
resultieren könnte, das immer mehr Menschen in Deutschland Angst vor einer
sozialen Schieflage haben, ist bei den herrschenden Politikern noch nicht
angekommen oder man will es nicht zu Kenntnis nehmen.
In Zeiten des war on terror sollten wir alle mit
Begriffen wie -ismus und/oder isten sehr vorsichtig umgehen. Übrigens
auch mit dem Begriff "zionistische Medien". Meiner bescheidenen Meinung nach
haben unsere Medien weit weniger mit Zionismus zu tun, dafür aber mehr mit
Korruption. In den Redaktionsstuben herrscht der schnöde Mammon. Es sind
quasi Pressenutten. Der, der bezahlt, bestimmt den Text. Einen
investigativen Journalismus finden Sie in Deutschland derzeit kaum noch.
MM: Welche Gedanken bewegen Sie als
ehemaligen Marinesoldaten, wenn Sie von Deutscher Marine in
Auslandseinsätzen hören?
Schönberg: Ganz ehrlich, es drängt sich
einem das Bild auf, das die Abgeordneten des Bundestages, die diese Einsätze
beschließen, nicht wirklich wissen, was sie da tun. Sie werden quasi
verarscht, zum Beispiel von Lobby-Organisationen aus dem
Militär-Industriellen Komplex. Nehmen wir nur den aktuellen Einsatz vor der
Küste Libanons. Offizieller Grund: Mögliche Waffenlieferungen an die
Hizbollah verhindern. Quatsch mit Soße!
In Wirklichkeit will man wohl eher die neuesten
Waffensysteme, wie die Fregatte "Sachsen", unter regulären
Einsatzbedingungen testen. Deshalb sind nicht "mögliche Waffenlieferungen an
die Hizbollah" der Grund für diesen Einsatz, zumal der auch nur mit stark
beschränkten Befugnissen durchgeführt wird, sondern dieser Einsatz ist Teil
des militärischen Gesamtkonzeptes, das die Bundeswehr von einer reinen
Verteidigungsarmee zu einer weltweit einsatzfähigen Interventionstruppe
machen soll. Intervention heißt Aggression.
0815-Info war eine der ersten Webseiten, die schon
Anfang 2004 auf derartige Planspiele der Bundesmarine aufmerksam machten.
Das Weißbuch der Bundeswehr 2006 geht weg vom Begriff der
"Landesverteidigung", hin zur "Verteidigung von Transportkorridoren und der
deutschen Interessen weltweit". Wer bestimmt, was deutsche Interessen sind?
Die Wirtschaft? Schreiben wir anderen Ländern damit nicht vor, dass sie ihre
Politik an deutschen Interessen auszurichten haben? Wenn nicht, gibt es dann
Besuch von der Bundeswehr? Aus Soldaten zur Verteidigung des eigenen
Landes werden Aggressoren. Das hatten wir schon mal und wo das hingeführt
hat, ist auch bestens bekannt.
Diese gesamte Entwicklung macht mir große Sorgen.
MM: Schon mehrmals ist es uns aufgefallen
und immer wieder stellen wir die gleiche Frage: Wie kommt es, dass
ehemaliger DDR Bürger bezüglich der "westlichen" Politik oftmals kritischer
sind als westliche Bundesbürger. Hängt es mit der antikapitalistischen
Erziehung in der ehemaligen DDR zusammen oder war das politische Bewusstsein
damals doch größer, als man es sich im Westen vorstellen kann?
Schönberg: Antikapitalistische Erziehung und
politische Bildung wurde in der DDR natürlich groß geschrieben. Aber das ist
eine Erkenntnis aus der Zeit Hitlerdeutschlands. Nur politisch aufgeklärte
Menschen können die Zusammenhänge von kapitalistischen Wirtschaftsinteressen
und "politischen Unruhen" in den verschiedenen Ländern und Erdteilen
nachvollziehen. Die Menschen politisch zu bilden war ein erklärtes Ziel der
DDR. Und wenn man dann erlebt, dass sich das Gelernte im realen Leben
bestätigt, dann schafft das ein politisches Bewusstsein, das, ich würde
nicht sagen größer, aber ausgeprägter war. Leider "verstecken" viel zu viele
ehemalige DDR-Bürger ihre politische Bildung.
MM: Warum?
Schönberg: Ein ganz wichtiger Grund dürfte
die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern sein. Das ist
ein enormer wirtschaftlicher Druck. Dazu kommt noch eine gehörige Portion
Resignation. Das "Wir"-Gefühl, das in der DDR vorhanden war, die Solidarität
untereinander, ist fast weg.
MM: Als Mitbegründer der WASG haben sie die
Partei, deren Landesverband sie mitgegründet jetzt verlassen. Welche
"Wahlalternative" sehen sie denn noch?
Schönberg: Das ist nicht leicht zu
beantworten. Zum einen war die Chance, mit der WASG etwas politisch Neues zu
schaffen, riesengroß. Diese Chance wurde verspielt. Es gibt in Deutschland
ein Bedürfnis nach linker Politik und die neoliberalen Einschnitte im
Sozialsystem der Bundesrepublik lassen immer mehr Menschen nach einer
politischen Alternative suchen. Aber die WASG hat sich entschieden, in der
Linkspartei.PDS aufzugehen. Das ist nicht mein Weg, zumal die L.PDS den
neoliberalen Kurs genauso mitgeht, sobald sie in "Regierungsverantwortung"
kommt. Aktuell sieht man das in Berlin, wo die PDS, nach einer riesigen
Wahlschlappe, eben so gerade noch als Regierungspartner für die SPD in Frage
kam und jetzt schon wieder 880 Wohnungen aus kommunalen Beständen verkloppt.
Viele in der WASG glauben tatsächlich noch, man könne die PDS "von innen
heraus" ändern, aber dazu sind die Strukturen gar nicht vorhanden.
Innerhalb der WASG hat sich ein "Netzwerk Linke
Opposition" gegründet und es mehren sich die Stimmen, das daraus eine neue
Partei entstehen könnte. Ob das was wird, werden wir sehen. 0815-Info wird
das NLO jedenfalls kritisch begleiten. Ansonsten bleibt nur der
außerparlamentarische Druck - der politische Druck der Straße. Und natürlich
die persönliche, politische Weiterbildung. Zum Beispiel wäre Marx es wert,
das man ihn mal wieder öffentlich diskutiert.
MM: Nun spricht Marx die Menschen, die eben
auch eine spirituelle Komponente haben, nicht unbedingt an. Und
beispielsweise betrachtet man in der islamischen Welt Marx auch als
Vertreter der "westlichen Welt". Warum gelingt es den Intellektuellen der
heutigen Zeit nicht, das zu tun, was die Intellektuellen vor 20 Jahren genau
so verhindert haben: In authentischen Quellen das aktuelle offizielle
"Feindbild" zu studieren? Warum laden z.B. "Linke" nicht einmal "Islamisten"
ein, um mit ihnen zu diskutieren?
Schönberg: Marxismus ist auch keine
Religion, sondern die wissenschaftliche Analyse der Gesellschaftsform, in
der wir derzeit leben dem Kapitalismus.
Zu Ihrer Frage: Meines Erachtens ist die "Linke",
wie immer man diesen Begriff auch definieren mag, noch immer mit sich selbst
beschäftigt. Nach dem Zusammenbruch des so genannten Ostblocks mussten linke
Strategien neu ausgerichtet, bisherige Erkenntnisse neu überdacht werden.
Dieser Prozess hält noch immer an. Ein Neu-Anfang wurde bei der
Bundestagswahl 2005 gemacht, als es gelang die L.PDS zusammen mit
WASG-Mitgliedern in den Bundestag zu hieven.
Diese Entwicklung ist durchaus positiv aber in den
einzelnen Landesteilen, Städten und Gemeinden steckt das alles noch so
ziemlich in den Startlöchern. In Hamburg zum Beispiel hat die WASG im
Bereich Ausländerpolitik mit Zaman Masudi eine unglaublich aktive Frau in
ihren Reihen. Aber auch sie kann nicht mehr wie arbeiten und ein Tag hat nur
24 Stunden. Was ich damit sagen will, ist, dass die Personaldecke der
"Linken" zu dünn ist. Es fehlen einfach Menschen, die sich engagieren. Wenn
das mehr wird, kommen auch die Gespräche mit Moslems in Gang, von mir aus
auch Gespräche mit "streng gläubigen" Moslems ich mag das Wort
"Islamisten" nicht.
MM: Wir versuchen gläubig zu sein, aber
"streng" sind wir nicht. Erlauben Sie eine abschließende Frage. Der Kampf
des kapitalistischen Systems von den Varianten einer sozialen
Marktwirtschaft bis hin zum Raubtierkapitalismus beschäftigt die Menschen
schon ein Jahrhundert, auch mit den Analysen eines Marx und anderer. Warum
aber fällt es den Intellektuellen so schwer sich vorzustellen, dass es auch
völlig andere Alternativen geben könnte, in denen nicht die Wirtschaft,
sondern der Mensch im Mittelpunkt steht, mit all seinen Stärken und
Schwächen?
Schönberg: Intellektuelle sind Denker. Das
müssen nicht Akademiker sein. Wenn man sich mal ansieht, wer wirklich Ahnung
von der Gesellschaft hat, wie sie nun mal ist, dann - verzeihen Sie - stehen
Akademiker nicht immer in der vordersten Reihe.
Wenn man zum Beispiel den Sozialismus als eine
Wiedererlangung der Kontrolle des Menschen über seine Schöpfungskraft
definiert, als eine ökonomische Gerechtigkeit, dann muss der Sozialismus
auch von denjenigen durchgesetzt, definiert und diskutiert werden, die einen
Schöpfungsprozess bewirken, also vom Proletariat selbst. Intellektuelle, die
von dem Gedanken der Gerechtigkeit immer inspiriert wurden - der Begriff
Sozialismus ist ja erst ca.160 Jahre alt - können auch Proletarier sein, und
Proletarier Intellektuelle. Das scheint mir eine sinnvolle Kombination.
Meiner Meinung nach muss eine gesellschaftliche
Rückkopplung zwischen intellektuellen, linken, kulturellen und sozialen
Kräften in einer Gesellschaft immer gegeben sein. Eine Selektion führt da
nur zu situativem Autismus und Stagnation.
MM: Herr Schönberg, wir danken für das
Interview.
Schönberg: Ich muss mich bedanken, Ihre
Website ist hochinteressant! Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie, Ihren
Glaubensschwestern und brüdern eine friedvolle Zukunft. Alles Gute für Sie.
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