Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Galtung
 

Muslim-Markt interviewt 
Prof. Dr. Johan Galtung - Friedensforscher und Träger des Alternativen Nobelpreises

26.7.2007

Prof. Dr. Johan Galtung ist einer der bekanntesten norwegischen Politologen. Er gilt der Gründungsvater der Friedens- und Konfliktforschung. Galtung ist 1930 als Sohn eines Arztes in Oslo geboren und verweigerte nach der Schulausbildung den Kriegsdienst. Dafür musste er ins Gefängnis, weil es damals keinen Ersatzdienst in Norwegen gab. Anschließend studierte er Mathematik und Soziologie. In 1959 gründete er das Internationale Friedensforschungsinstitut PRIO in Oslo, welches als das erste seiner Art gilt.

Prof. Galtung ist Direktor des internationalen TRANSCEND-Netzwerks für Frieden und Entwicklung. Im Jahre 1987 erhielt Prof. Galtung den Alternativen Nobelpreis für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Friedensforschung und 1993 den Gandhi-Preis. Er ist zudem ausgezeichnet mit acht internationalen Ehrendoktorwürden (darunter Universität Osnabrück) und einer Ehrenprofessur. Er war Honorarprofessor u.a. in Deutschland an der Freien Universität Berlin (1984-1993) und der Universität Witten/Herdecke (1993).

Prof. Galtung veröffentlichte über 100 Bücher, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden und über 1000 Schriften zum Thema Frieden und Gewaltfreiheit. Er lehrte u.a. an der Universität von Hawaii, der Feruni Hagen, der Universität Oslo und der Friedensuniversität in Schlaining in Österreich. In über 40 Konflikten wirkte er als Vermittler wie u.a. in Sri Lanka, Afghanistan und Nordkaukasus. Galtung ist auch Beiratsmitglied des 2004 neu gegründeten Komitees für eine demokratische UNO.

Prof. Galtung ist mit einer Japanerin verheiratet, hat 4 Kinder und lebt abwechselnd in Spanien, Frankreich, Japan und USA.

(Foto mit freundlicher Genehmigung von arbeiterfotografie.com)

MM: Sehr geehrter Herr Galtung, Sie gelten als einer der Gründungsväter der Friedens- und Konfliktforschung. Welche Chancen sehen Sie, dass wir in absehbarer Zeit den "Clash of Cultures" oder den "Krieg gegen Terror" überwinden?

Galtung: Also der Fall von Gewalt im Allgemeinen ist: Keine Kriege dauern eine Ewigkeit. So gesehen ist "Clash of Cultures" nur ein Element von ökonomischen, politischen und militärischen Ursachen. Es geht immer um eine Mischung dieser Ursachen und Dimensionen. Und hier haben wir diese komplizierte Mischung. Wenn sie z.B. über das Christentum reden, so ist hier selbstverständlich die Kolonialgeschichte wichtig. Ich habe eine Liste der 28 wichtigsten christlichen Angriffe in Ihre muslimischen Länder, und solche gab es selbstverständlich auch vom Islam in Spanien, und darüber könnte man auch etwas sagen.

MM: Wir interessieren und vor allem für die Gegenwart. Haben Sie denn keine Angst vor Islamisten?

Galtung: Nein. Ich habe nur Angst um die Leute, die niemals verstehen werden, dass dies zu den wirklichen Konflikten heute gehört. Sagen wir zum Beispiel Iran und USA. Bis heute gab es keine Entschuldigung von der amerikanischen Seite für die Angelegenheit um Mossadeq und den Schah von 1953. Dafür hat sich niemand entschuldigt, das würde sehr viel helfen. Viele Sachen stecken in der Geschichte und aus dieser heraus muss man etwas tun.

MM: Dann schauen wir auf etwas, wofür sich vielleicht spätere Generationen werden entschuldigen müssen, betreffend Europa: Wird Europa heute am Hindukusch verteidigt?

Galtung: Überhaupt nicht. Dies wird nur die Unsicherheit Deutschlands fördern, nicht die Sicherheit. Denn es ist ja ganz klar; wenn man jemanden tötet, dann gibt es für jeden Toten, sagen wir, zehn Verwandte, Freunde und Bekannte, die die Täter hassen. So kann es zur Gefahr für Deutschland kommen. Ich halte dies für eine außerordentlich dumme Politik.

MM: Wie lautet ihr Alternativvorschlag?

Galtung: Der Alternativvorschlag für Afghanistan wäre erstens Eins zu verstehen: Afghanistan ist kein einheitlicher Staat, es könnte vielleicht ein Bundesstaat sein. So sollte man nicht von Kriegsherren reden, sondern die Unabhängigkeitsbestrebungen gegen Kabul ernst nehmen. Zweitens muss man die Taliban in einer Koalitionsregierung haben, also benötigt man Verhandlungen mit den Taliban. Drittens glaube ich, dass man mit den islamischen Ländern im Umkreis Afghanistans, die teilweise innerhalb Afghanistans repräsentiert sind, über einen Staatenbund reden könnte. Das wäre eine gute Aufgabe für Europa dies zu fördern. Die Europäische Gemeinschaft weiß eine Menge darüber, wie man einen Staatenbund kreiert. Dafür müsste man also eine Friedenssicherung haben, aber dies muss nicht nur in Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsrat, sondern auch in Zusammenarbeit mit der OIC (Organisation der Islamischen Konferenz) geschehen.

MM: Dann fragen wir gleich weiter. Wie kann die Situation im Irak überwunden werden?

Galtung: Sehen Sie, es gab 1973-75 eine Konferenz in Helsinki (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und da hat man ganz einfach die Karten auf dem Tisch gehabt, mit den sog. "Körben". Es ging um ganz Europa und es war ein Riesenerfolg. So glaube ich, man braucht eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Westasien und diskutiert dann alles aus, so dass es niemanden gibt, der versucht den anderen zu beherrschen, sondern man fängt mit einer Entwicklung an. 1975 ist es dazu gekommen, die Sowjets haben gesagt: "Wir nehmen die Menschenrechte an, wenn ihr die Sicherheitslage garantiert und die festen Grenzen akzeptiert." Und so hat es sich teilweise entwickelt. Und ich glaube, man kann etwas Ähnliches für Westasien finden. Aber das kann nicht von den USA oder von England diktiert werden. Es ist eine Frage der Zusammenarbeit der Länder, die dort sind, und nicht eine Frage Iraks alleine. Es ist nicht ein Irak-Problem, es ist selbstverständlich ein Westasien-Problem - und meistens ein Washington-Problem.

MM: Der mit Abstand längste Konflikt ist die Situation Palästinas. In wie weit können Sie nachvollziehen, dass manche Menschen keinen Muslimstaat, keinen Christenstaat und keinen Judenstaat wollen, sondern einen Staat gleichberechtigter Bürger?

Galtung: Es gab eine sehr gute Situation, und das war zur Zeit der Osmanen. Bei den Osmanen gab es eine Gleichberechtigung unter den drei Religionen, obwohl das Reich natürlich islamisch war. Aber ich glaube, dass so etwas heute unrealistisch ist. Wichtig wäre ein Staatenbund von sechs Staaten, Israel mit den fünf Nachbarstaaten, also mit Libanon, Syrien, Jordanien, Ägypten und auch Palästina, anerkannt gemäß internationalem Recht. Das könnte funktionieren, also noch einmal auf einen Erfolg zu bauen. Helsinki war ein Erfolg und die Europäische Gemeinschaft ist ein Erfolg. Das könnte man genauso ganz gut initiieren.

MM: Sie treten für eine Demokratisierung der UN ein. Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet jene Mächte, die sich als Vorreiter der Demokratie verstehen, so sehr an ihrem undemokratischen Vetorecht im Sicherheitsrat beharren.

Galtung: Dies ist selbstverständlich eine alte historische Tradition und es hängt in einem gewissen Sinne mit dem Wiener Kongress von 1815 zusammen, damals mit den fünf Großmächten, und es geht weiter mit fünf Großmächten. Das muss man abschaffen, und ich glaube, die Zeit ist reif dafür. Denn wir sehen etwas ganz interessantes, es kommen neue Regionen hoch, und die kommen teilweise hoch, um das Vetorecht zu vermeiden. Ich meine damit die Europäische Union, die Afrikanische Union, Asien und jetzt kommt auch die Union der lateinamerikanischen Staaten - genau um das zu vermeiden, was die UNO zu einer Machtkonzentration gemacht hat. Ich halte es für eine Überlebensfrage das Vetorecht abzuschaffen.

MM: Was möchten sie den muslimischen Lesern dieses Interview zum Abschluss noch mitgeben?

Galtung: Ich habe keine Ängste vor dem Islam, sowie ich auch keine vor dem Christentum habe. Aber es gibt im Christentum und Islam selbstverständlich eine gewisse Selbstgerechtigkeit, eine Fehde mit Selbstgerechtigkeit. Die christliche Selbstgerechtigkeit war immer die größere. Dass der Islam sich jetzt weigert, verstehe ich. Aber ich bin ganz überzeugt davon, dass sie beide sich finden werden. Und wenn sie das tun, werden sie sehen, dass sie sich gegenseitig bereichern können.

Ein Beispiel: Das Christentum kann aus 8:61 aus dem Koran lernen, also wenn dein Gegner sich dem Frieden zuwendet, dann tue dasselbe. Und der Islam könnte vielleicht etwas von der Trennung zwischen säkularen und religiösen Dingen lernen, nicht so weit, wie das Christentum, aber etwas. Und der Islam versucht das zu tun und findet entsprechende Formen:
Also Dialog, statt Bekehrung, und gegenseitiges Lernen.

MM: Herr Galtung, wir danken Ihnen ganz herzlich für das Interview.

Galtung: Es war auch mir eine Freude, alles Gute.

Senden Sie e-Mails mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an: info@muslim-markt.de 
Copyright © seit 1999 Muslim-Markt