Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Peter Haisenko
 

Muslim-Markt interviewt
Peter Haisenko - Autor des Buches "England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert"
27.8.2010

Peter Haisenko ist 1952 als Staatenloser in München als Sohn von Kriegsflüchtlingen geboren. Sein russischer Vater war vor Stalins Verfolgung geflohen und seine Mutter, eine akademische Malerin, lebte vor ihrer Flucht vor der roten Armee in Dresden, das sie während des Feuersturms des 13. Februars 1945 verlassen hat. Peter Haisenko besuchte das Gymnasium und erlernte nebenbei die praktische Kunst des Zweiradmechanikers. Noch vor seinem Abitur, während seiner Arbeit im bei einem Verlag in Gräfelfing, baute er erste Kontakte zur Bücherwelt auf.

Nach dem Abitur hat Peter Haisenko bei der Lufthansa die Ausbildung zum Piloten absolviert und diesen Beruf 30 Jahre lang ausgeübt. Das gab ihm nicht nur die Gelegenheit, die ganze Welt aus eigenem Erleben zu erfahren, sondern hat ihm immer reichlich Zeit geschenkt, den vielen Fragen auf den Grund zu gehen, die seine Neugier und sein Wissensdurst beantwortet haben wollten. Zudem empfand er in den unterschiedlichen Wahrnehmungen an verschiedenen Orten der Welt eine Herausforderung für sich, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Flugdienst hat Peter Haisenko die Zeit genutzt, sich ganz seinen Forschungen der Geschichte zu widmen, wobei sein Schwerpunkt die Wirtschaftshistorie geworden ist. Als jahrzehntelang im Bereich Geschichtsforschung tätiger Autor hat Peter Haisenko soeben sein neuestes Buch veröffentlicht: „England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert – ein freies Wort zu einer Zeit mit Nachwirkungen.“ In seiner Analyse der internationalen politischen und Wirtschaftsbeziehungen seit dem Frankfurter Frieden von 1871 gibt es markante Hinweise: Zum Beispiel über den friedlichen Umgang von Muslimen, Juden und Christen, wie er über Jahrhunderte bestens funktionierte. Haisenko analysiert in seinem Werk präzise, wie, durch wen verstärkt und warum dieses friedliche Miteinander im Verlauf von zwei Weltkriegen zerbrach, wer davon profitierte und wer heute noch darunter leidet. Nach dem Werk "Bankraub globalisiert" ist dies sein zweites Buchprojekt.

Peter Haisenko ist verheiratet, hat erwachsene Kinder und lebt in München.

MM: Sehr geehrter Herr Haisenko, eine Frage vorab. Wie kam es, dass Sie als Sohn einer deutschen Mutter Staatenlos geboren sind? Und haben Sie jetzt eine Staatsbürgerschaft?

Haisenko: Die Rechtssituation war 1952 noch anders als heute. Damals galt in Deutschland nur die Staatsangehörigkeit des Vaters und mein Vater hatte als russischer Flüchtling den Status eines Staatenlosen zugewiesen bekommen. Ein Jahr später, 1953, konnte er die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben und ich wurde im zarten Alter von einem Jahr mit ihm zusammen deutscher Staatsangehöriger.

MM: Als Pilot haben Sie ausgerechnet jene Personen herumgeflogen, über die sie später geschrieben haben. Wie kam es zu ihrem ersten Buch?

Haisenko: Der Beruf als Pilot und Flugkapitän hat mir sehr viele Gelegenheiten geschenkt, Politiker und "Wirtschaftskapitäne" im Rahmen meiner Arbeit kennenzulernen. Besonders in der ziemlich intimen Atmosphäre an Bord eines Langstreckenfluges konnte ich erkennen, dass Rang und Namen kein Garant für besondere Qualifikationen oder gutes Benehmen sind. Andererseits gab es für mich oft die Möglichkeit, Informationen zu erhalten, die nicht für Jedermann zugänglich sind. Ich erkannte schnell, dass zwischen dem, was der Öffentlichkeit präsentiert wird, und der Wahrheit Welten liegen. Diese Erfahrungen, unterfüttert mit akribischen Recherchen, habe ich zu meinem ersten Buch "Bankraub globalisiert" zusammengefasst.

MM: Damals gab es die Begriffe "Bankenrettung" genau so wenig, wie die unvorstellbaren Zahlungen and die Banken. Was würden Sie heute zu ihrem Buch ergänzen?

Haisenko: Eigentlich nichts. Die Entwicklung der letzten Jahre bestätigt genau das, was ich in diesem Buch beschrieben habe. Die Akteure in der Finanzwelt sind nur noch skrupelloser geworden, weil auch sie erkannt haben, dass ihr weltweites Ausbeutungssystem an seine Grenzen gekommen ist. Alles, was zur Zeit auf den internationalen Finanzmärkten abläuft, steht unter der Überschrift: Noch schnell so viel wie möglich ergaunern, bevor das System zusammenbricht. Und ein weiteres Thema ist dominant, aber nur hinter verschlossenen Türen: Rettet Amerika und England! Diese beiden Länder werden die größten Probleme haben - bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen - sobald das System zusammenbricht, mit dessen Hilfe sie bis heute den Rest der Welt ausbeuten.

MM: Ihr neues Buch hat einen ungewöhnlichen Titel, in dem Sie einen Staat, ein Staatsvolk, eine Religionsgemeinschaft und eine Zeitepoche zusammenwerfen. wie ist das zu verstehen?

Haisenko: Mein neues Buch ist die logische Folge meines ersten Buchs. Wenn man erst einmal erkannt hat, in welchem Maß die Geschicke der Welt in den letzten fünf Jahrzehnten vom großen Kapital gelenkt worden sind, stellt sich die Frage, inwieweit das früher anders gewesen sein soll. Ich habe mich auf die Suche gemacht nach Motiven, die den Verlauf des 20. Jahrhunderts bestimmt haben - besonders unter wirtschaftlichen Aspekten, denn diese sind tatsächlich die treibende Kraft, wie heutzutage unschwer zu erkennen ist. Gier nach Profit und Macht nimmt keine Rücksicht auf Religion oder ethnische Eigenheiten. Im Verlauf meiner Recherchen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es um 1900 ein Land gab, das mit dem Rücken zur Wand stand: England, respektive das Britisch Empire. England war wirtschaftlich am Ende und drohte in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Durch geschickte Diplomatie, Drohungen und Lügen ist es England gelungen, den Verlauf des 20. Jahrhunderts zu seinen Gunsten zu steuern.

MM: Und was hat das mit Deutschland zu tun?

Haisenko: Das Deutsche Reich und das mit Deutschland befreundete Osmanische wurden als größte Bedrohung für die weltweite Macht des Britisch Empire erkannt und konsequent zum Hauptfeind erklärt - und vernichtet. Speziell der dem Osmanischen Reich völkerrechtswidrig entrissene Nahe und Mittlere Osten mit seinen Millionen Muslimen musste dauerhaft destabilisiert werden. Hierzu hat sich die englische Politik der Juden bedient, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Palästina herzlich willkommen geheißen worden waren. Sehr geschickt und skrupellos ist der Konflikt zwischen Juden und Arabern in Palästina hergestellt worden und damit hat England erreicht, dass die Aufmerksamkeit von England abgelenkt werden konnte - und es bis heute ist. Deswegen steht in meinem Titel England ganz oben. Danach kommen alle anderen, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts Opfer der imperialen Politik Englands geworden sind.

MM: Das ist der Blick in die Vergangenheit, aber was bedeutet das für die Gegenwart?

Haisenko: Ein weiterer Blick in die Vergangenheit muss schon noch sein. Im westlichen Bewusstsein ist vollkommen verloren gegangen, dass vor 100 Jahren gerade im Nahen Osten Christen, Muslime und Juden in Harmonie und Freundschaft zusammenlebten. Vor allem in Jerusalem ehrten sie Gott in enger räumlicher Nähe, jeder auf seine Weise. Das Wissen darum darf nicht in Vergessenheit geraten, denn es beweist, dass die modernen Konflikte zwischen unterschiedlichen Religionen keineswegs naturgegeben sind. Auch das Osmanische Reich war ein Hort religiöser Toleranz. Für die Gegenwart bedeutet das, dass die Menschen erkennen müssen, dass die plakative, scheinbar unüberwindbare Feindschaft zwischen Religionen künstlich hergestellt worden ist. Divide et impera ist das Motto des Britisch Empire - teile und herrsche. Ich bin der Überzeugung, dass die Anhänger der unterschiedlichen Religionen erst dann zurück zu friedlichem Miteinander finden werden, wenn sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass sie alle Opfer einer menschenverachtenden imperialen Politik geworden sind.

MM: Wie würden sie manche verbale "Ausfälle" mancher Topmanager und Journalisten gegen den Islam und die Muslime im eigenen Land in diesen Gesamtkontext einordnen?

Haisenko: Wie wollen Sie in einer Welt nach dem "Kalten Krieg" den Menschen verkaufen, dass sie weiterhin für eine unmäßige Rüstung bezahlen sollen? Wie wollen Sie die immer einschneidenderen Eingriffe in die persönliche Freiheit rechtfertigen, ja sogar die Außerkraftsetzung von elementaren Menschenrechten in den "Mutterländern der Demokratie"? Dazu muss ein mächtiges Feindbild geschaffen werden, welches geeignet ist, die Menschen in Angst und Schrecken zu halten. Die Topmanager und Journalisten, die das unterstützen, wissen genau was sie tun; und sie tun es entweder weil sie den Auftrag dazu haben oder weil sie ihre Pfründe und Geschäfte, wie zum Beispiel den Waffenhandel oder die Deutungshoheit über ihr Verständnis von Gerechtigkeit, nur auf diese Weise sichern können.

MM: Aber es wird ja nicht immer nur Handel betrieben, sondern zuweilen auch verhindert. Wie wäre z.B. die Embargopolitik gegen den Iran in diesen Zusammenhang einzuordnen?

Haisenko: Auch hier muss man ein wenig in die Geschichte blicken. Persien war 1952 auf dem besten Weg, eine moderne Demokratie zu werden. Aber weil der gewählte Präsident Mossadegh die 1944 von England geraubten Rechte auf das geförderte Öl zurückgeführt hat in die Hand des persischen Staats, wurde diese hoffnungsvolle Entwicklung auf Anforderung Englands von der CIA zerstört. Alles, was wir heute im Iran beklagen, ist eine Folge dieser englischen Politik. Schauen Sie sich die großen Konflikte unserer Zeit an: Es gibt kaum einen, der nicht auf englische Einflussnahme zurückzuführen ist. Persien gilt heute als das Mutterland des Islamismus. Dazu wäre es niemals gekommen, wenn die Entwicklung von 1952 nicht aus nackten kommerziellen Interessen zerstört worden wäre. Beispielhaft nenne ich hier noch einige Länder: Zypern, Afghanistan, Pakistan, Kaschmir, Indien, Bangladesch und Mittelamerika.

MM: Nun, das mit dem "Mutterland des Islamismus" lassen wir einmal unkommentiert stehen, da "Islamismus" ein undefinierter Begriff ist. Das größte Geld wird aber mit Zinsen gemacht, wie ist dem zu begegnen?

Haisenko: Nach dem Gesetz der Scharia ist es verboten, Zinsen zu nehmen, nach der Bibel übrigens auch. Nun ist es aber so, dass das westliche Finanzsystem darauf aufgebaut ist, Zinsen zu kassieren - teilweise in unanständiger Höhe. Die islamischen Staaten könnten aber bei zunehmendem wirtschaftlichen Erfolgen beweisen, dass Wirtschaft auch ohne dieses Zinssystem sehr gut funktionieren kann. Damit stellen diese Länder mit ihrem Beispiel ein riesiges Problem für die Glaubwürdigkeit des westlichen Systems dar und müssen deshalb verteufelt werden.

MM: Was kann aber der einzelne Bürger tun (außer Bücher zu schreiben), um der neuerlichen Gefahr zu begegnen?

Haisenko: Ich bin mir sicher, dass die große Mehrheit der Menschen ein ganz einfaches gemeinsames Ziel hat: In Frieden und Wohlstand leben - jeder nach seiner Fasson. Das war vor 100 Jahren das erklärte Ziel der Humanisten. Leider ist dieses Denken mit dem ersten Weltkrieg in Vergessenheit geraten. Man muss den Humanismus wiederbeleben und darf nicht mehr mitleidig darüber lächeln, wenn jemand den Weltfrieden fordert. Die Menschen müssen erkennen, dass Feindbilder immer zu irgendeinem Zweck hergestellt werden. Es geht dabei um Macht und Geld. Mit dieser Erkenntnis wird es den Menschen leichter fallen, echte Toleranz zu leben. Nicht der Islam ist die Gefahr, sondern diejenigen, die ihn zum Feind erklären. So friedlich, wie Muslime, Christen und Juden am Dönerstand gemeinsam essen, so friedlich sollen wir auch sonst miteinander umgehen.

MM: Und wie wollen wir das rein praktisch zumindest in unserer Heimat Deutschland erreichen, wenn die Stimmung auf allen Seiten von Tag zu Tag in eine hasserfülltere Atmosphäre geführt wird?

Haisenko: Da ist jeder Einzelne gefragt. Und ich meine wirklich jeden. Es reicht nicht aus, wenn Deutsche gegen die Politik Israels demonstrieren. Es ist ebenso notwendig, dass Muslime in Deutschland gegen Gewalt demonstrierten, die von Palästinensern ausgeht. Gewalt ist Gewalt und Ungerechtigkeit ist Ungerechtigkeit – von welcher Seite auch immer sie ausgeübt wird. Es darf keine heimliche Freude mehr geben, wenn dem vermeintlichen Gegner Schaden zugefügt worden ist. So sehr ich Verständnis habe für ohnmächtige Wut gegenüber einem vermeintlich übermächtigen Gegner, es muss ein Ende finden, dass eine Bluttat mit der anderen begründet wird. Ich würde es begrüßen, wenn in Deutschland Juden, Christen und Muslime gemeinsam auftreten und sich gegen jede Form von Gewalt im Nahen und Mittleren Osten und andernorts stellen. So sehe ich die Chance, den Zustand der Besatzung, Vertreibung und Unterdrückung in Palästina, die zweifelsfrei als Ursache für Gewalt erkannt worden ist, in ein friedliches Miteinander zu führen. .

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