MM: Sehr
geehrter Herr Prof. Aden in einer Arbeit über die "Menschenrechte
im Neuen Testament und Koran" schlagen sie einen sehr versöhnlichen
und auf Dialog basierenden Weg ein. Widerspricht das nicht dem Zeitgeist
der westlichen Welt?
Prof. Aden: Das glaube ich nicht. Wir
Abendländer - ich benutze bewusst diesen für Muslime etwas schwierigen
Begriff - sind aber dabei, von einem hohen Ross herabzusteigen. Unsere
Kultur ist in vielen Bereichen beispielgebend für andere Völker
geworden. Diese nennen wir christlich, wir sprechen vom christlichen
Abendland im Gegensatz zum muslimischen Morgenland. In gewissem Sinne
stehen wir angesichts des uns plötzlich so nahe gerückten Islam heute
unter einem ähnlichen Schock, wie unsere Vorfahren, die Kreuzritter:
Jene konnten einfach nicht glauben, dass Gott nicht allein auf ihrer
Seite stehe. Sie mussten aber erkennen, dass Gott auch für seine
muslimischen Gläubigen da ist. Heute geht es uns ähnlich: Wir müssen
anerkennen, dass Gott nicht nur in den Worten des Neuen Testaments zur
Welt spricht, sondern dass er offenbar auch noch andere Ausdrucksmittel
hat, wenn ich mich so ausdrücken darf, um zu den Menschen zu sprechen;
z.B. den Qur'an und die islamische Religion. D a s müssen wir im Westen
lernen. Aber auch die Muslime müssen umgekehrt lernen, dass Gottes Geist
im Abendland eine besondere Ausdrucksform genommen hat, um welche sie
sich bemühen sollten. In einem Vortrag vor Wirtschaftsstudenten in
Karachi über Wirtschaftsethik habe ich 2007 aus dem Qur'an zitiert und
auch aus dem Neuen Testament. Auf meine Frage, wer schon einmal in das
Neue Testament geschaut habe : Niemand! Das ist schade und widerspricht
nach meinem Verständnis auch der Botschaft des Qur'an, welcher über
Jesus und die Christen viel Gutes sagt. Der Mangel an gegenseitiger
Lernbereitschaft scheint mir der eigentliche Grund für das zu sein, was
Sie als Zeitgeist bezeichnen.
MM: Sind Sie bei Ihrer auf Respekt
basierenden Dialogbereitschaft beeinflusst von Puschkin, der im Herbst
1824 das epische Gedicht „Eine Nachahmung des Qur'an“ schrieb und selbst
in einem konstruktiven Dialog mit Muslimen stand?
Prof. Aden: Ich glaube nicht. Vielleicht
haben aber einige Gedichte, die ich dann auch übersetzt habe, geholfen,
eine neue Sicht der islamischen Welt zu gewinnen. Insgesamt war Puschkin
- wenn ich es richtig sehe - zu wenig Christ, als dass er uns zum
Verständnis des Islam als Religion weiterhelfen könnte. Richtig ist
freilich, dass er durch seine Begegnung mit dem islamisch geprägten
Süden des damaligen Russischen Reiches wertvolle Anregungen für seine
Dichtungen und alle, die ihn heute lesen, gezogen hat.
MM: In einem Beitrag für die Staats- und
Wirtschaftspolitische Gesellschaft e. V. Hamburg haben Sie es für
angemessen erachtet, den Text der
Weihnachtansprache des Iranischen Präsidenten Ahmadinedschad auch
dem deutschsprachigen Leser zugänglich zu machen. Ohne die Politik oder
Person Ahmadineschads zu berücksichtigen haben Sie mit reinem Blick auf
die Rede geäußert, dass ein Christ ähnlich sprechen müsste. Welche
Aspekte der Rede meinten Sie insbesondere?
Prof. Aden: Ich habe diese Ansprache als
einen Aufruf an den Westen verstanden, die islamische Welt geistlich
ernst zu nehmen, indem Ahmadinedschad an die gemeinsame theologische
Grundlage beider Religionen erinnert. Diese gemeinsame Grundlage ist
aber, allem Gerede und scheinbaren Schriftbeweisen zum Trotz, nicht der
Kampf gegen oder die Herabsetzung Andersgläubiger, sondern die Botschaft
von der liebenden Zuwendung Gottes an alle Menschen und – das scheint in
der heutigen christlichen Theologie etwas verdrängt zu werden - die
Botschaft von dem Gericht Gottes. Christen sprechen von der Wiederkunft
Christi, um am Ende der Tage über unsere guten und schlechten Handlungen
zu urteilen. Das scheint mir in dieser Botschaft deutlich zu werden.
MM: Nun sprechen viele europäische
Politiker immer von den christlich-jüdischen Erbe, dass sie angeblich
verteidigen, allen voran deutsche Politiker. Haben wir in Deutschland
eine christliche Politik, oder anders gefragt: Kann man wirklich das
Christentum für die heutige Politik Deutschland mitverantwortlich
machen?
Prof. Aden: Nein. Ich fürchte, dass ich
mich mit meiner folgenden Antwort unbeliebt mache, aber: Politiker,
welche so reden, haben oft sehr geringe Kenntnisse von den Grundlagen
des Christentums. Der Bildungsstand unserer Politiker in Bezug auf unser
kulturelles, und damit auch religiöses, Erbe ist nicht immer sehr
beeindruckend. Muslime lesen ihre Heilige Schrift, den Qur'an, eifrig
und ständig. Ich scheue mich fast, es zu sagen: Bibelkenntnisse sind bei
katholischen Christen aufgrund ihres Kirchenverständnisses durchweg sehr
gering. Luthers Reformation war insofern geradezu eine "Islamische
Revolution", als jeder Christ aufgerufen wurde, die Bibel immer wieder
ernsthaft zu lesen. Aber auch evangelische Christen tun das heute immer
seltener.
Es gibt zahllose islamische Politiker, welche
den Qur'an entweder ganz oder teilweise auswendig können. Ich glaube
nicht, dass eine Mehrzahl - nicht einmal der CDU-Bundestagsabgeordneten
- einem Andersgläubigen die Grundlagen des christlichen Glaubens in
kurzen Worten erläutern könnte. Das war noch vor zwei Generationen
völlig anders. Das Reden vom christlichen Erbe, welches auch ein
jüdisches sei, ist daher, so fürchte ich, oft ein substanzloses Gerede
von Leuten, denen zu unserem geistigen Erbe in Europa nichts Gescheites
einfällt.
MM: Nun ist nicht erst seit der
Bergpredigt bekannt, dass sie Jesus stets an die Seite der so genannten
Unterprivilegierten stellte und seine Nächstenliebe sich vor allem an
die Armen, die Schwachen, die Kranken usw. richtete. Was derzeit aber
die gesamte Welt miterlebt ist, dass die Westliche Welt sich im Namen
des Christentums bei fast allen Auseinandersetzungen gegen die Seite der
Armen und Schwachen stellt. Warum sind die Kirchen so schweigsam dazu?
Prof. Aden: Das ist, glaube ich, nicht
richtig. Niemals in der Geschichte hat es das gegeben, was wir
Entwicklungshilfe nennen und seit Jahrzehnten praktizieren. Sie war
nicht immer effektiv, und sie wurde, etwa von den ehemaligen
Kolonialherren, auch nicht immer ganz reinen Herzens gegeben. Aber
gerade wir Deutschen haben ganz ungeheure Summen gespendet, und wenn in
den Weihnachtsgottesdiensten nun wieder für "Brot für die Welt"
gesammelt wurde, dann kommen beachtliche Summen zusammen, die auch ihre
Bestimmung, nämlich die Armen und Kranken in aller Welt, erreichen.
Tausende von frommen Christen sind auch in dieser Stunde in allen
Weltteilen dabei, das Wort Jesu zu erfüllen: "Was ihr getan habt dem
geringsten meiner Brüder, das habt ihr mir getan".
Ich glaube auch, dass sehr reiche islamische
Staaten, etwa Dubai, Gottes Gebot, wie es im Qur'an niedergelegt ist,
besser erfüllen würden, wenn sie anstatt einen neuen Turm zu Babel zu
bauen, ihre, übrigens meist muslimischen, Fremdarbeiter besser behandeln
und entlohnen würden.
MM: Daran gibt es keinen Zweifel, doch
die Frage, warum jene babylonischen Verschwender so diktatorisch
herrschen können und wer sie stützt, wollen wir jetzt nicht aufwerfen.
Was glauben Sie würde Jesus - aus theologischer Sicht betrachtet - zu
der deutschen Politik bezüglich Gaza sagen?
Prof. Aden: Das ist eine schrecklich
schwere Frage. Jesus hat - meine Mitchristen mögen mir die Wortwahl
verzeihen - "Islam" gelehrt, nämlich die völlige Hingabe zu Gott.
Vermutlich hätte er, wie sein Gleichnis vom Zinsgroschen lehrt, den
Palästinensern gesagt: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, beugt euch
der weltlichen Gewalt - also hier der des israelischen Staates - denn
eure Zeit, die auch die Zeit Gottes ist, kommt.
MM: Verzeihen Sie wenn wir nachhaken,
denn unsere Frage bezog sich auf das, was Jesus der deutschen Politik
sagen würde. Oder vereinfachen wir es doch; was würden Sie der
Bundeskanzlerin als Bundesbürger und Christ in diesem Zusammenhang gerne
sagen?
Prof. Aden: Vielleicht folgendes: Noch
ist Israel stark und kann die Entwicklung aktiv bzw. militärisch
gestalten. Das wird sich aber schon bald, auch angesichts der sich
abzeichnenden demographischen Entwicklung, nämlich der Zunahme des
Anteils der muslimischen Bevölkerung in Israel selbst, ändern. Israel
bzw. die Juden werden, wenn der Hass weiter schwelt wie jetzt, eines
Tages, vielleicht von Innen, einfach überrollt werden. Wenn Deutschland
Israel, und nicht nur Israel, sondern allen Menschen dieser Region, auf
Dauer helfen will, müssen wir Israel den dringenden, ggf. mit
politischem Zwang verbundenen, Rat geben, den Palästinensern ihr Recht
zu geben.
MM: Die einzige Gewaltszene, die im
neuen Testament mit Jesus in Verbindung gebracht wird, ist seine
Vertreibung der Händler von Vorhof des Tempels, wobei Begriffe wie
Räuberhöhle in manchen Übersetzungen auftauchen. War das ein
Vorläuferbegriff zum Raubtierkapitalismus?
Prof. Aden: Die Stelle, auf welche Sie
anspielen, meint Jesu Empörung über die Entweihung der Stätte des
Gebetes. Das Neue Testament sagt so wenig wie der Qur'an etwas über eine
Wirtschaftsordnung. Christen und Muslime wissen nur, dass ehrliche
Arbeit Segen bringt, und dass wir den Schwachen nicht übervorteilen
dürfen.
MM: Der Qur'an äußert sich durchaus zu
Grundzügen einer Wirtschaftsordnung, z.B. durch das Zinsverbot und
Verbot von Wucher jeglicher Art, aber auch in Form der Armenabgabe usw..
All jene Elemente finden sich aber auch im Alten Testament, und es ist
nicht bekannt, dass Jesus z.B. das Zinsverbot jemals aufgehoben hätte;
warum wird das im Christentum so selten diskutiert?
Prof. Aden: Die abendländische Erfindung
der Kreditwirtschaft ist vermutlich einer der wichtigsten Einzelgründe
für den wirtschaftlichen Aufstieg Europas. Ich glaube, dass der Qur'an
das Zinsverbot anders gemeint hat, als von islamischen Gelehrten
vertreten wird. Erlauben Sie mir hierzu, aus meinem Lehrbuch
„Internationales privates Wirtschaftsrecht“ ( München 2006), S. 82 zu
zitieren:
Im islamischen Recht wird viel vom
Zinsverbot des Qur'an gesprochen. Die einschlägigen Stellen des Qur'an
(Sure 2, 276 ff;3,125; 4, 159 und 30, 38) sagen aber nur, was weltweit,
z.B. auch gemäß § 138 II BGB, auch gilt: Übervorteilung ist verboten.
Das lehrt Jesus, das lehren auch unsere Kirchen
seit jeher.
MM: Erlauben Sie eine Frage zu Ihrer
Familie. Mit fünf Kindern und einer weit über 30 Jahre andauernden Ehe
gehören Sie zu einer Minderheit im Land. Ist nicht gerade auch die
evangelische Kirche mitverantwortlich für den Niedergang der Familie?
Prof. Aden: Die evangelische Kirche ist
in keinem guten geistlichen Zustand. Sie weiß, wie ihre mehrdeutigen
Äußerungen zur Homoehe und Abtreibung zeigen, oft nicht mehr, was sie
glaubt und lehren soll. Das ist ein Verrat an dem großen Erbe Martin
Luthers und bekümmert mich wie viele im Land.
Christlicher Glaube bedeutet zwar, namentlich
in evangelischer Sicht, auch die Offenheit für Veränderungen. Aber im
familiären Bereich glaube ich, dass wir uns an Gottes Ordnung
versündigen, wenn wir Homoehen zulassen, Ehebruch rechtfertigen und
Kinder abtreiben. Ich bin – leider - der Überzeugung, dass wir im Westen
uns hier auf einen Weg begeben haben, der – so legen es jedenfalls alle
bekannten historischen Vorbilder nahe - schließlich zum Untergang
unserer Kultur führen wird. Was meine fünf Kinder betrifft. Die Bibel
sagt: Kinder sind eine Gabe Gottes - wohl dem, der seinen Köcher davon
voll hat! Eine kluge und gute Frau bzw. Ehemann ist nicht minder eine
Gabe Gottes. In diesem Punkt, der Achtung der Frau, liegt, wenn es
erlaubt ist, das hier zu sagen, für mich der größte Nachholbedarf des
Islam.
MM: Wenn Sie meinen "der Muslime"
stimmen wir vollständig mit Ihnen überein. Aber wir glauben, dass "der
Islam" die größte Befreiung für die Frau ist, selbst wenn wir Muslime
oft ein schlechtes Beispiel dafür sind. Aber genau darüber müsste man ja
miteinander sprechen, daher zum Schluss zurück zum Dialog zwischen
Christen und Muslimen. Wie stellen Sie sich diesen Dialog in Zukunft für
Deutschland vor?
Prof. Aden: Dialog hört sich immer nach
Rede und Gegenrede an, wobei am Ende jeder nur meint, Recht behalten zu
haben. Ich habe vor Jahren einer türkischen Gemeinde in Essen einmal
gesagt:
- Kauft euch eine der nicht mehr gebrauchten
christlichen Kirchen, die angesichts kleiner werdender Gemeinden in
den deutschen Innenstädten entwidmet werden.
- Geht mal in einen christlichen Gottesdienst.
Lernt unsere Choräle und Kirchenmusik kennen.
- Lasst euren Imam zusammen mit einem
christlichen Prediger Worte auslegen, welche in Bibel und Qur'an
gleichermaßen für heilig und hoch gehalten werden. Man braucht ja noch
nicht gemeinsam zu beten. Das kommt dann mit der Zeit.
MM: Wir schließen uns gerne ihrer
Aufforderung an und danken für das Interview. |