Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Aden
 

Muslim-Markt interviewt
Prof. Dr. Menno Aden, Präsident des Oberkirchenrates a.D.

7.1.2009

Prof. Aden (Jahrgang 1942) hat nach seinem Abitur im Friesland Jura studiert in Tübingen, Göttingen und Bonn. Nach seinem Assessorexamen 1971 war er Senior Research Officer am Institut für Rechtsvergleichung der Universität von Südafrika (UNISA). In 1972 folgte die Promotion in Bonn. Seine berufliche Laufbahn begann bei der Deutschen Bank AG. Weitere Stationen waren die Ruhrgas AG und die Sparkasse Essen. Neben seinem Beruf war er 11 Jahre lang ehrenamtlicher Prüfer im Landesjustizprüfungsamt für das 2. Juristische Staatsexamen in Düsseldorf. In 1994 wurde er Präsident des Oberkirchenrates, (was dem Landeskirchenamt entspricht) der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs in Schwerin. 1997 bis 1998 war er Berater für Wirtschaftsrecht im Office of the High Representative (OHR) in Sarajewo, der Internationale Behörde zur Friedenssicherung in Bosnien-Herzegowina. In 1999 übernahm er eine Professor für Wirtschaftsrecht an Fachhochschule für Ökonomie und Management in Essen, ein Lehrstuhl den er bis zu seiner Pensionierung 2007 ausfüllte. Daneben erhielt er in 2004 auch einen Lehrauftrag Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Dortmund.

Mit seinen besonderen Sprachkenntnissen (er spricht Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch) war er prädestiniert für zahlreiche Experteneinsätze, u.a. in Almaty (Kasachstan), Orenburg (Russland), Santo Domingo (Dominikanischen Republik ), Gorki / Weißrussland, Baku (Aserbaidschan), Lang Fang und Taian (China) und Temeswar (Rumänien). Er war Wahlbeobachter in Mazdonien und Einsätze in Bosnien, Pakistan und Afghanistan brachten ihn auch immer wieder in Kontakt mit muslimischen Bevölkerungen.

Zu seinen zahlreichen Funktionen gehörten u.a. die Mitarbeit in den Vorständen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte e.V., im Verein Deutsche Sprache e.V. und ist Vorsitzender der Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e.V.. Er ist Autor von rund zwei Dutzend Büchern bzw. Buchbeiträgen und zahllosen weiteren Veröffentlichungen. Daneben übersetzte er einige Gedichte Puschkins, über den er auch ein Buch schrieb.

Seit 1975 ist er verheiratet mit Dr. med. Patricia Aden, hat fünf Kinder und lebt in Essen.

MM: Sehr geehrter Herr Prof. Aden in einer Arbeit über die "Menschenrechte im Neuen Testament und Koran" schlagen sie einen sehr versöhnlichen und auf Dialog basierenden Weg ein. Widerspricht das nicht dem Zeitgeist der westlichen Welt?

Prof. Aden: Das glaube ich nicht. Wir Abendländer - ich benutze bewusst diesen für Muslime etwas schwierigen Begriff - sind aber dabei, von einem hohen Ross herabzusteigen. Unsere Kultur ist in vielen Bereichen beispielgebend für andere Völker geworden. Diese nennen wir christlich, wir sprechen vom christlichen Abendland im Gegensatz zum muslimischen Morgenland. In gewissem Sinne stehen wir angesichts des uns plötzlich so nahe gerückten Islam heute unter einem ähnlichen Schock, wie unsere Vorfahren, die Kreuzritter: Jene konnten einfach nicht glauben, dass Gott nicht allein auf ihrer Seite stehe. Sie mussten aber erkennen, dass Gott auch für seine muslimischen Gläubigen da ist. Heute geht es uns ähnlich: Wir müssen anerkennen, dass Gott nicht nur in den Worten des Neuen Testaments zur Welt spricht, sondern dass er offenbar auch noch andere Ausdrucksmittel hat, wenn ich mich so ausdrücken darf, um zu den Menschen zu sprechen; z.B. den Qur'an und die islamische Religion. D a s müssen wir im Westen lernen. Aber auch die Muslime müssen umgekehrt lernen, dass Gottes Geist im Abendland eine besondere Ausdrucksform genommen hat, um welche sie sich bemühen sollten. In einem Vortrag vor Wirtschaftsstudenten in Karachi über Wirtschaftsethik habe ich 2007 aus dem Qur'an zitiert und auch aus dem Neuen Testament. Auf meine Frage, wer schon einmal in das Neue Testament geschaut habe : Niemand! Das ist schade und widerspricht nach meinem Verständnis auch der Botschaft des Qur'an, welcher über Jesus und die Christen viel Gutes sagt. Der Mangel an gegenseitiger Lernbereitschaft scheint mir der eigentliche Grund für das zu sein, was Sie als Zeitgeist bezeichnen.

MM: Sind Sie bei Ihrer auf Respekt basierenden Dialogbereitschaft beeinflusst von Puschkin, der im Herbst 1824 das epische Gedicht „Eine Nachahmung des Qur'an“ schrieb und selbst in einem konstruktiven Dialog mit Muslimen stand?

Prof. Aden: Ich glaube nicht. Vielleicht haben aber einige Gedichte, die ich dann auch übersetzt habe, geholfen, eine neue Sicht der islamischen Welt zu gewinnen. Insgesamt war Puschkin - wenn ich es richtig sehe - zu wenig Christ, als dass er uns zum Verständnis des Islam als Religion weiterhelfen könnte. Richtig ist freilich, dass er durch seine Begegnung mit dem islamisch geprägten Süden des damaligen Russischen Reiches wertvolle Anregungen für seine Dichtungen und alle, die ihn heute lesen, gezogen hat.

MM: In einem Beitrag für die Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e. V. Hamburg haben Sie es für angemessen erachtet, den Text der Weihnachtansprache des Iranischen Präsidenten Ahmadinedschad auch dem deutschsprachigen Leser zugänglich zu machen. Ohne die Politik oder Person Ahmadineschads zu berücksichtigen haben Sie mit reinem Blick auf die Rede geäußert, dass ein Christ ähnlich sprechen müsste. Welche Aspekte der Rede meinten Sie insbesondere?

Prof. Aden: Ich habe diese Ansprache als einen Aufruf an den Westen verstanden, die islamische Welt geistlich ernst zu nehmen, indem Ahmadinedschad an die gemeinsame theologische Grundlage beider Religionen erinnert. Diese gemeinsame Grundlage ist aber, allem Gerede und scheinbaren Schriftbeweisen zum Trotz, nicht der Kampf gegen oder die Herabsetzung Andersgläubiger, sondern die Botschaft von der liebenden Zuwendung Gottes an alle Menschen und – das scheint in der heutigen christlichen Theologie etwas verdrängt zu werden - die Botschaft von dem Gericht Gottes. Christen sprechen von der Wiederkunft Christi, um am Ende der Tage über unsere guten und schlechten Handlungen zu urteilen. Das scheint mir in dieser Botschaft deutlich zu werden.

MM: Nun sprechen viele europäische Politiker immer von den christlich-jüdischen Erbe, dass sie angeblich verteidigen, allen voran deutsche Politiker. Haben wir in Deutschland eine christliche Politik, oder anders gefragt: Kann man wirklich das Christentum für die heutige Politik Deutschland mitverantwortlich machen?

Prof. Aden: Nein. Ich fürchte, dass ich mich mit meiner folgenden Antwort unbeliebt mache, aber: Politiker, welche so reden, haben oft sehr geringe Kenntnisse von den Grundlagen des Christentums. Der Bildungsstand unserer Politiker in Bezug auf unser kulturelles, und damit auch religiöses, Erbe ist nicht immer sehr beeindruckend. Muslime lesen ihre Heilige Schrift, den Qur'an, eifrig und ständig. Ich scheue mich fast, es zu sagen: Bibelkenntnisse sind bei katholischen Christen aufgrund ihres Kirchenverständnisses durchweg sehr gering. Luthers Reformation war insofern geradezu eine "Islamische Revolution", als jeder Christ aufgerufen wurde, die Bibel immer wieder ernsthaft zu lesen. Aber auch evangelische Christen tun das heute immer seltener.

Es gibt zahllose islamische Politiker, welche den Qur'an entweder ganz oder teilweise auswendig können. Ich glaube nicht, dass eine Mehrzahl - nicht einmal der CDU-Bundestagsabgeordneten - einem Andersgläubigen die Grundlagen des christlichen Glaubens in kurzen Worten erläutern könnte. Das war noch vor zwei Generationen völlig anders. Das Reden vom christlichen Erbe, welches auch ein jüdisches sei, ist daher, so fürchte ich, oft ein substanzloses Gerede von Leuten, denen zu unserem geistigen Erbe in Europa nichts Gescheites einfällt.

MM: Nun ist nicht erst seit der Bergpredigt bekannt, dass sie Jesus stets an die Seite der so genannten Unterprivilegierten stellte und seine Nächstenliebe sich vor allem an die Armen, die Schwachen, die Kranken usw. richtete. Was derzeit aber die gesamte Welt miterlebt ist, dass die Westliche Welt sich im Namen des Christentums bei fast allen Auseinandersetzungen gegen die Seite der Armen und Schwachen stellt. Warum sind die Kirchen so schweigsam dazu?

Prof. Aden: Das ist, glaube ich, nicht richtig. Niemals in der Geschichte hat es das gegeben, was wir Entwicklungshilfe nennen und seit Jahrzehnten praktizieren. Sie war nicht immer effektiv, und sie wurde, etwa von den ehemaligen Kolonialherren, auch nicht immer ganz reinen Herzens gegeben. Aber gerade wir Deutschen haben ganz ungeheure Summen gespendet, und wenn in den Weihnachtsgottesdiensten nun wieder für "Brot für die Welt" gesammelt wurde, dann kommen beachtliche Summen zusammen, die auch ihre Bestimmung, nämlich die Armen und Kranken in aller Welt, erreichen. Tausende von frommen Christen sind auch in dieser Stunde in allen Weltteilen dabei, das Wort Jesu zu erfüllen: "Was ihr getan habt dem geringsten meiner Brüder, das habt ihr mir getan".

Ich glaube auch, dass sehr reiche islamische Staaten, etwa Dubai, Gottes Gebot, wie es im Qur'an niedergelegt ist, besser erfüllen würden, wenn sie anstatt einen neuen Turm zu Babel zu bauen, ihre, übrigens meist muslimischen, Fremdarbeiter besser behandeln und entlohnen würden.

MM: Daran gibt es keinen Zweifel, doch die Frage, warum jene babylonischen Verschwender so diktatorisch herrschen können und wer sie stützt, wollen wir jetzt nicht aufwerfen. Was glauben Sie würde Jesus - aus theologischer Sicht betrachtet - zu der deutschen Politik bezüglich Gaza sagen?

Prof. Aden: Das ist eine schrecklich schwere Frage. Jesus hat - meine Mitchristen mögen mir die Wortwahl verzeihen - "Islam" gelehrt, nämlich die völlige Hingabe zu Gott. Vermutlich hätte er, wie sein Gleichnis vom Zinsgroschen lehrt, den Palästinensern gesagt: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, beugt euch der weltlichen Gewalt - also hier der des israelischen Staates - denn eure Zeit, die auch die Zeit Gottes ist, kommt.

MM: Verzeihen Sie wenn wir nachhaken, denn unsere Frage bezog sich auf das, was Jesus der deutschen Politik sagen würde. Oder vereinfachen wir es doch; was würden Sie der Bundeskanzlerin als Bundesbürger und Christ in diesem Zusammenhang gerne sagen?

Prof. Aden: Vielleicht folgendes: Noch ist Israel stark und kann die Entwicklung aktiv bzw. militärisch gestalten. Das wird sich aber schon bald, auch angesichts der sich abzeichnenden demographischen Entwicklung, nämlich der Zunahme des Anteils der muslimischen Bevölkerung in Israel selbst, ändern. Israel bzw. die Juden werden, wenn der Hass weiter schwelt wie jetzt, eines Tages, vielleicht von Innen, einfach überrollt werden. Wenn Deutschland Israel, und nicht nur Israel, sondern allen Menschen dieser Region, auf Dauer helfen will, müssen wir Israel den dringenden, ggf. mit politischem Zwang verbundenen, Rat geben, den Palästinensern ihr Recht zu geben.

MM: Die einzige Gewaltszene, die im neuen Testament mit Jesus in Verbindung gebracht wird, ist seine Vertreibung der Händler von Vorhof des Tempels, wobei Begriffe wie Räuberhöhle in manchen Übersetzungen auftauchen. War das ein Vorläuferbegriff zum Raubtierkapitalismus?

Prof. Aden: Die Stelle, auf welche Sie anspielen, meint Jesu Empörung über die Entweihung der Stätte des Gebetes. Das Neue Testament sagt so wenig wie der Qur'an etwas über eine Wirtschaftsordnung. Christen und Muslime wissen nur, dass ehrliche Arbeit Segen bringt, und dass wir den Schwachen nicht übervorteilen dürfen.

MM: Der Qur'an äußert sich durchaus zu Grundzügen einer Wirtschaftsordnung, z.B. durch das Zinsverbot und Verbot von Wucher jeglicher Art, aber auch in Form der Armenabgabe usw.. All jene Elemente finden sich aber auch im Alten Testament, und es ist nicht bekannt, dass Jesus z.B. das Zinsverbot jemals aufgehoben hätte; warum wird das im Christentum so selten diskutiert?

Prof. Aden: Die abendländische Erfindung der Kreditwirtschaft ist vermutlich einer der wichtigsten Einzelgründe für den wirtschaftlichen Aufstieg Europas. Ich glaube, dass der Qur'an das Zinsverbot anders gemeint hat, als von islamischen Gelehrten vertreten wird. Erlauben Sie mir hierzu, aus meinem Lehrbuch „Internationales privates Wirtschaftsrecht“ ( München 2006), S. 82 zu zitieren:

Im islamischen Recht wird viel vom Zinsverbot des Qur'an gesprochen. Die einschlägigen Stellen des Qur'an (Sure 2, 276 ff;3,125; 4, 159 und 30, 38) sagen aber nur, was weltweit, z.B. auch gemäß § 138 II BGB, auch gilt: Übervorteilung ist verboten.

Das lehrt Jesus, das lehren auch unsere Kirchen seit jeher.

MM: Erlauben Sie eine Frage zu Ihrer Familie. Mit fünf Kindern und einer weit über 30 Jahre andauernden Ehe gehören Sie zu einer Minderheit im Land. Ist nicht gerade auch die evangelische Kirche mitverantwortlich für den Niedergang der Familie?

Prof. Aden: Die evangelische Kirche ist in keinem guten geistlichen Zustand. Sie weiß, wie ihre mehrdeutigen Äußerungen zur Homoehe und Abtreibung zeigen, oft nicht mehr, was sie glaubt und lehren soll. Das ist ein Verrat an dem großen Erbe Martin Luthers und bekümmert mich wie viele im Land.

Christlicher Glaube bedeutet zwar, namentlich in evangelischer Sicht, auch die Offenheit für Veränderungen. Aber im familiären Bereich glaube ich, dass wir uns an Gottes Ordnung versündigen, wenn wir Homoehen zulassen, Ehebruch rechtfertigen und Kinder abtreiben. Ich bin – leider - der Überzeugung, dass wir im Westen uns hier auf einen Weg begeben haben, der – so legen es jedenfalls alle bekannten historischen Vorbilder nahe - schließlich zum Untergang unserer Kultur führen wird. Was meine fünf Kinder betrifft. Die Bibel sagt: Kinder sind eine Gabe Gottes - wohl dem, der seinen Köcher davon voll hat! Eine kluge und gute Frau bzw. Ehemann ist nicht minder eine Gabe Gottes. In diesem Punkt, der Achtung der Frau, liegt, wenn es erlaubt ist, das hier zu sagen, für mich der größte Nachholbedarf des Islam.

MM: Wenn Sie meinen "der Muslime" stimmen wir vollständig mit Ihnen überein. Aber wir glauben, dass "der Islam" die größte Befreiung für die Frau ist, selbst wenn wir Muslime oft ein schlechtes Beispiel dafür sind. Aber genau darüber müsste man ja miteinander sprechen, daher zum Schluss zurück zum Dialog zwischen Christen und Muslimen. Wie stellen Sie sich diesen Dialog in Zukunft für Deutschland vor?

Prof. Aden: Dialog hört sich immer nach Rede und Gegenrede an, wobei am Ende jeder nur meint, Recht behalten zu haben. Ich habe vor Jahren einer türkischen Gemeinde in Essen einmal gesagt:

  1. Kauft euch eine der nicht mehr gebrauchten christlichen Kirchen, die angesichts kleiner werdender Gemeinden in den deutschen Innenstädten entwidmet werden.
  2. Geht mal in einen christlichen Gottesdienst. Lernt unsere Choräle und Kirchenmusik kennen.
  3. Lasst euren Imam zusammen mit einem christlichen Prediger Worte auslegen, welche in Bibel und Qur'an gleichermaßen für heilig und hoch gehalten werden. Man braucht ja noch nicht gemeinsam zu beten. Das kommt dann mit der Zeit.

MM: Wir schließen uns gerne ihrer Aufforderung an und danken für das Interview.

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