Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Werner Ruf
 

Muslim-Markt interviewt 
Prof. Dr. Werner Ruf - Professor für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik

16.5.2007

Prof. Dr. phil. Werner Ruf (Jahrgang 1937) hat nach seinem Abitur 1957 in Radolfzell/Bodensee Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte und Romanistik an den Universitäten Freiburg, Paris, Saarbrücken und Tunis studiert. Anschließend war er wissenschaftlicher Assistent am Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung, Freiburg, und Lehrbeauftragter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

In 1967 folgte die Promotion zum Dr. phil. in Freiburg mit der Dissertation "Der Burgibismus und die Außenpolitik des unabhängigen Tunesien". Es folgten Gastprofessuren am Center for International Studies der New York University,  an der Universität Aix-Marseille III, und er war Leiter der Forschungsabteilung des Centre de Recherches et d'Etudes sur les Sociétés Méditerranéennes (CRESM), heute: Institut de Recherches et d'Etudes sur le Monde Arabe et Musulman (IREMAM), Aix-en-Provence. Von 1974 bis 1982 Professor für Soziologie an der Universität Gesamthochschule Essen. Und anschließend folgte die Berufung zum Professor für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Kassel. Seit April 2003 ist er im (Un)Ruhestand.

Prof. Ruf ist verheiratet hat 3 Kinder und lebt im Großraum Kassel.

MM: Sehr geehrter Prof. Ruf, zahlreiche Ihrer Spezialthemen bekommen dieser Tage eine große Medienaufmerksamkeit, wären Sie gerne noch einmal jünger, um direkt am Lehrstuhl Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen?

Ruf: Im Grunde nein: Ich habe immer gerne Kontakt mit jungen Menschen gehabt, aber die Veränderungen der Hochschulstruktur in den letzten Jahren haben gerade die Bedingungen für kreatives und kritisches Studieren enorm verschlechtert. Im „Ruhestand“ habe ich dagegen keine unproduktiven Sitzungen mehr, ich habe mehr Zeit zum Schreiben, Reisen und vor allem zur Tätigkeit in den Bereichen der politischen Bildung, wo ich wieder viele Menschen, gerade auch junge Leute treffe, die wissbegierig und hoch motiviert sind.

MM: Fangen wir vom Anfang an. Was hat Sie ausgerechnet am Orient in den 60er-Jahren interessiert, als Sie auch Ihre Doktorarbeit der Region widmeten?

Ruf: Das war eher ein Zufall: Mein akademischer Lehrer, Prof. Arnold Bergstraesser (Freiburg), war einer der ersten Politikwissenschaftler, der früh die Bedeutung der „Dritten Welt“ erkannte. Er schlug mir vor, ob ich nicht die Außenpolitik des damaligen tunesischen Präsidenten Habib Burgiba untersuchen und darüber promovieren wolle. So kam ich 1961 in den Maghreb.

MM: In wie weit kann man Ihrer Meinung nach die heutige Welt besser verstehen, wenn man die kulturellen und politischen Wurzeln der islamischen Welt studiert, und wird das hinreichend berücksichtigt?

Ruf: Wenn man Menschen aus anderen Kulturkreisen kennen lernt, erfährt man schnell, dass sie dieselben Probleme haben wie andere Menschen auch. Vor allem aber, und das war von Anfang an bis heute mein Eindruck im Orient: Die Menschen dort sind von außerordentlicher Toleranz, sie sind neugierig und hilfsbereit, und: Sie sind viel besser informiert als viele Menschen hier. Kolonialismus und Unterdrückung – gerade auch durch viele der derzeitigen Regierungen – machen sie skeptisch gegenüber offizieller Propaganda. Die Massenmedien werden kritisch und sehr bewusst genutzt, selbst Analphabeten sind Meister im Auswählen von Rundfunk- und Fernsehsendern. Nachrichten werden diskutiert und erhalten so einen ganz anderen Stellenwert als bei uns, wo sie meist nur konsumiert werden.

Vor allem aber wird einem im Orient viel bewusster, wie viel Gemeinsamkeit es zwischen den Religionen und auch den Kulturen gibt, entstammen doch die drei monotheistischen Religionen einer gemeinsamen Wurzel. Von daher ist es absurd, wie sehr hierzulande seit dem Ende des Ost-West-Konflikts mit Hilfe des Konzepts des „Kampfs der Kulturen“ Trennendes betont und Gegensätze konstruiert werden, die dann tatsächlich gegenseitiges Misstrauen und Ängste schaffen.

Und natürlich gehen diese Ängste einher mit den auch bei uns wachsenden sozialen Problemen. Diese sozialen Ängste können dann leicht abgeleitet werden in die latent vorhandene Fremdenfeindlichkeit und in einen Kulturalismus, der oft nicht weit entfernt ist von alten rassistischen Vorurteilen.

MM: Sie haben sich intensiv mit dem Terrorismus der heutigen Zeit beschäftigt. Ohne auf die Schuldfrage einzugehen, welche Lösungsansätze sehen Sie, insbesondere für Deutschland und Deutsche?

Ruf: Grundsätzlich muss es darum gehen, dass der Westen – und hier vor allem die USA - nicht mehr mit zwei Zungen spricht, Menschenrechte einfordert und zugleich eine Kriegführung praktiziert, die dem geltenden Völkerrecht diametral widerspricht. Werden solche Kriege dann noch in das Gewand des „Kampfes der Kulturen“ gekleidet, dann werden sie als prinzipiell unlösbar, als geradezu schicksalhaft gedeutet. Dies wiederum erzeugt Wut und fördert Gewaltförmigkeit auf der anderen Seite – ein scheinbar nicht zu durchbrechender Teufelskreis.

Deutschland ist m. E. in einer besonders günstigen Position: Hier gibt es keine koloniale Erblast, die übergroße Zahl der Muslime stammt aus einem einzigen Land, der Türkei, die ja konstitutionell ein säkularer Staat ist. Nun ist der Islam hierzulande die drittgrößte Religion, die sich letztlich auf dasselbe religiöse Erbe beruft wie die beiden christlichen Religionen. Was läge da näher, als dieser Religionsgemeinschaft dieselben Rechte zu geben, wie die beiden anderen Religionen sie genießen. Solche wechselseitige Toleranz hätte eine viel tiefer gehende integrative Wirkung als das Gerede von der Leitkultur und den Parallelgesellschaften, die gerade durch die Ausgrenzung erst hergestellt wird. Wir waren da vor gut dreihundert Jahren schon einmal weiter, als der absolutistische König von Preußen, Friedrich II., erklärte: : „Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind; und wenn die Türken (und Heiden) kämen und wollten das Land bevölkern, dann wollen wir ihnen Moscheen (und Kirchen) bauen.“

Und noch ein Wort zum Terrorismus: Wenn Deutschland – und Europa – konsequent auf eine zivile, konstruktive Entwicklungspolitik setzen würde, statt direkt oder indirekt die Kriege der USA zu unterstützen, wenn Deutschland und Europa die Ergebnisse der einzigen wirklich freien Wahlen in der arabischen Welt, in Palästina, respektieren und auf eine gerechte Lösung des Nahostkonflikts hinarbeiten würden, wäre dies eine wichtiger und konstruktiver Beitrag zum „Kampf gegen den Terror“ und zu einer menschlicheren Welt, die allerdings immer auch die Anerkennung der Rechte der Anderen voraussetzt.

MM: Nun ist es unsere Erfahrung in der Diskussion mit so vielen Hochschullehrern, dass immer wieder sehr deutlich auf die Problematik hingewiesen wird, die aus der zu engen Kopplung Deutschlands an die Kriege der USA folgt. Und dennoch schlägt die Politik einen immer deutlicheren Weg an die Grenze von Internationalen Verbrechen ein, wie es auch in dem einen oder anderen Gerichtsurteil in Deutschland anklang. Haben deutsche Hochschullehrer nichts mehr zu vermelden in diesem Land?

Ruf: Das ist so nicht richtig. Es gibt immer wieder Appelle seitens einer Reihe von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern, meist Mitgliedern der AFK (Arbeitsgemeinschaft für Frieden und Konfliktforschung) oder auch der AG Friedensforschung an der Universität Kassel, die sich öffentlich gegen Kriegspolitik im Allgemeinen und gegen die Erosion des Völkerrechts wenden. Ich denke da beispielsweise an Appelle, wie sie von dem Kollegen Massarrat in Oldenburg initiiert und von zahlreichen Kolleginnen unterzeichnet wurden, an das „Manifest der 25“ zum Nahostkonflikt, an offene Briefe an die Bundeskanzlerin. Dass solche Initiativen in den Medien nicht entsprechend erscheinen, ist nicht den Friedensforschern anzulasten. Außerdem ist Friedensforschung an zahlreichen Universitäten Studienfach, auch wenn man sich dort teilweise mehr öffentliches Engagement wünschen kann. Hinzu kommen die Friedensforschungsinstitute, die oft mehr oder weniger enge Bindungen an die Universitäten haben.

MM: Sie haben auf die Problematik des unreflektierten Nachrichtenkonsums hingewiesen. Warum gilt das inzwischen auch für so viele Studenten, der zukünftigen Elite des Landes. Man gewinnt den Eindruck, dass viele Studenten nicht einmal gegen die eigenen Studiengebühren demonstrieren würden, geschweige denn gegen völkerrechtlich grenzwertige Bundeswehreinsätze im Ausland. Sind wir zu satt?

Ruf: Dies ist sicherlich ein wunder Punkt. Wir leben generell in entpolitisierten Zeiten. Und die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge sind darauf angelernt, dass die Studierenden nur noch den Stoff lernen, um ihn zu reproduzieren, reflexiv-kritische Auseinandersetzung mit den Studieninhalten findet nicht oder kaum mehr statt. Dies wirkt ohne Zweifel entpolitisierend. Andrerseits hat sich soeben ein linker Hochschulverband unter dem Namen „Die Linke.Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband“ konstituiert, der gerade die Studiengebühren, aber auch die verschlechterten Studienbedingungen generell zum Ausgangspunkt hat. Hier kann auch Widerstand gegen die Militarisierung der Außenpolitik erwachsen.

MM: Auf Ihrer Homepage (s.u.) kann man einige Ihrer Publikationen kostenlos herunterladen, darunter auch die Schrift "Barbarisierung der Anderen – Barbarisierung des Wir", worin Sie u.a. für die Stärkung des Rechts eintreten. In wie weit sehen Sie für Deutschland die Gefahr, dass im Rahmen der "Terrorabwehr" das eigene Recht strapaziert wird?

Ruf: Ich denke, diese Gefahr ist allenthalben sichtbar. Denken Sie etwa an die Praxis der Geheimdienste, die gerade unter Berufung auf die Gefahr durch Terrorismus bisweilen geltende Gesetze des Datenschutzes übertreten oder an die Gesetzesvorhaben des derzeitigen Innenministers wie auch an die Debatte über die Verwendung von unter Folter erpressten Informationen. Werden die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verlassen, leistet dies extralegalem Handeln, im Extremfall dem Terrorismus Vorschub.

MM: Haben Sie keine Angst vor "Islamisten"?

Ruf: Ich selbst habe keine Angst, fühle mich persönlich nicht bedroht. Wovor ich allerdings Angst habe, ist Fundamentalismus jeder Art, sei des der Unfehlbarkeitsanspruch des katholischen Papstes, die unsägliche Intoleranz evangelikaler Fundamentalisten, die es beispielsweise erreicht haben, dass in zahlreichen Bundesstaaten der USA die Evolutionstheorie an den Schulen nicht gelehrt werden darf, und natürlich auch die muslimischen Fundamentalisten. Der Grundfehler des Fundamentalismus ist m.E., dass Texte, die ihrerseits als Produkt bestimmter historischer und gesellschaftlicher Bedingungen verstanden werden müssen, als absolute und unveränderbare Wahrheiten gesetzt werden. Damit immunisieren sie sich gegen jede Art von gesellschaftlicher Entwicklung und vermögen es nicht, Lösungsangebote für die Probleme der Gegenwart zu entwickeln. Was für mich völlig inakzeptabel ist, ist Gewalt als Mittel der Politik,  wie es von einigen Gruppen propagiert wird, die sich auf den Islam berufen. Doch dies ist ja kein ausschließlich muslimisches Problem: Auch katholische Anhänger des fundamentalistischen Bischofs Lefèbre haben in einem Pariser Kino Bomben geworfen, weil dort ein Film gezeigt wurde, der suggerierte, dass Jesus mit Maria Magdalena Geschlechtsverkehr gehabt habe.

MM: Abschließende Frage: Welche Projekte planen Sie für Ihren zukünftigen Unruhestand?

Ruf: Derzeit arbeite ich mit der Österreichischen Stiftung für Frieden und Konfliktlösung an einem Projekt zur Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, betreibe Politikberatung  insbesondere zu Fragen der zivilen Alternativen in der Außen- und Sicherheitspolitik und publiziere hierzu wie auch zum allenthalben beschworenen Gespenst einer „islamischen Bedrohung“, das in der Folge des von Huntington erfundenen „Kampfes der Kulturen“  seinerseits geradezu fundamentalistische Züge annimmt.

MM: Sehr geehrter Prof. Ruf, wir danken für das Interview

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