MM: Sehr geehrter Herr Dr. Fiedler, was
hatten Sie mit Max Weber zu tun?
Dr. Fiedler: Während eines
Soziologie-Studiums kommt man um Max Weber nicht herum - er wird heutzutage
in der Soziologie als einer der bedeutendsten Soziologen angesehen. In
seiner Schrift "Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus"
hat Weber den modernen Kapitalismus idealtypisch auf eine durch den
"asketischen Protestantismus" - darunter sind z.B. die Calvinisten und
Puritaner, aber nicht das Luthertum zu verstehen - ausgelöste
Gesinnungsrevolution zurückgeführt. Die "Protestantismus-Kapitalismus"-These
erscheint dabei als Umkehrung des Marxschen Basis-Überbau-Theorems. Weber
gilt heute als der Verkünder der Ausbreitung der "Kultur der Moderne" und
des kapitalistischen Systems über den ganzen Erdball, was er allerdings
nicht unkritisch befürwortete – ganz im Gegenteil. Wenn man heute
weitergehende Überlegungen zu den Themen Kapitalismus und Globalisierung
anstellt, so wird man auch an Weber nicht vorbei gehen können.
MM: Kurz nach Ihren ersten beiden
Publikationen haben Sie den Islam angenommen. Wie kam es dazu?
Dr. Fiedler: Das war ein längerer Prozess,
der schon vor über 20 Jahren begann, als ich mir den ersten Koran gekauft
habe. Mir ging es da gewissermaßen wie Goethe: Erst legte ich das Buch - das
eine schlechte Übersetzung war - enttäuscht zur Seite, nach einiger Zeit zog
es mich aber wieder an. Einige Jahre habe ich von der Religion nicht viel
gehalten. Ich war auf der Suche. Vor ca. 10 Jahren wurde mein religiöses
Bedürfnis stärker und ich versuchte die Religion, in der ich aufgewachsen
war, wieder zu leben. Die Trinitätslehre und viele Dogmen der Kirche
bereiteten mir allerdings Schwierigkeiten. Daher beschäftigte ich mich
intensiv damit und mit anderen Religionen. So kam ich zum Islam. Inzwischen
ist mein Glaube durch einige religiöse Erlebnisse gefestigt.
MM: Wie haben Ihre Verwandten und der
frühere Freundeskreis das aufgenommen?
Dr. Fiedler: Für meine Verwandten war dies
zunächst nicht einfach zu verstehen, inzwischen ist dies aber akzeptiert und
es bereitet keine Schwierigkeiten mehr. Im Freundeskreis gab es einige
Brüche, da man mit mir natürlich nicht mehr wie bisher einfach das eine oder
andere Bier trinken gehen konnte. Es sind aber auch Freundschaften erhalten
geblieben und zwar gerade auch zu überzeugten Christen, wobei dann auch
interessante Diskussionen entstehen. Was aber das wichtigste ist: Es haben
sich neue Freundschaften ergeben und diese will ich keineswegs mehr missen!
MM: Als "hausgemachter" deutscher Konvertit
sind Sie ja nach Medienmeinung besonders gefährlich. Wie lebt es sich mit
solch einem Image? Wurden schon Versuche unternommen, sie für die
"Sauerlandzelle" oder ähnliche "Aktivitäten" anzuwerben?
Dr. Fiedler: Ich denke, das es heute
religiöse Menschen allgemein in dieser Gesellschaft nicht einfach haben. Ich
habe z.B. von einem Bekannten erfahren, dass ein katholisches Mädchen in der
Schule von ihren Mitschülern wegen ihres Glaubens verlacht und gemieden
wird, weil sie nicht von ihren Erfahrungen mit Freunden berichten kann und
sich auch nicht am Komasaufen beteiligt. Beim Islam sind die Reaktionen noch
schlimmer. Ich lebe aber aus dem Glauben an Gott und dieser Glaube und auch
meine Frau geben mir Kraft. Wenn ich gar manche Freizeitbeschäftigungen und
die banalen Interessen mancher Zeitgenossen sehe, bin ich froh, dass ich ein
anderes Leben führe. Ich habe in den letzten Jahren viele Moscheen besucht
und beeindruckende und herzliche Persönlichkeiten kennengelernt. In der
ganzen Zeit habe ich keinen einzigen Muslim getroffen, der sich für
terroristische Taten begeistern konnte.
MM: Ihre jüngste Veröffentlichung "Mohammed
und die abendländische Kritik" befasst sich vor allem mit Vorurteilen und
deren Aufklärung. Glauben Sie dass die "übermächtige" Meinungsmache gegen
den Islam und die Muslime in Deutschland auf Basis von Vernunft und
Sachlichkeit aufgehalten werden kann?
Dr. Fiedler: Es ist schon immer wieder
erstaunlich, wie eine über nur kurze Zeit geführte Kampagne das
Meinungsklima verändern kann. Entsprechenden Medienkampagnen steht man
weitgehend machtlos gegenüber. Die meisten Menschen haben ein manchmal kaum
zu fassendes Vertrauen in die Medien, sie hinterfragen nichts. Bei einigen
Personen führt aber gerade auch eine solche Medienkampagne zu einem
verstärkten Interesse für den Islam und sie beginnen sich selbst intensiv
mit dem Thema zu beschäftigen. Nicht selten entscheiden sich solche Personen
dann für den Islam.
MM: Bei einem Rückblick zu früheren
"westlichen" Historikern kann festgestellt werden, dass z.B. Edward Gibbon
(1737 - 1794) - immerhin gilt er als einer der bedeutendsten britischen
Historiker aller Zeiten - in seiner "Geschichte des Sarazenischen Imperiums"
(History Of The Saracen Empire) über Prophet Muhammad (s.) festgestellt hat:
"Der größte Erfolg im Leben Mohammeds wurde durch die schiere moralische
Kraft erreicht ohne einen einzigen Hieb eines Schwertes." Heute wird in
England selbst die Existenz eines solchen Buches kaum erwähnt und deutsche
Orientalisten und Historiker behaupten genau das Gegenteil. Was ist Ihrer
Meinung nach aus soziologischer Sicht passiert, dass die Welt sich auf den
Kopf gedreht hat?
Dr. Fiedler: Hat sich wirklich soviel
geändert und was hat sich geändert? Beleidigungen und Schmähungen gegenüber
dem Islam und dem Propheten Mohammed (s.) sind im Abendland nichts Neues, im
Großen und Ganzen haben sich auch die Vorwürfe im Lauf der Jahrhunderte
nicht geändert. So wurde Mohammed (s.) wieder und wieder als Betrüger,
blutrünstiger Eroberer oder falscher Prophet dargestellt. Man denke nur an
die Regensburger Rede Benedikt XVI., als dieser einen byzantinischen Kaiser
aus dem 14. Jahrhundert zitierte, der behauptete, das Mohammed befohlen hat,
"den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Daneben gab
es immer wieder einige wenige Stimmen der Vernunft. Erst mit der Aufklärung
setzte sich eine differenziertere Betrachtungsweise durch, einige Aufklärer
sympathisierten sogar mit Mohammed (s.) und dem Islam. Nach dem Ende der
Ost-West-Konfrontation und dem propagierten "Kampf der Kulturen" wurde der
Islam zum neuen Feindbild. Dies bedeutete einen Rückfall in die Zeit vor der
Aufklärung, die alten Geschichten werden umso hasserfüllter und bösartiger
wieder abgespult. In meinem Buch bin ich ausführlich auf diese Vorwürfe
eingegangen. Neu sind höchstens die Vorwürfe des Antisemitismus und der
Frauenfeindlichkeit. Die Islamophobie wurde zum allgemein akzeptierten
Rassismus unserer Zeit.
MM: Neben der propagandistischen und
feindlich gesonnenen Medienarbeit auf allen Ebenen, ist aber auch der
Konsument jener Medien zu betrachten. Der Vorwurf an den Propheten, er
hätte als Epileptiker und Kinderschänder seinen Glauben mit dem Schwert
verbreitet ist eine Sache, aber zu glauben, dass 1,7 Milliarden
Menschen, solch ein Vorbild haben, ist eine andere Sache. Wie ist es
soziologisch zu erklären, dass es so extrem leicht ist, die Menschen zu
solch unvorstellbaren Gedanken zu bewegen? Dr. Fiedler:
Da wirken mehrere Faktoren zusammen. Im Westen herrscht ein Gefühl der
Überlegenheit gegenüber anderen Kulturkreisen. Man glaubt hier
tatsächlich den Stein der Weisen gefunden zu haben. Was für ein
tragischer Irrtum! Welche Werte im Westen gibt es denn wirklich noch,
abgesehen von den Vermögenswerten? Die hierzulande herrschenden Werte
und Normen werden aber als die einzig gültigen für alle Zeiten
propagiert. Selbst ein Facharzt hat mir gegenüber kürzlich die
Auffassung vertreten, der Islam müsse erst einmal sein Mittelalter
überwinden und eine Aufklärung durchmachen. Und da kommt wieder die
Unwissenheit ins Spiel. Wer weiß schon etwas von einem islamischen
Rationalismus und etwas darüber, das Platon und Aristoteles erst über
die islamische Welt wieder nach Europa kamen? Wer weiß, dass die
islamische Kultur einst der abendländischen Kultur weit überlegen war
und das sich abendländische Wissenschaftler an deren Errungenschaften
orientierten? Wenn aber andere Kulturkreise als rückständig betrachtet
werden, dann braucht man deren kulturelle Errungenschaften und deren
Basis auch nicht zu respektieren. Weiterhin werden Menschen aus anderen
Kulturkreisen ökonomisch als Bittsteller und Belastung für die
Sozialsysteme wahrgenommen. Hier erscheint es von vornherein nicht
angebracht, deren religiöse Vorstellungen ernst nehmen zu müssen. Man
hält es dann auch für möglich, dass diese Menschen an so etwas glauben.
MM: Nun muss man fairerweise zugeben,
dass jene Islamophobiker, zumindest auf universitärer Ebene auch auf
Schriften zurückgreifen, die Muslime verfasst haben. Und die
uneingeschränkte Verherrlichung mancher Gewaltherrscherdynastie der
Geschichte durch heutige Muslime erweckt auch ein falsches Bild. Wie
können Muslime in Deutschland mit dazu beitragen, die Geschichte des
Islam vernünftiger zu betrachten und zu beschreiben?
Dr. Fiedler: Man sollte durchaus
selbstbewusst auftreten, aber alles unterlassen, was denjenigen, die von
einer "fremden Landnahme" faseln, noch Munition liefert. Es ist zu
empfehlen, dass man sich den bislang eher unbekannten Kapiteln der
Geschichte zuwendet, die dazu geeignet sind, Vorwürfe zu entkräften und
das Bild des Islams zu verbessern. Wer weiß z.B. etwas darüber, dass das
Osmanische Reich (beziehungsweise der islamische Kalif) etwa 300.000 aus
dem christlichen Europa fliehenden Juden Zuflucht in seinem
Herrschaftsbereich gewährte? Nach dem Ende der islamischen Herrschaft
(beziehungsweise nach der Vollendung der "Reconquista" 1492) wurden die
verbleibenden Juden zwangsgetauft und auch nur bei geringstem Verdacht
auf die weitere Ausübung ihrer Religion getötet. Die Juden hatten
während der "islamischen Regierungszeit" in Spanien ihre Religion
bewahren können, was ihnen danach aber unmöglich gemacht wurde. Wer weiß
außerdem etwas über die von den Kolonialmächten verübten Verbrechen an
den Muslimen? Es gibt genug zu tun...
MM: Sie selbst sind seit vier Jahren mit
einer arabischen Muslima verheiratet. Welche Erfahrungen können sie aus
solch eine "Multikulti"-Ehe in Deutschland jungen Glaubensgeschwistern
geben?
Dr. Fiedler: Die Liebe überwindet
bekanntlich alle Grenzen und man sollte sich nicht von einer solchen
Verbindung abbringen lassen – man soll auf sein Herz hören. Die durch
die unterschiedlichen Traditionen bedingten verschiedenen Erwartungen an
den Partner sind ein mögliches Konfliktfeld. Ein junges Paar sollte sich
daher schon am Anfang darüber verständigen, was sie jeweils vom Partner
erwarten.
MM: Sie sind in der Partei "die Linke"
engagiert. Haben Muslime in jener Partei einen Platz und in wie weit ist
der antikapitalistische Ansatz innerhalb der heutigen Linken Realität
und welche Alternativen werden vorgestellt?
Dr. Fiedler: Kein geringerer als der
Parteivorsitzende der LINKEN, Oskar Lafontaine, hat von Gemeinsamkeiten
mit dem Islam in Wertvorstellungen und Zielsetzungen gesprochen. Seinen
Worten zufolge setzt „der Islam .. auf die Gemeinschaft, damit steht
er im Widerspruch zum übersteigerten Individualismus, dessen Konzeption
im Westen zu scheitern droht. Der zweite Berührungspunkt ist, dass der
gläubige Muslim verpflichtet ist zu teilen.“ Ich selbst kenne auch
gläubige Muslime in der Partei, es gibt allerdings noch keine AG Muslime
wie bei den Grünen. Aber was nicht ist kann ja noch werden. Der
antikapitalistische Ansatz ist der gemeinsame Bezugspunkt der
unterschiedlichen Strömungen. Über die diesbezüglichen Vorstellungen der
verschiedenen Strömungen - wie der "Sozialistischen Linken", der
"Antikapitalistischen Linken" oder der "Kommunistischen Plattform" -
kann sich jeder im Internet informieren, da diese Diskussion hier aus
Platzgründen nicht geführt werden kann. MM: Abschließende Frage: Können Sie sich
vorstellen, dass in absehbarer Zeit es normal wird zu denken, dass ein
Deutscher neben Katholik, Protestant und Atheist, auch Muslim sein
könnte? Dr. Fiedler: Wieso sollte
das in der Zukunft nicht zur Normalität gehören? Der Islam ist in
absehbarer Zeit die größte Weltreligion und ich glaube nicht, dass man
in Deutschland auf Dauer so vermessen ist, eine Weltreligion bekämpfen
zu wollen. Wir gehen allerdings zunächst – vor allem ökonomisch –
chaotischen Zeiten entgegen und wie sich die politische und
gesellschaftliche Situation in der Krise des kapitalistischen Systems
genau entwickelt, kann nicht genau vorhergesagt werden.
MM: Dr. Fiedler wir danken für das
Interview. |