Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Familie Görgülü
 

Muslim-Markt interviewt 
Kazim und Celestina Görgülü, die Opfer einer der größten Justizskandale Deutschlands wurden
19.2.2008

Kazim Görgülü wurde 1969 in Bingöl im Osten der Türkei geboren. Er gehört der Volksminderheit Zaza (eine Volksgruppe in Ostanatolien) an. Er kam 1989 als türkischer Staatsangehöriger nach Deutschland. Er ist selbstständig und hatte eine Baufirma. 1998 lernte er die Mutter seines späteren Sohnes kennen. Er heiratete sie zunächst nach islamischen Recht. Einen Tag vor dem standesamtlichen Hochzeitstermin 1998 in Leipzig sagte die Kindesmutter die Heirat ab. Ende des Jahres trennte sich Kazim Görgülü von der Mutter seines Sohnes. 

Im April 1999 teilte sie Kazim Görgülü mit, dass sie von ihm ein Kind erwarte, dieses aber nicht behalten wolle. Kazim Görgülü wollte die Kindesmutter wiederum heiraten, was sie ablehnte. Beide vereinbarten jedoch, dass er sein Kind nach der Geburt zu sich nehmen würde. So kümmerte er sich auch während der Schwangerschaft um die werdende Mutter. Zwei Monate vor der Geburt sprach sie beim Jugendamt vor. Hier wurde sie beraten, dass es doch besser sei, wenn sie das Kind in eine deutsche Familie geben würde. Daraufhin brach diese Frau den Kontakt zu Kazim Görgülü im Juli 1999 ab.

Drei Monate später, im Oktober 1999, gelang es Kazim Görgülü endlich wieder den Kontakt zu ihr herzustellen. Sie informierte ihn, dass er einen Sohn habe, gab ihm ein Foto und eine Geburtsurkunde. Sie hatte ihn Christofer genannt und er war bereits zwei Monate alt. Die Kindesmutter erklärte dem frisch gebackenen Vater, dass sie seinem Sohn zur Adoption freigegeben hätte. Da sich die Mutter weigerte, mit ihm gemeinsam zum Jugendamt zu gehen, beschloss Kazim, dies selber zu tun. So besuchte er Anfang November das Jugendamt Leipzig. Was er jedoch nicht wusste war, dass am gleichen Tag die Kindesmutter die notarielle Freigabe zur Adoption im Jugendamt unterschrieb.

Entgegen der gesetzlichen Beratungspflicht, verweigerte das Jugendamt Leipzig, Kazim Görgülü in der Wahrnehmung seiner Rechte zu unterstützen. Sie äußerten stattdessen ihm gegenüber die Unwahrheit und behaupteten, dass sein Sohn neue Eltern hätte und bereits adoptiert sei.

Was danach folgte, sollte zu einem der größten Justizskandale in Deutschland werden.

Celestina Görgülü wurde am 1958 in Leipzig geboren. Nach dem Abschluss einer Lehre als Elektrikerin studierte sie in Berlin an der Hochschule für Maschinenbau und Elekroenergieanlagen. Sie ist Mutter von zwei Kindern. Nach ihrer Scheidung lernte sie am Buß- und Bettag November 1999 Kazim Görgülü kennen. Nach der islamischen Heirat, heirateten im Sommer 2000. Celestina Görgülü ist deutsche Staatsangehörige.

Wenige Tage nachdem sie Kazim Görgülü kennen gelernt hatte, zeigte dieser ihr ein Foto seines neugeborenen Sohnes und erklärte ihr seine Verzweiflung. Celestina Görgülü fragte beim Amtsgericht Leipzig nach und erhielt die Auskunft, dass der Vater mit der Kindesmutter zum Jugendamt gehen müsse, damit diese die Vaterschaft bestätige. Danach könne er selber das Sorgerecht für sein Kind beantragen. Einen Tag später ging Kazim Görgülü mit der Kindesmutter zum Jugendamt. Nachdem die Kindesmutter die Vaterschaft bestätigt hatte, wurde sie von einer Jugendamtsmitarbeiterin kritisiert, weil sie den Vater benannte.

Dementsprechend dokumentierte diese Jugendamts-Mitarbeiterin in den Akten auch nicht, dass Kazim Görgülü der Vater ist. Obwohl eine Adoption seines Kindes gesetzlich noch nicht einmal möglich war behauptete die Mitarbeiterin des Jugendamtes Leipzig immer wieder, dass sein Sohn bereits adoptiert sei und nun andere Eltern hätte.

Im Dezember 1999 stellte eine Anwältin den Antrag auf Übertragung des Sorgerechts auf Kazim Görgülü für seinen Sohn Christofer. Dass dieser Rechtsstreit letztendlich über acht Jahre dauern sollte und Kazim Görgülü alle möglichen gerichtlichen Instanzen in Europa durchlaufen würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

In einem extrem schwierigen Verfahren, in dem die Familie Görgülü und ihr Rechtsbeistand mehr oder weniger alleine gegen alle beteiligten Instanzen prozessieren mussten - zuletzt wurden sogar einige beteiligten Richter des Oberlandesgerichts Naumburg wegen Rechtsbeugung angezeigt - erfuhr das Verfahren einen zwischenzeitlichen Höhepunkt:

Mit dem Urteil vom 26.2.2004 stellte der Europäische Gerichtshof in Straßburg fest, dass der deutsche Staat das Menschenrecht des Kazim Görgülü auf Achtung seines Familienlebens verletzt habe, indem er seiner Verpflichtung, "auf die Zusammenführung eines leiblichen Elternteils mit seinem Kind hinzuwirken", nicht nachgekommen sei und das Kind durch die Unterbindung des Kontakts zum Vater seiner Wurzeln beraube.

Der Junge war damals bereits fast fünf Jahre alt. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Straßburg (Frankreich) reichte allerdings immer noch nicht für die deutschen Behörden. Nach wie vor wollten sie nicht, dass Kazim Görgülü seinen Sohn sehen kann. Dieses Verhalten führt dazu, dass sich Kazim Görgülüs Rechtsbeistand, die Bochumer Anwältin Azime Zeycan, die Frage stellen musste, „ob das Land Sachsen-Anhalt ein "rechtsfreies Territorium mitten im vereinten Europa" sei.

Obwohl drei Wochen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs das Familiengericht Wittenberg dem Vater das alleinige Sorgerecht zusprach und den Umgang mit seinem Sohn anordnete, wurde dieses durch sehr unterschiedliche Methoden immer wieder auch gerichtlich verhindert. Auffällig war dabei die Rolle des Jugendamtes Wittenberg, welches konsequent auf Seiten der Pflegeeltern – einem deutschen Lehrer-Ehepaar – stand. Dies führte in der Konsequenz dazu, dass auch das Bundesverfassungsgericht sich mehrfach mit dem Fall befassen musste – insgesamt sechs Mal! Ihnen platzte irgendwann der Kragen, sie bezeichneten das Verhalten des Oberlandesgerichtes Naumburg als Verstoß gegen insgesamt drei Artikel des Grundgesetzes und als „Umgehung der Zivilprozessordnung“ sowie als „Willkür“. Dies hatte es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben – ein einmaliger Vorfall! Er führte zu einer Flut von anonymen und nicht anonymen Anzeigen gegen diese drei Richter des Oberlandesgerichtes in Naumburg. Daher sah sich die Generalstaatsanwaltschaft in Sachsen-Anhalt verpflichtet, zu ermitteln. Eine Anzeige wurde gegen diese drei Richter erstattet, das Verfahren läuft zur Zeit und sorgte für Schlagzeilen in der Presselandschaft Deutschlands.

Mit dem Fall „Görgülü“ musste sich das Amtsgericht Wittenberg Dutzende Male befassen, dann landete er vor dem Oberlandesgericht Naumburg in ähnlicher Größenordnung. Den Gang vor das Bundesverfassungsgericht wagte Kazim acht Mal (!!!), und fast immer erhielt er dort Unterstützung. Einmal wurde vor dem Bundesgerichtshof entschieden (2007) und einmal vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg (Frankreich, 2004). Doch damit nicht genug. Auch auf Nebenschauplätzen musste vor Gericht gestritten werden: Wegen verschleppter Befangenheitsanträge, offenbar überforderter Richter, die monatelang krank waren, Anzeigen wegen Volksverhetzung gegen eine regionalen Wochenzeitung, Anzeige wegen Personenstandsfälschung (Christofer erhielt einfach einen anderen Namen) – es gab viele Stationen in diesem Drama.

In der Konsequenz des Falles steht und stand auch die Bundesrepublik Deutschland unter ständiger Beobachtung des Ministerkomitees beim Europaparlament in Straßburg. Das die Verwirklichung der Beschlüsse des Gerichtshofs für Menschenrechte überwachende Gremium hatte den Fall als ständigen Punkt auf seiner Tagesordnung. Zudem hatte die Türkei dem Auswärtigen Amt in Berlin eine Protestnote gegen die Verletzung der Menschenrechte ihres Staatsangehörigen überreicht.

Als vorläufigen - dieses Mal aber glücklichen - Höhepunkt des Scherbenhaufens erhielt Kazim Görgülü Mitte Februar das vorläufige alleinige Sorgerecht für seinen Sohn. Allerdings wolle das Amtsgericht vor einer endgültigen Entscheidung die weitere Entwicklung der Vater-Sohn-Beziehung in den kommenden Monaten abwarten, heißt es.

MM: Sehr geehrte Herr und Frau Görgülü. Zunächst einmal beglückwünschen wir Sie zur Familienzusammenführung. Wie geht es Ihnen, wie geht es Ihrem Sohn?

Kazim Görgülü: Ich bin sehr stolz auf meinen Sohn. Ich habe ihn nach der letzten  Gerichtsverhandlung am 11. Februar in meine Arme genommen und ihm stolz erklärt, dass ich seit acht Jahren vor Gericht um ihn kämpfe. Und er, mein kleiner Sohn, hat nach einer halben Stunde Gespräch mit der Richterin alles zum glücklichen Ende gebracht. Ich bin sehr glücklich.

Celestina Görgülü: Ich freue mich für meinen Mann und für unseren kleinen starken Sohn. Ich bin vor allem froh, dass wir nun endlich in absehbarer Zeit diese seit acht Jahren anhaltenden Anspannungen und diesen Dauerstress beenden können; diese Angst, ihn durch eine drohende Adoption nie wieder sehen zu können. Ich bin stolz auf unsere gesamte Familie. Vor allem auch auf unsere beiden Töchter, die mit Kazim und mir diese schwere Last über all die Jahre getragen haben. Sie haben für unseren kleinen KJ (Kazim Junior) auf vieles verzichten müssen. KJ wurde Kazims Sohn liebevoll von unseren Töchtern genannt.

MM: Was viele nicht wissen ist, dass sie bereits ersten unangenehmen Kontakt zu bundesdeutschen Behörden hatten, als Sie heirateten. Woran lag das?

Kazim Görgülü: Einen Tag nach unserer Hochzeit erhielten wir Post von der Stadt Leipzig. In einem Schreiben wurden wir darüber informiert, dass eine Scheinehe bestraft werde. Uns hat es die Sprache verschlagen.

Celestina Görgülü: Ich war über dieses Schreiben völlig entsetzt und fühlte mich diskriminiert und kriminalisiert. Ich war zuvor noch nie mit Problemen ausländischer Mitbürger in Berührung gekommen. Jetzt fühlte ich mich schon fast selbst als Ausländerin. Auf Grund meines seltenen Vornamens werde ich oft angesprochen und gefragt, ob ich Deutsche bin. Es ist in Deutschland nicht immer einfach, mit einem Ausländer verheiratet zu sein. Noch dazu, wenn er ein Muslim ist.

MM: Während die Faktenlage bezüglich des Falles der Vaterschaft in zumindest einige Zeitungen, wie z.B. der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder der „Süddeutschen Zeitung“ geschildert wurde, ist wenig über Ihre gefühlsmäßige Situation bekannt. Wie haben sie sich über die Jahre gefühlt?

Kazim Görgülü: Ich habe mich verletzt, unverstanden und diskriminiert gefühlt. Ich glaube, dass die entscheidenden Mitarbeiter in den Behörden und die Richter beim Oberlandesgericht Naumburg sich möglicherweise von ausländerfeindlichen Emotionen haben beeinflussen lassen.

Celestina Görgülü: Ich habe nie gedacht, dass in Deutschland solch ein komplettes Versagen der Behörden und der Justiz überhaupt möglich ist. In all den Jahren haben wir fast jeglichen Glauben an Recht und Gerechtigkeit in Deutschland verloren. Der seelische Druck war unwahrscheinlich groß. Das immense Leid, was uns von den Behörden und auch den Pflegeeltern in Sachsen-Anhalt all die Jahre angetan wurde, wünsche ich nicht meinem schlimmsten Feind. Wenn deutsche Richter in einem Beschluss schreiben, dass es dem Kind nicht zuzumuten sei, „beim Umgang mit seinem Vater über seine gemischtnationale Herkunft nachdenken zu müssen“, so wirft dies viele Fragen auf. Bleibt zu hoffen, dass dies Einzelfälle sind. Wir können jedoch nicht verstehen, dass alle Beteiligten seitens deutscher Behörden immer noch in Amt und Würden sind und offenbar auch keinerlei Konsequenzen aus deren Handeln gezogen wurde. Das bedeutet: Es kann immer wieder passieren, was uns passiert ist. Und niemand wird zur Rechenschaft gezogen. Manchmal hatten wir das Gefühl, dass die deutsche Justiz unbarmherzig ist. Niemand hat sich bei uns entschuldigt. Niemand.

MM: Woher haben sie die Kraft genommen, diesen acht-jährigen Rechtsstreit bis hin zum Europäischen Gerichtshof zu überstehen?

Kazim Görgülü: Der Glaube an die Barmherzigkeit Gottes und Seine Liebe gaben mir die Kraft. Schließlich ist die Liebe zu meinem Sohn, die tief in mir steckt, auch ein Geschenk Gottes. Als ich 2001 vom Amtsgericht Wittenberg das erste Mal das Sorgerecht für meinen Sohn erhielt, hatte ich nicht gedacht, dass das Jugendamt Wittenberg und die Pflegeeltern mich durch unzählige Beschwerden beim OLG Naumburg zu immer neuen Verfahren durch alle gerichtlichen Instanzen zwingen werden. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Anfang 2004 hatte ich gedacht, dass ich nun meinen Sohn in meine Familie holen kann. Dass ich noch weitere vier Jahre vor Gericht streiten muss, hatte ich nicht erwartet. Kraft haben mir vor allem die Kontakte mit meinem Sohn gegeben. Schon 2000 als ich meinen Sohn das erste Mal im Arm hielt, wusste ich, dass mein Sohn mich liebt. Wir haben die wenigen Stunden der Gemeinsamkeit immer genossen.

Celestina Görgülü: Ich weiß nicht, ob wir die acht Jahre durchgehalten hätten, wenn wir von Anfang an gewusst hätten, welch schweren Weg wir gehen müssen. Ich hatte zuvor nie mit einem Jugendamt zu tun und konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ein Vater sein Kind nicht zu sich nehmen darf, wenn die Mutter das Kind zur Adoption freigegeben hat. Kraft habe ich vor allem von meinem Mann meinen Kindern und von unseren Freunden erhalten. Meine Großmutter hatte zwei Weltkriege erlebt. Sich hat mir immer wieder gesagt: "Wer wegschaut, wenn Unrecht geschieht, macht sich mit schuldig."

MM: Und wie haben Sie das finanziert, war das nicht auch eine enorme finanzielle Belastung?

Kazim Görgülü: Bis 2006 lief unsere Baufirma gut. Wir hatten Auftraggeber die ihre Rechnungen bezahlten und konnten so mit vielen Entbehrungen überleben. Ende 2006 Zahlte ein Auftraggeber über 15.000 € nicht. Wir hatten in einer US-Kaserne eine Wohngebäude verputzt. Seit Januar 2007 streiten wir auch hier vor Gericht. Auch das ist in Deutschland Normalität. Leider haben wir diesen Verdienstausfall nicht kompensieren können, so dass unser Firma in Insolvenz gehen musste. Hinzu kam, dass ich seit Sommer 2007 nicht mehr regelmäßig arbeiten konnte. Wenn an Wochenenden geplant war, Christofer sehen zu dürfen, verließ ich die Baustelle, an der ich gerade arbeitete. Ich reiste aus vielen hundert Kilometern Entfernung an, um mit Christofer Kontakt haben zu können. Um dann feststellen zu müssen, dass es vergeblich war: Sie verwehrten mir Christofer. Dies passierte oft. Wie viel Geld ich umsonst bezahlte für Tankfüllungen; ich weiß es nicht mehr.

Als der Vormund Oktober 2007 meinen Sohn aus der Schule holen wollte, brachten die Pflegeeltern Christofer vier Wochen Mittwoch, Donnerstag und Freitag nicht mehr in die Schule. Von mir wurde aber erwartet, dass ich mich für eventuell stattfindende Umgänge bereithielte. Finanziell sind wir völlig ruiniert worden. Mein Sohn hat am 11.2.08 zu der Richterin gesagt, dass er weiß, dass ich kein Geld und viele Probleme habe. Er möchte aber trotzdem zu seinem Papa.

Celestina Görgülü: Wie mein Mann schon sagte, hatten wir bis Ende 2006 neben unseren Kampf um Christofer auch noch die Baufirma betreiben können. Als wir dann aber nun auch noch gerichtlich um unser Geld kämpfen mussten, war diese Belastung zeitlich nicht mehr zu schaffen. Ich bringe seit Jahren, als Beistand für meinen Mann, im Monat über 150 Stunden für den Kampf um Christofer auf. Seit 2007 schaffe ich einfach diese Doppelbelastung nicht mehr, so dass notwendigen Arbeiten für die Firma liegen blieben. Der Preis, den wir bezahlt haben, ist sehr hoch. Doch unsere Kinder sind keine Handelsware. Traurig bin ich nur darüber, dass ich noch nicht ein einziges Mal mit meinem Mann die Türkei besuchen konnte. Entweder ließen es die Gerichtsverfahren nicht zu, oder wir hatten einfach kein Geld. Auch Christofer hat sich gewünscht, seine Großmutter kennen zu lernen. Sie ist seit Jahren sehr krank.

MM: Welche Gruppen, Vereine, Parteien und Einzelpersonen haben Sie während der langjährigen Prozesse unterstützt?

Kazim Görgülü: Sehr viel Unterstützung haben wir vom Väteraufbruch für Kinder e.V. erhalten. Besonders der Bundesvorstand Dietmar Nikolai Webel aus Sachsen-Anhalt hat sich für meinen Kampf um meinen Sohn eingesetzt. Immer wieder hat er die Politiker in Bund und Land angeschrieben oder Mahnwachen organisiert. Auch der türkischen Botschaft möchte ich danken. Sie hat zu allen Verhandlungen im Oberlandesgericht Naumburg einen Beobachter geschickt und auch zahlreiche Protestnoten an die Bundesregierung Deutschland gesandt. Nicht vergessen möchte ich den europäischen Ministerrat, der Deutschland immer wieder kritisierte und die Umsetzung des Urteils vom Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verlangte. Ohne diesen konsequenten Druck auf Deutschland, hätte ich meinen Sohn nie sehen dürfen. Die Behörden in Sachsen-Anhalt waren nie freiwillig bereit, eine Familienzusammenführung mit meinem Sohn zu unterstützen. Jeden Umgang musste ich hart erkämpfen.

Celestina Görgülü: Ab dem Jahr 2004, hat sich ein überschaubarer, fester Helferstamm um uns gebildet, ohne jetzt alle Namen nennen zu wollen. Konnten wir uns manchmal das Verhalten Christofers nicht ganz erklären, halfen uns beispielsweise psychologische Fachkräfte weiter. Über neueste Entwicklungen im Kindschaftsrecht in Deutschland oder in Europa wurden wir auch immer umgehend informiert, so dass wir stets auf dem neuesten Stand waren. Hilfe erhielten wir ebenfalls von Einzelnen aus Adoptiv- und Pflegekinderkreisen. Und auch in juristischer Hinsicht wurden wir mehr als gut betreut. Aus all den Erkenntnissen erwuchs unsere Strategie und Taktik. Unsere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit lag in professionellen Händen, da uns klar war, dass auch der öffentliche Druck eine große Rolle spielte.

Als einzige deutsche Partei hat uns auf vielfältige Weise die Bundestagsfraktion der Partei "DIE LINKE" unterstützt. Bedanken möchte ich mich auch bei unseren vielen deutschen Freunden. Vor allem bei der Kirchengemeinde in Gollma, meiner besten Freundin Carola Buschmann und bei unserer Bochumer Rechtsanwältin Azime Zeycan. Auch in den deutschen Amtsstuben gab es immer wieder einzelne Menschen, die uns unterstützt haben. Allein hätten wir diesen Kampf gegen die geballte Behördenmacht nicht führen können.

MM: Haben Sie sich auch an muslimische Verbände gewandt?

Kazim Görgülü: Ja meine Frau hatte sich 2004 in einer Phase von großer Verzweiflung an einen der größten Verbände in Deutschland gewandt und um Hilfe gebeten. Doch fanden wir dort kein Gehör.

Celestina Görgülü: Von unseren deutschen Freunden werde ich immer wieder gefragt, wieso Kazim keine Unterstützung von den Muslimen in Deutschland erhält, obwohl in vielen Zeitungen auch in der Hüriyet und im Fernsehen immer wieder von unserem Fall berichtet wurde. Ich konnte diese Frage bisher nicht beantworten. Vielleicht ist es einfach nur Angst vor den deutschen Behörden. Ich weiß es nicht. Übrigens ist Kazim bereits der dritte Türke, der eine Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof gewonnen hat.

MM: Und wie stand es mit den Medien; schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass Deutschland wegen Verletzung der Menschenrechte vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wird. Haben die Medien den Skandal hinreichend thematisiert?

Kazim Görgülü: Die Medien in Sachsen und Sachsen-Anhalt haben regelmäßig über unseren Fall berichtet. Das öffentliche Interesse war sehr groß. Auch die ARD und der MDR haben mehrfach berichtet.

Celestina Görgülü: In fast allen juristischen Fachzeitschriften wurde von unserem Fall ausführlich berichtet oder man hat ihn kommentiert. Aber nicht nur die Zeitungen in den Bundesländern. In vielen Universitäten wird der Fall in Vorlesungen behandelt. Wir haben wirklich Rechtsgeschichte geschrieben. Noch nie hat ein einfacher mittelloser Vater so lange vor Gericht um sein Kind gestritten. Wir sind vor allem auf unsere taktischen und strategischen Leistungen stolz.

MM: Haben sie jetzt Verständnis dafür, dass - obwohl es keine islamische Voraussetzung ist - dennoch viele Muslime die standesamtliche Trauung in Deutschland dringend empfehlen?

Kazim Görgülü: Ja, auf alle Fälle.

Celestina Görgülü: In Deutschland sollten vor allem Ausländer, die mit einer deutschen Frau Kinder haben, die standesamtlichen Trauung vollziehen. Denn nur dann haben sie auch das Sorgerecht für ihre Kinder, ohne dass die Kindesmutter dem ausdrücklich zustimmen muss. Nicht verheiratete Väter sind nahezu rechtlos in Deutschland. Immer wieder werden vor allem Mütter von gemischt nationalen Kindern vom Jugendamt beraten, keine gemeinsame Sorgerechtserklärung abzugeben, weil man die Väter nach einer Trennung einfacher entsorgen kann. Diese Väter haben dann kein Mitspracherecht, wenn es um die Belange ihrer Kinder geht.

MM: Erlauben Sie eine allgemeine Frage, wie empfinden Sie die Lage für Muslime in Ostdeutschland?

Kazim Görgülü: Wir werden immer noch mit Argwohn und Misstrauen beäugt. Vor allem Frauen mit Kopftuch haben es schwer. In Leipzig haben aber auch äußerlich angepasste Ausländer kaum eine Chance z.B. in eine Disko Einlass zu erhalten. Das sind meine Beobachtungen.

Celestina Görgülü: Ich denke dass Muslime, vor allem durch die Art der Medienberichte, immer wieder mit Terroristen in Verbindung gebracht werden. Dass Muslime und Christen mehr Gemeinsamkeiten haben als Unterschiede, wird kaum erwähnt. Vorurteile bei Muslimen wie auch bei nichtmuslimischen Deutschen werden zu sehr gehütet. Ich habe manchmal den Eindruck, dass unsere Politiker nicht Integration sonder eher Assimilation unserer muslimischen Mitbürger anstreben. Integration setzt vor allem Toleranz voraus. Statt immer wieder die Unterschiede zu betonen, sollte man vielmehr über die Gemeinsamkeiten sprechen. Das Streben nach Bildung, die Achtung jedes Gläubigen auch von Christen und Juden, die Achtung seiner Frau, all diese steht im Heiligen Koran geschrieben. Auch muslimische Frauen haben Rechte. Sie können sich zum Beispiel auch scheiden lassen. Nur der ist ein guter Muslim, der gut zu seiner Frau ist. Vielleicht sollte man auch in deutschen Schulen vielmehr über die islamische Religion aufklären. Es würde helfen, viele Missverständnisse und Vorurteile abzubauen. Vor meiner Ehe mit Kazim hatte ich auch sehr viel Vorurteile und völlig einseitige Vorstellungen über Muslime, das räume ich gern ein (lachend).

MM: Was haben Sie aus der Geschichte gelernt, und was möchten Sie den Lesernn gerne mitteilen?

Kazim Görgülü: Ich bin oft gefragt worden, warum ich meinen Sohn nicht einfach entführt habe. Diese Frage kann ich ganz einfach beantworten:  Ich wollte nicht mein ganzes Leben auf der Flucht sein. Vor allem wollte ich nicht getrennt von meiner Ehefrau leben. Ich habe einen sehr schweren Kampf hinter mir. Aber es hat sich am Ende gelohnt. Unrecht mit Unrecht zu begegnen ist nicht der richtige Weg. Allerdings ohne die Hilfe meiner Ehefrau und ihrer deutschen Freunde hätte ich in Deutschland nie eine Chance gehabt. Ausländischen Mitbürgern, die in einer ähnlichen Situation sind, kann ich nur empfehlen, sich an einen Verein oder an eine Hilfsorganisation zu wenden. Suchen Sie sich deutsche Freunde.

Celestina Görgülü: Ich kann mich nur meinem Mann anschließen. Wichtig ist vor allem, dass sie auch als Geschädigter immer dialogbereit und sachlich bleiben. Jede menschliche Schwäche wird bei einem Kampf gegen eine Behörde gegen sie verwendet. Suchen sie sich Verbündete und gehen sie nicht allein zu einer Behörde. Jeder Bürger darf sich nach dem Gesetz einen Beistand mitnehmen. Ein Mitarbeiter einer Behörde darf einen Beistand nicht wegschicken. Obwohl wir durch den jahrelang anhaltenden Rechtsstreit finanziell völlig ruiniert wurden, war dies trotzdem der bessere und richtige Weg. Gewalt hat noch nie Probleme gelöst.

MM: Sehr geehrte Görgülus. Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie Gottes Segen und danken für das Interview.

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