Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Chr. Ernst-Zettl
 

Muslim-Markt interviewt 
Christiane Ernst-Zettl - Hauptfeldwebel im Sanitätsamt der Bundeswehr

19.3.2007

Christiane Ernst-Zettl (Jahrgang 1970) ist 1984 zusammen mit ihrer Familie aus der damaligen DDR ausgebürgert worden. Auf Grund ihrer abgeschlossenen Ausbildung im Gesundheitswesen wurde sie nach ihrer freiwilligen Bewerbung 1991 in der Laufbahn des Sanitätsdienstes der Bundeswehr mit höherem Dienstgrad eingestellt.

Sie ist militärfachlich ausgebildeter Sanitätsfeldwebel im Allgemeinen Fachdienst des Sanitätsdienstes der Bundeswehr und seit 1998 Berufssoldatin. Im Rahmen ihrer militärischen Ausbildung ist sie entsprechend den gesetzlichen Vorgaben an der Waffe nur zur Selbstverteidigung und Nothilfe ausgebildet. Ende der 90er Jahre wechselte sie aus der Ausbildung und Lehre von der Sanitätsakademie der Bundeswehr in die Sanitätstruppe. Hier begann ihre eigentliche truppendienstliche Laufbahn als Führer des Hauptverbandplatzzuges eines gemischten Lazarettregimentes. Ab 1999 begann sie ihre Auslandseinsätze in Bosnien (SFOR) als Führer des Verwundetentransportzug der Sanitätskompanie, Führer der Operationsgruppe und Chirurgischen Ambulanz der Klinikkompanie. Nach einem Kosovoeinsatz (KFOR) hat sie sich freiwillig für den Afghanistaneinsatz (ISAF) entschlossen. Von Februar bis April 2005 war sie in Kabul stationiert. Erstmals nahm sie als Sanitätsfeldwebel an einem Einsatz teil, in dem bewaffnete Streitkräfte auf der Grundlage eines robusten Mandates nach Kapitel VII Charta der Vereinten Nationen operierten.

Weil sie sich persönlich verantwortlich für die Einhaltung des Humanitären Völkerrechts fühlte, besonders für das unter dem besonderem Schutz stehende Sanitäts- und Seelsorgepersonal wurde sie im April 2005 zu einer Geldbuße von 800.- € bestraft und nach Deutschland Strafweise zurück versetzt.

Heute ist sie am Sanitätsamt der Bundeswehr tätig. Tätigkeitsschwerpunkt neben der Ausbildung und Weiterentwicklung, sind die Grundlagenarbeiten im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Gleichzeitig ist sie seit 2005 engagiert im Darmstädter Signal, einem Arbeitskreis, der sich mit friedens- und sicherheitspolitischen Fragen im Gedankenaustausch mit Politikern und Wissenschaftlern beschäftigt und zuletzt aufgefallen ist aufgrund des Engagements gegen die Tornado-Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan. Nebenbei ist Frau Ernst-Zettl ehrenamtliche Richterin am Landgericht.

 

Hauptfeldwebel Ernst-Zettl weist vor dem Interview ausdrücklich darauf hin, dass sie in in diesem Interview lediglich ihre persönlichen Auffassungen äußert!

MM: Sehr geehrte Frau Ernst-Zettl. Bevor wir zu Ihrem Engagement für die Einhaltung des Völkerrechts kommen, erlauben Sie uns einige Fragen zu Ihrer Jugend. Wie kam es zu Ihrer Ausbürgerung aus der ehemaligen DDR?

Ernst-Zettl: Meine Eltern, die politisch ihre eigene d.h. nicht zensierte und vorgegebene Meinung in dem System der DDR lebten musste zwangsläufig feststellen, dass sie sich mit dem System DDR und deren politischen Erwartungen nicht mehr arrangieren konnten. Konkret konnten sie gerade ihren Kindern nicht die Freiheit und Wahl bieten, ohne das sie sich politisch verbiegen hätten müssen. Deshalb haben sich meine Eltern Anfang der 80er Jahre entschlossen, für ihre Kinder, deren Zukunft und deren Freiheit, die DDR auf legale Weise zu verlassen. Dass Verfahren dauerte über 3 Jahre und war mit schweren Repressalien für die ganze Familie und die nähere Verwandtschaft verbunden.

Im März 1984 wurden wir ausgebürgert und als Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie den Mut und Tapferkeit aufbrachten, sich gegen alle Widerstände und das undemokratische System der DDR - allein für die Zukunft und die Freiheit ihrer Kinder - zu stellen.

MM: Nach ihrer Ausbildung im Gesundheitswesen, sind sie zur Bundeswehr gegangen. Was waren Ihre Beweggründe?

Ernst-Zettl: Mein Bruder war bereits 1991 in den Streitkräften - beim Heer - tätig. Im Jahr 1991 wurde die Laufbahn der Unteroffiziere im Sanitätsdienst der Bundeswehr auch für Frauen geöffnet. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt meine zivile Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen abgeschlossen und suchte nach Möglichkeiten mich persönlich und beruflich weiterentwickeln zu können. Ich habe mich als deutsche Staatsbürgerin bewusst entschieden und verpflichtet das Recht und die Freiheit tapfer zu verteidigen. Dafür diene ich im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Frauen gibt es bereits seit 1970 im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Die Bundeswehr bietet sehr gute fachliche Qualifikationsmöglichkeiten im Sanitätswesen. Ich identifiziere mich mit meinem Beruf und würde mich wieder im Sanitätsdienst der Bundeswehr freiwillig verpflichten. Es ist mir wichtig, dass die Soldaten und Zivilisten sowohl in Deutschland als auch im Ausland - Opfer bewaffneter Konflikte - eine erstklassige sanitätsdienstliche Versorgung erhalten und uns in unserem Tun und Handeln vertrauen.

MM: Im Rahmen Ihrer Auslandseinsätze haben Sie sich freiwillig für einen Einsatz in Afghanistan entschieden. Hatten Sie denn keine Angst als Frau ausgerechnet nach Afghanistan zu gehen, und wie waren Ihre eindrücke vom Land?

Ernst-Zettl: Ich hatte keine Angst sondern Respekt. Natürlich war mir klar, dass der Auftrag der bewaffneten Sicherheitsbeistandtruppe ISAF auch mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden darf. Dementsprechend fundiert wurden vor dem ISAF Einsatz, besonders die Sicherheitslage bis hin zu den Rechtsgrundlagen einschließlich persönlicher Verpflichtung zur Einhaltung der Regeln des humanitären Völkerrechts, ausgebildet. Darauf habe ich auch vertraut. Wichtig für mich, als Vorgesetzte war, dass mein Team gute sanitätsdienstliche Arbeit leistet und dass ich die mir anvertrauten unterstellten Sanitätssoldaten nach Deutschland gesund zurück bringen würde.

Wegen der besonderen Bedingungen im Einsatzgebiet war es mir nicht möglich, das Militärlager zu verlassen. Deshalb habe ich das Land nicht kennen gelernt. Die Menschen die ich gesehen habe und mit denen ich sprechen konnte, waren in der Regel Patienten  - meist Opfer der bewaffneten Konflikte - unseres Feldlazaretts. In Afghanistan sind bewaffnete Überfälle, Raketen- und Granatenbeschuss, Anschläge mit Minen und Sprengfallen, Selbstmordattentaten mit Verwundeten und Toten fast an der Tagesordnung. Da bleiben viele Opfer.

MM: Ihr Einsatz in Afghanistan fand nach wenigen Monaten ein Ende durch Strafversetzung nach Deutschland. Können Sie die Umstände dazu erläutern?

Ernst-Zettl: Ich kam Ende Februar 2005 zu dem bereits seit November 2004 laufenden 7. Einsatzkontingent ISAF und wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass auch das deutsche Sanitätspersonal seit Dezember 2004 als Personalersatz für einen georgischen Sicherungszug der Infanterie bei den bewaffneten Streitkräften für operative Aufgaben einsetzt wird und dass die Regeln des humanitären Völkerrechts u.a. gemäß Dienstvorschrift der Bundeswehr 15/2 und Verfügung des Generalsekretär der Vereinten Nationen über die Truppen der Vereinten Nationen für die deutschen Sanitätssoldaten keine Anwendung mehr fanden.

Obwohl ich als Sanitätspersonal mit dem Schutzzeichen Rot-Kreuz kenntlich war und mich ausweisen konnte, erhielt ich im April schließlich den Befehl im Sicherungsdienst operative Aufgaben der bewaffneten Streitkräfte einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt, über mein legitimes Recht des Selbst- und Nothilferechts, wahrzunehmen. Daraufhin wurde ich bei meinem Sicherungszugführer - einem Offizier - vorstellig um ihm zu melden, dass ich im Sinne des humanitären Völkerrechts Nichtkombattant sei und nicht eingesetzt werden dürfe. In der Tat hatte die Sicherung den Auftrag, das Militärlager zu verteidigen, d.h. gegen Feindseligkeiten, besonders gegen paramilitärische Kräfte und terroristische Angreifer. Laut ISAF Mandat sind das Sicherungsaufgaben der Infanteriekräfte. Ich habe mein Schutzzeichen nicht abgelegt, denn ich war verpflichtet mich kenntlich zu machen. Mehrere Stunden später wurde ich aus dem Sicherungsdienst herausgelöst.

Noch am Abend begannen stundenlange Vernehmungen in denen ich mich für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts rechtfertigen sollte. Ich habe mich für die Einhaltung der Regeln des Humanitären Völkerrechts verantwortlich gefühlt, da ich laut Dienstvorschrift 15/2 auf die Einhaltung der Regeln des Humanitären Völkerrecht verpflichtet worden bin. Darauf durfte ich vertrauen. Außerdem sind die Allgemeinen Regeln des Völkerrechtes nicht von ungefähr Bestandteil des Bundesrechtes. Ich bekam schließlich eine Disziplinarmaßnahme und wurde Strafweise zurück nach Deutschland versetzt.

MM: Sahen Sie keine Chance juristisch dagegen vorzugehen, ohne zu große Opfer bringen zu müssen?

Ernst-Zettl: Es geht nicht darum Opfer zu bringen sondern darum und wofür ich mich verpflichtet habe, nämlich das Recht und die Freiheit tapfer zu verteidigen, und dafür stehe ich bedingungslos ein. Dass habe ich auch bei meinen vier Auslandseinsätzen - in Bosnien und im Kosovo - unter Einsatz meines Lebens getan. Ich würde es wieder tun.

MM: Sie sind auch im Darmstädter Signal engagiert. Ist es in diesem Zusammenhang nicht äußerst problematisch, wenn jeder Soldat politische Entscheidungen hinterfragt?

Ernst-Zettl: Grundsätzlich nein. Ich lebe und diene schließlich unserer Demokratie. Allerdings muss einem schon klar sein, dass kritisches Engagement, gerade wenn es um politische Entscheidungen geht, auch nicht mit Beifallsbekundungen durch Vorgesetzte honoriert wird. Ich persönlich darf davon ausgehen, dass meine berufliche Karriere beendet ist.

MM: Sie sind zuletzt dadurch in die Schlagzeilen geraten, dass sie einen öffentlichen Aufruf des Darmstädter Signals unterstützt haben, der sich gegen den Einsatz von Bundeswehr-Tornados in Afghanistan richtet. Was sind die Hauptgründe für Ihre Ablehnung?

Ernst-Zettl: Deutschland wird immer mehr in den Krieg der USA in Afghanistan hinein gezogen. Der ehemalige Verteidigungsminister Dr. Struck spricht offen vom Kampfeinsatz. Ich stehe offen zu friedlichen Lösungen ohne militärische Gewalt. Was die Menschen in Afghanistan wollen und brauchen ist doch nicht Krieg sondern humanitäre Hilfe und Wiederaufbau.

Es ist Augenwischerei uns glauben machen zu wollen, dass die Tornados - im übrigen Kampfflugzeuge - nur Aufnahmen anfertigen. Man stelle sich z.B. vor, ein Arzt würde ein Röntgenbild von einem Patienten anfertigen, um dessen Verletzung oder einen Schmerz abzuklären. Es wäre doch völlig widersinnig, wenn der Arzt dem Patienten das Ergebnis und die daraus resultierende Therapie vorenthält, das Ergebnis des Röntgenbildes also nicht verwertet.

MM: Die Stimme der Soldaten in den Befehlsetagen, die Deutschland nicht am Hindukusch verteidigen will, erscheint zumindest für den Außenstehenden sehr leise. Wie erklären Sie sich das?

Ernst-Zettl: Ich kann es nur auf Grund meiner eigenen Erfahrungen mitteilen. Es ist sicherlich sehr schwer sich kritisch äußern zu wollen, besonders für die so genannten Entscheidungsträger von denen die politische Führung auch linientreue erwartet. Ich lebe in dem Bewusstsein und in dem Vertrauen, dass jeder einzelne von uns seine persönlichen Entscheidungen gegenüber seinem Gewissen verantworten wird. Dieses meine ich auch vor dem Hintergrund unserer eigenen deutschen Geschichte. Für mich persönlich lebe ich und da zitiere ich gerne mein Vorbild Nobelpreisträgers Henry Dunant: „Denn alle können auf die eine oder andere Weise - jeder in seinem Kreise und in seiner Kraft - irgendetwas zu diesem guten Werke beitragen.“

MM: Das Darmstädter Signal engagiert sich ja sozusagen für die Friedensarbeit aus der Armee heraus. In wie weit spielen die weltweit propagierte "Kampf der Kulturen" eine Rolle bei Ihrem Engagement?

Ernst-Zettl: Wir sind Soldaten der Bundeswehr und engagieren uns auch als solche. Wir leben den Staatsbürger in Uniform zumal kritisch und mit Verlaub auch zeitgenössisch. Das sind nach meinem Verständnis und meiner Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr schlicht die Früchte der Erziehung, nämlich der Erfolg des Anspruchs und der Forderung der Inneren Führung der Bundeswehr. Die Bundeswehr kann nicht den blinden Gehorsam abverlangen sondern den selbstbewussten und mitdenkenden Staatsbürger in Uniform.

Zu den unterschiedlichen Kulturen darf ich sagen, dass es für mich wichtig ist das jede Kultur nach seinen persönlichen Vorstellungen leben muss und das niemand das Recht hat, Eingriffe in eine Kultur und Tradition vornehmen wollen. Ich persönlich möchte nicht, das Dritte in meine Kultur und Tradition eingreifen und mich womöglich bevormunden.

MM: Wenn Sie einerseits davon ausgehen, dass Ihre Karriere beendet ist und andererseits dass die Bundeswehr gegen das Völkerrecht verstößt, welche mittelbaren und unmittelbaren Konsequenzen hat das in Ihrem Leben?

Ernst-Zettl: Dass ich mir selbst treu bin. Ich habe mich auf das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung verpflichtet und dafür stehe ich ein, sowohl als Berufssoldatin als auch in meinem Ehrenamt. Dass ich mit meiner Haltung und Auffassung anderen auf die Füße trete, ist mir nicht erst seit den Vorkommnissen in Afghanistan klar. Ich bin dankbar, das ich Menschen um mich habe, die mich auf meinem Weg begleiten.

MM: Welches Ideal treibt sie, all diese Schwierigkeiten auf sich zu nehmen?

Ernst-Zettl: Meine Familie.

MM: Frau Ernst-Zettl, wir danken für das Interview.

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