Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Eckehard Schulz
 

Muslim-Markt interviewt Prof.Dr.phil.habil. Eckehard Schulz, Leiter der Arabischen Sprach- und Übersetzungswissenschaft am Orientalischen Institut der Universität Leipzig
13.4.2006

Prof. Dr. phil. habil. Eckehard Schulz (Jahrgang 1952) hat bis 1978 an der Universität Leipzig studiert. Seine Schwerpunkte lagen im Dolmetschen und Übersetzen Arabisch und Englisch, Arabistik, Islamkunde, Linguistik, Geschichte der arabischen Länder, Ökonomie der Entwicklungsländer, Ökonomie der arabischen Länder, Völkerrecht, Soziologie, Landeskunde England, Landeskunde USA, Geschichte Englands und Englische Literatur. 1986 wurde er promoviert und 1992 folgte die Habilitation.

Seit 1993 ist er Professur für arabische Sprach- und Übersetzungswissenschaft am Orientalischen Institut der Universität Leipzig. Prof. ist verheiratet, hat 3 Söhne und lebt in Leipzig.

Das Interview entstand durch eine Anfrage seiner Studenten beim Muslim-Markt, um ein öffentliches Zeichen für die Befreiung der im Irak entführten deutschen Ingenieure zu setzen. Der Muslim-Markt ist gerne darauf eingegangen.

MM: Sehr geehrter Herr Prof. Schulz. Was ist das besondere Interesse von Studenten des Orientalischen Instituts in Leipzig, sich für die beiden im Irak entführten Rene Bräunlich und Thomas Nitzschke, die seit dem 24. Januar 2006 im Irak festgehalten werden, einzusetzen?

Prof. Schulz: Wie der Name schon ahnen lässt, beschäftigen sich StudentInnen des Orientalischen Instituts vor allem mit den Sprachen und Kulturen der orientalischen Welt. Die StudentInnen der Arabistik, sowie angehende DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen der arabischen Sprache sind schon allein durch den Studiengang bedingt an der Geschichte, Gegenwart und Zukunft der arabischen Länder interessiert. Sie treffen sich mit Muttersprachlern arabischer Staaten und reisen in diese.

René Bräunlich und Thomas Nitzschke befinden sich nun schon seit zehn Wochen in Geiselhaft im Irak, und wir wollen uns nun noch stärker für ihre Freilassung einsetzen und eine größere Öffentlichkeit als bisher erreichen. Mit unserer Internetseite www.wehope.de wollen wir die deutsche aber auch die arabische Öffentlichkeit erneut über den Fall der beiden Entführten informieren. Außerdem könnte Ähnliches vielen der StudentInnen auch in anderen Ländern zustoßen und dann wären auch sie auf Solidarität angewiesen. Dazu muss allerdings noch gesagt werden, dass wir uns für die Freilassung aller im Irak zu Unrecht festgehaltenen Geiseln aussprechen.

MM: Was wissen Sie über den Zustand der beiden?

Prof. Schulz: Nichts Konkretes und nicht mehr als im letzten Video zu sehen war.

MM: Nach einer ersten Welle von Nachrichten kurz nach der Entführung ist die Berichterstattung fast eingeschlafen. Wie erklären Sie sich diese fehlende Öffentlichkeit?

Prof. Schulz: Der „Fall“ Osthoff hat sicher zu einer gewissen Vorsicht der Öffentlichkeit geführt und die Menschen machen sich Gedanken über die Hintergründe, auch wenn hier der Fall ganz anders liegt. Bei der Entführung von Frau Sgrena in Italien haben sich die Medien ganz aktiv in die Aktionen eingeschaltet und so auch immer wieder eine berichtenswerte Öffentlichkeit geschaffen. Da aber hier in Deutschland kaum neue Informationen aus dem Krisenstab dringen, ist auch die Berichterstattung entsprechend still. Sollte die de-facto-Nachrichtensperre letztlich zum Erfolg führen, dann war sie wohl richtig.

MM: Nun engagieren sich Stundenten auf freiwilliger Basis. Wird das Engagement von dem Arbeitgeber der beiden unterstützt?

Prof. Schulz: Sollen die Studenten etwa Geld verlangen? Das verbietet sich in dieser Situation von selbst. Natürlich unterstützt der Arbeitgeber mit seinen Möglichkeiten die Aktivitäten. Vor allem aber freut sich die Firma, dass die Studierenden neue Ideen entwickeln und frischen Wind in die Aktivitäten bringen.

MM: Manchmal kann eine "leise" Diplomatie ja hilfreicher sein, als ein öffentlicher Auftritt. Aber in diesem Fall scheinen die "leisen" Bemühungen nicht zu fruchten, wünsche Sie eine größere Öffentlichkeit?

Prof. Schulz: Ja, vor allem Diskussion zur Präsenz deutscher Truppen im Ausland und zu den Hintergründen des Irak-Krieges und auch dazu, dass es nicht dazu kommt, dass bald das nächste Land auf der Basis erfundener „Beweise“ mit einem Krieg überzogen wird. Hier sollte mehr Druck aufgebaut werden, weil das jetzt ablaufende Szenario viele bekannte Muster aufweist.

MM: Deutschland galt jahrzehntelang als fairer Partner in der islamischen Welt. In den letzten hundert Tagen wurde dieser Eindruck aber - wenn man die Medien der dortigen Region beobachtet - sehr stark beeinträchtigt. Glauben Sie, dass es im Interesse Deutschlands ist, solche altgewachsenen guten Beziehungen im Sinne einer Art "Bündnistreue" zu opfern? Und können Sie sich vorstellen, dass die erhöhte Zahl an deutschen Opfern in Afghanistan und größere Zahl an Entführten im Irak auch damit zusammen hängt?

Prof. Schulz: Ja, das sind berechtigte Fragen. Deutschland hatte in der Tat nicht erst seit Schröders "Nein" zur direkten Beteiligung am Irak-Krieg einen sehr guten Ruf in der Region. Die Bundesregierung muss nun entscheiden, ob sie mehr Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein in der Außenpolitik wagt, oder aber all jene Maßnahmen unterstützt oder hinnimmt, die anderswo beschlossen werden.

Schließlich sind wir in Europa und die arabische Welt direkte Nachbarn mit einer langen gemeinsamen Geschichte. Ich glaube, man kann die Entstehung der europäischen Identität nur als Ergebnis der Auseinandersetzung, aber auch des fruchtbaren kulturellen Austausches mit der arabischen Welt begreifen.

Ja, und wenn man sich selbst in eine bestimmte Strategie einordnet oder in sie hineinzwängen lässt, dann sollte man nicht erstaunt sein, dass man selbst zur Zielscheibe wird. Obwohl man aus den nun drei Entführungsfällen im Irak keine allgemeinen Schlussfolgerungen ziehen sollte, zeigt sich in den Forderungen der Entführer doch, dass Deutschland als Partner der USA wahrgenommen wird.

MM: Nun ist der spezielle Fall der beiden Entführten kein Paradebeispiel für den viel beschworenen Zusammenprall der Kulturen, aber andererseits ist das Verhältnis Muslime zur westlichen Welt nachhaltig gestört. Ist es in solch einer Situation zu rechtfertigen, dass Deutsche in ein Land reisen und dort arbeiten, dass von den USA gegen den Willen der eigenen Bevölkerung besetzt gehalten wird?

Prof. Schulz: Das ist eine Frage, die einer längeren Diskussion bedarf. Zunächst ist einmal zu sagen, dass sich nicht alle Bevölkerungsgruppen im Irak in gleicher Weise gegen die Besetzung und die nachfolgende Besatzung gestellt haben. Ein Abzug der Besatzer wird jetzt sogar von großen Teilen der irakischen Bevölkerung als eine weitere Katastrophe und als Auftakt für das Hinübergleiten in einen dann allumfassenden Bürgerkrieg betrachtet.

Ich glaube, es war vertretbar in dieser Situation in den Irak zu gehen, denn nicht dorthin zu gehen, hieße einerseits das Feld ganz allein denjenigen zu überlassen, die das Land zu großen Teilen zerstört haben, und die Bevölkerung noch länger auf eine Verbesserung ihrer Situation warten zu lassen.

MM: Was können deutsche Hochschulen und Seminare dazu beitragen, dass die Kluft zwischen muslimischer und westlicher Welt nicht weiter auseinander klafft?

Prof. Schulz: Wir bemühen uns um eine sachgerechte, objektive Darstellung der islamischen Welt sowohl in der Wissenschaft als auch in unserem Auftreten außerhalb der Universität. Gehen Sie davon aus, dass niemand hier lehrt oder studiert, weil er die islamische Welt bekämpfen und vernichten will. Wir alle sind zu diesem Studium und diesem Beruf gekommen, weil uns diese Welt interessiert und fasziniert, wir im Urlaub erste positive Erfahrungen gesammelt haben, kurzum, die Gründe sind vielfältig. Vielleicht machen Sie dazu mal eine Umfrage unter den Studierenden.

MM: Wir danken für das Interview und wünschen den beiden Entführten eine baldige Freilassung!

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