Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Dr. M. Fiedler
 

Muslim-Markt interviewt
Dr. Markus Fiedler, Autor des Buches "Mohammed und die abendländische Kritik"

29.5.2009

Markus Fiedler (Jahrgang 1967) hat nach seinem Abitur in Kulmbach Sozialpädagogik an der FH Coburg und Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Bayreuth studiert, was nach seinen Angaben zu einer intensiven Auseinandersetzung mit philosophischen und religiösen Fragestellungen geführt hat. Im Jahr 1999 erzielte er seinen Abschluss Magister Artium (M.A.) und 2002 folgte die Promotion zum Dr. phil. an der Universität Bayreuth.

Seit 1994 ist Dr. Fiedler Mitglied der PDS/Linken, nach eigenen Angaben u.a. weil sich diese Partei als einzige im Parlament vertretene Partei konsequent gegen die Militäreinsätze der Bundeswehr einsetzt und einen antikapitalistischen Ansatz vertritt.

Dr. Fiedler hat drei Bucher veröffentlicht: "Max Weber und die Globalisierung der Moderne" (2003), "Max Weber und der Sozialismus" (2004), "Mohammed und die abendländische Kritik" (2008). Darüber hinaus schrieb er zahlreiche Artikel, und Gastbeiträge für unterschiedliche Zeitungen und Zeitschriften. 

Dr. Fiedler nahm 2005 den Islam an und studierte zur eigenen Vertiefung islamische Theologie Institut für Human- und Sozialwissenschaften in Hamburg. Bis 2006 arbeitete er in und für seine eigene Internetfirma. Derzeit arbeitet er als Coordinating Editor für das International Islamic Publishing House (IIPH) mit Sitz in Riad (Saudi-Arabien) und erfüllt Lektoratstätigkeiten für verschiedene Auftraggeber.

Markus Fiedler ist verheiratet mit einer arabischen Muslima und lebt im Großraum Bayreuth.

MM: Sehr geehrter Herr Dr. Fiedler, was hatten Sie mit Max Weber zu tun?

Dr. Fiedler: Während eines Soziologie-Studiums kommt man um Max Weber nicht herum - er wird heutzutage in der Soziologie als einer der bedeutendsten Soziologen angesehen. In seiner Schrift "Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" hat Weber den modernen Kapitalismus idealtypisch auf eine durch den "asketischen Protestantismus" - darunter sind z.B. die Calvinisten und Puritaner, aber nicht das Luthertum zu verstehen - ausgelöste Gesinnungsrevolution zurückgeführt. Die "Protestantismus-Kapitalismus"-These erscheint dabei als Umkehrung des Marxschen Basis-Überbau-Theorems. Weber gilt heute als der Verkünder der Ausbreitung der "Kultur der Moderne" und des kapitalistischen Systems über den ganzen Erdball, was er allerdings nicht unkritisch befürwortete – ganz im Gegenteil. Wenn man heute weitergehende Überlegungen zu den Themen Kapitalismus und Globalisierung anstellt, so wird man auch an Weber nicht vorbei gehen können.

MM: Kurz nach Ihren ersten beiden Publikationen haben Sie den Islam angenommen. Wie kam es dazu?

Dr. Fiedler: Das war ein längerer Prozess, der schon vor über 20 Jahren begann, als ich mir den ersten Koran gekauft habe. Mir ging es da gewissermaßen wie Goethe: Erst legte ich das Buch - das eine schlechte Übersetzung war - enttäuscht zur Seite, nach einiger Zeit zog es mich aber wieder an. Einige Jahre habe ich von der Religion nicht viel gehalten. Ich war auf der Suche. Vor ca. 10 Jahren wurde mein religiöses Bedürfnis stärker und ich versuchte die Religion, in der ich aufgewachsen war, wieder zu leben. Die Trinitätslehre und viele Dogmen der Kirche bereiteten mir allerdings Schwierigkeiten. Daher beschäftigte ich mich intensiv damit und mit anderen Religionen. So kam ich zum Islam. Inzwischen ist mein Glaube durch einige religiöse Erlebnisse gefestigt.

MM: Wie haben Ihre Verwandten und der frühere Freundeskreis das aufgenommen?

Dr. Fiedler: Für meine Verwandten war dies zunächst nicht einfach zu verstehen, inzwischen ist dies aber akzeptiert und es bereitet keine Schwierigkeiten mehr. Im Freundeskreis gab es einige Brüche, da man mit mir natürlich nicht mehr wie bisher einfach das eine oder andere Bier trinken gehen konnte. Es sind aber auch Freundschaften erhalten geblieben und zwar gerade auch zu überzeugten Christen, wobei dann auch interessante Diskussionen entstehen. Was aber das wichtigste ist: Es haben sich neue Freundschaften ergeben und diese will ich keineswegs mehr missen!

MM: Als "hausgemachter" deutscher Konvertit sind Sie ja nach Medienmeinung besonders gefährlich. Wie lebt es sich mit solch einem Image? Wurden schon Versuche unternommen, sie für die "Sauerlandzelle" oder ähnliche "Aktivitäten" anzuwerben?

Dr. Fiedler: Ich denke, das es heute religiöse Menschen allgemein in dieser Gesellschaft nicht einfach haben. Ich habe z.B. von einem Bekannten erfahren, dass ein katholisches Mädchen in der Schule von ihren Mitschülern wegen ihres Glaubens verlacht und gemieden wird, weil sie nicht von ihren Erfahrungen mit Freunden berichten kann und sich auch nicht am Komasaufen beteiligt. Beim Islam sind die Reaktionen noch schlimmer. Ich lebe aber aus dem Glauben an Gott und dieser Glaube und auch meine Frau geben mir Kraft. Wenn ich gar manche Freizeitbeschäftigungen und die banalen Interessen mancher Zeitgenossen sehe, bin ich froh, dass ich ein anderes Leben führe. Ich habe in den letzten Jahren viele Moscheen besucht und beeindruckende und herzliche Persönlichkeiten kennengelernt. In der ganzen Zeit habe ich keinen einzigen Muslim getroffen, der sich für terroristische Taten begeistern konnte.

MM: Ihre jüngste Veröffentlichung "Mohammed und die abendländische Kritik" befasst sich vor allem mit Vorurteilen und deren Aufklärung. Glauben Sie dass die "übermächtige" Meinungsmache gegen den Islam und die Muslime in Deutschland auf Basis von Vernunft und Sachlichkeit aufgehalten werden kann?

Dr. Fiedler: Es ist schon immer wieder erstaunlich, wie eine über nur kurze Zeit geführte Kampagne das Meinungsklima verändern kann. Entsprechenden Medienkampagnen steht man weitgehend machtlos gegenüber. Die meisten Menschen haben ein manchmal kaum zu fassendes Vertrauen in die Medien, sie hinterfragen nichts. Bei einigen Personen führt aber gerade auch eine solche Medienkampagne zu einem verstärkten Interesse für den Islam und sie beginnen sich selbst intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Nicht selten entscheiden sich solche Personen dann für den Islam.

MM: Bei einem Rückblick zu früheren "westlichen" Historikern kann festgestellt werden, dass z.B. Edward Gibbon (1737 - 1794) - immerhin gilt er als einer der bedeutendsten britischen Historiker aller Zeiten - in seiner "Geschichte des Sarazenischen Imperiums" (History Of The Saracen Empire) über Prophet Muhammad (s.) festgestellt hat: "Der größte Erfolg im Leben Mohammeds wurde durch die schiere moralische Kraft erreicht ohne einen einzigen Hieb eines Schwertes." Heute wird in England selbst die Existenz eines solchen Buches kaum erwähnt und deutsche Orientalisten und Historiker behaupten genau das Gegenteil. Was ist Ihrer Meinung nach aus soziologischer Sicht passiert, dass die Welt sich auf den Kopf gedreht hat?

Dr. Fiedler: Hat sich wirklich soviel geändert und was hat sich geändert? Beleidigungen und Schmähungen gegenüber dem Islam und dem Propheten Mohammed (s.) sind im Abendland nichts Neues, im Großen und Ganzen haben sich auch die Vorwürfe im Lauf der Jahrhunderte nicht geändert. So wurde Mohammed (s.) wieder und wieder als Betrüger, blutrünstiger Eroberer oder falscher Prophet dargestellt. Man denke nur an die Regensburger Rede Benedikt XVI., als dieser einen byzantinischen Kaiser aus dem 14. Jahrhundert zitierte, der behauptete, das Mohammed befohlen hat, "den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Daneben gab es immer wieder einige wenige Stimmen der Vernunft. Erst mit der Aufklärung setzte sich eine differenziertere Betrachtungsweise durch, einige Aufklärer sympathisierten sogar mit Mohammed (s.) und dem Islam. Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation und dem propagierten "Kampf der Kulturen" wurde der Islam zum neuen Feindbild. Dies bedeutete einen Rückfall in die Zeit vor der Aufklärung, die alten Geschichten werden umso hasserfüllter und bösartiger wieder abgespult. In meinem Buch bin ich ausführlich auf diese Vorwürfe eingegangen. Neu sind höchstens die Vorwürfe des Antisemitismus und der Frauenfeindlichkeit. Die Islamophobie wurde zum allgemein akzeptierten Rassismus unserer Zeit.

MM: Neben der propagandistischen und feindlich gesonnenen Medienarbeit auf allen Ebenen, ist aber auch der Konsument jener Medien zu betrachten. Der Vorwurf an den Propheten, er hätte als Epileptiker und Kinderschänder seinen Glauben mit dem Schwert verbreitet ist eine Sache, aber zu glauben, dass 1,7 Milliarden Menschen, solch ein Vorbild haben, ist eine andere Sache. Wie ist es soziologisch zu erklären, dass es so extrem leicht ist, die Menschen zu solch unvorstellbaren Gedanken zu bewegen?

Dr. Fiedler: Da wirken mehrere Faktoren zusammen. Im Westen herrscht ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Kulturkreisen. Man glaubt hier tatsächlich den Stein der Weisen gefunden zu haben. Was für ein tragischer Irrtum! Welche Werte im Westen gibt es denn wirklich noch, abgesehen von den Vermögenswerten? Die hierzulande herrschenden Werte und Normen werden aber als die einzig gültigen für alle Zeiten propagiert. Selbst ein Facharzt hat mir gegenüber kürzlich die Auffassung vertreten, der Islam müsse erst einmal sein Mittelalter überwinden und eine Aufklärung durchmachen. Und da kommt wieder die Unwissenheit ins Spiel. Wer weiß schon etwas von einem islamischen Rationalismus und etwas darüber, das Platon und Aristoteles erst über die islamische Welt wieder nach Europa kamen? Wer weiß, dass die islamische Kultur einst der abendländischen Kultur weit überlegen war und das sich abendländische Wissenschaftler an deren Errungenschaften orientierten? Wenn aber andere Kulturkreise als rückständig betrachtet werden, dann braucht man deren kulturelle Errungenschaften und deren Basis auch nicht zu respektieren. Weiterhin werden Menschen aus anderen Kulturkreisen ökonomisch als Bittsteller und Belastung für die Sozialsysteme wahrgenommen. Hier erscheint es von vornherein nicht angebracht, deren religiöse Vorstellungen ernst nehmen zu müssen. Man hält es dann auch für möglich, dass diese Menschen an so etwas glauben.

MM: Nun muss man fairerweise zugeben, dass jene Islamophobiker, zumindest auf universitärer Ebene auch auf Schriften zurückgreifen, die Muslime verfasst haben. Und die uneingeschränkte Verherrlichung mancher Gewaltherrscherdynastie der Geschichte durch heutige Muslime erweckt auch ein falsches Bild. Wie können Muslime in Deutschland mit dazu beitragen, die Geschichte des Islam vernünftiger zu betrachten und zu beschreiben?

Dr. Fiedler: Man sollte durchaus selbstbewusst auftreten, aber alles unterlassen, was denjenigen, die von einer "fremden Landnahme" faseln, noch Munition liefert. Es ist zu empfehlen, dass man sich den bislang eher unbekannten Kapiteln der Geschichte zuwendet, die dazu geeignet sind, Vorwürfe zu entkräften und das Bild des Islams zu verbessern. Wer weiß z.B. etwas darüber, dass das Osmanische Reich (beziehungsweise der islamische Kalif) etwa 300.000 aus dem christlichen Europa fliehenden Juden Zuflucht in seinem Herrschaftsbereich gewährte? Nach dem Ende der islamischen Herrschaft (beziehungsweise nach der Vollendung der "Reconquista" 1492) wurden die verbleibenden Juden zwangsgetauft und auch nur bei geringstem Verdacht auf die weitere Ausübung ihrer Religion getötet. Die Juden hatten während der "islamischen Regierungszeit" in Spanien ihre Religion bewahren können, was ihnen danach aber unmöglich gemacht wurde. Wer weiß außerdem etwas über die von den Kolonialmächten verübten Verbrechen an den Muslimen? Es gibt genug zu tun...

MM: Sie selbst sind seit vier Jahren mit einer arabischen Muslima verheiratet. Welche Erfahrungen können sie aus solch eine "Multikulti"-Ehe in Deutschland jungen Glaubensgeschwistern geben?

Dr. Fiedler: Die Liebe überwindet bekanntlich alle Grenzen und man sollte sich nicht von einer solchen Verbindung abbringen lassen – man soll auf sein Herz hören. Die durch die unterschiedlichen Traditionen bedingten verschiedenen Erwartungen an den Partner sind ein mögliches Konfliktfeld. Ein junges Paar sollte sich daher schon am Anfang darüber verständigen, was sie jeweils vom Partner erwarten.

MM: Sie sind in der Partei "die Linke" engagiert. Haben Muslime in jener Partei einen Platz und in wie weit ist der antikapitalistische Ansatz innerhalb der heutigen Linken Realität und welche Alternativen werden vorgestellt?

Dr. Fiedler: Kein geringerer als der Parteivorsitzende der LINKEN, Oskar Lafontaine, hat von Gemeinsamkeiten mit dem Islam in Wertvorstellungen und Zielsetzungen gesprochen. Seinen Worten zufolge setzt „der Islam .. auf die Gemeinschaft, damit steht er im Widerspruch zum übersteigerten Individualismus, dessen Konzeption im Westen zu scheitern droht. Der zweite Berührungspunkt ist, dass der gläubige Muslim verpflichtet ist zu teilen.“ Ich selbst kenne auch gläubige Muslime in der Partei, es gibt allerdings noch keine AG Muslime wie bei den Grünen. Aber was nicht ist kann ja noch werden. Der antikapitalistische Ansatz ist der gemeinsame Bezugspunkt der unterschiedlichen Strömungen. Über die diesbezüglichen Vorstellungen der verschiedenen Strömungen - wie der "Sozialistischen Linken", der "Antikapitalistischen Linken" oder der "Kommunistischen Plattform" - kann sich jeder im Internet informieren, da diese Diskussion hier aus Platzgründen nicht geführt werden kann.

MM: Abschließende Frage: Können Sie sich vorstellen, dass in absehbarer Zeit es normal wird zu denken, dass ein Deutscher neben Katholik, Protestant und Atheist, auch Muslim sein könnte?

Dr. Fiedler: Wieso sollte das in der Zukunft nicht zur Normalität gehören? Der Islam ist in absehbarer Zeit die größte Weltreligion und ich glaube nicht, dass man in Deutschland auf Dauer so vermessen ist, eine Weltreligion bekämpfen zu wollen. Wir gehen allerdings zunächst – vor allem ökonomisch – chaotischen Zeiten entgegen und wie sich die politische und gesellschaftliche Situation in der Krise des kapitalistischen Systems genau entwickelt, kann nicht genau vorhergesagt werden.

MM: Dr. Fiedler wir danken für das Interview.

Senden Sie e-Mails mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an: info@muslim-markt.de 
Copyright © seit 1999 Muslim-Markt