MM: Sehr geehrter Herr Pfaff, im Internet
werden Sie vorgestellt als pazifistischer Bundeswehroffizier, und die
Würdigungen, die Sie erhalten haben, unterstreichen diese Auffassung. Ist
das nicht ein Widerspruch: Pazifist und kommandierender Soldat zu sein?
Pfaff: Zunächst vielen Dank, Herr Dr. Yavuz
Özoguz, für Ihr Interesse an diesem Thema und ein herzliches Grüß Gott aus
München Ihnen und allen Ihren Lesern. Zumindest auf dem Papier ist es für
Soldaten der Bundeswehr kein Widerspruch, sondern sogar Pflicht, für den
Frieden einzutreten. Auch Vorgesetzte (Stabsoffiziere sogar erst recht) sind
per Eid an das Gesetz, damit auch an das Grundgesetz, gebunden. Dort ist die
Friedenspflicht in Artikel 26 genauso verankert wie der Vorrang des
Völkerrechts in Artikel 25. Von einer Pflicht, auch an Delikten wie dem
Irakkrieg mitzuwirken, werden Sie darin (und auch sonst) nichts finden. Vom
Anspruch her sind Soldaten somit so wenig Mörder wie Polizisten, die ja auch
vor Gewalt nur schützen sollen, nicht selbst etwa Tankstellen plündern. Das
Problem ist "nur", dass Leute wie ich zum Teil zum Wegsehen genötigt werden.
Wenn man, wie ich, rechtstreu bleibt und seinem Gewissen folgt, muss man
Karrierenachteile befürchten.
MM: Sie selbst mussten Ihr Recht auf
Gehorsamsverweigerung bezüglich eines Projektes, das Ihrer Meinung nach im
Zusammenhang mit der US-Kriegsführung im Irak stand, letztendlich
gerichtlich erstreiten. Wie ist Ihrer Meinung nach das Urteil zu verstehen? Hat
nunmehr ein deutsches Gericht darauf verwiesen, dass die Kriegsführung der
USA im Irak aus deutscher Sicht illegitim ist, oder haben Sie Recht
bekommen, sich zu verweigern, ohne dass der US-Krieg als illegitim
hingestellt wurde?
Pfaff: Das Bundesverwaltungsgericht hat
offiziell (juristisch verbindlich) nur festgestellt, dass der Irakkrieg
keine Verteidigungshandlung war und Deutschland - wenn überhaupt - daher
höchstens auf der Gegenseite sich hätte engagieren dürfen. Dass die
Bundesrepublik Deutschland rechtswidrig Mitwirkungshandlungen erbracht hat,
ist nun eine Tatsache, die niemand mehr bestreiten kann, weil amtlich
(letztinstanzlich) beschieden. Es ist natürlich noch ein großer Unterschied,
ob es sich dabei um eine Ordnungswidrigkeit handelte oder sogar um ein
Verbrechen. Dazu, also zur Schwere des Delikts, konkret: ob der Angriff ein
völkerrechtliches Verbrechen war, ist dem Urteil keine verbindliche Aussage
zu entnehmen. Wie verwerflich die Hilfe der Bundeswehr für die USA war,
findet sich im Urteil nur unverbindlich ("obiter dictum"). Das ändert
allerdings nichts daran, dass die Bundeswehr nun keinen Soldaten mehr zu
Unterstützungshandlungen zwingen kann. Und auch die nicht rechtswirksame
Begründung, weshalb dieser Angriff als Totschlag anzusehen wäre, wenn man
denn darüber hätte befinden müssen, ist gut für die Nachvollziehbarkeit der
Gewissensentscheidung von Soldaten. Das Urteil ist also "nur" die
Bescheinigung des Vorrangs des Gewissens, selbst vor der Einsatzbereitschaft
der Bundeswehr. Es genügt nicht als Beweis für eine Anklage von Bush wegen
Völkerrechtsbruch. Wer aber als Bürger oder Soldat darauf angewiesen wäre,
dass ihm das auch amtlich bescheinigt würde, kann wohl wegen der Klarheit
der "nebenbei" (zur Begründung der Nachvollziehbarkeit des Gewissens) vom
Gericht geäußerten rechtlichen Bedenken davon ausgehen, dass er auch das
Recht auf seiner Seite hat. Es gibt in Deutschland unter den
ernstzunehmenden Völkerrechtlern auch keine Diskussion mehr, dass mit dem
Irakkrieg das Völkerrecht gebrochen wurde. Ich finde es schön, dass ein
Soldat, der Gewissensprobleme hat, die Rechtslage gar nicht mehr beweisen
muss, sondern dass es genügt, wenn er seine Überzeugung gut begründet zum
Ausdruck bringt. So gesehen ist die Entscheidung des Gerichts sogar besser,
als wenn der Krieg auch juristisch als "Verbrechen" gerügt worden wäre.
MM: Mit dem Fall Ernst-Zettl (siehe im
Muslim-Interview), bei dem Sie sich ebenfalls engagiert haben, wurde ein
weiterer Fall von Problemen der Bundeswehr mit dem internationalen Recht
deutlich. Sind das Ihrer Meinung nach Ausnahmen, die sofort zu einem Skandal
führen, oder eher die Spitze eines Eisberges?
Pfaff: Derartige Skandale sind Ausnahmen,
denn aufgrund der Drohung sogar mit Gefängnis, zumindest aber mit schwerer
Benachteiligung, wenn man nicht wegsieht, woran man mitwirkt, riskiert
natürlich nur eine sehr kleine Minderheit den offenen Widerspruch. Aber auch
die Bundeswehr ist nicht darauf versessen, die Auseinandersetzung öffentlich
zu führen, wie man im Fall meiner Verweigerung, mich auf eine Mitwirkung am
Verfassungsbruch in Somalia einzustellen, oder im Fall der Verweigerung
einer ganzen Reihe Piloten 1999, an der Bombardierung Jugoslawiens
mitzuwirken, sehen konnte. Manchmal kommt der Betreffende, der sich mit der
Obrigkeit anlegt, wie im Fall "San OA e.V.", einer Interessenvertretung mit
ca. 1200 Medizinern in Uniform, leider auch ums Leben. Auch so kommt es zum
Teil nicht mehr zum Eklat. Zudem werden sehr viele Konflikte, die ansonsten
eskalieren würden, zum Beispiel der von
Oberstleutnant Jürgen Rose, der den
Tornado-Einsatz in Afghanistan nicht unterstützen wollte, völlig korrekt
gelöst. Es "kracht" folglich sehr selten. Dass sich die Bundeswehr stets nur
rechtstreu verhält, will ich damit natürlich nicht sagen. Eine absolute Zahl
oder auch nur Quote kann ich Ihnen leider nicht benennen.
MM: Wie kam es zu Ihrem Buch "Totschlag
im Amt - Wie der Friede verraten wurde"; ist das nicht ein sehr schwerer
Vorwurf?
Pfaff: Der Vorwurf bezieht sich nicht nur
auf die Bundeswehr, die ja "nur" Beihilfe leistete, sondern in erster Linie
auf die Verursacher des Irakkriegs. Ich finde den Vorwurf mehr als
angemessen, müsste man im Fall persönlicher Bereicherung, wenn jemand dabei
etwa seine Karriere im Auge hat, doch sogar von "Mord" sprechen. Auch ist es
in meinen Augen mehr als ungeheuerlich, dass ein Urteil, welches eine
Gewissensentscheidung zugesteht, schlicht ignoriert und nicht voll umgesetzt
wird. Da drängt sich mir natürlich der Verdacht auf (weil doch jeder weiß,
dass solche verbindlichen Urteile wie ein Gesetz befolgt werden müssten),
dass eigene Interessen und Druck "von oben" eine große Rolle spielen.
Solcher Druck ist für Soldaten aber keine Entschuldigung. Ihnen wird
Tapferkeit abverlangt. Sie müssen das Recht notfalls mit ihrem Leben
verteidigen, haben Rechtstreue sogar geschworen. Diejenigen, die sich in
Bezug auf den Irakkrieg so schlau gemacht haben wie ich, hätten zumindest
wissen müssen, dass sie sich an Mord und Totschlag beteiligten, wenn sie die
USA dabei unterstützten. Weißen Phosphor auf Städte wie Falludscha zu werfen
oder Folter auch nur zu begünstigen, ist für mich Totschlag und Beihilfe
dazu. Da darf mich jeder gerne zitieren. Schon ein verlogener Krieg an sich,
der keine Notwehr darstellt, ist natürlich Totschlag, selbst wenn keine
zusätzlichen Entgleisungen zu erkennen gewesen wären. Was denn sonst?
MM: Was meinen Sie mit "nicht voll umgesetzt
wird"?
Pfaff: Nun, ein verbindliches Urteil darf
man doch nicht ignorieren. Das Gericht hat festgestellt, dass ich eine
Gewissensentscheidung getroffen habe. Dafür nannte es Kriterien, die es in
meinem Fall als erfüllt ansah. Damit steht mir das Recht, dieses Gewissen
auch in Anspruch zu nehmen, ohne deswegen mehr als nötig benachteiligt zu
werden, auf dem Papier - und in einem wirklichen Rechtsstaat auch
tatsächlich - zu. Die Bundeswehr stört das aber nicht. Sie behauptet in
beleidigender Weise, mein Entschluss beruhe "nicht" auf einer
schützenswerten Gewissensentscheidung. Sie geht sozusagen in den Widerstand
gegen den Rechtsstaat, ohne ein Recht dazu zu haben. Die Bundeswehrführung
fordert sogar auf, in Fällen wie dem meinen - unter Missachtung des
Kerngehalts des Urteils - entsprechende Befehle durchzusetzen. Obwohl ihr
das Gericht beschieden hat, dass nur ein Gericht solche Streitfragen klären
könne und es auf das Gewissen der Soldaten ankomme, wiederholt die
Bundeswehr, auf ihre Rechtsauslegung komme es nur an. Und obwohl in Wahrheit
kein Soldat sich an Angriffskriegen beteiligen darf, behauptet die
Bundeswehrführung, einfache Soldaten ohne Einfluss auf die politische
Willensbildung dürften straffrei bewusst an solchen Delikten mitwirken. Es
ist klar, worauf das zielt: Man will wohl eine Art Söldner gewinnen, denen der
Vorrang des Völkerrechts ausgeredet wird und die in dem Glauben mitmachen
sollen, sie könnten dafür nicht persönlich belangt werden. Das ist vielleicht Bauernfängerei, hat
aber nichts zu tun mit einer korrekten Ausbildung, dass eine bewusste
Mitwirkung an Angriffskriegen jedem Einzelnen untersagt ist. Spätestens seit
den Nürnberger Prozessen ist das auch jedem Soldaten auf dieser Erde klar.
Ich bin also entsetzt von den "Hinweisen" des Ministeriums, die ich in
meinem Buch daher im Wortlaut abgedruckt habe, damit jeder sieht, wie
ungeheuerlich dort gedacht und der nächste Angriffskrieg vorbereitet wird.
Was mich betrifft, wurde gegen mich, solange ich mein Gewissen geltend
mache, inzwischen ein Beförderungsverbot ausgesprochen. Mit der Begründung,
ich sei nicht "uneingeschränkt" verwendbar. Das stimmt zwar: Weder für Mord
noch für Totschlag bin ich zu haben. Ich würde noch nicht einmal ein
US-Foltergefängnis bewachen. In meinen Augen ist das aber kein ausreichender
Grund, mich (ausdrücklich deswegen) in meinem militärischen Fortkommen und
finanziell zu benachteiligen. Von der vollständigen Anerkennung der
Gewissensentscheidung kann man, wenn man die Zusammenhänge kennt, also
leider nicht sprechen. Eher von der Missachtung meines Gewissens und dem
Versuch auszutesten, wie weit man Soldaten doch in ungesetzliche Kriege
zwingen, Ihnen die "Pflicht zur Mitwirkung", zumindest die Erlaubnis dazu
(Straffreiheit) einreden kann. Deshalb bemühe ich erneut die Öffentlichkeit
und die Justiz.
MM: Muslime kommen in ihrem Buch nicht so
gut weg wie Christen, woran liegt das?
Pfaff: Das liegt daran, dass es Christen
waren, die mir sehr geholfen haben. Schon der Militärpfarrer hat mich nach
meiner Weigerung, am Krieg mitzuwirken, als Ministranten eingesetzt und
damit öffentlich demonstriert, dass ich unter dem Schutz der Kirche stehe.
Sogar der Militärbischof hat (ohne mich oder den Irakkrieg beim Namen zu
nennen) an der Bundeswehruniversität in Hamburg sinngemäß geäußert, dass es
gut sei, dass es Christen gebe, die verhinderten, dass bestimmte Grenzen
überschritten würden. Schließlich war auch der damalige Papst wohl alles
andere als davon begeistert, den Glauben mit Hilfe eines "Kreuzzugs" (wie
Bush ihn ja nannte) voranzubringen. Das heißt nicht, dass ich etwas gegen
Muslime hätte, nur weil die Offene Kirche mir 2007 einen Preis verliehen
hat, während mir bisher kein Moslem auch nur für mein Eintreten für den
Frieden dankte. Ich glaube, dass Muslime dazu insgesamt gar keine andere
Haltung haben. Aber ich habe zu ihnen bisher einfach keinen Draht.
Vielleicht werde ich von dieser Seite ja einmal zu einem Vortrag eingeladen.
Dann werden wir ja sehen, wie die Reaktionen sind. Ich komme gerne. Es gibt
da Dinge, mit denen ich nicht einverstanden bin, etwa wenn Frauen nicht
Autofahren oder in der Moschee nicht beten dürfen. Aber das ist in der
Katholischen Kirche ja auch zum Teil unbefriedigend: Da dürfen Frauen keine
Messe lesen. Religionen sind eben sehr konservativ.
MM: Nun, die Tatsache, dass Frauen kein Auto
fahren dürfen - um Ihr Beispiel aufzugreifen - gibt es nur in einem einzigen
Land, und jenes Land ist ausgerechnet einer der engsten Verbündeten der
westlichen Welt im Nahen und Mittleren Osten. In wie weit sind solche
inneren Widersprüche westlicher Wertepraxis in der Bundeswehr bekannt bzw.
Diskussionsthema unter Führungskräften?
Pfaff: Meiner Meinung nach sind die Details
viel zu wenig bekannt. Das "Ministerium für Wahrheit" leistet gute Arbeit.
Viele Bürger, sogar viele Soldaten wissen gar nicht, was der Erste Golfkrieg
war, dass Saddam Hussein ein Freund der USA in diesem Krieg war,
Satellitenbilder und andere Hilfe erhielt. Wenn die USA die Frauen hätten
befreien wollen, hätten sie nicht das Land in der Region angegriffen, in dem
diese ungefähr so gleichberechtigt wie in Russland waren. In meinem Buch
habe ich auch darauf hingewiesen. Dass der ganze Krieg aber nur erlogen war,
ist wohl überall bekannt. Selbst wenn es noch einen Politiker geben mag, der
sich dumm stellt, wird das nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch im Deutschen
Bundestag inzwischen jeder wissen.
MM: Auch ein Bundeswehroffizier lernt im
Laufe seiner langjährigen Ausbildung sicherlich, dass im Fall einer
Besetzung des eigenen Heimatbodens Widerstand zu leisten ist. Wie klingt es
für einen kritischen Bundeswehroffizier, wenn die Führung seines Landes
jenes Widerstandsrecht anderen besetzten Völkern nicht nur verweigert,
sondern diese für jeglichen Widerstand gegen Besatzung auch noch als
"Terroristen" abstempelt, oder anders gefragt: Werden Bundeswehrsoldaten
auch zum "Terrorismus" nach der Definition der eigenen Regierung
ausgebildet?
Pfaff: Bundeswehrsoldaten werden nach der
heutigen Definition in der Tat zu dem ausgebildet, was zuweilen von anderen
als "Terrorismus" bezeichnet wird. Man sagt ihnen
aber auch, zumindest wurde mich das gelehrt, dass nur die Besatzer
Widerstand "Rechtsbruch" nennen werden. Wenn der Rechtsstaat einmal
beseitigt worden sein sollte, zum Beispiel die bisherige Führung ermordet,
eine Marionettenregierung eingesetzt und die Gerichte gleichgeschaltet, kann
eine Petition oder Klage vor Gericht bekanntlich nichts mehr bewirken.
Widerstand gegen einen solchen Besatzer, selbst aktive Gegenwehr, wird dann
legal, ist keine kriminelle Handlung mehr. Alle Bürger, nicht nur Soldaten,
haben nach dem Grundgesetz das Recht, wenn die frühere demokratische
Rechtsordnung anders nicht mehr wiederhergestellt werden kann, diese
gewaltsam zu erneuern. Es versteht sich von selbst, dass nicht nur aus
propagandistischen Gründen so bezeichneter, sondern tatsächlicher
Terrorismus, also z.B. die Einschüchterung durch das Töten auch
Unschuldiger, selbst in diesem Fall "Terrorismus" genannt werden müsste. Die
heutigen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass die Maßnahmen der
Widerstandskämpfer z.B. nicht so unverhältnismäßig wie die der USA gegen die
Bevölkerung im Irak ausfallen dürften, wären weiterhin zu beachten. Willkür,
Folter und Massentötungen auf Verdacht sind nie gerechtfertigt. Diese
Voraussetzungen gelten in meinen Augen exakt so auch für Widerstandskämpfer
im Irak oder sonst auf der Welt. Nun kommt das "Aber": Dass ich als
überzeugter Soldat gewaltsamen Widerstand dennoch nicht in jedem Fall als
die beste Lösung empfehlen würde, wird Sie vielleicht überraschen. Anwendung
militärischer Macht ist in meinen Augen immer höchstens die zweitbeste
Lösung. Ein Schwacher hat dadurch mehr Nach- als Vorteile. Die Geschichte
zeigt, dass man für militärische Siege sehr viel Blut vergießen muss. Auch
wenn Töten kein Totschlag ist, ist es abzulehnen, sofern es bessere Mittel
gibt. Theoretisch ist dies immer der Fall, das Mittel selbst gibt es an sich
immer: Es ist der gewaltfreie Widerstand, wie ihn Gandhi koordinieren
konnte. Ob die Abwehr eines Angreifers, der Mord, Totschlag und Folter über
ein Land bringt, damit, das heißt ohne Töten (Totschlag ist Widerstand ja
nicht) in einer konkreten Situation allerdings tatsächlich funktioniert,
hängt meiner Meinung nach einzig davon ab, ob es jemanden gibt, der dem Volk
weitere Leiden zumuten kann, ohne selbst an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Das Problem ist, dass die Leute, je mehr sie gelitten haben, lieber kämpfen
wollen. Jedes Eintreten für den Frieden ist daher kontraproduktiv (so
schlimm das ist), wenn die Leiden dadurch nicht zumindest drastisch
gemindert, besser noch beendet werden. Für einen - immer möglichen! -
friedlichen Sieg über den Feind benötigt man also nicht nur die moralische
Überlegenheit, sondern auch eine Persönlichkeit wie Gandhi, die (und sei es
mit Hungerstreik) das Volk dazu bewegt, von einem Verhalten, wie es der
Feind an den Tag legt, selbst die Finger zu lassen. Nur durch das Umsetzen
der moralischen Überlegenheit bei gleichzeitiger Verweigerung jeder
Kooperation mit dem Feind ist es möglich, die Waffen des Gegners ins Leere
laufen zu lassen. Damit lässt sich dann allerdings auch eine Atombombe
entschärfen. Es ist der einzige mir bekannte Weg, einen überlegenen Feind in
die Knie zu zwingen, wenn die Abschreckung einmal versagt hat. Es ist
allerdings äußerst schwer, eine solche Persönlichkeit, die den friedlichen
Widerstand glaubhaft verkörpert und die leidende Bevölkerung mitreißt, zu
finden. So wird der Abnutzungskrieg im Irak wohl weitergehen wie damals der
in Vietnam, sofern die US-Regierung nicht - wie damals - aufgrund des Drucks
der Öffentlichkeit Vernunft annimmt und den Abzug beschließt.
MM: Die Bundeswehr agiert ja schon lange
nicht mehr "allein", sondern steht in einem von den USA dominierten Verbund
namens NATO. In wie weit gibt es - um auf das Thema Ihres Buches zurück zu
kommen - in der Bundeswehr Vorbehalte dagegen, dass ausgerechnet jene Macht
auch militärische Führungsmacht ist, die für die mit Abstand meisten
"Totschläge" unserer Zeit verantwortlich ist?
Pfaff: Die Bundeswehr ist ein Spiegelbild
der Gesellschaft. So wie ich es bewerte, gibt es allerdings innerhalb der
Streitkräfte mehr Leute, die sagen: "Natürlich waren die Kriegsgründe
gegen den Irak gelogen. Aber wenn man als Verbündeter gegenüber den USA oder
als Soldat gegenüber der Bundeswehr nicht trotzdem mitmacht, können wir
gleich aufhören. Dann funktionieren Streitkräfte und ein Bündnis nicht
mehr." Das ist - wenngleich das Hauptargument der Propaganda - natürlich
völlig falsch. Tatsache ist: Je verwerflicher die Taten sind, die
(ungestraft) begangen werden, desto eher und schneller zerfällt die
betreffende Macht. Das alte Rom wurde durch seine Menschlichkeit groß (wir
haben noch heute im Prinzip Römisches Recht) und ging mit seiner
Unmenschlichkeit und dem Sittenverfall wieder unter. Der Kirche und dem
Kommunismus erging es nicht anders. Offenbar wollen die Amerikaner gerade
testen, ob das für ihre Bill of Rights und die Erklärung der
unveräußerlichen Menschenrechte auch gilt, wenn man zu Angriff und Folter
als Methode übergeht. Wie gefährlich die Situation für die USA und den
Westen insgesamt ist, wird sogar, anstatt es als Beleg für das Scheitern zu
werten, geschickt genutzt, um zum letzten Gefecht zu blasen. Aber mit
Angriffskrieg lässt sich keine Demokratie erschaffen und mit Folter keine
Menschlichkeit. Man wird nur Gegner erzeugen; inzwischen sogar mich, einen
ehemals treuen Freund der USA. Es gibt eben Grenzen, die man nicht
überschreiten darf. Allerdings haben das die Menschen auch dort - Gott sei
Dank - inzwischen wohl zumindest mehrheitlich begriffen.
MM: Malen Sie uns doch einmal ein Bild einer
Idealvorstellung der heutigen Bundeswehr als friedensstiftendes Organ. In
wie weit wären "Auslandseinsätze" denkbar?
Pfaff: Da braucht man nicht unbedingt viel
zu malen. In Anbetracht dessen, was die USA an Druck aufgebaut haben, stellt
die Bundeswehr in meinen Augen gar kein so schlimmes Gebilde dar, wie sie in
der Friedensbewegung zum Teil gesehen wird. Man kann darin, wenn man das,
wie ich, als Privatperson tut, sich nicht auf sein Amt beruft, relativ frei
diskutieren. Ich kenne kein anderes Land, in dem eine Organisation wie das
DARMSTÄDTER SIGNAL so frei (und sogar
staatlich gefördert) existiert und über die Probleme öffentlich diskutiert.
Würde ich mich in Russland genauso heftig gegen den Tschetschenienkrieg
aussprechen, wie hierzulande gegen den Irakkrieg, wäre ich wohl mit etwas
Polonium angereichert. Die Ermittler in dem Mordfall müssten das gleiche
Schicksal befürchten. Hier erhalte ich Auszeichnungen. Die nächste übrigens
voraussichtlich am 14.03.2008 in Leipzig, sogar von einer amerikanischen
Organisation. Meine unmittelbaren Vorgesetzten haben nicht nur Verständnis geäußert,
sondern mich z.T. sehr unterstützt. So schlimm, wie es zum Teil dargestellt
wird, ist es in der Bundeswehr also nicht. Man muss das alles relativ sehen,
berücksichtigen, wie die Welt leider ist. Das Problem sehe ich in erster
Linie im Druck der USA. Minister Dr. Franz Josef Jung hat es zum Glück bis
heute abgelehnt, Kampftruppen in den Irak zu schicken. Das gilt aus gutem
Grund auch für den Süden Afghanistans. Meine Idealvorstellung wäre natürlich
die, dass der Atomwaffensperrvertrag beachtet würde, so dass eine nukleare
Teilhabe Deutschlands gar nicht mehr zur Diskussion stünde, dass die USA
ihre National Security Strategy umschrieben, so dass die Beherrschung des
Erdkreises gar nicht mehr unterstützt zu werden bräuchte, dass die NATO sich
wieder nur die Verteidigung (ihres Gebiets, nicht wirtschaftlicher und
sonstiger Interessen) auf die Fahnen schriebe, bevor sie beschließt, sich
aufzulösen, und dass wir uns mit allen Ländern der Erde einigen könnten,
dass keiner mehr vom anderen Märchen erfindet, um seine Bevölkerung gegen
ihn aufzuhetzen. Dieses Ideal wird aber in meinen Augen nicht in die Tat
umgesetzt werden können, bevor es gelingt, den Konflikt im Nahen Osten zu
lösen, also die Besetzung palästinensischen Gebiets durch Israel, welche
die Israelis mit Angriffen gegen sie rechtfertigen. Es wird sich nicht
vermeiden lassen, sowohl für Israelis als auch für Palästinenser eine Heimat
zu schaffen, in der sie in Frieden leben und Freundschaft pflegen können.
Das ist allerdings heute scheinbar so absurd, wie bis vor kurzem der Friede
zwischen Deutschland und Frankreich. Unrealistisch ist der Friede in
Wahrheit nicht. Jeder kann sich noch heute dafür entscheiden.
MM: Ihr neues Buch wird am 12.03.2008
erscheinen und auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt. Werden Sie selbst
auch daraus vorlesen?
Pfaff: Mit Vergnügen: Am 15.03.2008 um 16:00
Uhr. Allerdings nicht beim HWK-Verlag, sondern in der Spinnereistraße 7, der
früheren Baumwollspinnerei, beim GVD Verlag, der hoffentlich ausgeschildert
ist. Ich freue mich schon auf interessante Gespräche.
MM: Was glauben Sie, können junge deutsche
Staatsbürger muslimischen Glaubens - die heutzutage in übermäßig hohem
Anteil den Ersatzdienst vorziehen - ein differenzierteres und damit faireres
Bild von der Bundeswehr erhalten?
Pfaff: Nun, ganz so falsch ist dieses Bild
vielleicht nicht. Ich habe zudem versucht, dazu beizutragen. Für mich ist
wichtig, dass man - egal ob Soldat oder Zivilist - friedlich bleibt,
nicht zu den gleichen Mitteln greift, wie zur Zeit leider die USA.
MM: Herr Pfaff, wir danken für das
Interview.
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