Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Kay Sokolowsky
 

Muslim-Markt interviewt
Kay Sokolowsky, Autor des Buches "Feindbild Moslem"

19.10.2009

Kay Sokolowsky (Jahrgang 1963) studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie. Er ist seit 1991 als freier Journalist (u. a. für junge Welt, Jungle World, konkret, taz und Frankfurter Rundschau), Redakteur und Buchautor tätig. Im Wintersemester 2002 leitete er als Gastdozent an der Universität Hamburg ein Seminar über die Neue Frankfurter Schule und ihre Folgen für die "Harald Schmidt Show".

Neben Film- und Buchkritiken, literarischen Arbeiten und satirischen Texten widmet er sich vor allem politischen und zeithistorischen Sujets. Über den latenten und offenen Rassismus in Deutschland hat er in Büchern wie "Lügner, Fälscher, Lumpenhunde" oder "Der Dolch im Gewande" sowie in der Zeitschrift konkret zahlreiche Beiträge veröffentlicht.

Sokolowsky wohnt mit seiner Lebensgefährtin in Hamburg. Er ist ein passionierter Hobbykoch, mag Computerspiele und hat keine Kinder.


Foto mit freundlicher Genehmigung von Martina Bendler

MM: Gemeinsam mit dem Autor Jürgen Roth haben Sie zwei Bücher über Verschwörungstheorien verfasst ("Wer steckt dahinter?" und "Der Dolch im Gewande"). Sind Sie ein Verschwörungstheoretiker?

Sokolowsky: Nein. Eher könnte man mich einen Verschwörungstheoretiker-Kritiker nennen. Das ist natürlich furchtbar umständlich und klingt ziemlich bescheuert. Mir fällt allerdings kein besserer Name für das ein, was Jürgen Roth und ich in unseren Büchern getrieben haben: Kritik der Verschwörungstheorie.

MM: Wie ist das zu verstehen?

Sokolowsky: Wir haben einerseits die realen, historisch belegten Komplotte untersucht - von der Ermordung Julius Caesars bis hin zu den Attentatsplänen der CIA gegen Fidel Castro. Andererseits haben wir uns die populärsten Verschwörungstheorien, die im Umlauf sind, vorgeknöpft. Ob es nun um die zahllosen Spekulationen rund um die Erschießung John F. Kennedys geht oder um "Die Protokolle der Weisen von Zion": Wir haben festgestellt, dass es sich bei so gut wie allen sogenannten Verschwörungstheorien in Wirklichkeit um Verschwörungsphantasien handelt.

Die Verschwörungstheoretiker arbeiten mit lauter Vermutungen, missverstandenen Fakten, Verdächtigungen und einer ziemlich abenteuerlichen Logik. Sie sind äußerst anfällig dafür, hinter dem Unheil - das es in der Welt tatsächlich gibt, und zwar in unerträglicher Menge - einen gewaltigen Masterplan von unendlich mächtigen Verbrechern zu vermuten. Aber all diese Verschwörungstheorien sind wie gigantische, bunt schillernde Seifenblasen: Sticht man hinein, platzen sie auf und hinterlassen einen schmierigen Fleck.

MM: Sie lassen jene Verschwörungstheorien aber nicht nur "aufplatzen", sondern weisen auch auf Probleme hin ...

Sokolowsky: Verschwörungstheorien sind enorm gefährlich. Indem sie bestimmten Gruppen von Menschen - am "beliebtesten" sind hier "die Juden" - unterstellen, hinter buchstäblich jeder Gemeinheit und jedem Verbrechen unserer Zeit zu stecken, vernebeln sie den Blick auf die Realität und schüren Vorurteile. Verschwörungstheorien sind in der Regel äußerst kompliziert gestrickt. Aber im Kern machen sie sich die Welt ganz einfach: Auf der einen Seite stehen die vielen Unschuldigen, die Millionen Unwissenden, die zur Schlachtbank geführt werden, und auf der anderen übermenschlich böse Kräfte, eine Clique von Superschurken, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Aber so einfach ist die Welt nun einmal nicht. Und wir werden die Probleme, die unser Planet hat, ganz bestimmt nicht lösen, indem wir uns einbilden, die wirklich entscheidenden Dinge würden allesamt im Geheimen ausgekungelt, und uns Bürgern bliebe nichts anderes übrig als auszubaden, was von den Superschurken in ihren Hinterzimmern ausbaldowert wird.

MM: Was bewegt jemanden, der über Harald Schmidt, Alice Schwarzer und Michael Moore schreibt, sich dem "Feindbild Muslim" zu widmen?

Sokolowsky: Das passt auf den ersten, sehr flüchtigen Blick in der Tat nicht zusammen. Doch so sprunghaft, wie es scheint, bin ich als Autor nicht. Obwohl mehrere Jahre vergangen sind, seit Jürgen Roth und ich unsere Bücher über Verschwörungstheorien veröffentlicht haben, behalte ich das Thema weiterhin im Auge. Und vor einiger Zeit ist mir aufgefallen, dass die Verschwörungsphantasie von den bösen Muslimen, die die ganze Menschheit unterjochen wollen, immer populärer wird, dass sie mittlerweile schrecklich erfolgreich ist.

Ein Buch über dieses Thema zu schreiben, über die Erschaffung eines Feindbilds namens Moslem, beschloss ich aber erst, nachdem ich mir vor etwa anderthalb Jahren sehr gründlich angesehen hatte, mit wie viel Verfolgungswahn, Menschenverachtung, Hass und Bosheit auf zahllosen Internet-Websites gegen Muslime in Deutschland gehetzt wird. Allen voran ist hier das Weblog "Politically Incorrect" zu nennen. Mir war vorher gar nicht bewusst, was für ein dumpfer, rassistischer Sumpf sich da gebildet hat, und mit welcher Unverschämtheit und Brutalität hier migrantenfeindlicher Dreck geschleudert wird. Nach dieser ersten Recherche zum Muslimhass in Deutschland war mir klar, dass ich mich hier als Autor einzumischen habe, dass ich meiner Empörung über diese widerliche Hetzerei Ausdruck verschaffen muss.

Aber mit der Empörung allein ist es ja nicht getan. Deshalb ist "Feindbild Moslem" ein Buch geworden, in dem haarklein nachgewiesen wird, warum der Muslimhass eine Form des Rassismus ist und weshalb die Behauptungen der Muslimhasser haltlos und niederträchtig sind. Ob sie nun Henryk M. Broder oder Ralph Giordano, Stefan Aust oder Necla Kelek heißen - sie alle malen an einem Alptraumgemälde, das "die Muslime" als größte Bedrohung der Deutschen, ja der ganzen Welt erscheinen lässt. Und sie haben, leider, bei sehr vielen deutschen Lesern enormen Erfolg mit ihren Übertreibungen, Unterstellungen und paranoiden Thesen.

MM: Waren Sie über das Ausmaß der Islamfeindlichkeit überrascht?

Sokolowsky: Mich entsetzt es, welcher Respekt diesen Leuten für ihre üblen Thesen gezollt wird, wie sie durch die Talkshows geradezu mit Händen getragen und mit Ehrungen überhäuft werden. Das ist ein Riesenskandal, über den so gut wie gar nicht geredet wird. Im Gegenteil - ein großer Teil der deutschen Medien und des deutschen Publikums ist Autoren wie Broder und Kelek geradezu dankbar für ihre Schmähungen und ihre Tiraden gegen Muslime. Sehr viele Deutsche haben ein großes Problem mit Menschen islamischen Glaubens. Aber sie wollen nicht hören, dass jedes Problem mindestens zwei Seiten hat. Viel lieber hören sie, dass an allen Problemen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen einzig und allein die Muslime schuld sind. Aber, wie schon gesagt: So einfach ist die Welt nicht. Und wer sie so einfach machen will, der führt nichts Gutes im Schilde, der will auch nicht, dass ein schlechter Zustand sich bessert, im Gegenteil. Hier werden Angst und Hass gesät, und die Saat geht auf. Die beklagenswerte Frau, die in Dresden ermordet wurde, nur weil sie Muslima war, wird nicht das letzte Opfer dieses Hasses sein, fürchte ich.

Bei der Recherche zu "Feindbild Moslem" traf ich übrigens auch wieder mit Aussagen der bekennenden Islamfeindin Alice Schwarzer zusammen. Über sie hatte ich vor zehn Jahren ein alles andere als freundliches Buch geschrieben und eigentlich gehofft, mich anschließend nie wieder mit dieser überschätzten, peinlichen Dame befassen zu müssen. Aber nicht jede Hoffnung wird erfüllt.

MM: Bestärkt Sie der Fall Sarrazin in Ihrer Publikation, die vor seinen Äußerungen veröffentlicht wurde?

Sokolowsky: Die ekelhaften Sprüche Thilo Sarrazins bestätigen das, was ich über Muslimhass schreibe, und sie bestärken mich auch darin, weiter gegen diese Form des Rassismus zu kämpfen. Aber gleichzeitig bin ich fassungslos darüber, wie dieser Mann mit den Halbwahrheiten und Lügen davonkommt, die er verbreitet. Wie weit muss die Feindseligkeit gegen die Muslime in Deutschland mittlerweile gediehen sein, wenn solch ein Brandstifter seinen Spitzenjob in einer Bundesbehörde behalten darf? Wenn weder die Bundeskanzlerin noch der Finanzminister es für nötig halten, sich energisch dagegen zu verwahren, dass ein Vorstandsmitglied der Bundesbank - ihr Angestellter! - solchen Unflat verbreitet, wenn sie überhaupt nichts dazu sagen, sondern stillschweigend dazu lächeln? Und wenn 51 Prozent der Deutschen glauben, er habe recht mit seinen Hetzsprüchen?

Die Situation, das habe ich am Fall Sarrazin gelernt, ist noch übler und bedrohlicher, als ich in meinem Buch beschrieben habe. Mir wäre es lieber, wenn ich sagen könnte: "Ach, Kay, da hast du aber übertrieben." Aber seit Sarrazin weiß ich, dass ich mit meiner Analyse eher untertrieben habe..

MM: Nun schreiben Sie selbst auch für Veröffentlichungen wie Jungle World und taz, die zumindest von einer ganzen Reihe von Muslimen als Muslimfeindlich eingestuft werden. In wie weit haben Sie auch ihre "Arbeitgeber" kritisiert?

Sokolowsky: Ich teile die Einschätzung nicht, dass diese Zeitungen muslimfeindlich sind. Muslime - ebenso wie Christen, Hindus oder Juden - sollten es aushalten können, wenn ihre Religion kritisch hinterfragt wird, wenn auf Unrecht hingewiesen und gefragt wird, ob dieses Unrecht politische oder religiöse Motive hat. Die Antworten in taz oder Jungle World fallen, denke ich, sehr differenziert aus. Stimmen die Antworten nicht, kann man ihnen in diesen Zeitungen widersprechen, es gibt dort keine einseitige "Blattlinie" wie einst im "Spiegel" unter dem muslimfeindlichen Chefredakteur Stefan Aust.

Ich bin sicher - und habe das in meinem Buch auch mehrmals geschrieben -, dass die allermeisten Muslime Gewalt, Fanatismus und Unterdrückung verabscheuen. Und ich bin ebenso sicher, dass die Redakteure der Jungle World oder der taz denken wie ich. Sonst könnte ich dort auch nicht mehr veröffentlichen. Es war die Jungle World, die einen Vorabdruck aus meinem Buch publizierte. Ein taz-Redakteur moderiert die Buchpremiere von "Feindbild Moslem". Würden bei diesen Zeitungen die Islamhasser das Sagen haben, hätten sie und ihre Redakteure mich und mein Buch ignoriert.

Um es auf den Punkt zu bringen: Muslimfeindschaft, wie Broder oder "Politically Incorrect" sie predigen, bedeutet, jedem gläubigen Muslim zu unterstellen, er sei ein Feind der Menschenrechte, der Aufklärung, der westlichen Werte, er sei ein Schmarotzer, ein Dieb, ein Betrüger, ein Sadist und potenzieller Terrorist. Das ist purer Rassismus und blanke Volksverhetzung. Davon handelt mein Buch. Aber solche Aussagen habe ich bis heute weder in der taz noch in der Jungle World gefunden. Diese Zeitungen bauen nicht am "Feindbild Moslem" mit. Und darum hatte ich auch keinen Grund, sie in meinem Buch zu kritisieren.

MM: Von "FAZ" bis "Spiegel" hingegen bleibt berechtigterweise kaum jemand ungeschoren bei der Aufzählung Ihrer Beispiele. Was kann aber Otto-Normal-Bürger, der eigentlich keine Feindseligkeit gegenüber seinen muslimischen Mitbürgern verspürt, gegen diese subtile Meinungsmache tun, um nicht davon beeinflusst zu werden?

Sokolowsky: Das ist die schwierigste Frage, die Sie mir stellen konnten. Wenn ich darauf nur eine patente Antwort wüsste. Wenn ich bloß wüsste, wie man gegen die permanente antimuslimische Stimmungsmache ankäme, die unsere Medien und leider auch die Politik beherrscht!

Ich denke, dass hier nur der eigene Verstand hilft. Gegen Vorurteile hilft nur, sich ein eigenes, realistisches Urteil zu bilden. Gegen die Angst vor dem Fremden, dem Anderen, dem Unbekannten hilft nur, das Unbekannte kennenzulernen, im Anderen erst einmal einen Menschen zu sehen, die Fremdheit durch Begegnung zu überwinden.

MM: Was kann das praktisch bedeuten?

Sokolowsky: Je besser die Deutschen mit deutschen Eltern ihre Mitbürger mit türkischen oder arabischen Eltern kennenlernen, desto weniger leicht werden sie auf das Gehetze der Muslimhasser hereinfallen. Statt ständig darauf zu schielen, wo sich die einen von den anderen Deutschen unterscheiden - und sie sind ja alle Deutsche, egal was sie glauben! -, sollten sie alle schauen, was sie verbindet. Denn das ist viel mehr als das, was sie trennt. Muslime wie Christen denken nicht pausenlos an Jesus oder Allah, sondern ebenso an ihren Arbeitsplatz, die Hypothek fürs Haus, die Erziehung der Kinder, die Reparatur des Autos, den Preis fürs Suppenhuhn. Es sind die Hassprediger, die den Blick auf diese alltäglichen Gemeinsamkeiten verblenden wollen - die Hassprediger in den Hinterhofmoscheen und die Hassprediger in den Medien wie Broder, Udo Ulfkotte, Necla Kelek oder Giordano. Und leider hört man in unseren Medien viel mehr von den Hasspredigern beider Seiten als von den Versöhnern.

Die Hassprediger wollen uns einreden, dass "der Andere" kein Mensch ist, sondern eine Bedrohung, eine Gefahr, ein Feind. Darauf dürfen wir nicht hereinfallen - egal, an welchen Gott wir glauben, ganz gleich, welche moralischen Vorstellungen uns leiten. Im selben Augenblick, in dem wir einen anderen Menschen nicht mehr als Menschen wahrnehmen, sondern nur noch als "den Muslim" oder "den Schweinefleischfresser", sind wir auch schon bereit, diesen Anderen zu vernichten. Denn wir erkennen ihn nicht mehr als Menschen, der leidet, der Schmerz empfindet, sondern nur noch als Stellvertreter eines Klischees. Und für Klischees haben wir kein Erbarmen und kein Mitgefühl. Klischees können wir quälen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Ohne Klischees gäbe es keine rassistischen Morde.

MM: Wie können wir denn aufeinander zugehen, wenn es doch auch Unterschiede gibt?

Sokolowsky: Wir müssen einander nicht überschwänglich lieben, wir müssen nicht alles toll und großartig finden, was der Mensch nebenan tut. Aber wir müssen uns als Menschen respektieren, uns gegenseitig ernst nehmen und miteinander reden.

Menschen werden niemals immer einer Meinung sein; ich finde es gut, wenn die Meinungen auseinandergehen. Es geht bei Diskussionen aber stets darum, den Anderen als Menschen zu achten. Seine Meinung zu respektieren. Über seine Worte nachzudenken, bevor man sie beurteilt. Wenn wir das tun, haben Hassprediger, egal woher sie stammen und welche Ideologie sie verbreiten, keine Chance mehr.

Es ist nichts Verwerfliches am Streit. Menschen können endlos miteinander streiten und dabei viele Tassen Kaffee trinken - miteinander! In jedem Streit steckt der Wunsch, zu einem gemeinsamen Ziel zu kommen, mag dies auch sehr, sehr lang dauern. Aber die Ideologen und Feindbildhauer wollen nicht streiten, sondern ein tiefes Zerwürfnis erzeugen. Sie wollen, dass die Parteien nicht mehr miteinander reden, sondern sich gegenseitig anschreien und diffamieren. Die Feindbildhauer sind primitive Köpfe, angst- und hasserfüllt. Von ihnen handelt mein Buch, von diesen Förderern der Angst und des Abscheus. Und vielleicht kann mein Buch dazu beitragen, dass "Otto-Normal-Bürger" nicht mehr so leicht auf Autoren wie Broder oder Necla Kelek hereinfällt oder auf Hassprediger wie Thilo Sarrazin. Dann hätte ich sehr viel erreicht.

MM: Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und danken für das Interview.

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