Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Florian D. Pfaff
 

Muslim-Markt interviewt 
Florian D. Pfaff, Autor des Buches "Totschlag im Amt - Wie der Friede verraten wurde"

12.3.2008

Florian D. Pfaff (Jahrgang 1957) ist ein Offizier der Bundeswehr, der durch seine pazifistische Haltung bekannt wurde. Nach seiner Schulausbildung ging er zunächst als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr.

Nach seiner Verpflichtung zum Zeitsoldaten studierte er zwischen 1978 und 1981 Pädagogik an der Universität der Bundeswehr und wurde Berufssoldat. Er verweigerte 2003 seine indirekte Mitwirkung am Irak-Krieg (im Bundeswehr-Projekt SASPF) und bezeichnet sich selbst als Pazifist. Es folgten psychiatrische Untersuchungen und Anweisungen, die Gehorsamsverweigerung zu unterlassen, sowie die Drohung mit der fristlosen Entlassung, der er sich erfolgreich widersetzte. Im Jahr 2005 wurde Florian Pfaff durch das Bundesverwaltungsgericht rehabilitiert. Er ist aktiv in der Friedensbewegung tätig und veröffentlichte ein internes Papier der Bundeswehr, in dem diese dazu aufrief, Soldaten dazu zu bringen, im Fall völkerrechtswidriger Angriffskriege Art. 26 GG und § 80 StGB zu ignorieren. Florian Pfaff ruft seither alle Kameraden im Fall befohlener Teilnahme an solchen Kriegen zur Gehorsamsverweigerung und zur Ablehnung direkter und indirekter Unterstützung, sowie die Öffentlichkeit zur Beendigung der Anstiftung von Soldaten zur ungesetzlichen Mitwirkung an Angriffskriegen auf.

Pfaff zeigte auch öffentlich den Fall von Christiane Ernst-Zettl auf. Florian Pfaff wurde in 2006 zusammen mit Bernhard Docke durch die Internationale Liga für Menschenrechte in Berlin mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet. Ihm wurde 2007 in Stuttgart der AMOS-Preis für Zivilcourage in Kirche und Gesellschaft der Offenen Kirche verliehen. Im Jahr 2008 veröffentlichte er sein Buch "Totschlag im Amt".

Pfaff ist unverheiratet und lebt im Großraum München.

MM: Sehr geehrter Herr Pfaff, im Internet werden Sie vorgestellt als pazifistischer Bundeswehroffizier, und die Würdigungen, die Sie erhalten haben, unterstreichen diese Auffassung. Ist das nicht ein Widerspruch: Pazifist und kommandierender Soldat zu sein?

Pfaff: Zunächst vielen Dank, Herr Dr. Yavuz Özoguz, für Ihr Interesse an diesem Thema und ein herzliches Grüß Gott aus München Ihnen und allen Ihren Lesern. Zumindest auf dem Papier ist es für Soldaten der Bundeswehr kein Widerspruch, sondern sogar Pflicht, für den Frieden einzutreten. Auch Vorgesetzte (Stabsoffiziere sogar erst recht) sind per Eid an das Gesetz, damit auch an das Grundgesetz, gebunden. Dort ist die Friedenspflicht in Artikel 26 genauso verankert wie der Vorrang des Völkerrechts in Artikel 25. Von einer Pflicht, auch an Delikten wie dem Irakkrieg mitzuwirken, werden Sie darin (und auch sonst) nichts finden. Vom Anspruch her sind Soldaten somit so wenig Mörder wie Polizisten, die ja auch vor Gewalt nur schützen sollen, nicht selbst etwa Tankstellen plündern. Das Problem ist "nur", dass Leute wie ich zum Teil zum Wegsehen genötigt werden. Wenn man, wie ich, rechtstreu bleibt und seinem Gewissen folgt, muss man Karrierenachteile befürchten.

MM: Sie selbst mussten Ihr Recht auf Gehorsamsverweigerung bezüglich eines Projektes, das Ihrer Meinung nach im Zusammenhang mit der US-Kriegsführung im Irak stand, letztendlich gerichtlich erstreiten. Wie ist Ihrer Meinung nach das Urteil zu verstehen? Hat nunmehr ein deutsches Gericht darauf verwiesen, dass die Kriegsführung der USA im Irak aus deutscher Sicht illegitim ist, oder haben Sie Recht bekommen, sich zu verweigern, ohne dass der US-Krieg als illegitim hingestellt wurde?

Pfaff: Das Bundesverwaltungsgericht hat offiziell (juristisch verbindlich) nur festgestellt, dass der Irakkrieg keine Verteidigungshandlung war und Deutschland - wenn überhaupt - daher höchstens auf der Gegenseite sich hätte engagieren dürfen. Dass die Bundesrepublik Deutschland rechtswidrig Mitwirkungshandlungen erbracht hat, ist nun eine Tatsache, die niemand mehr bestreiten kann, weil amtlich (letztinstanzlich) beschieden. Es ist natürlich noch ein großer Unterschied, ob es sich dabei um eine Ordnungswidrigkeit handelte oder sogar um ein Verbrechen. Dazu, also zur Schwere des Delikts, konkret: ob der Angriff ein völkerrechtliches Verbrechen war, ist dem Urteil keine verbindliche Aussage zu entnehmen. Wie verwerflich die Hilfe der Bundeswehr für die USA war, findet sich im Urteil nur unverbindlich ("obiter dictum"). Das ändert allerdings nichts daran, dass die Bundeswehr nun keinen Soldaten mehr zu Unterstützungshandlungen zwingen kann. Und auch die nicht rechtswirksame Begründung, weshalb dieser Angriff als Totschlag anzusehen wäre, wenn man denn darüber hätte befinden müssen, ist gut für die Nachvollziehbarkeit der Gewissensentscheidung von Soldaten. Das Urteil ist also "nur" die Bescheinigung des Vorrangs des Gewissens, selbst vor der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Es genügt nicht als Beweis für eine Anklage von Bush wegen Völkerrechtsbruch. Wer aber als Bürger oder Soldat darauf angewiesen wäre, dass ihm das auch amtlich bescheinigt würde, kann wohl wegen der Klarheit der "nebenbei" (zur Begründung der Nachvollziehbarkeit des Gewissens) vom Gericht geäußerten rechtlichen Bedenken davon ausgehen, dass er auch das Recht auf seiner Seite hat. Es gibt in Deutschland unter den ernstzunehmenden Völkerrechtlern auch keine Diskussion mehr, dass mit dem Irakkrieg das Völkerrecht gebrochen wurde. Ich finde es schön, dass ein Soldat, der Gewissensprobleme hat, die Rechtslage gar nicht mehr beweisen muss, sondern dass es genügt, wenn er seine Überzeugung gut begründet zum Ausdruck bringt. So gesehen ist die Entscheidung des Gerichts sogar besser, als wenn der Krieg auch juristisch als "Verbrechen" gerügt worden wäre.

MM: Mit dem Fall Ernst-Zettl (siehe im Muslim-Interview), bei dem Sie sich ebenfalls engagiert haben, wurde ein weiterer Fall von Problemen der Bundeswehr mit dem internationalen Recht deutlich. Sind das Ihrer Meinung nach Ausnahmen, die sofort zu einem Skandal führen, oder eher die Spitze eines Eisberges?

Pfaff: Derartige Skandale sind Ausnahmen, denn aufgrund der Drohung sogar mit Gefängnis, zumindest aber mit schwerer Benachteiligung, wenn man nicht wegsieht, woran man mitwirkt, riskiert natürlich nur eine sehr kleine Minderheit den offenen Widerspruch. Aber auch die Bundeswehr ist nicht darauf versessen, die Auseinandersetzung öffentlich zu führen, wie man im Fall meiner Verweigerung, mich auf eine Mitwirkung am Verfassungsbruch in Somalia einzustellen, oder im Fall der Verweigerung einer ganzen Reihe Piloten 1999, an der Bombardierung Jugoslawiens mitzuwirken, sehen konnte. Manchmal kommt der Betreffende, der sich mit der Obrigkeit anlegt, wie im Fall "San OA e.V.", einer Interessenvertretung mit ca. 1200 Medizinern in Uniform, leider auch ums Leben. Auch so kommt es zum Teil nicht mehr zum Eklat. Zudem werden sehr viele Konflikte, die ansonsten eskalieren würden, zum Beispiel der von Oberstleutnant Jürgen Rose, der den Tornado-Einsatz in Afghanistan nicht unterstützen wollte, völlig korrekt gelöst. Es "kracht" folglich sehr selten. Dass sich die Bundeswehr stets nur rechtstreu verhält, will ich damit natürlich nicht sagen. Eine absolute Zahl oder auch nur Quote kann ich Ihnen leider nicht benennen.

MM: Wie kam es zu Ihrem Buch "Totschlag im Amt - Wie der Friede verraten wurde"; ist das nicht ein sehr schwerer Vorwurf?

Pfaff: Der Vorwurf bezieht sich nicht nur auf die Bundeswehr, die ja "nur" Beihilfe leistete, sondern in erster Linie auf die Verursacher des Irakkriegs. Ich finde den Vorwurf mehr als angemessen, müsste man im Fall persönlicher Bereicherung, wenn jemand dabei etwa seine Karriere im Auge hat, doch sogar von "Mord" sprechen. Auch ist es in meinen Augen mehr als ungeheuerlich, dass ein Urteil, welches eine Gewissensentscheidung zugesteht, schlicht ignoriert und nicht voll umgesetzt wird. Da drängt sich mir natürlich der Verdacht auf (weil doch jeder weiß, dass solche verbindlichen Urteile wie ein Gesetz befolgt werden müssten), dass eigene Interessen und Druck "von oben" eine große Rolle spielen. Solcher Druck ist für Soldaten aber keine Entschuldigung. Ihnen wird Tapferkeit abverlangt. Sie müssen das Recht notfalls mit ihrem Leben verteidigen, haben Rechtstreue sogar geschworen. Diejenigen, die sich in Bezug auf den Irakkrieg so schlau gemacht haben wie ich, hätten zumindest wissen müssen, dass sie sich an Mord und Totschlag beteiligten, wenn sie die USA dabei unterstützten. Weißen Phosphor auf Städte wie Falludscha zu werfen oder Folter auch nur zu begünstigen, ist für mich Totschlag und Beihilfe dazu. Da darf mich jeder gerne zitieren. Schon ein verlogener Krieg an sich, der keine Notwehr darstellt, ist natürlich Totschlag, selbst wenn keine zusätzlichen Entgleisungen zu erkennen gewesen wären. Was denn sonst?

MM: Was meinen Sie mit "nicht voll umgesetzt wird"?

Pfaff: Nun, ein verbindliches Urteil darf man doch nicht ignorieren. Das Gericht hat festgestellt, dass ich eine Gewissensentscheidung getroffen habe. Dafür nannte es Kriterien, die es in meinem Fall als erfüllt ansah. Damit steht mir das Recht, dieses Gewissen auch in Anspruch zu nehmen, ohne deswegen mehr als nötig benachteiligt zu werden, auf dem Papier - und in einem wirklichen Rechtsstaat auch tatsächlich - zu. Die Bundeswehr stört das aber nicht. Sie behauptet in beleidigender Weise, mein Entschluss beruhe "nicht" auf einer schützenswerten Gewissensentscheidung. Sie geht sozusagen in den Widerstand gegen den Rechtsstaat, ohne ein Recht dazu zu haben. Die Bundeswehrführung fordert sogar auf, in Fällen wie dem meinen - unter Missachtung des Kerngehalts des Urteils - entsprechende Befehle durchzusetzen. Obwohl ihr das Gericht beschieden hat, dass nur ein Gericht solche Streitfragen klären könne und es auf das Gewissen der Soldaten ankomme, wiederholt die Bundeswehr, auf ihre Rechtsauslegung komme es nur an. Und obwohl in Wahrheit kein Soldat sich an Angriffskriegen beteiligen darf, behauptet die Bundeswehrführung, einfache Soldaten ohne Einfluss auf die politische Willensbildung dürften straffrei bewusst an solchen Delikten mitwirken. Es ist klar, worauf das zielt: Man will wohl eine Art Söldner gewinnen, denen der Vorrang des Völkerrechts ausgeredet wird und die in dem Glauben mitmachen sollen, sie könnten dafür nicht persönlich belangt werden. Das ist vielleicht Bauernfängerei, hat aber nichts zu tun mit einer korrekten Ausbildung, dass eine bewusste Mitwirkung an Angriffskriegen jedem Einzelnen untersagt ist. Spätestens seit den Nürnberger Prozessen ist das auch jedem Soldaten auf dieser Erde klar. Ich bin also entsetzt von den "Hinweisen" des Ministeriums, die ich in meinem Buch daher im Wortlaut abgedruckt habe, damit jeder sieht, wie ungeheuerlich dort gedacht und der nächste Angriffskrieg vorbereitet wird. Was mich betrifft, wurde gegen mich, solange ich mein Gewissen geltend mache, inzwischen ein Beförderungsverbot ausgesprochen. Mit der Begründung, ich sei nicht "uneingeschränkt" verwendbar. Das stimmt zwar: Weder für Mord noch für Totschlag bin ich zu haben. Ich würde noch nicht einmal ein US-Foltergefängnis bewachen. In meinen Augen ist das aber kein ausreichender Grund, mich (ausdrücklich deswegen) in meinem militärischen Fortkommen und finanziell zu benachteiligen. Von der vollständigen Anerkennung der Gewissensentscheidung kann man, wenn man die Zusammenhänge kennt, also leider nicht sprechen. Eher von der Missachtung meines Gewissens und dem Versuch auszutesten, wie weit man Soldaten doch in ungesetzliche Kriege zwingen, Ihnen die "Pflicht zur Mitwirkung", zumindest die Erlaubnis dazu (Straffreiheit) einreden kann. Deshalb bemühe ich erneut die Öffentlichkeit und die Justiz.

MM: Muslime kommen in ihrem Buch nicht so gut weg wie Christen, woran liegt das?

Pfaff: Das liegt daran, dass es Christen waren, die mir sehr geholfen haben. Schon der Militärpfarrer hat mich nach meiner Weigerung, am Krieg mitzuwirken, als Ministranten eingesetzt und damit öffentlich demonstriert, dass ich unter dem Schutz der Kirche stehe. Sogar der Militärbischof hat (ohne mich oder den Irakkrieg beim Namen zu nennen) an der Bundeswehruniversität in Hamburg sinngemäß geäußert, dass es gut sei, dass es Christen gebe, die verhinderten, dass bestimmte Grenzen überschritten würden. Schließlich war auch der damalige Papst wohl alles andere als davon begeistert, den Glauben mit Hilfe eines "Kreuzzugs" (wie Bush ihn ja nannte) voranzubringen. Das heißt nicht, dass ich etwas gegen Muslime hätte, nur weil die Offene Kirche mir 2007 einen Preis verliehen hat, während mir bisher kein Moslem auch nur für mein Eintreten für den Frieden dankte. Ich glaube, dass Muslime dazu insgesamt gar keine andere Haltung haben. Aber ich habe zu ihnen bisher einfach keinen Draht. Vielleicht werde ich von dieser Seite ja einmal zu einem Vortrag eingeladen. Dann werden wir ja sehen, wie die Reaktionen sind. Ich komme gerne. Es gibt da Dinge, mit denen ich nicht einverstanden bin, etwa wenn Frauen nicht Autofahren oder in der Moschee nicht beten dürfen. Aber das ist in der Katholischen Kirche ja auch zum Teil unbefriedigend: Da dürfen Frauen keine Messe lesen. Religionen sind eben sehr konservativ.

MM: Nun, die Tatsache, dass Frauen kein Auto fahren dürfen - um Ihr Beispiel aufzugreifen - gibt es nur in einem einzigen Land, und jenes Land ist ausgerechnet einer der engsten Verbündeten der westlichen Welt im Nahen und Mittleren Osten. In wie weit sind solche inneren Widersprüche westlicher Wertepraxis in der Bundeswehr bekannt bzw. Diskussionsthema unter Führungskräften?

Pfaff: Meiner Meinung nach sind die Details viel zu wenig bekannt. Das "Ministerium für Wahrheit" leistet gute Arbeit. Viele Bürger, sogar viele Soldaten wissen gar nicht, was der Erste Golfkrieg war, dass Saddam Hussein ein Freund der USA in diesem Krieg war, Satellitenbilder und andere Hilfe erhielt. Wenn die USA die Frauen hätten befreien wollen, hätten sie nicht das Land in der Region angegriffen, in dem diese ungefähr so gleichberechtigt wie in Russland waren. In meinem Buch habe ich auch darauf hingewiesen. Dass der ganze Krieg aber nur erlogen war, ist wohl überall bekannt. Selbst wenn es noch einen Politiker geben mag, der sich dumm stellt, wird das nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch im Deutschen Bundestag inzwischen jeder wissen.

MM: Auch ein Bundeswehroffizier lernt im Laufe seiner langjährigen Ausbildung sicherlich, dass im Fall einer Besetzung des eigenen Heimatbodens Widerstand zu leisten ist. Wie klingt es für einen kritischen Bundeswehroffizier, wenn die Führung seines Landes jenes Widerstandsrecht anderen besetzten Völkern nicht nur verweigert, sondern diese für jeglichen Widerstand gegen Besatzung auch noch als "Terroristen" abstempelt, oder anders gefragt: Werden Bundeswehrsoldaten auch zum "Terrorismus" nach der Definition der eigenen Regierung ausgebildet?

Pfaff: Bundeswehrsoldaten werden nach der heutigen Definition in der Tat zu dem ausgebildet, was zuweilen von anderen als "Terrorismus" bezeichnet wird. Man sagt ihnen aber auch, zumindest wurde mich das gelehrt, dass nur die Besatzer Widerstand "Rechtsbruch" nennen werden. Wenn der Rechtsstaat einmal beseitigt worden sein sollte, zum Beispiel die bisherige Führung ermordet, eine Marionettenregierung eingesetzt und die Gerichte gleichgeschaltet, kann eine Petition oder Klage vor Gericht bekanntlich nichts mehr bewirken. Widerstand gegen einen solchen Besatzer, selbst aktive Gegenwehr, wird dann legal, ist keine kriminelle Handlung mehr. Alle Bürger, nicht nur Soldaten, haben nach dem Grundgesetz das Recht, wenn die frühere demokratische Rechtsordnung anders nicht mehr wiederhergestellt werden kann, diese gewaltsam zu erneuern. Es versteht sich von selbst, dass nicht nur aus propagandistischen Gründen so bezeichneter, sondern tatsächlicher Terrorismus, also z.B. die Einschüchterung durch das Töten auch Unschuldiger, selbst in diesem Fall "Terrorismus" genannt werden müsste. Die heutigen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass die Maßnahmen der Widerstandskämpfer z.B. nicht so unverhältnismäßig wie die der USA gegen die Bevölkerung im Irak ausfallen dürften, wären weiterhin zu beachten. Willkür, Folter und Massentötungen auf Verdacht sind nie gerechtfertigt. Diese Voraussetzungen gelten in meinen Augen exakt so auch für Widerstandskämpfer im Irak oder sonst auf der Welt. Nun kommt das "Aber": Dass ich als überzeugter Soldat gewaltsamen Widerstand dennoch nicht in jedem Fall als die beste Lösung empfehlen würde, wird Sie vielleicht überraschen. Anwendung militärischer Macht ist in meinen Augen immer höchstens die zweitbeste Lösung. Ein Schwacher hat dadurch mehr Nach- als Vorteile. Die Geschichte zeigt, dass man für militärische Siege sehr viel Blut vergießen muss. Auch wenn Töten kein Totschlag ist, ist es abzulehnen, sofern es bessere Mittel gibt. Theoretisch ist dies immer der Fall, das Mittel selbst gibt es an sich immer: Es ist der gewaltfreie Widerstand, wie ihn Gandhi koordinieren konnte. Ob die Abwehr eines Angreifers, der Mord, Totschlag und Folter über ein Land bringt, damit, das heißt ohne Töten (Totschlag ist Widerstand ja nicht) in einer konkreten Situation allerdings tatsächlich funktioniert, hängt meiner Meinung nach einzig davon ab, ob es jemanden gibt, der dem Volk weitere Leiden zumuten kann, ohne selbst an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Das Problem ist, dass die Leute, je mehr sie gelitten haben, lieber kämpfen wollen. Jedes Eintreten für den Frieden ist daher kontraproduktiv (so schlimm das ist), wenn die Leiden dadurch nicht zumindest drastisch gemindert, besser noch beendet werden. Für einen - immer möglichen! - friedlichen Sieg über den Feind benötigt man also nicht nur die moralische Überlegenheit, sondern auch eine Persönlichkeit wie Gandhi, die (und sei es mit Hungerstreik) das Volk dazu bewegt, von einem Verhalten, wie es der Feind an den Tag legt, selbst die Finger zu lassen. Nur durch das Umsetzen der moralischen Überlegenheit bei gleichzeitiger Verweigerung jeder Kooperation mit dem Feind ist es möglich, die Waffen des Gegners ins Leere laufen zu lassen. Damit lässt sich dann allerdings auch eine Atombombe entschärfen. Es ist der einzige mir bekannte Weg, einen überlegenen Feind in die Knie zu zwingen, wenn die Abschreckung einmal versagt hat. Es ist allerdings äußerst schwer, eine solche Persönlichkeit, die den friedlichen Widerstand glaubhaft verkörpert und die leidende Bevölkerung mitreißt, zu finden. So wird der Abnutzungskrieg im Irak wohl weitergehen wie damals der in Vietnam, sofern die US-Regierung nicht - wie damals - aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit Vernunft annimmt und den Abzug beschließt.

MM: Die Bundeswehr agiert ja schon lange nicht mehr "allein", sondern steht in einem von den USA dominierten Verbund namens NATO. In wie weit gibt es - um auf das Thema Ihres Buches zurück zu kommen - in der Bundeswehr Vorbehalte dagegen, dass ausgerechnet jene Macht auch militärische Führungsmacht ist, die für die mit Abstand meisten "Totschläge" unserer Zeit verantwortlich ist?

Pfaff: Die Bundeswehr ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. So wie ich es bewerte, gibt es allerdings innerhalb der Streitkräfte mehr Leute, die sagen: "Natürlich waren die Kriegsgründe gegen den Irak gelogen. Aber wenn man als Verbündeter gegenüber den USA oder als Soldat gegenüber der Bundeswehr nicht trotzdem mitmacht, können wir gleich aufhören. Dann funktionieren Streitkräfte und ein Bündnis nicht mehr." Das ist - wenngleich das Hauptargument der Propaganda - natürlich völlig falsch. Tatsache ist: Je verwerflicher die Taten sind, die (ungestraft) begangen werden, desto eher und schneller zerfällt die betreffende Macht. Das alte Rom wurde durch seine Menschlichkeit groß (wir haben noch heute im Prinzip Römisches Recht) und ging mit seiner Unmenschlichkeit und dem Sittenverfall wieder unter. Der Kirche und dem Kommunismus erging es nicht anders. Offenbar wollen die Amerikaner gerade testen, ob das für ihre Bill of Rights und die Erklärung der unveräußerlichen Menschenrechte auch gilt, wenn man zu Angriff und Folter als Methode übergeht. Wie gefährlich die Situation für die USA und den Westen insgesamt ist, wird sogar, anstatt es als Beleg für das Scheitern zu werten, geschickt genutzt, um zum letzten Gefecht zu blasen. Aber mit Angriffskrieg lässt sich keine Demokratie erschaffen und mit Folter keine Menschlichkeit. Man wird nur Gegner erzeugen; inzwischen sogar mich, einen ehemals treuen Freund der USA. Es gibt eben Grenzen, die man nicht überschreiten darf. Allerdings haben das die Menschen auch dort - Gott sei Dank - inzwischen wohl zumindest mehrheitlich begriffen.

MM: Malen Sie uns doch einmal ein Bild einer Idealvorstellung der heutigen Bundeswehr als friedensstiftendes Organ. In wie weit wären "Auslandseinsätze" denkbar?

Pfaff: Da braucht man nicht unbedingt viel zu malen. In Anbetracht dessen, was die USA an Druck aufgebaut haben, stellt die Bundeswehr in meinen Augen gar kein so schlimmes Gebilde dar, wie sie in der Friedensbewegung zum Teil gesehen wird. Man kann darin, wenn man das, wie ich, als Privatperson tut, sich nicht auf sein Amt beruft, relativ frei diskutieren. Ich kenne kein anderes Land, in dem eine Organisation wie das DARMSTÄDTER SIGNAL so frei (und sogar staatlich gefördert) existiert und über die Probleme öffentlich diskutiert. Würde ich mich in Russland genauso heftig gegen den Tschetschenienkrieg aussprechen, wie hierzulande gegen den Irakkrieg, wäre ich wohl mit etwas Polonium angereichert. Die Ermittler in dem Mordfall müssten das gleiche Schicksal befürchten. Hier erhalte ich Auszeichnungen. Die nächste übrigens voraussichtlich am 14.03.2008 in Leipzig, sogar von einer amerikanischen Organisation. Meine unmittelbaren Vorgesetzten haben nicht nur Verständnis geäußert, sondern mich z.T. sehr unterstützt. So schlimm, wie es zum Teil dargestellt wird, ist es in der Bundeswehr also nicht. Man muss das alles relativ sehen, berücksichtigen, wie die Welt leider ist. Das Problem sehe ich in erster Linie im Druck der USA. Minister Dr. Franz Josef Jung hat es zum Glück bis heute abgelehnt, Kampftruppen in den Irak zu schicken. Das gilt aus gutem Grund auch für den Süden Afghanistans. Meine Idealvorstellung wäre natürlich die, dass der Atomwaffensperrvertrag beachtet würde, so dass eine nukleare Teilhabe Deutschlands gar nicht mehr zur Diskussion stünde, dass die USA ihre National Security Strategy umschrieben, so dass die Beherrschung des Erdkreises gar nicht mehr unterstützt zu werden bräuchte, dass die NATO sich wieder nur die Verteidigung (ihres Gebiets, nicht wirtschaftlicher und sonstiger Interessen) auf die Fahnen schriebe, bevor sie beschließt, sich aufzulösen, und dass wir uns mit allen Ländern der Erde einigen könnten, dass keiner mehr vom anderen Märchen erfindet, um seine Bevölkerung gegen ihn aufzuhetzen. Dieses Ideal wird aber in meinen Augen nicht in die Tat umgesetzt werden können, bevor es gelingt, den Konflikt im Nahen Osten zu lösen, also die Besetzung palästinensischen Gebiets durch Israel, welche die Israelis mit Angriffen gegen sie rechtfertigen. Es wird sich nicht vermeiden lassen, sowohl für Israelis als auch für Palästinenser eine Heimat zu schaffen, in der sie in Frieden leben und Freundschaft pflegen können. Das ist allerdings heute scheinbar so absurd, wie bis vor kurzem der Friede zwischen Deutschland und Frankreich. Unrealistisch ist der Friede in Wahrheit nicht. Jeder kann sich noch heute dafür entscheiden.

MM: Ihr neues Buch wird am 12.03.2008 erscheinen und auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt. Werden Sie selbst auch daraus vorlesen?

Pfaff: Mit Vergnügen: Am 15.03.2008 um 16:00 Uhr. Allerdings nicht beim HWK-Verlag, sondern in der Spinnereistraße 7, der früheren Baumwollspinnerei, beim GVD Verlag, der hoffentlich ausgeschildert ist. Ich freue mich schon auf interessante Gespräche.

MM: Was glauben Sie, können junge deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens - die heutzutage in übermäßig hohem Anteil den Ersatzdienst vorziehen - ein differenzierteres und damit faireres Bild von der Bundeswehr erhalten?

Pfaff: Nun, ganz so falsch ist dieses Bild vielleicht nicht. Ich habe zudem versucht, dazu beizutragen. Für mich ist wichtig, dass man - egal ob Soldat oder Zivilist - friedlich bleibt, nicht zu den gleichen Mitteln greift, wie zur Zeit leider die USA.

MM: Herr Pfaff, wir danken für das Interview.

Senden Sie e-Mails mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an: info@muslim-markt.de 
Copyright © seit 1999 Muslim-Markt