MM:
Sehr
geehrter Prof. Ruf, zahlreiche Ihrer Spezialthemen bekommen dieser Tage eine
große Medienaufmerksamkeit, wären Sie gerne noch einmal jünger, um direkt am
Lehrstuhl Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen?
Ruf:
Im Grunde nein: Ich habe immer gerne Kontakt mit jungen Menschen gehabt,
aber die Veränderungen der Hochschulstruktur in den letzten Jahren haben
gerade die Bedingungen für kreatives und kritisches Studieren enorm
verschlechtert. Im „Ruhestand“ habe ich dagegen keine unproduktiven
Sitzungen mehr, ich habe mehr Zeit zum Schreiben, Reisen und vor allem zur
Tätigkeit in den Bereichen der politischen Bildung, wo ich wieder viele
Menschen, gerade auch junge Leute treffe, die wissbegierig und hoch
motiviert sind.
MM:
Fangen
wir vom Anfang an. Was hat Sie ausgerechnet am Orient in den 60er-Jahren
interessiert, als Sie auch Ihre Doktorarbeit der Region widmeten?
Ruf:
Das war eher ein Zufall: Mein akademischer Lehrer, Prof. Arnold
Bergstraesser (Freiburg), war einer der ersten Politikwissenschaftler, der
früh die Bedeutung der „Dritten Welt“ erkannte. Er schlug mir vor, ob ich
nicht die Außenpolitik des damaligen tunesischen Präsidenten Habib Burgiba
untersuchen und darüber promovieren wolle. So kam ich 1961 in den Maghreb.
MM:
In wie
weit kann man Ihrer Meinung nach die heutige Welt besser verstehen, wenn man
die kulturellen und politischen Wurzeln der islamischen Welt studiert,
und wird das hinreichend berücksichtigt?
Ruf:
Wenn man Menschen aus anderen Kulturkreisen kennen lernt, erfährt man
schnell, dass sie dieselben Probleme haben wie andere Menschen auch. Vor
allem aber, und das war von Anfang an bis heute mein Eindruck im Orient: Die
Menschen dort sind von außerordentlicher Toleranz, sie sind neugierig und
hilfsbereit, und: Sie sind viel besser informiert als viele Menschen hier.
Kolonialismus und Unterdrückung – gerade auch durch viele der derzeitigen
Regierungen – machen sie skeptisch gegenüber offizieller Propaganda. Die
Massenmedien werden kritisch und sehr bewusst genutzt, selbst Analphabeten
sind Meister im Auswählen von Rundfunk- und Fernsehsendern. Nachrichten
werden diskutiert und erhalten so einen ganz anderen Stellenwert als bei
uns, wo sie meist nur konsumiert werden.
Vor allem aber
wird einem im Orient viel bewusster, wie viel Gemeinsamkeit es zwischen den
Religionen und auch den Kulturen gibt, entstammen doch die drei
monotheistischen Religionen einer gemeinsamen Wurzel. Von daher ist es
absurd, wie sehr hierzulande seit dem Ende des Ost-West-Konflikts mit Hilfe
des Konzepts des „Kampfs der Kulturen“ Trennendes betont und Gegensätze
konstruiert werden, die dann tatsächlich gegenseitiges Misstrauen und Ängste
schaffen.
Und natürlich
gehen diese Ängste einher mit den auch bei uns wachsenden sozialen
Problemen. Diese sozialen Ängste können dann leicht abgeleitet werden in die
latent vorhandene Fremdenfeindlichkeit und in einen Kulturalismus, der oft
nicht weit entfernt ist von alten rassistischen Vorurteilen.
MM:
Sie haben
sich intensiv mit dem Terrorismus der heutigen Zeit beschäftigt. Ohne auf
die Schuldfrage einzugehen, welche Lösungsansätze sehen Sie, insbesondere
für Deutschland und Deutsche?
Ruf:
Grundsätzlich muss es darum gehen, dass der Westen – und hier vor allem die
USA - nicht mehr mit zwei Zungen spricht, Menschenrechte einfordert und
zugleich eine Kriegführung praktiziert, die dem geltenden Völkerrecht
diametral widerspricht. Werden solche Kriege dann noch in das Gewand des
„Kampfes der Kulturen“ gekleidet, dann werden sie als prinzipiell unlösbar,
als geradezu schicksalhaft gedeutet. Dies wiederum erzeugt Wut und fördert
Gewaltförmigkeit auf der anderen Seite – ein scheinbar nicht zu
durchbrechender Teufelskreis.
Deutschland
ist m. E. in einer besonders günstigen Position: Hier gibt es keine
koloniale Erblast, die übergroße Zahl der Muslime stammt aus einem einzigen
Land, der Türkei, die ja konstitutionell ein säkularer Staat ist. Nun ist
der Islam hierzulande die drittgrößte Religion, die sich letztlich auf
dasselbe religiöse Erbe beruft wie die beiden christlichen Religionen. Was
läge da näher, als dieser Religionsgemeinschaft dieselben Rechte zu geben,
wie die beiden anderen Religionen sie genießen. Solche wechselseitige
Toleranz hätte eine viel tiefer gehende integrative Wirkung als das Gerede
von der Leitkultur und den Parallelgesellschaften, die gerade durch die
Ausgrenzung erst hergestellt wird. Wir waren da vor gut dreihundert Jahren
schon einmal weiter, als der absolutistische König von Preußen, Friedrich
II., erklärte: : „Alle Religionen sind
gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche
Leute sind; und wenn die Türken (und Heiden) kämen und wollten das Land
bevölkern, dann wollen wir ihnen Moscheen (und Kirchen) bauen.“
Und noch ein
Wort zum Terrorismus: Wenn Deutschland – und Europa – konsequent auf eine
zivile, konstruktive Entwicklungspolitik setzen würde, statt direkt oder
indirekt die Kriege der USA zu unterstützen, wenn Deutschland und Europa die
Ergebnisse der einzigen wirklich freien Wahlen in der arabischen Welt, in
Palästina, respektieren und auf eine gerechte Lösung des Nahostkonflikts
hinarbeiten würden, wäre dies eine wichtiger und konstruktiver Beitrag zum
„Kampf gegen den Terror“ und zu einer menschlicheren Welt, die allerdings
immer auch die Anerkennung der Rechte der Anderen voraussetzt.
MM:
Nun ist
es unsere Erfahrung in der Diskussion mit so vielen Hochschullehrern, dass
immer wieder sehr deutlich auf die Problematik hingewiesen wird, die aus der
zu engen Kopplung Deutschlands an die Kriege der USA folgt. Und dennoch
schlägt die Politik einen immer deutlicheren Weg an die Grenze von
Internationalen Verbrechen ein, wie es auch in dem einen oder anderen
Gerichtsurteil in Deutschland anklang. Haben deutsche Hochschullehrer nichts
mehr zu vermelden in diesem Land?
Ruf:
Das ist so nicht richtig. Es gibt immer wieder Appelle seitens einer Reihe
von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern, meist Mitgliedern der AFK
(Arbeitsgemeinschaft für Frieden und Konfliktforschung) oder auch der AG
Friedensforschung an der Universität Kassel, die sich öffentlich gegen
Kriegspolitik im Allgemeinen und gegen die Erosion des Völkerrechts wenden.
Ich denke da beispielsweise an Appelle, wie sie von dem Kollegen Massarrat
in Oldenburg initiiert und von zahlreichen Kolleginnen unterzeichnet wurden,
an das „Manifest der 25“ zum Nahostkonflikt, an offene Briefe an die
Bundeskanzlerin. Dass solche Initiativen in den Medien nicht entsprechend
erscheinen, ist nicht den Friedensforschern anzulasten. Außerdem ist
Friedensforschung an zahlreichen Universitäten Studienfach, auch wenn man
sich dort teilweise mehr öffentliches Engagement wünschen kann. Hinzu kommen
die Friedensforschungsinstitute, die oft mehr oder weniger enge Bindungen an
die Universitäten haben.
MM:
Sie haben
auf die Problematik des unreflektierten Nachrichtenkonsums hingewiesen.
Warum gilt das inzwischen auch für so viele Studenten, der zukünftigen Elite
des Landes. Man gewinnt den Eindruck, dass viele Studenten nicht einmal
gegen die eigenen Studiengebühren demonstrieren würden, geschweige denn
gegen völkerrechtlich grenzwertige Bundeswehreinsätze im Ausland. Sind wir
zu satt?
Ruf:
Dies ist sicherlich ein wunder Punkt. Wir leben generell in entpolitisierten
Zeiten. Und die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge sind darauf
angelernt, dass die Studierenden nur noch den Stoff lernen, um ihn zu
reproduzieren, reflexiv-kritische Auseinandersetzung mit den Studieninhalten
findet nicht oder kaum mehr statt. Dies wirkt ohne Zweifel entpolitisierend.
Andrerseits hat sich soeben ein linker Hochschulverband unter dem Namen „Die
Linke.Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband“ konstituiert, der
gerade die Studiengebühren, aber auch die verschlechterten
Studienbedingungen generell zum Ausgangspunkt hat. Hier kann auch Widerstand
gegen die Militarisierung der Außenpolitik erwachsen.
MM:
Auf Ihrer
Homepage (s.u.) kann man einige Ihrer Publikationen kostenlos herunterladen,
darunter auch die Schrift "Barbarisierung der Anderen – Barbarisierung
des Wir", worin Sie u.a. für die Stärkung des Rechts eintreten. In wie
weit sehen Sie für Deutschland die Gefahr, dass im Rahmen der "Terrorabwehr"
das eigene Recht strapaziert wird?
Ruf:
Ich denke, diese Gefahr ist allenthalben sichtbar. Denken Sie etwa an die
Praxis der Geheimdienste, die gerade unter Berufung auf die Gefahr durch
Terrorismus bisweilen geltende Gesetze des Datenschutzes übertreten oder an
die Gesetzesvorhaben des derzeitigen Innenministers wie auch an die Debatte
über die Verwendung von unter Folter erpressten Informationen. Werden die
Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verlassen, leistet dies extralegalem
Handeln, im Extremfall dem Terrorismus Vorschub.
MM:
Haben Sie
keine Angst vor "Islamisten"?
Ruf:
Ich selbst habe keine Angst, fühle mich persönlich nicht bedroht. Wovor ich
allerdings Angst habe, ist Fundamentalismus jeder Art, sei des der
Unfehlbarkeitsanspruch des katholischen Papstes, die unsägliche Intoleranz
evangelikaler Fundamentalisten, die es beispielsweise erreicht haben, dass
in zahlreichen Bundesstaaten der USA die Evolutionstheorie an den Schulen
nicht gelehrt werden darf, und natürlich auch die muslimischen
Fundamentalisten. Der Grundfehler des Fundamentalismus ist m.E., dass Texte,
die ihrerseits als Produkt bestimmter historischer und gesellschaftlicher
Bedingungen verstanden werden müssen, als absolute und unveränderbare
Wahrheiten gesetzt werden. Damit immunisieren sie sich gegen jede Art von
gesellschaftlicher Entwicklung und vermögen es nicht, Lösungsangebote für
die Probleme der Gegenwart zu entwickeln. Was für mich völlig inakzeptabel
ist, ist Gewalt als Mittel der Politik, wie es von einigen Gruppen
propagiert wird, die sich auf den Islam berufen. Doch dies ist ja kein
ausschließlich muslimisches Problem: Auch katholische Anhänger des
fundamentalistischen Bischofs Lefèbre haben in einem Pariser Kino Bomben
geworfen, weil dort ein Film gezeigt wurde, der suggerierte, dass Jesus mit
Maria Magdalena Geschlechtsverkehr gehabt habe.
MM:
Abschließende Frage: Welche Projekte planen Sie für Ihren zukünftigen
Unruhestand?
Ruf:
Derzeit arbeite ich mit der Österreichischen Stiftung für Frieden und
Konfliktlösung an einem Projekt zur Europäischen Außen- und
Sicherheitspolitik, betreibe Politikberatung insbesondere zu Fragen der
zivilen Alternativen in der Außen- und Sicherheitspolitik und publiziere
hierzu wie auch zum allenthalben beschworenen Gespenst einer „islamischen
Bedrohung“, das in der Folge des von Huntington erfundenen „Kampfes der
Kulturen“ seinerseits geradezu fundamentalistische Züge annimmt.
MM:
Sehr geehrter Prof. Ruf, wir danken für das Interview
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