MM: Sehr
geehrter Herr Czerny, erlauben Sie uns zum Einstieg eine persönliche
Frage. Wie kommt ein Pianist dazu, ausgerechnet Wirtschafts- und
Politikwissenschaften zu studieren?
Czerny: Ausschlaggebend war die ruinöse
Sparpolitik des Berliner Senates. Ich war zwar davon weniger betroffen,
weil ich in den 1990er Jahren nach dem Klavierstudium in einer recht
erfolgreichen Ska-Band spielte. Aber viele meiner Pianistenkollegen
fanden durch die radikalen Haushaltskürzungen im kulturellen Bereich
keine fair bezahlte Arbeit in ihrem erlernten Beruf. Den Orchestern und
Theatern wurden ja die Mittel gestrichen, und hervorragende Musiker
mussten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten oder wanderten aus
nach Frankreich, Österreich und sogar nach Irland, Polen und Tschechien.
Ich fragte mich: Wie kann das sein? Deutschland ist drittstärkste
Volkswirtschaft der Erde. Warum müssen wir stärker bei Bildung und
Kultur sparen, als unsere ärmeren Nachbarländer? Woher kommen all die
Schulden? Durch Zufall gelangten in jener Zeit zwei Bücher in meine
Hände, die mein Leben wahrhaftig veränderten: "Das Geld-Syndrom" von
Helmut Creutz und "Geld ohne Zinsen und Inflation" von Margrit Kennedy.
Sie beschrieben, dass die Ursachen unserer Misere im Geldsystem liege.
Das hat mich elektrisiert, hier schien ich die Antwort gefunden zu
haben! Doch dann merkte ich, dass ich bei Helmut Creutz und Margrit
Kennedy den Bezug zur wirtschaftlichen Wirklichkeit vermisste. Einige
Thesen erschienen mir fragwürdig. Aber ich wollte es dank dieser Bücher
nun genauer wissen und begann als Musiker ab 1998 scheinbar völlig
artfremde Fächer zu studieren.
MM: Sie behaupten in Ihren Artikeln,
dass die aktuelle Finanzkrise von Gier der Banker, Immobilienblase und
ähnlichen Faktoren zwar beschleunigt worden ist, die Ursachen aber viel
tiefer im System begründet liegen. Ist dieser Zusammenhang auch
vereinfacht für einen Menschen verständlich zu machen, der nicht
Wirtschaftswissenschaft studiert hat?
Czerny: Ja, durchaus, aber das würde den
Rahmen des Interviews sprengen. Das beste und verständlichste, was ich
hierzu empfehlen kann, ist die Website
www.egon-w-kreutzer.de. Dort gibt es
eine Rubrik "Alles
über das Geld". Wer die einzelnen,
leicht zu verstehenden Kapitel gelesen hat, weiß im Grunde schon besser
über unser Finanzsystem Bescheid, als so mancher
Diplom-Volkswirtschaftler. Im Internet gibt es auch ein etwa 45minütiges
Video – "Money as Debt" – das ich dringendst empfehle. Sehr gut
beschreiben auch die beiden "Zeitgeist"-Filme unser kapitalistisches
Finanzsystem. Man findet die deutschsprachigen Versionen auf
www.the-insider.tv. Um es kurz zu
skizzieren: Das kapitalistische Bankensystem funktioniert wie eine
riesige Umverteilungsmaschine, mit der Liquidität, die von den Banken
durch Kreditvergabe selbst erschaffen werden kann, von vielen Millionen
Schuldnern zu einigen wenigen Vermögenden umverteilt wird. Die Banken
sind der entscheidende Motor für die immer weiter aufklaffende Schere
zwischen arm und reich im Kapitalismus. Zinsen spielen hier eine größere
Rolle, als die von Karl Marx beschriebene Ausbeutung. Zinsen sind
verantwortlich für das ruinöse exponentielle Wachstumsmuster von
Schulden und Vermögen. Da die Geldvermögen durch Zinszahlungen nicht
linear, sondern exponentiell wachsen, müssen die Banken in exponentiell
wachsendem Umfang ihre Kreditvergabe ausweiten, um die Zinszahlungen
sicherzustellen. Gelingt es den Banken nicht mehr, ihre Kreditvergabe
auszuweiten, weil die Masse der Bevölkerung bei den Banken eh schon
überschuldet ist, kommt der Zinsfluss ins Stocken und die Bank droht,
Pleite zu gehen. Dies ist der Kern unserer aktuellen Finanzkrise. Doch
der riesige Zinshunger der gigantischen Geldvermögen wird von den
Mainstream-Medien komplett ausgeblendet. Schließlich sind die deutschen
Medienbosse des Mainstreams allesamt nicht nur Millionäre, sondern
MULTIMILLIARDÄRE!
MM: Das bedeutet letztendlich,
dass so etwas wie ein Verfallsdatum im System selbst festgeschrieben
ist. Wissen das denn die Bankenmanager, die Politiker, die
Wirtschaftswissenschaftler, also die Schar der Fachleute nicht?
Czerny: Das mit dem Verfallsdatum stimmt
so nicht. Schauen Sie sich die skandinavischen Staaten an. Auch dort
wird durch das Zinssystem in Massen Liquidität von unten über die Banken
nach oben geschaufelt. Der Clou ist aber, das die dortigen Regierungen
durch hohe Spitzensteuersätze und hohe Steuern auf Geldvermögen das der
Wirtschaft entzogene Geld quasi recyceln. Bildlich gesprochen: Durch
Steuern wird ein Grossteil des der Wirtschaft entzogenen Geldes wieder
von oben über die öffentlichen Haushalte nach unten zurückverteilt. Es
erscheint im Binnenmarkt dann wieder als Staatsausgaben für
Infrastruktur, Soziales, Gesundheit, Bildung und Kultur – und zwar ohne
neue Schulden! So mildern die Skandinavier den im Zinsgeldsystem
festgeschriebenen Zwang zur steigenden Verschuldung der Binnenwirtschaft
erheblich.
MM: Wissen das denn die Bankenmanager,
die Politiker, die Wirtschaftswissenschaftler, also die Schar der
Fachleute nicht?
Czerny: Die Schar der Fachleute weiß
das, doch Politiker sind keine Fachleute, sondern eben Politiker. Sie
sind darauf angewiesen, sich von Fachleuten beraten zu lassen. Und genau
hier wird’s vertrackt. Denn wer sind diese Berater eigentlich? Sie
kommen ja ausgerechnet von den Großbanken und den Großkonzernen und
betreiben nichts als Lobbyismus an Stelle von echter Politikberatung.
Und die so genannten Wirtschaftswissenschaftler? Diejenigen, die nach
1980 in Deutschland studiert haben, wissen über das Finanzsystem oft
recht wenig. Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus wurde an den
Universitäten auch die Volkswirtschaftslehre auf neoliberalen Kurs
gebracht und der Unterbereich "Geld und Kredit" regelrecht verstümmelt.
Hinzu kommt, dass unsere so genannten Wirtschaftsforschungsinstitute
zumeist nichts anderes als Think-Tanks sind, die irgendwelchen Konzernen
dienen. Das "Institut der deutschen Wirtschaft" gehört zum Beispiel dem
Henkel-Konzern und arbeitgebernahen Verbänden, die die Interessen der
Exportgiganten vertreten. Das "IFO Institut für Wirtschaftsforschung" –
das mit dem bekannten "Geschäftsklimaindex" – war schon durch
Hans-Werner Sinn mit der HypoVereinsbank verbunden, für die er
unermüdlich neoliberale Reformpropaganda betrieb. Fragen Sie Gustav
Horn! Der wurde vom DIW gefeuert, weil er vom neoliberalen Kurs allzu
sehr abwich. Nein, mit Wirtschaftswissenschaftlern ist die
Bundesrepublik nicht üppig bestückt. Die Wirtschaftswissenschaft hat es
in Deutschland genauso schwer, wie die Astronomie im späten Mittelalter
unter den christlichen Herrschern. Die Wissenschaft wird hier aus guten
Gründen von starken Geld- und Machtinteressen beherrscht, auch
inhaltlich. Wer Volkswirtschaftslehre studieren will, sollte besser nach
Skandinavien, Kanada, Argentinien oder Venezuela gehen.
MM: Sie rütteln an den Grundlagen des
kapitalistischen neoliberalen Wirtschaftsmodells. Schon oft wurde der
Kapitalismus für tot erklärt und ist dann - wie z.B. nach dem Zweiten
Weltkrieg neu auferstanden. Gibt es denn keine realistische Alternative
für westliche Wirtschaftswissenschaftler?
Czerny: Nun, warum brauchen wir
eigentlich Alternativen? Wir brauchen sie ja nicht, um ein sozial
halbwegs gerechtes System neu zu erfinden. Da brauchen wir bloß nach
Skandinavien zu schauen. Wir brauchen die Alternativen dringendst, weil
das kapitalistische Zinssystem uns zu exponentiell beschleunigtem
Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zwingt. Wir brauchen so
schnell wie möglich ein neues System, um die Plünderung unseres Planeten
zu stoppen! Aber es gibt noch keine wirklich ausgereiften Alternativen.
Ich sympathisiere mit Lösungsversuchen, die am Geldsystem ansetzen, wie
es zum Beispiel Creutz und Kennedy vorschlagen. Doch diese Ansätze haben
ein Manko: Selbst wenn ganze Staatengemeinschaften so genanntes
"Freigeld" als gesetzliches Zahlungsmittel einführen würden – die
Freigeld-Währungen würden an den internationalen Devisenmärkten ein
jämmerliches Schicksal erleiden, ähnlich wie etwa die Währungen der
ehemaligen Ostblockstaaten. Kein ausländischer Lieferant würde solches
Geld als Zahlungsmittel akzeptieren, und die Freigeldstaaten hätten
erhebliche Devisenprobleme und Versorgungsengpässe. Freigeldexperimente
würden aber auf globaler Ebene funktionieren, wenn es keine harten
Konkurrenzwährungen, wie Dollar, Euro oder Yen mehr gibt. Aber das ist
heute noch Utopie. Da ist es schon besser, die Vermögenssteuer wieder
einzuführen – mit steiler Progressionskurve, wie in Skandinavien!
Realistischer sind auch Lösungsansätze, wie sie etwa Egon W. Kreutzer
vorschlägt, nämlich, dass parallel zum existierenden Finanzsystem der
Staat Vollmachten zur zinsfreien Geldschöpfung bekommt und das Geld ganz
diskret dort in die Wirtschaft einspeist, wo es am dringendsten benötigt
wird. Doch staatliche Geldschöpfung ist im Kapitalismus heutzutage
leider tabu. Sogar der Staat muss sich bei finanziellen Engpässen bei
privaten Geldgebern und Banken gegen Zinsen verschulden. Man muss sich
das mal vorstellen: Der Staat darf heutzutage nicht sein eigenes Geld
herstellen! Die Geldschöpfung wird ausschließlich den Banken überlassen.
Ich halte das für den größten Fehler im Kapitalismus. Wir werden ja
gewissermaßen von Banken regiert.
MM: Wenn wir Sie richtig verstanden
haben, so kann zwar die Politik durch Rückverteilung von oben nach unten
eine gewisse soziale Gerechtigkeit umsetzen, aber das Problem des
exponentiellen Wachstums durch Zinseszins wird ja dadurch nicht gelöst.
Heißt das nicht, dass letztendlich auch die skandinavischen Modelle
scheitern müssen, wenn auch erst später?
Czerny: Theoretisch ja. Jedes Zinssystem
trägt den Keim des eigenen Untergangs in sich, vor allem durch den
ständigen Verschuldungszwang und der zunehmenden Zerstörung der Erde.
Aber die Skandinavier verstehen was von nachhaltigem Wirtschaften. Sie
vermindern durch eine kluge Steuerpolitik die Geschwindigkeit des
exponentiellen Wachstums von Schulden und Vermögen. Damit können sie
sehr lange leben, auch mit kleineren Bankenkrisen und Kapitalflucht –
kein Problem. Klar, dort gibt es wegen der hohen Steuern nicht sehr
viele Milliardäre. Aber es gibt dort auch nicht so viele Menschen, die
hoffnungslos überschuldet sind, wie anderswo. Das Modell wird dort erst
scheitern, wenn die Politiker von Dummheit befallen und von den
Grossunternehmen korrumpiert werden, wie das in Deutschland leider
reihenweise der Fall ist.
MM: Welche Wirkung haben denn die
aktuellen "Hilfspakete" und sonstigen Maßnahmen der Politik. Können Sie
das System nicht retten?
Czerny: Es geht bei diesen Hilfspaketen,
diesen Bailouts, nicht darum, das System zu retten. Es geht den Banken
aber darum, sich in nie dagewesenem Umfang zu bereichern. Sie schlucken
mit diesen Geldern andere Banken und erwerben Sachvermögen. Man könnte
ja anstelle der Banken den zahlungsunfähigen Schuldnern diese
Hilfspakete zukommen lassen, also Leuten, die das Geld am dringendsten
bräuchten. Das käme dem Steuerzahler viel billiger, und das System würde
nach einer kurzen, leicht inflationären Phase noch ein paar Jahrzehnte
weiterlaufen. Doch darum geht es bei diesen Bailouts gar nicht. Was ist
denn der Kern der Finanzkrise? Die Krise besteht doch im Kern aus nichts
anderem, als aus schiefen Bankbilanzen. Insbesondere die privaten
Grossbanken benutzen jetzt aber die Löcher in ihren Bilanzen, um eine
gewaltige Drohkulisse zu konstruieren und die Regierungen im ersten
Schritt zu Zahlungen von astronomischen Summen zu erpressen. Doch woher
nimmt der Staat das Geld? Ich habe ja gerade erzählt, dass der Staat
sich das Geld nicht selber machen kann, das heißt, er muss sich das Geld
daher von den privaten Gläubigern und den Banken leihen. Diesen Wahnsinn
hat der kanadische Ökonom Michel Chossudovsky Anfang Januar als Erster
beschrieben.
Ganz langsam, zum Mitdenken: Damit der Staat
den Banken das Bailout-Geld überweisen kann, helfen die Banken dem
Staat, die dafür nötigen Staatsanleihen, also die Staatsschulden, im
Markt zu platzieren und zu verkaufen - gegen hohe Maklergebühren! Noch
perverser: Banken leihen dem Staat gegen hohe Zinsen das Geld für ihre
eigenen Hilfspakete! Kurz gesagt, die Banken schaffen sich durch
Kreditvergabe an den Staat ihr eigenes Bailout-Geld und der Staat, also
der Steuerzahler, steht bei den Banken dann in weit größerem Umfang in
der Kreide und muss den Banken Zinsen zahlen, als je zuvor. Verstehen
Sie diesen Irrsinn? In einem zweiten Schritt werden diese Banken dann
die hoffnungslos verschuldeten Regierungen dazu erpressen, die
unsäglichen Privatisierungen forciert zu betreiben, also viel mehr
öffentliches Eigentum an Konzerne und Banken zu verscheuern, als ihnen
bereits unter Kohl, Schröder und Merkel in den Rachen geworfen wurde.
MM: Müsste das den Kapitalismus nicht
selbst zerstören?
Czerny: Wer gehofft hatte, die jetzige
Krise wäre das Ende des Kapitalismus, wird bitter enttäuscht. Wir sehen
gerade eine neue, viel aggressivere Form des Neoliberalismus. Nicht die
Banken werden vom Staat übernommen, wie die Medien suggerieren, sondern
der Staat wird – völlig überschuldet - von den Banken übernommen und
privatisiert. Die Banken sahen den Systemkollaps schon vor vielen Jahren
kommen und sind bestens darauf vorbereitet. Leider haben wir alle
gepennt. Doch noch ist es nicht zu spät. Ich habe auf den ersten
Protesten in Deutschland und den USA Transparente gesehen, die etwa
lauteten: "Wir zahlen nicht für eure Krise!" oder "Bail out the people,
not just the banks!"
Das ist der richtige Ansatz. Wenn Sie mich
fragen: Die Alternative zum Bailout bestünde darin, dass der Staat die
aggressivsten Banken und Großkonzerne jetzt billig aufkauft und in
öffentliches Eigentum verwandelt. Die Aktienkurse sind ja gerade im
Keller. Das dürfte den finanziellen Aufwand für die Regierungen in
Grenzen halten. Außerdem würde dadurch die Staatsverschuldung im
Endeffekt ganz erheblich sinken, weil der Staat ja seine eigenen
Gläubiger aufkaufen würde. Doch dazu fehlt der politische Wille und der
Druck der Öffentlichkeit. Noch.
MM: Um die Problematik mit den Zinsen
noch besser zu verstehen, eine Nachfrage. Nehmen wir einmal an, dass die
Zentralbanken die Zinsen auf real "Null" senken würden. Könnte dann der
Staat nicht sämtliche seiner Schulden "umschulden" auf sozusagen
zinsfreie Darlehen, wäre mit einem Schlag die unglaubliche Zinslast los
und könnte dann vernünftig wirtschaften und zudem seine Schulden auch
wieder abtragen? Wäre das nicht eine Art Modell, um aus diesem
Teufelskreislauf herauszukommen?
Czerny: Ein schöner Gedanke! Aber es ist
in Deutschland seit 1948 und in der EU seit 1994 gesetzlich verboten,
dass der Staat sich direkt bei den Zentralbanken verschuldet. Wenn die
öffentlichen Haushalte Geld brauchen, müssen sie zu den Banken gehen.
Und dort sind die Zinsen niemals gleich Null. Aber die Sache hat da noch
einen Haken. Was die Schulden des Einen sind, sind die Vermögen des
Anderen. Und die Anderen, also die Banken und die Besitzer von
Staatsanleihen, bestehen ja darauf, dass sie für den Besitz von
Staatsschulden jedes Jahr ihre Zinsen bekommen. Versuchen Sie jetzt mal,
umzuschulden und den Sparern ihre Wertpapiere und den Banken ihre Assets
wegzunehmen. Das gäbe ein Chaos, das die derzeitige Finanzkrise in den
Schatten stellen würde! Die Staatsschulden in ihrer jetzigen Höhe von
1,5 Billionen Euro sind doch auch gar nicht so schlimm. Im Verhältnis
zur Wirtschaftsleistung sind das in Deutschland gerade mal 65 Prozent –
das ist gesundes, europäisches Mittelfeld. Die Hysterie um die
Staatsverschuldung ist übrigens Bestandteil der neoliberalen Propaganda,
um dumme und korrupte Politiker dazu zu bringen, öffentliches Eigentum
an Konzerne zu verscheuern. Viele von uns fallen darauf herein. Wenn wir
unseren Kindern aber die Schuldknechtschaft ersparen wollen, dann dürfen
wir nicht unser Tafelsilber zum Schrottpreis verticken. Wir dürfen unser
aller Staats-Eigentum überhaupt nicht verkaufen! Wir müssen lediglich
eine minimale Steuer auf Geldvermögen einführen. Das reicht völlig, um
erstaunliche Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Damit kann dann der Staat
vernünftig wirtschaften und seine Schulden Stück für Stück abtragen.
Kein Problem. Vergessen Sie nicht, dass in Deutschland den 1,5 Billionen
Euro Staatsschulden rund 5 Billionen Euro Geldvermögen gegenüberstehen!
Und gefährliche Kapitalflucht? Auch die angebliche Gefährlichkeit von
Kapitalflucht ist so ein neoliberales Gerücht. Und wo soll denn das
Kapital hinflüchten? Gerade jetzt, in der Finanzkrise?
MM: Wenn Sie behaupten, dass "die
Banken" auf die Krise gut vorbereitete seien - zumindest einige davon -
darf man denn dann die Frage stellen, wer "die Banken" sind? Ist das
sozusagen eine Art Netzwerk vergleichbar der organisierten Kriminalität
oder eher eine zufällige Interessengemeinschaft?
Czerny: Wenn man sich die Grossbanken,
wie Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank und die HypoVereinsbank/Unicredit
betrachtet, kann man behaupten: Es ist mit Sicherheit beides, eine Art
organisierte Kriminalität und Interessengemeinschaft mit ihren
Hauptkunden, den DAX-30-Unternehmen. Andere Banken, wie etwa Sparkassen
und Volksbanken-Raiffeisenbanken, nehme ich in Schutz. Sie sind erstens
selber Opfer der Grossbanken und zweitens die Finanzierer der deutschen
Binnenwirtschaft. Das kann man von den Grossbanken nicht behaupten. Im
Gegenteil; die haben ab dem Jahr 2000 dem deutschen Binnenmarkt
absichtlich den Geldhahn zugedreht, um die von den DAX-Konzernen
geforderten neoliberalen Reformen, wie Agenda 2010 und die Hartzgesetze,
wirksam zu unterstützen. Was haben die Grossbanken vor neun Jahren
gestartet? Die haben zigtausenden kleinen und mittleren Unternehmern die
Kredite gekündigt und sie massenhaft in die Pleite getrieben. Mit dem
dadurch ausgelösten deflationären Geldmangel im Binnenmarkt und der
steigenden Massenarbeitslosigkeit wurde die rot-grüne Bundesregierung
gezwungen, neoliberale Reformen einzuleiten. Die beiden Hauptziele
dieser Deflationsstrategie der Grossbanken waren a) Privatisierungen und
b) Lohnsenkungen. Insbesondere die Lohnsenkungen waren letztendlich ein
Bombengeschäft für die Grossbanken. Denn als ab 2003 dann die Löhne bei
ihren Kunden, den Exportgiganten, real sanken, steigerten diese Konzerne
ihre Exportprofite derart, dass an den Aktienmärkten die Preise für
deren Aktien regelrecht in die Höhe sprangen. Und davon profitierten am
meisten die Grossbanken, die in ihren Assets massenhaft Aktien der
Großkonzerne halten. Dies ist die "zufällige Interessengemeinschaft".
Und die Kreditsperre der Großbanken ist in meinen Augen nicht nur
organisierte Kriminalität, sondern das größte Wirtschaftsverbrechen der
deutschen Nachkriegsgeschichte überhaupt. Rechnen Sie nach: Wie viel
Existenzen wurden seit dem Jahr 2000 einfach und allein durch schlichten
Geldmangel in Deutschland vernichtet?
MM: Während die Medienmogule sicherlich
Milliardäre sind und die Banker auch zu den Reichsten im Land gehören
dürften, kann man das von Hundertschaften von Hochschullehrern in diesem
Bereich sicherlich nicht sagen, selbst wenn sie hinreichend verdienen
und einen gesicherten Arbeitsplatz haben. Welche Mechanismen verhindern
hier den Aufschrei einer Intellektuellenschicht, welche die Problematik
eigentlich besser verstehen müsste?
Czerny: Da bin ich, ehrlich gesagt,
etwas ratlos. Ich glaube, zum Aufschrei der Intellektuellen fehlt nicht
mehr viel. Ich denke, das Einzige, was ihnen fehlt, sind ein paar
Zusatzinformationen und ein paar Details über die kapitalistische
Finanzarchitektur. Da kann man neben den vorhin genannten Quellen auch
die Sachen von Artur P. Schmidt lesen. Er hat gerade ein Buch
veröffentlicht mit dem Titel "Unter Bankstern". Oder von Egon W.
Kreutzer "Wolf’s wahnwitzige Wirtschaftslehre". Da steht vieles drin,
was man wissen muss. Im Vergleich zu den Franzosen habe ich die
Deutschen immer für Lahmärsche gehalten, wenn es darum geht, ihre
eigenen Menschenrechte zu verteidigen. Aber ich glaube, die Zeiten haben
sich geändert. Da ist jetzt genug Dampf im Kessel, auch bei den
Intellektuellen.
MM: Welchen Beitrag kann der einzelne
Bürger leisten, um aus der Krise herauszukommen?
Czerny: Gehen Sie auf die Strasse und
rufen Sie: "Geld her oder es knallt!" Nein, im Ernst, schreiben Sie
jeden Tag einem Politiker ihrer Wahl eine e-Mail oder einen Brief und
erzählen Sie ihm, dass 5 Billionen Euro in Deutschland nur darauf
warten, endlich besteuert zu werden. Jeden Tag einmal abschicken. Das
reicht. Und erzählen Sie ihm, dass das nicht Ihre Krise ist, die die da
oben verbockt haben, und dass Sie nicht für die Rettung der Banken
blechen werden. Keinen Cent! Und erinnern Sie ihren Lieblingspolitiker
daran, dass er Volksvertreter ist und nicht etwa Großkonzernvertreter.
Sagen Sie ihm ganz klar, dass Sie ihn nicht mehr wiederwählen, wenn er
nicht Ihre Interessen vertritt. Sagen Sie ihm das jeden Tag ganz klar
und deutlich. Viele Politiker sind etwas schwer von Begriff. Wenn das
nicht reicht, gehen Sie friedlich demonstrieren. Viele sagen, Demos
helfen nicht. Aber das ist falsch. Friedliche Demonstrationen ab 10.000
Teilnehmern und mehr können Ihre Politiker ganz schön ins Schwitzen
bringen und sie nötigen, Ihre Interessen zu vertreten, besonders, wenn
die ausländische Presse zufällig vor Ort ist. Und lassen Sie sich nicht
von wilden Männern mit Knopf im Ohr zu Gewalttaten provozieren. Die
werden von Polizei, Geheimdiensten und Konzernen bezahlt, um die
Demonstranten in Verruf zu bringen. Unser Motto lautet aber: Keine
Gewalt!
Und wenn Sie das alles tun, vergessen Sie
nicht, endlich damit aufzuhören, den Milliardären weiterhin Geld in den
Rachen zu werfen. Wir haben die doch schon genug gefüttert. Boykottieren
Sie Großkonzerne und kaufen Sie lieber bei kleineren und mittleren
Unternehmen. Das hilft der Wirtschaft viel mehr, nicht nur in der Krise.
95 Prozent aller Arbeitsplätze werden von den 3 Millionen
Mittelstandsunternehmern geschaffen, während die Großkonzerne dauernd
zigtausende Leute entlassen und dauernd mit Standortverlagerung drohen,
wenn Ihr Lieblingspolitiker vom neoliberalen Kurs abweicht. Gehen Sie
einfach nicht mehr zu den Großkonzernen. Das schadet niemandem, hilft
aber den kleinen und mittleren Unternehmen sehr, zu überleben. Und es
sichert Arbeitsplätze und hilft Ihrem Geldbeutel, auch wenn kleinere
Unternehmen etwas teurer als die großen Discounter sind.
Das Wichtigste für Ihre Sicherheit ist aber:
Nehmen Sie niemals einen Kredit bei einer Grossbank auf, wenn Sie Geld
brauchen. Gehen Sie zu den Sparkassen und Volksbanken. Bei den
Großbanken besteht die Gefahr, dass Ihnen plötzlich und unerwartet wegen
kurzfristiger Profitinteressen der Bank der Kredit gekündigt wird und
Sie dann die Schulden mit einem Schlag zurückzahlen müssen – oder die
Bank greift sich Ihr Sacheigentum. Viele Tausend Menschen in Deutschland
sind ruiniert, weil sie mal bei einer Großbank einen Kredit aufgenommen
hatten.
MM: Herr Czerny, wir danken für das
Interview. |