MM: Sehr
geehrte Frau Lang, wie kommt eine deutsche Frau dazu, so viele Araber zu
verteidigen, haben Sie denn keine Angst vor "Islamisten" und Männern,
die ihnen nicht die Hand geben?
Lang: Angst habe ich nicht vor Menschen,
sondern vor anderen Instanzen. Wenn sich ein Mandant aus religiösen
Gründen daran gehindert fühlt mir die Hand zu geben, dann halte ich es
für selbstverständlich dies zu akzeptieren und nicht zu hinterfragen.
Ich habe mir im Laufe der Jahre angewöhnt, um meinen Mandanten jegliche
Rechtfertigung zu ersparen, abzuwarten ob mir eine Hand
entgegengestreckt wird oder nicht. Im übrigen mache ich mir darüber
keine Gedanken und ziehe keine Schlussfolgerungen, sondern bin der
Überzeugung, dass es jeder so handhaben sollte wie er es gerne möchte.
MM: Im größten Terrorismusprozess der
Bundesrepublik Deutschland seit Jahren verteidigen Sie ausgerechnet
einen Angeklagten, der sich geweigert hat vor einem deutschen Richter
aufzustehen mit der Begründung, er würde nur vor Allah aufstehen. Hat er
denn keine Schwierigkeiten, sich von einer Frau verteidigen zu lassen
und steht ihr Mandant wirklich nur vor Allah auf und begrüßt z.B. alle
seine Verwandten und Bekannten stets im Sitzen?
Lang: Ich habe schon einige u.a.
mutmaßliche Al-Qaida Mitglieder verteidigt, die sich alle ganz bewusst
für mich als Verteidigerin entschieden haben. Die meisten meiner
Mandanten sind sehr höflich und sprechen mein Geschlecht nicht an. Im
übrigen sind meine Mandanten in der Lage zu differenzieren, dass ich
nicht als Frau mit ihnen Kontakt habe, sondern im Rahmen meiner
Eigenschaft als Verteidigerin. Manche Mandanten wählen auch ganz bewusst
eine Frau.
Ich gehe davon aus, dass mein Mandant hinter
seiner religiösen Überzeugung steht, was uns allen als Privatpersonen
auch einen gewissen Respekt abverlangen sollte. Als Verteidigerin
empfehle ich meinem Mandanten selbstverständlich ein anderes Verhalten
und mache ihn auf die Konsequenzen aufmerksam. Ich sehe es allerdings
nicht als meine Aufgabe an meinen Mandanten in dieser Frage zu
“knechten“ oder Druck auf ihn auszuüben, sondern er allein entscheidet.
Die Begrüßung von Verwandten und das Aufstehen vor einem Gericht kann
meines Erachtens nicht vermischt werden.
Inzwischen wurde auch eine Lösung gefunden:
Mein Mandant wird erst immer in den Gerichtssaal hineingeführt, wenn
alle Prozessbeteiligten anwesend sind und schon sitzen.
MM: Der zuständige Richter hat aufgrund
des demonstrativen Sitzenbleibens eine Ordnungsstrafe von zwei Wochen
verhängt. Ist solch eine Strafe rechtlich zwingend notwendig oder hätte
er auch anders reagieren können? Und welche "erzieherische" Bedeutung
hat solch eine "Ordnungsstrafe" angesichts einer ohnehin schon
bestehenden eineinhalbjährigen Untersuchungshaft, weiteren zwei Jahren
Untersuchungshaft während des Prozessverlaufs und einer Strafandrohung
von über zehn Jahren? Würden dann am Ende noch zwei Wochen rangehängt
werden?
Lang: Nein, der Vorsitzende Richter
hätte das Verhalten meines Mandanten auch ignorieren können. Das
Verhalten des Vorsitzenden zeigt, dass es um einen gewissen
Autoritätsanspruch geht. Er will die Oberhand behalten und er gibt mit
harter Hand vor wie er gedenkt den Prozess zu führen und zu gestalten.
Die Untersuchungshaft wird für die Ordnungshaft unterbrochen. Es wurde
bereits mit dem Beschluss der Ordnungshaft die sofortige Vollziehung
angeordnet und die Untersuchungshaft unterbrochen. Die Ordnungshaft kann
nicht auf eine eventuelle Freiheitsstrafe angerechnet werden, im
Gegensatz zu der Untersuchungshaft. Ordnungshaft ist nur bis zu 2 Jahren
möglich.
Man sieht an den neusten Entwicklungen, dass
ein andere Handhabung durch das Gericht möglich ist. In den Niederlanden
hat ein Kollege, Mohammed Enaid, ein Urteil erstritten, indem ihm als
Rechtsanwalt und gläubiger Muslim zukünftig gestattet wird, sich nicht
mehr zu erheben, wenn das Gericht den Gerichtssaal betritt.
MM: Für den juristisch nicht so
versierten muslimischen Beobachter gibt es in diesem Fall einige
Geschehnisse, die sie nicht verstehen, weshalb wir um Nachsicht bitten,
wenn unsere Fragen zu naiv erscheinen. Ursprünglich galt auch in
Deutschland - selbst in solch spektakulären Fällen - die
Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung. Daher wurde
z.B. der vollständige Name der Betroffenen geschützt. Aber während wir
den Nachnamen Ihres Mandanten nicht ausschreiben, ist er in sämtlichen
Medien nachzulesen und wird zuweilen auch schon als Terrorist ohne den
Zusatz "mutmaßlich" bezeichnet. Ist die Justiz der medialen
Vorverurteilung gewachsen?
Lang: Ich hoffe.
MM: Etwas missverständlich erschien für manche
Zuschauer auch der Presseauftritt des Staatsanwaltes vor den
Fernsehkameras nach dem Prozessauftakt, da manche Formulierung wie eine
Tatsachenbehauptung gegen die Angeklagten erschien, die in dem
Prozessverlauf ja erst bewiesen werden soll. Sie selbst verfügen über
umfangreiche Medienerfahrungen. Warum gibt es in solch einer Situation
kaum eine kritische Stimme, die zu mehr Fairness und Rechtstaatlichkeit
selbst gegen Menschen aufruft, die solch schwerer Verbrechen beschuldigt
werden? Müsste sich ein Rechtsstaat idealerweise nicht gerade dadurch
auszeichnen, das er eben in keinster Weise vorverurteilt, weder medial,
noch von Seiten des Richters, noch von Seiten der Staatsanwaltschaft?
Lang: Die Vertreter des
Generalbundesanwalt sind aufgrund der Ermittlungen zu der Überzeugung
gelangt, dass es zu einer Verurteilung der Angeklagten kommen wird,
daher wurde auch Anklage erhoben.
MM: Ihr Mandant wird u.a. beschuldigt Mitglied
einer Terrororganisation zu sein, dessen Existenz selbst seriöse
deutsche Sicherheitskreise zumindest anzweifeln. Der Staatsanwalt geht
aber einen Schritt weiter und behauptet, dass jene Organisation zudem
Verbindungen zu al-Qaida hätte. Müsste nicht erst einmal nachgewiesen
werden, dass es jene Organisation tatsächlich gibt und falls das
geschehen sollte, wie kann man beweisen, dass jemand nicht Mitglied
jener Organisation sei? Wird hier nicht die Beweislast zuungunsten der
Angeklagten auf den Kopf gestellt?
Lang: Natürlich muss im Rahmen der
Beweisaufnahme nachgewiesen werden, dass die Organisation existiert und
sie Kontakte zu AQ hat. Hierbei stellt sich aber auch sofort die nächste
Frage: Inwieweit existiert AQ noch im Sinne einer terroristischen
Vereingung gemäß §§ 129 a, 129 b StGB.
MM: Eine weitere wichtige Rolle im Verfahren
spielen diverse V-Leute, die anscheinend weit mehr als eine unbedeutende
Mitläuferrolle eingenommen habe. Nehmen wir einmal an, dass nachgewiesen
wird, dass viele der Dinge, die Ihren Mandanten vorgeworfen werden, gar
nicht möglich gewesen wären ohne die V-Leute, welche Auswirkungen hätte
das auf den Prozessverlauf?
Lang: Sollte nachgewiesen werden, dass
durch V-Leute bestimmte strafbare Handlungen ermöglicht oder sogar
hervorgerufen wurden, muss sich das auf die Strafzumessung auswirken.
MM: Nach wie vor ist eines des Stützpfeiler der
freiheitlichen Grundordnung Deutschlands die Unabhängigkeit der Justiz.
Dennoch wird man den Eindruck nicht los, als wenn hier ein enormer
politischer Druck existieren könnte, auch um möglicherweise einige
Gesetzesvorhaben durchzubringen. Wie schätzen Sie die Situation
diesbezüglich ein?
Lang: Machiavelli hat bedauerlicherweise
bereits 1531 empfohlen: “Um die Machtausübung zu bewahren, ist es
notwendig, sich zu gewissen Zeiten des Terrors zu bedienen.“
MM: Wie kann sich eigentlich ein aus
vergleichsweise einfachen Verhältnissen stammender Mandant eine so
renommierte und sicherlich auch nicht kostengünstige Staranwältin
leisten?
Lang: Nachdem mein Mandant sich für mich
als Verteidigerin entschieden hat, habe ich beantragt, dass ich als
Pflichtverteidigerin beigeordnet werde. Dass heißt, dass der Staat meine
Pflichtverteidigergebühren bezahlt. Auch in meinem letzten
Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (135
Hauptverhandlungstage, Tatvorwurf Mitgliedschaft bei AQ) wurde ich als
Pflichtverteidigerin beigeordnet. Hier findet beim Bundesgerichtshof
aufgrund der Revision der Verteidiger mündliche
Revisionshauptverhandlung statt.
MM: Abschließende Frage: Welche Hoffnungen
verbinden Sie mit dem Verfahren?
Lang: Das best möglichste für meinen
Mandanten zu erreichen, denn nur diesem bin ich verpflichtet.
MM: Frau Lang, wir danken für das Interview
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