Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Itamar Baum
 

Muslim-Markt interviewt
Itamar Baum, Dozent für Judaistik und Vorbeter

18.1.2009

Itamar (Wolfgang, Vladimir) Baum ist 1964 in Armenien als Kind jüdischer Eltern geboren. Er ist in Odessa (damals UDSSR, heute Ukraine) aufgewachsen. Vor seinem Wehrdienst bei der Sowjetischen Armee war er Techniker. Von 1986-1989 studierte er an der Polytechnischen Hochschule in Odessa Informatik. Anfang der neunziger Jahre wirkte er als Hebräischlehrer in der Synagoge Odessa bis zur Auswanderung nach Deutschland 1991. Es folgte das Studium an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg (1993-2000). Im Anschluss wirkte er als Religionslehrer, zunächst in Hannover (bis 2002), dann in Emmendingen (bei Freiburg). In 2004 war er Dozent an der Theologische Fakultät der Mannheimer Universität und seit 2004 ist er Dozent für Judaistik an der Freiburger Universität. Er ist Vorbeter und Mitglied bei: "Egalitäre Jüdische Chawurah Gescher e. V."

Zu seinen Hobbys gehört es, Gedichte über Gott und die Welt in verschiedenen Sprachen (Hebräisch, Deutsch, Englisch, Russisch) zu schreiben. Sein Gedichtband "Pil'ej oscher bahir" ("Die Wunder der hellen Glückseligkeit") wurde in Israel veröffentlicht.

Itamar Baum ist geschieden, hat einen Sohn und lebt im Großraum Freiburg.

MM: Sehr geehrter Herr Baum, sie bezeichnen sich selbst als "Anhänger des Konzepts der Liebe zu Gott und der Liebe zu allen Menschen". Wie kann dieses Konzept in unsere Zeit dazu beitragen, das Leid im Heiligen Land zu lindern?

Baum: Nach meiner Meinung, wenn die Menschen auf den beiden Seiten die Liebe zu Gott und zu allen Menschen verinnerlichen, sind keine Kriege möglich. Deswegen bin ich dafür, dass die Juden (die Israelis auch) und die Araber sich der Wichtigkeit dieser Liebe bewusst werden. Und es gibt alle Voraussetzungen für diese Liebe: Unsere Religionen sind sehr ähnlich sowie unsere Sprachen (Arabisch und Hebräisch). Durch die Verwirklichung dieser Liebe kann man das Leid im Heiligen Land lindern.

MM: Sie sind Vorbeter und Mitglied bei "Egalitäre Jüdische Chawurah Gescher e. V." Können Sie unseren Lesern zunächst erläutern, was der Name des eingetragenen Vereins bedeutet und wofür er steht?

Baum: "Egalitär" bedeutet, dass die Frauen und die Männer vollkommen gleichberechtigt sind. Unser Verein ist Vertreter des liberalen Judentums. Im Unterschied zum orthodoxen Judentum haben die Frauen bei uns die gleichen Rechte wie die Männer. Sie können zur Tora aufgerufen werden und Rabbinerinnen werden. Außerdem setzt sich das liberale Judentum für die Liebe zu allen Menschen ein. Deswegen wurden einige Gebete bei uns geändert. Man betet nicht mehr gegen so genannte Häretiker und Feinde, sondern man betet darum, dass das Böse aus der Welt verschwindet. Mehr Informationen zum liberalen Judentum finden Sie unter: www.liberale-juden.de 

MM: So sehr ein von aktuellen Ereignissen unabhängiger Dialog zwischen praktizierenden Juden und praktizierenden Muslimen notwenig ist, so sehr wird jener Dialog heute überschattet von den Ereignissen im Gaza-Streifen. Kann unter solchen Umständen ein Dialog überhaupt möglich sein?

Baum: Ich bin davon überzeugt, dass dieser Dialog möglich ist. Ich weiß, dass sich viele Israelis für den Frieden einsetzen. Und ich bin sicher, dass es auf der muslimischen Seite Menschen gibt, die den Frieden mit Israel befürworten. Unsere Aufgabe besteht darin, die Anzahl dieser Menschen durch den Aufruf zur Nächstenliebe zu vergrößern.

MM: Die Stimme des Judentums in Deutschland artikuliert sich im Öffentlichen Raum sehr dominant vom Zentralrat der Juden in Deutschland, welche israelische Politiker und Politik grundsätzlich von jeglicher Schuld frei spricht. Obwohl gerade der Muslim-Markt sich darüber in Klaren ist, dass jene Stimme nicht repräsentativ ist, so stellt sich dennoch die Frage, warum alternative jüdische Stimmen nur so leise zu hören sind.

Baum: Es gibt alternative jüdische Stimmen. Diese Juden rufen zum Frieden auf. Es ist aber klar, dass im Krieg eher die Stimmen auf den beiden Seiten lauter sind, die ihn befürworten. Unsere Aufgabe, wie gesagt, besteht darin, die Herzen aller Menschen vom Hass zu reinigen und zur Liebe zu bringen.

MM: Können Sie sich denn vorstellen, dass Juden, Christen und Muslime eines Tages gleichberechtigt und gemeinsam im Heiligen Land leben und nicht in irgendwelchen umzäunten Enklaven?

Baum: Das kann ich mir durchaus vorstellen. Es gibt bereits ein gutes Beispiel: die israelischen Araber. Ich habe mit vielen von ihnen gesprochen. Sie sind stolz, dass sie die israelische Staatsangehörigkeit haben. Sie haben auch viele israelische jüdische Freunde. Wenn der Krieg vorbei ist - und ich hoffe, dass diese Zeit unbedingt kommt! -, wird das Zusammenleben aller Menschen im Heiligen Land viel besser sein.

MM: Aber alle drei im Parlament vertretenen arabischen Parteien sind von den nächsten Wahlen ausgeschlossen worden, dass kann doch auch einen Befürworter Israels nicht entgangen sein, genau so wenig, wie die Diskriminierung , die sie im Land erleben. Und was soll geschehen, wenn demographisch mehr Nichtjuden im Land leben?

Baum: So viel ich weiß, haben die arabischen Parteien an den Wahlen teilgenommen. Das, was Sie sagen (dass sie von den nächsten Wahlen ausgeschlossen worden sind) ist mir neu. Wenn das der Fall ist, wäre ich dafür, dass sie an den Wahlen als gleichberechtigte Bürger Israels teilnehmen. Die Diskriminierung, die, wie Sie sagen, die israelischen Araber erleben, muss verschwinden. Aber, wie gesagt, habe ich in Israel Araber getroffen, die sich nicht über die Diskriminierung beklagt haben. Ich bin dafür, dass die Juden und die Araber sich gegenseitig lieben, besonders im Staat Israel. Dass demographisch mehr Nicht-Juden im Land leben, kann ich mir noch nicht vorstellen, da die Juden jetzt eine deutliche Mehrheit in Israel darstellen. Ich bin aber dafür, dass die jüdische Mehrheit alle Minderheiten mit Liebe und respektvoll behandelt.

MM: In Ihren Gedichten kommt eine Sprache der Liebe zu Gott zum Ausdruck, die sehr vergleichbar ist, mit der Mystik im Christentum und im Islam. Warum fällt es Ihrer Meinung nach, sowohl Juden als auch Anhängern der anderen Religionen so schwer zu erkennen, dass Gott seinen Thron bzw. Tempel im Herzen eines Gottesehrfürchtigen erbaut, und evtl. der Andersgläubige Gott näher sein könnte?

Baum: Alle Religionen haben leider fundamentalistische Aspekte. Deswegen ist es für ihre Anhänger schwierig sich vorzustellen, dass die Andersgläubigen genau so nah an Gott sein können. Unsere Aufgabe besteht unter anderem darin, den Menschen zu zeigen, dass sie alle Brüder sind. Alle religiösen Menschen sollen andere Religionen in ihrem guten Kern anerkennen. Dafür ist der interreligiöse Dialog sehr wichtig.

MM: Da Sie selbst praktizierender Jude sind, erlauben Sie uns eine kritische Frage, die aus muslimischer Sicht dieser Tage im Schleier des Nebels einer Propaganda kaum noch verstanden wird: Wie definieren Sie eigentlich den Begriff "Jude" und kann z.B. ein Antizionist auch Jude sein?

Baum: Jude ist derjenige, der von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder zum Judentum übergetreten ist. Sicherlich kann auch ein Antizionist Jude sein. Das Paradebeispiel ist die orthodoxe jüdische Sekte "Neturj Karta." Aber das ist eine kleine Minderheit im Judentum. Die meisten Juden verstehen die Wichtigkeit des Staates Israel. Aber nach meiner Meinung soll Israel ein Vorbild für die Nächstenliebe sein, und ich hoffe, dass diese Zeit kommt. Ich bin für die Existenz zweier Staaten: Israel und Palästina, die in brüderlicher Liebe zusammenleben.

MM: Damit sind wir aber beim Kernproblem angelangt. Wenn Sie also gegen einen gemeinsamen demokratischen Staat sind, wie sollen dann die Palästinenser getrennt auf drei Gebiete - zwei davon als eigener Staat, die aber nicht miteinander zusammen hängen, ein funktionierendes Staatswesen aufbauen? Und wie soll es möglich sein, Nächstenliebe vorzuleben, wenn man den Nächsten, den man vertreiben hat, sein Rückkehrrecht in seine Heimat verweigert?

Baum: Ich bin, wie gesagt, für die Zwei-Staaten-Lösung. Wenn das verwirklicht ist, so wird es vor allem um zwei von einander getrennte Gebiete gehen, auf denen die Palästinenser leben werden: Gaza-Streifen und West-Jordan-Land, da in Israel israelische Araber als gleichberechtigte Bürger leben werden. Diese zwei Gebiete kann man mit Autobahnen verbinden, oder es gibt vielleicht andere Lösungen. Was das Rückkehrrecht für die Palästinenser betrifft, so ist es wirklich ein schwerwiegendes Problem. Ich hoffe, wenn der Friede herrscht, kann man dieses Problem lösen. Nichts darf die Existenz zweier Staaten gefährden.

MM: Ein weiterer Teil der Problematik steckt im Selbstverständnis des Staates Israel. Wen Sie letztendlich behaupten, dass die Mehrheit der Juden der Welt sich als Israelis fühlen, selbst wenn sie z.B. Franzosen, Isländer oder Australier sind, dann wäre eine bekenntnisbezogene Identität gekoppelt an eine nationale Identität, wodurch alle anderen, die nicht das gleiche Bekenntnis hätten, nicht gleichberechtigte Bürger sein könnten. Steckt nicht genau in dieser Fragestellung das Dilemma? Und wenn Sie einerseits loben, dass muslimische oder christliche Araber und z.B. jüdische Araber gemeinsam in Israel leben können, warum sollte das dann nicht für alle Bürger möglich sein, also allen einheimischen Juden, Christen und Muslimen zu ermöglichen, in einem gemeinsamen Land zu leben? Wie sie dann das Land letztendlich nennen ist dann doch deren Sache.

Baum: Ich behaupte nicht, dass die Mehrheit der Juden der Welt sich als Israelis fühlen. Ich habe lediglich gesagt, dass für die Mehrheit der Juden die Existenz des Staates Israel wichtig ist. Was den gemeinsamen Staat anbetrifft, so kann ich Folgendes sagen: Israel ist der einzige Staat auf der Welt, in dem die jüdische Identität zentral ist. Die Juden haben dort ihre Sprache (Hebräisch) wiederbelebt und sind zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Das ist also das kulturelle Zentrum für die Juden auf der ganzen Welt. So wie viele arabische Staaten ihre arabische Identität bewahren möchten, möchten auch die Juden ihre jüdische Identität in Israel wahren. Aber ich bin dafür, dass der jüdische Staat und arabische Staaten in brüderlicher Liebe neben einander leben. Die hebräische und die arabische Kulturen können sich gegenseitig bereichern.

MM: Herr Baum, wir danken für das Interview.

Links zum Thema

Senden Sie e-Mails mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an: info@muslim-markt.de 
Copyright © seit 1999 Muslim-Markt