Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Dr. Erwin Knapek
 

Muslim-Markt interviewt 
Dr. Erwin Knapek, Bürgermeister der Gemeinde Unterhaching, die sich mit Geothermie versorgen will

18.12.2007

Dr. Erwin Knapek ist 1942 im Sudetenland geboren, absolvierte seine Schulausbildung nach der Vertreibung in Oberchaching und München. Nach Abitur und Wehrdienst folgte das Studium zum Diplomphysiker an der Technischen Universität München. 1970 begann seine berufliche Laufbahn als Mitarbeiter bei der  Siemens AG im Bereich Zentrale Technik, Forschung und Entwicklung.

In 1981 folgte die Promotion über Strahlenschäden in organischer Materie bei sehr tiefen Temperaturen, die er an der Technische Universität Berlin abschloss. Seit 1996 ist er Erster Bürgermeister der Gemeinde Unterhaching. Unterhaching hat 22 500 Einwohner und liegt am südlichen Stadtrand von München. Die Stadt ist bekannt für die Energieversorgung mittels Geothermie.

Dr. Erwin Knapek ist verheiratet und hat zwei Töchter.

MM: Sehr geehrter Herr Dr. Knapek. Während viele Menschen in Deutschland noch gar nicht wissen, was Geothermie ist, versorgt sich Ihre Gemeinde bereits damit. Wie kam es zu dieser Idee?

Knapek: In Unterhaching ließen wir 1998 einen Energieatlas erstellen um herauszufinden, wie viel Heizenergie und elektrische Energie die Unterhachinger Privathaushalte und Gewerbebetriebe verbrauchen. Dies konnte auf Einzelhaus–Typologie verhältnismäßig genau ermittelt werden. Der Energieatlas enthält aber auch eine Strategie zum Handeln für die Jahre bis 2020. Die Zielsetzung dieser Strategie ist Energiesparen, höhere Effizienz bei der Energieumwandlung, Einsatz von alternativen Energien, wie z.B. Solarenergie und nachwachsende Rohstoffe. Geothermie stand 1998 aus wirtschaftlichen Gründen noch nicht zur Wahl. Die ansteigenden Preise fossiler Primärenergie, das sehr dynamische Wirtschaftswachstum in China und Indien, das Erreichen des sogenannten “Peak of Oil“ und vor allem das Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien (EEG) in Deutschland waren Anfang 2001 ausschlaggebend dafür, dass ich über den Einsatz von Energie aus der Tiefengeothermie nachdachte. Das sehr große Reservoir von mehr als 100° C heißem Wasser in mehr als 3000 m Tiefe unter Oberbayern war mir aus einer Ringvorlesung an der Ludwig Maximilian Universität München Mitte der neunziger Jahre bekannt. Ich ließ von Herrn Hans Ruhland eine Machbarkeitsstudie erstellen, über die der Gemeinderat erstmals am 11. September 2001 beriet und in dieser Sitzung den Einstieg in den Aufbau eines Geothermiekraftwerks empfahl. Das in der Studie aufgezeigte Potential an thermischer Leistung kam unserem Strategieziel für 2020 sehr entgegen und substituierte schlagartig das 1998 empfohlene Netz von Blockheizkraftwerken. Zudem war zu erkennen, dass wir mit der Geothermie unser Ziel viel früher erreichen werden.

MM: Von der ersten Idee bis zum Umsetzung war ein langer Weg. Mit welchen voraussehbaren und überraschenden Hindernissen wurden Sie bis zur Fertigstellung konfrontiert?

Knapek: Die Risiken von Tiefenbohrungen sowie das große Risiko überhaupt fündig zu werden waren bestens bekannt. So haben wir uns darauf eingestellt. Insbesondere war es wichtig eine Fündigkeitsversicherung vor dem ersten Bohrbeginn abschließen zu können. Dies war ein hohes Hindernis, das wir mit Hilfe der Münchner Rückversicherung und dem Bayerischen Wirtschaftsministerium nach achtmonatigen Verhandlungen überwinden konnten. Nach Bohrbeginn ereilte uns das Schicksal in Form von undichten Rohren, die die erste Bohrtour sichern sollten. Ein überraschendes Hindernis, denn es handelte sich in diesem Fall um einen Fertigungsfehler und einer falsch durchgeführten Qualitätskontrolle – also ganz konventionelle Technik. Im Verlauf der ersten Bohrung blieb auch der Bohrmeißel stecken, so dass ein Teil des Bohrstangenaufbaus in mehr als 2850 m Tiefe abgesprengt werden musste. Dies führte dazu, dass von dieser Stelle aus eine neue Bohrstrecke gebohrt werden musste. Das ist der größte Bohrunfall gewesen. Es war alles reparabel, kostete aber viel Zeit. Bei der zweiten Bohrung spielte uns die Geologie in der Tiefe von 3400 m einen Streich. Da sich die Wasser führende Schicht zum Süden hin im ähnlichen Winkel senkte, wie wir schräg in die Schicht gebohrt haben, mussten wir nochmals nachbohren.

Ein eher angenehmes Ergebnis war der von den Geologen unerwartete gute Erfolg mit einer Temperatur von ca. 134° C und sehr hoher Schüttung in der zweiten Bohrung für die Injektion, die somit ein wesentlich höheres Leitungspotential als die für die Produktion geplante erste Bohrung mit ca. 123°C. Wir werden hier noch Versuche zur Umkehr der Fließrichtung durchführen.

Ein technisches Hindernis haben wir derzeit bei der Ammoniaktechnik für den Dampfkreislauf zur Erzeugung von elektrischem Strom. Im System gibt es noch einige Undichtigkeiten, die jedoch nach und nach detektiert werden. Auch das ist technisch bald lösbar, da es sich hier auch um mehrfach bereits eingesetzte Technik handelt. Ansonsten läuft alles vor allem bei der bereits funktionierenden Fernwärmeversorgung ganz gut.

Viele Hindernisse gab es bei fast allen Genehmigungsverfahren, die jedoch im beiderseitigen Einvernehmen dann doch zu überspringen waren. Es dauerte eben immer länger als gedacht.

MM: Haben nicht die regionalen Energieversorger versucht das Projekt zu verhindern und wie sind Sie damit fertig geworden?

Knapek: Die regionalen Energieversorger haben uns keine Probleme bereitet. Hier arbeiten wir gut zusammen. Schließlich sind die Regionalversorger mittlerweile selbst an Geothermie interessiert und profitieren von den Erfahrungen in Unterhaching. Im Übrigen ist der mit Geothermie erzeugte elektrische Strom Grundlast fähig und somit im Strommanagement sehr gut kalkulierbar und damit für den regionalen Abnehmer auch wertvoll.

MM: Jetzt steht das größte Geothermie-Kraftwerk Deutschlands in Unterchaching. Können Sie uns dazu einige technische Daten nennen?

Knapek: Mit den Antworten für dieses Interview habe ich deshalb solange gezögert, weil ich hoffte bereits im Oktober die erste produzierte Kilowattstunde verkünden zu können. Das wird wahrscheinlich erst im Januar 2008 der Fall sein, wenn alle kleinen Fehler im Detail in Ordnung gebracht sind. Aber das gesetzte technische Ziel kann mit dem vorhandenen Aufbau erreicht werden. Die Leistung aus der Bohrung Unterhaching Gt 1 beträgt knapp 40 MW. Der zur Verfügung stehende Volumenstrom ist 150 l/s, die Wassertemperatur ca. 123° C.

Das Kraftwerk läuft mit einer so genannten Kalina Technik, die das Bundesumweltministerium finanziell fördert, da es die erste Anlage dieser Art in Deutschland ist. Dabei wird der Dampfkreislauf für die Turbine mit einem Gemisch aus Ammoniak und Wasser betrieben. Die dabei erzielbare elektrische Leistung beträgt maximal etwa 4 MW. Da unser Kraftwerk aber mit dem Vorrang für Wärmelieferung betrieben wird, haben wir die elektrische Leistung auf 3,36 MW reduziert, um über das gesamte Jahr eine Grundlast für Wärme bereitstellen zu können. In der Heizperiode wird die Stromproduktion je nach Anforderung gedrosselt oder ganz stillgelegt, um die gesamte Leistung von 40 MW für das Fernwärmenetz zur Verfügung zu stellen. Die Wärmeversorgung ist noch durch ein Spitzenlast – und Redundanzheizwerk mit ca. 45 MW abgesichert. Insgesamt haben wir bis heute über 21 km Fernwärmeleitungen neu verlegt, womit der Ort mit einer geschlossenen Ringleitung versorgt werden kann. 27 MW thermische Leistung sind zurzeit angeschlossen, das sind etwa 2500 Haushalte. Insgesamt wären bei Berücksichtigung von Ungleichzeitigkeitsfaktoren bei der Wärmeanforderung bis zu 70 MW Anschlussleistung möglich. Damit könnten 2/3 aller Unterhachinger Haushalte versorgt werden.

Die volle Nutzung der Tiefengeothermie würde die CO“ Emissionen jährlich um 30 000 bis 40 000 Tonnen CO2 – Emissionen reduzieren. 1998 wurde für die stationär verbrauchte Energie ein Ausstoß von 60 000 Tonnen CO2 ermittelt.

Zur Klarstellung ist noch zu erwähnen, dass das Thermalwasser aus der Geothermie stofflich nicht genutzt werden darf, sondern in einem geschlossenen Kreislauf wieder in das Aquifer verpresst werden muss, um so den hydraulischen „Motor“ im Wasserhorizont aufrecht zu erhalten.

Im Übrigen wurde am 21. November 2007 in Landau in der Pfalz das erste große deutsche Geothermiekraftwerk eingeweiht, obwohl man dort später als in Unterhaching begann. Hier gab es aber im Vergleich zu Bayern bei den notwendigen Genehmigungsverfahren durch das Land Rheinland – Pfalz trotz Bundesgesetzeslage eine sehr unternehmerfreundliche Bearbeitung.

MM: Und wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit aus?

Knapek: Das Projekt hat bis heute ca. 73 Millionen EURO gekostet. Da sich Stromerzeugung und volle Nutzung der Wärmeenergie noch verzögern wird das Projekt nicht von Anfang an Gewinne erzielen, sondern eher noch Verluste. Diese Phase sollte aber ab 2017 überwunden sein. Von da ab sind Gewinne zu erwarten. Der „Return of Invest“ wir nach ca. 23 Jahren erwartet. Aus der Sicht einer Kommune ist diese Projekt auf jeden Fall wirtschaftlich. Immerhin sorgen wir für eine lokale sichere Energieversorgung für die nächsten Generationen, die dann die Energie bei entsprechenden finanziellen Gewinnen nutzen können. Dies ist wie beim Pflanzen von sehr spät Frucht tragenden Bäumen, die auch erst für die nächste Generation die Früchte liefern.

MM: Würden Sie auch anderen Gemeinden empfehlen, diesen Weg zu bestreiten?

Knapek: Anderen Gemeinden empfehle ich das immer, sofern sie noch die Möglichkeit haben selbst eine Aufsuchungsgenehmigung über ein bergrechtliches Erlaubnisfeld zu bekommen. Dies ist aber derzeit kaum noch möglich. Alle Felder mit Temperaturen über 100° C sind zum weitaus überwiegenden Teil an Privatunternehmen vergeben. Die in erster Linie nur Strom erzeugen wollen, jedoch über erteilte Auflagen auch die Wärme nutzen sollen. Dies geht nur, wenn Kommunen die Wärme auch brauchen und in den meisten Fällen ein Fernwärmenetz finanzieren können. Letzteres könnte für Privatunternehmen zu einer Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit führen, sollten diese das Fernwärmenetz mit entsprechender Infrastruktur finanzieren müssen, denn reine Stromerzeugung ist nicht so aufwändig und hat einen wesentlich kürzeren “Return of Invest“ zur Folge. Reine Stromerzeugung wäre eine sehr ineffiziente Energieausbeutung.

Eine bessere Stellung von Kommunen könnte nur erzielt werden, wenn die Bayerische Bergbehörde das Bundesgesetz, dessen Interpretation Ländersache ist, so anwenden würde, dass Kommunen bereits bei der Vergabe von Erlaubnisfeldern an Privatunternehmer mit beteiligt werden würden. Es ist interessant, dass in Gebieten mit Temperaturen unter 100° C (Schwelle zur Stromerzeugung) bisher nur Kommunen Geothermie betreiben und auch neue Projekte umsetzen.

Kommunen müssen aber weiter dafür kämpfen den Zugang zur Geothermie zu erhalten. Geothermie ist die Quelle der Wärmeversorgung für die nächsten Jahrhunderte und aus technischen Gründen ist Wärmeversorgung über die Fernwärme eine geographisch lokal begrenzte Energieversorgung, die durch Tiefengeothermie ergänzt durch Oberflächengeothermie (Wärmepumpen) weitestgehend gesichert werden kann.

MM: Sie waren in der katholischen Arbeitnehmerbewegung und im Diözesanrat der Erzdiözese München-Freising aktiv. In wie weit hat Ihr energiepolitisches Engagement mit Ihrem Glauben zu tun?

Knapek: Ich bin noch aktiv in der KAB und auch im Diözesanrat. Dort im Wesentlichen auf dem Gebiet Kommunalpolitik.

Im Alten Testament werden wir Menschen aufgefordert, dass wir Kultur in die Schöpfung einbringen und nur deshalb wurden wir geschaffen. Das bedeutet aber nicht, dass wir die uns gegebene Erde so ausbeuten sollen bis sie nicht mehr nutzbar ist. Logische Folge davon wäre auch unser Ende. Hier gab es in der Vergangenheit viele Missverständnisse mit der Passage „macht Euch die Erde untertan“. Ein guter Herrscher, der für einen langen Bestand seiner Herrschaft über unzählige Generationen sorgen will, behandelt seine Untertanen mit guten Gesetzen gerecht und lässt jedem seine Entwicklungsfähigkeit im Einvernehmen mit der Lebensgemeinschaft. Insbesondere entzieht er keinem bewusst die Lebensgrundlagen.

Es ist also unser Auftrag der Erde durch weises Handeln gerecht zu werden, wenn wir sie noch sehr lange beherrschen wollen. Auch bedeutet hier das Wort „beherrschen“ die Fähigkeit etwas perfekt zu können. Ich denke aber, dass dies in allen großen Kulturkreisen auf unserem Planeten ebenso gedacht wird und man es auch gerade jetzt versucht dieses Denken endlich in die Tat umzusetzen, also nachhaltig im Rahmen der Agenda 21 zu handeln.

Wenn wir alle dies nicht schaffen, so werden wir alle gemeinsam die Verlierer sein, denn die Gesetzmäßigkeit der Schöpfung ist nicht wie menschliche Gesetze frei interpretierbar, sie läuft so ab, wie sie ist und kann von uns Menschen zwar immer besser aber noch nicht vollkommen beschrieben werden. Wir müssen immer daran denken, dass die Schöpfung sehr gut ohne uns existieren kann. Sie gibt uns nur die große Chance in ihr leben zu dürfen, so lange wie wir dies auch durch unsere Taten nicht gefährden.

MM: In wie weit beeinflusst Ihre Werteorientierung Ihre Entscheidungen als Bürgermeister auch in anderen Bereichen?

Knapek: Für mich hat es eine große Bedeutung bei Entscheidungen langfristig zu denken und dabei die nachfolgenden Generationen im Blick zu haben. Nach dem christlichen Verständnis ist der Tod nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang. Somit sind wir aufgefordert zukunftsgerichtet zu handeln und zwar so, dass durch unser Tun die Zukunft nicht verbaut wird. Das ist die große Werteorientierung.

Im Alltag gilt es, nach dem Gebot der Nächstenliebe ein sozial gerechtes Zusammenleben hoch einzuschätzen. Aber auch hier haben alle Religionen trotz der hehren Ansprüche in der Vergangenheit große Defizite durch zu großen Eifer gezeigt, denn sonst hätten wir einen ewigen Frieden. Hier muss noch vielmehr der offene Dialog gesucht und geführt werden.

In Unterhaching habe ich es erreicht, dass der Dialog zwischen Bürgerschaft, Verwaltung und gewählten Ratsmitgliedern auch zwischen den Wahlen nicht erlischt. Durch eine in der Geschäftsordnung des Gemeinderats verankerte Lokale Agenda 21 gibt es diesen Dialog, der heute noch so vital ist wie zu Anfang. Im Übrigen hatte der Gemeinderat nie das Gefühl dadurch entmachtet zu sein. Im Gegenteil durch den andauernden Dialog lernt jeder hinzu und bekommt Sicherheit in seinen Entscheidungen. Man wird sozusagen durch den Dialog ermächtigt.

MM: Wie stellt sich die Situation der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Muslimen in ihrer Gemeinde dar?

Knapek: Ich glaube feststellen zu dürfen, dass Muslime in Unterhaching nicht ausgeschlossen sind. Dafür steht, dass eine seit ihrer Geburt gläubige Muslimin türkischer Abstammung und deutscher Staatsbürgerschaft Gemeinderätin ist und hohe Anerkennung bei der Bürgerschaft genießt. Dies gilt auch im kirchlich christlichen Bereich. Sie gilt heute schon als ein soziales Gewissen in Unterhaching. In Folge dieses Engagements gibt es mehr und mehr Interesse bei Muslimen in Vereinen, sozialen Einrichtungen, Elternbeiräten oder bei politischen Parteien ehrenamtlich tätig zu sein. Eine gute Voraussetzung für den Dialog.

Denken Sie an die Stelle im Neuen Testament bei Matth. 5, 41: „Wenn dich einer nötigt, eine Meile mit ihm zu laufen, so gehe mit ihm zwei!“. Dies ist für uns alle die Aufforderung durch Beharrlichkeit die Gelegenheit zum Dialog zu erarbeiten, denn wer jemanden zwingt mit ihm zu gehen und eventuell Lasten zu tragen, wird sich bei freiwilliger Erweiterung der Dienstleistung des Genötigten kaum eines Gesprächs entziehen können. Zumindest wird er fragen: „Warum tust du das?“.

MM: Herr Dr. Knapek, wir danken für das Interview.

 

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