MM: Sehr geehrter Herr Dr. Knapek. Während
viele Menschen in Deutschland noch gar nicht wissen, was Geothermie ist,
versorgt sich Ihre Gemeinde bereits damit. Wie kam es zu dieser Idee?
Knapek: In Unterhaching ließen wir 1998
einen Energieatlas erstellen um herauszufinden, wie viel Heizenergie
und elektrische Energie die Unterhachinger Privathaushalte und
Gewerbebetriebe verbrauchen. Dies konnte auf Einzelhaus–Typologie
verhältnismäßig genau ermittelt werden. Der Energieatlas enthält aber
auch eine Strategie zum Handeln für die Jahre bis 2020. Die
Zielsetzung dieser Strategie ist Energiesparen, höhere Effizienz bei
der Energieumwandlung, Einsatz von alternativen Energien, wie z.B.
Solarenergie und nachwachsende Rohstoffe. Geothermie stand 1998 aus
wirtschaftlichen Gründen noch nicht zur Wahl. Die ansteigenden Preise
fossiler Primärenergie, das sehr dynamische Wirtschaftswachstum in
China und Indien, das Erreichen des sogenannten “Peak of Oil“ und vor
allem das Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien (EEG) in
Deutschland waren Anfang 2001 ausschlaggebend dafür, dass ich über den
Einsatz von Energie aus der Tiefengeothermie nachdachte. Das sehr
große Reservoir von mehr als 100° C heißem Wasser in mehr als 3000 m
Tiefe unter Oberbayern war mir aus einer Ringvorlesung an der Ludwig
Maximilian Universität München Mitte der neunziger Jahre bekannt. Ich
ließ von Herrn Hans Ruhland eine Machbarkeitsstudie erstellen, über
die der Gemeinderat erstmals am 11. September 2001 beriet und in
dieser Sitzung den Einstieg in den Aufbau eines Geothermiekraftwerks
empfahl. Das in der Studie aufgezeigte Potential an thermischer
Leistung kam unserem Strategieziel für 2020 sehr entgegen und
substituierte schlagartig das 1998 empfohlene Netz von
Blockheizkraftwerken. Zudem war zu erkennen, dass wir mit der
Geothermie unser Ziel viel früher erreichen werden.
MM: Von der ersten Idee bis zum Umsetzung
war ein langer Weg. Mit welchen voraussehbaren und überraschenden
Hindernissen wurden Sie bis zur Fertigstellung konfrontiert?
Knapek: Die Risiken von Tiefenbohrungen
sowie das große Risiko überhaupt fündig zu werden waren bestens
bekannt. So haben wir uns darauf eingestellt. Insbesondere war es
wichtig eine Fündigkeitsversicherung vor dem ersten Bohrbeginn
abschließen zu können. Dies war ein hohes Hindernis, das wir mit Hilfe
der Münchner Rückversicherung und dem Bayerischen
Wirtschaftsministerium nach achtmonatigen Verhandlungen überwinden
konnten. Nach Bohrbeginn ereilte uns das Schicksal in Form von
undichten Rohren, die die erste Bohrtour sichern sollten. Ein
überraschendes Hindernis, denn es handelte sich in diesem Fall um
einen Fertigungsfehler und einer falsch durchgeführten
Qualitätskontrolle – also ganz konventionelle Technik. Im Verlauf der
ersten Bohrung blieb auch der Bohrmeißel stecken, so dass ein Teil des
Bohrstangenaufbaus in mehr als 2850 m Tiefe abgesprengt werden musste.
Dies führte dazu, dass von dieser Stelle aus eine neue Bohrstrecke
gebohrt werden musste. Das ist der größte Bohrunfall gewesen. Es war
alles reparabel, kostete aber viel Zeit. Bei der zweiten Bohrung
spielte uns die Geologie in der Tiefe von 3400 m einen Streich. Da
sich die Wasser führende Schicht zum Süden hin im ähnlichen Winkel
senkte, wie wir schräg in die Schicht gebohrt haben, mussten wir
nochmals nachbohren.
Ein eher angenehmes Ergebnis war der von den
Geologen unerwartete gute Erfolg mit einer Temperatur von ca. 134° C und
sehr hoher Schüttung in der zweiten Bohrung für die Injektion, die somit ein
wesentlich höheres Leitungspotential als die für die Produktion geplante
erste Bohrung mit ca. 123°C. Wir werden hier noch Versuche zur Umkehr der
Fließrichtung durchführen.
Ein technisches Hindernis haben wir derzeit bei der
Ammoniaktechnik für den Dampfkreislauf zur Erzeugung von elektrischem Strom.
Im System gibt es noch einige Undichtigkeiten, die jedoch nach und nach
detektiert werden. Auch das ist technisch bald lösbar, da es sich hier auch
um mehrfach bereits eingesetzte Technik handelt. Ansonsten läuft alles vor
allem bei der bereits funktionierenden Fernwärmeversorgung ganz gut.
Viele Hindernisse gab es bei fast allen
Genehmigungsverfahren, die jedoch im beiderseitigen Einvernehmen dann doch
zu überspringen waren. Es dauerte eben immer länger als gedacht.
MM: Haben nicht die regionalen
Energieversorger versucht das Projekt zu verhindern und wie sind Sie damit
fertig geworden?
Knapek: Die regionalen Energieversorger
haben uns keine Probleme bereitet. Hier arbeiten wir gut zusammen.
Schließlich sind die Regionalversorger mittlerweile selbst an
Geothermie interessiert und profitieren von den Erfahrungen in
Unterhaching. Im Übrigen ist der mit Geothermie erzeugte elektrische
Strom Grundlast fähig und somit im Strommanagement sehr gut
kalkulierbar und damit für den regionalen Abnehmer auch wertvoll.
MM: Jetzt steht das größte
Geothermie-Kraftwerk Deutschlands in Unterchaching. Können Sie uns dazu
einige technische Daten nennen?
Knapek: Mit den Antworten für dieses
Interview habe ich deshalb solange gezögert, weil ich hoffte bereits
im Oktober die erste produzierte Kilowattstunde verkünden zu können.
Das wird wahrscheinlich erst im Januar 2008 der Fall sein, wenn alle
kleinen Fehler im Detail in Ordnung gebracht sind. Aber das gesetzte
technische Ziel kann mit dem vorhandenen Aufbau erreicht werden. Die
Leistung aus der Bohrung Unterhaching Gt 1 beträgt knapp 40 MW. Der
zur Verfügung stehende Volumenstrom ist 150 l/s, die Wassertemperatur
ca. 123° C.
Das Kraftwerk läuft mit einer so genannten Kalina
Technik, die das Bundesumweltministerium finanziell fördert, da es die erste
Anlage dieser Art in Deutschland ist. Dabei wird der Dampfkreislauf für die
Turbine mit einem Gemisch aus Ammoniak und Wasser betrieben. Die dabei
erzielbare elektrische Leistung beträgt maximal etwa 4 MW. Da unser
Kraftwerk aber mit dem Vorrang für Wärmelieferung betrieben wird, haben wir
die elektrische Leistung auf 3,36 MW reduziert, um über das gesamte Jahr
eine Grundlast für Wärme bereitstellen zu können. In der Heizperiode wird
die Stromproduktion je nach Anforderung gedrosselt oder ganz stillgelegt, um
die gesamte Leistung von 40 MW für das Fernwärmenetz zur Verfügung zu
stellen. Die Wärmeversorgung ist noch durch ein Spitzenlast – und
Redundanzheizwerk mit ca. 45 MW abgesichert. Insgesamt haben wir bis heute
über 21 km Fernwärmeleitungen neu verlegt, womit der Ort mit einer
geschlossenen Ringleitung versorgt werden kann. 27 MW thermische Leistung
sind zurzeit angeschlossen, das sind etwa 2500 Haushalte. Insgesamt wären
bei Berücksichtigung von Ungleichzeitigkeitsfaktoren bei der
Wärmeanforderung bis zu 70 MW Anschlussleistung möglich. Damit könnten 2/3
aller Unterhachinger Haushalte versorgt werden.
Die volle Nutzung der Tiefengeothermie würde die
CO“ Emissionen jährlich um 30 000 bis 40 000 Tonnen CO2 – Emissionen
reduzieren. 1998 wurde für die stationär verbrauchte Energie ein Ausstoß von
60 000 Tonnen CO2 ermittelt.
Zur Klarstellung ist noch zu erwähnen, dass das
Thermalwasser aus der Geothermie stofflich nicht genutzt werden darf,
sondern in einem geschlossenen Kreislauf wieder in das Aquifer verpresst
werden muss, um so den hydraulischen „Motor“ im Wasserhorizont aufrecht zu
erhalten.
Im Übrigen wurde am 21. November 2007 in Landau in
der Pfalz das erste große deutsche Geothermiekraftwerk eingeweiht, obwohl
man dort später als in Unterhaching begann. Hier gab es aber im Vergleich zu
Bayern bei den notwendigen Genehmigungsverfahren durch das Land Rheinland –
Pfalz trotz Bundesgesetzeslage eine sehr unternehmerfreundliche Bearbeitung.
MM: Und wie sieht es mit der
Wirtschaftlichkeit aus?
Knapek: Das Projekt hat bis heute ca. 73
Millionen EURO gekostet. Da sich Stromerzeugung und volle Nutzung der
Wärmeenergie noch verzögern wird das Projekt nicht von Anfang an
Gewinne erzielen, sondern eher noch Verluste. Diese Phase sollte aber
ab 2017 überwunden sein. Von da ab sind Gewinne zu erwarten. Der
„Return of Invest“ wir nach ca. 23 Jahren erwartet. Aus der Sicht
einer Kommune ist diese Projekt auf jeden Fall wirtschaftlich.
Immerhin sorgen wir für eine lokale sichere Energieversorgung für die
nächsten Generationen, die dann die Energie bei entsprechenden
finanziellen Gewinnen nutzen können. Dies ist wie beim Pflanzen von
sehr spät Frucht tragenden Bäumen, die auch erst für die nächste
Generation die Früchte liefern.
MM: Würden Sie auch anderen Gemeinden
empfehlen, diesen Weg zu bestreiten?
Knapek: Anderen Gemeinden empfehle ich
das immer, sofern sie noch die Möglichkeit haben selbst eine
Aufsuchungsgenehmigung über ein bergrechtliches Erlaubnisfeld zu
bekommen. Dies ist aber derzeit kaum noch möglich. Alle Felder mit
Temperaturen über 100° C sind zum weitaus überwiegenden Teil an
Privatunternehmen vergeben. Die in erster Linie nur Strom erzeugen
wollen, jedoch über erteilte Auflagen auch die Wärme nutzen sollen.
Dies geht nur, wenn Kommunen die Wärme auch brauchen und in den
meisten Fällen ein Fernwärmenetz finanzieren können. Letzteres könnte
für Privatunternehmen zu einer Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit
führen, sollten diese das Fernwärmenetz mit entsprechender
Infrastruktur finanzieren müssen, denn reine Stromerzeugung ist nicht
so aufwändig und hat einen wesentlich kürzeren “Return of Invest“ zur
Folge. Reine Stromerzeugung wäre eine sehr ineffiziente
Energieausbeutung.
Eine bessere Stellung von Kommunen könnte nur
erzielt werden, wenn die Bayerische Bergbehörde das Bundesgesetz, dessen
Interpretation Ländersache ist, so anwenden würde, dass Kommunen bereits bei
der Vergabe von Erlaubnisfeldern an Privatunternehmer mit beteiligt werden
würden. Es ist interessant, dass in Gebieten mit Temperaturen unter 100° C
(Schwelle zur Stromerzeugung) bisher nur Kommunen Geothermie betreiben und
auch neue Projekte umsetzen.
Kommunen müssen aber weiter dafür kämpfen den
Zugang zur Geothermie zu erhalten. Geothermie ist die Quelle der
Wärmeversorgung für die nächsten Jahrhunderte und aus technischen Gründen
ist Wärmeversorgung über die Fernwärme eine geographisch lokal begrenzte
Energieversorgung, die durch Tiefengeothermie ergänzt durch
Oberflächengeothermie (Wärmepumpen) weitestgehend gesichert werden kann.
MM: Sie waren in der katholischen
Arbeitnehmerbewegung und im Diözesanrat der Erzdiözese München-Freising
aktiv. In wie weit hat Ihr energiepolitisches Engagement mit Ihrem Glauben
zu tun?
Knapek: Ich bin noch aktiv in der KAB und
auch im Diözesanrat. Dort im Wesentlichen auf dem Gebiet
Kommunalpolitik.
Im Alten Testament werden wir Menschen
aufgefordert, dass wir Kultur in die Schöpfung einbringen und nur deshalb
wurden wir geschaffen. Das bedeutet aber nicht, dass wir die uns gegebene
Erde so ausbeuten sollen bis sie nicht mehr nutzbar ist. Logische Folge
davon wäre auch unser Ende. Hier gab es in der Vergangenheit viele
Missverständnisse mit der Passage „macht Euch die Erde untertan“. Ein guter
Herrscher, der für einen langen Bestand seiner Herrschaft über unzählige
Generationen sorgen will, behandelt seine Untertanen mit guten Gesetzen
gerecht und lässt jedem seine Entwicklungsfähigkeit im Einvernehmen mit der
Lebensgemeinschaft. Insbesondere entzieht er keinem bewusst die
Lebensgrundlagen.
Es ist also unser Auftrag der Erde durch weises
Handeln gerecht zu werden, wenn wir sie noch sehr lange beherrschen wollen.
Auch bedeutet hier das Wort „beherrschen“ die Fähigkeit etwas perfekt zu
können. Ich denke aber, dass dies in allen großen Kulturkreisen auf unserem
Planeten ebenso gedacht wird und man es auch gerade jetzt versucht dieses
Denken endlich in die Tat umzusetzen, also nachhaltig im Rahmen der Agenda
21 zu handeln.
Wenn wir alle dies nicht schaffen, so werden wir
alle gemeinsam die Verlierer sein, denn die Gesetzmäßigkeit der Schöpfung
ist nicht wie menschliche Gesetze frei interpretierbar, sie läuft so ab, wie
sie ist und kann von uns Menschen zwar immer besser aber noch nicht
vollkommen beschrieben werden. Wir müssen immer daran denken, dass die
Schöpfung sehr gut ohne uns existieren kann. Sie gibt uns nur die große
Chance in ihr leben zu dürfen, so lange wie wir dies auch durch unsere Taten
nicht gefährden.
MM: In wie weit beeinflusst Ihre
Werteorientierung Ihre Entscheidungen als Bürgermeister auch in anderen
Bereichen?
Knapek: Für mich hat es eine große
Bedeutung bei Entscheidungen langfristig zu denken und dabei die
nachfolgenden Generationen im Blick zu haben. Nach dem christlichen
Verständnis ist der Tod nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang.
Somit sind wir aufgefordert zukunftsgerichtet zu handeln und zwar so,
dass durch unser Tun die Zukunft nicht verbaut wird. Das ist die große
Werteorientierung.
Im Alltag gilt es, nach dem Gebot der Nächstenliebe
ein sozial gerechtes Zusammenleben hoch einzuschätzen. Aber auch hier haben
alle Religionen trotz der hehren Ansprüche in der Vergangenheit große
Defizite durch zu großen Eifer gezeigt, denn sonst hätten wir einen ewigen
Frieden. Hier muss noch vielmehr der offene Dialog gesucht und geführt
werden.
In Unterhaching habe ich es erreicht, dass der
Dialog zwischen Bürgerschaft, Verwaltung und gewählten Ratsmitgliedern auch
zwischen den Wahlen nicht erlischt. Durch eine in der Geschäftsordnung des
Gemeinderats verankerte Lokale Agenda 21 gibt es diesen Dialog, der heute
noch so vital ist wie zu Anfang. Im Übrigen hatte der Gemeinderat nie das
Gefühl dadurch entmachtet zu sein. Im Gegenteil durch den andauernden Dialog
lernt jeder hinzu und bekommt Sicherheit in seinen Entscheidungen. Man wird
sozusagen durch den Dialog ermächtigt.
MM: Wie stellt sich die Situation der
Mehrheitsgesellschaft gegenüber Muslimen in ihrer Gemeinde dar?
Knapek: Ich glaube feststellen zu dürfen,
dass Muslime in Unterhaching nicht ausgeschlossen sind. Dafür steht,
dass eine seit ihrer Geburt gläubige Muslimin türkischer Abstammung
und deutscher Staatsbürgerschaft Gemeinderätin ist und hohe
Anerkennung bei der Bürgerschaft genießt. Dies gilt auch im kirchlich
christlichen Bereich. Sie gilt heute schon als ein soziales Gewissen
in Unterhaching. In Folge dieses Engagements gibt es mehr und mehr
Interesse bei Muslimen in Vereinen, sozialen Einrichtungen,
Elternbeiräten oder bei politischen Parteien ehrenamtlich tätig zu
sein. Eine gute Voraussetzung für den Dialog.
Denken Sie an die Stelle im Neuen Testament bei
Matth. 5, 41: „Wenn dich einer nötigt, eine Meile mit ihm zu laufen, so gehe
mit ihm zwei!“. Dies ist für uns alle die Aufforderung durch Beharrlichkeit
die Gelegenheit zum Dialog zu erarbeiten, denn wer jemanden zwingt mit ihm
zu gehen und eventuell Lasten zu tragen, wird sich bei freiwilliger
Erweiterung der Dienstleistung des Genötigten kaum eines Gesprächs entziehen
können. Zumindest wird er fragen: „Warum tust du das?“.
MM: Herr Dr. Knapek, wir danken für das
Interview. |