MM: Sehr
geehrter Herr Dr. Meyer, wie kommt ein ehemaliger Leiter einer
Forschungsabteilung dazu Geigen zu bauen?
Dr. Meyer: Ich habe seit meinem siebten Jahr Geige gespielt aber
leider auf einem sehr schlechten Instrument. Ab meinem Flüchtlingsleben
bis nach dem Krieg habe ich zu meinem Bedauern kaum spielen können, habe
aber als Student dann wieder angefangen Stunden zu nehmen. Dann fiel ich
beim Skifahren auf meinen Daumen und konnte eine Weile nicht mehr
spielen. Ich wollte aber irgendwas mit Geigen zu tun haben und hatte
einen Mitarbeiter, der als Amateur gute Geigen baute. Das hat mich
ermutigt, aus Büchern zu lernen und danach habe ich 20 Jahre lang in
England ausgezeichnete Kurse besucht. Gerade durch die Physik war es
möglich, so viel von der Akustik von Geigen zu verstehen, dass ich
darüber in amerikanischen Fachzeitschriften veröffentlicht habe und
trotz des späten Anfangs dieses neuen Faches im Stande war, gute
Konzertgeigen zu bauen.
MM: Sie bauen aber nicht nur Geigen,
sondern schreiben auch Bücher und halten Vorträge. Ihr oft gehaltener
Vortrag "Zionismus – Entstehung, Aufstieg und Niedergang" führt
in Deutschland bei einem meist überraschten und teils verstörten
Publikum zu sehr kontroversen Reaktionen. Glauben Sie ernsthaft, dass
der Zionismus am Ende ist?
Dr. Meyer:
Ja ganz gewiss. Politologisch gehört
der Zionismus in die Klasse der eschatologischen Ideologien. Er ist also
eine Ideologie die einen Heilszustand erwartet, der aber erst dann
eintreten wird, wenn ein gewisser Feind vollständig vernichtet ist. Ob
der Feind nun alle Palästinenser, alle Araber oder gar alle Nichtjuden
bedeutet, ist vielleicht der einzige Unterschied, der noch innerhalb des
reell existierenden politischen Zionismus besteht. Er ist in dieser
Hinsicht also vergleichbar mit dem Bolschewismus, der auch untergegangen
ist, wie auch andere Ideologien, die zu dieser Klasse gehören.
Obendrein, ist durch den Holocaust eine Vielzahl der Juden, vor allem
der in Israel, paranoid geworden. In Israel hat das zu einer völlig
militarisierten Gesellschaft geführt, die vom Kindergarten bis zum Heer
ideologisch indoktriniert wird, was zu einer Entmenschlichung der
israelischen Gesellschaft geführt hat. Diese weitgehende
Entmenschlichung führt ihrerseits dazu, dass junge Israelis in den
besetzten Gebieten Verbrechen begehen, die durch nicht hundertprozentig
gelungene Gehirnwäsche zu posttraumatischem Stresssyndromen führt. An
diesem Syndrom leiden so viele junge Israelis, dass hierdurch die
Gesellschaft von innen heraus unterminiert wird.
MM: Einer ihrer Bücher trägt den Titel
"Das Ende des Judentums". Warum sollte der Zionismus in der Lage
sein, sich selbst und das Judentum gleichermaßen zu beenden?
Dr. Meyer: Der Zionistische Staat Israel, der vor einem guten
Jahr den grausamen Massenmord in Gaza ausgeübt hat, wobei unerlaubte
Mittel wie Phosphorbomben und den Boden vergiftende
Schwermetallgeschosse gebraucht wurden, nennt sich leider völlig zu
Unrecht "Jüdischer Staat". Es ist statistisch erwiesen, dass während
dieses Überfalls auf Gaza die Zahl der antisemitischen Vorfälle in
Europa mit einem Faktor vier angestiegen sind. Neben dieser Bedrohung
von außen gibt es auch noch eine Bedrohung des Judentums von innen
dadurch, dass immer noch sehr viele Juden meinen, dass man nicht jüdisch
sein kann ohne Zionist zu sein.
MM: Sie stellen in sehr prägnanten
Worten den Zionismus als unmenschliche Ideologie und damit im krassen
Widerspruch zum Humanismus des Judentums dar. Wie beschreiben Sie das
Wesen des wahren Judentums?
Dr. Meyer: Für mich ist das wahre
Judentum das - vor allem in Deutschland ab Ende des 19. Jahrhunderts bis
hin zur Hitler-Zeit entwickelte - Reformjudentum, das die mitmenschliche
Ethik völlig in das Zentrum dieses Judentums gesetzt hat. Die kürzeste
Charakterisierung findet man im dritten Buch Mose 19:34, wo unter
Verweis auf die Erlebnisse der Juden als Fremdlinge in Ägypten ausgesagt
wird, wie man sich Fremdlingen gegenüber im eigenen Land verhalten
sollte: Man sollte sie so behandeln als ob sie im eigenen Land geboren
wären. Genau diese Haltung wird auch ausgedrückt durch die so genannte
goldene Regel von Rabbi Hillel (100 v.Chr.) die lautet: "Was du nicht
willst dass man dir tue, das füg auch keinem anderen zu."
MM: Sie scheuen sich auch nicht, Ihre
Ansichten an die Bundeskanzlerin zu schreiben. Was erhoffen Sie sich von
der Bundesregierung?
Dr. Meyer: Es
gibt im holländischen ein schönes Sprichwort das sagt: "Es sind
gerade deine Freunde die dir deine Fehler zeigen." In diesem Sinn
ist die Bundesrepublik überhaupt kein Freund von Israel, weil sie jedes
Verbrechen dieses Staates gegen das humanitäre oder internationale Recht
nicht bemerkt, geschweige denn tadeln will. Dieses kontraproduktive
handeln gegenüber Israel wird verursacht von einem völlig zurecht
bestehenden Schuldgefühl, das jedoch gänzlich falsch interpretiert wird.
Hierdurch ist die Gefahr groß, dass Deutschland aufs neue mitschuldig
wird am Untergang eines weiteren Volkes nämlich das der Palästinenser.
Obendrein, wie ich bereits bemerkt habe, führt diese kritiklose Haltung
von Seiten Deutschlands und Europas dazu, dass die Gefahr groß ist, dass
Israel sich selbst vernichtet.
MM: Von zionistischer Seite wird ihnen
in sehr massiver und persönlicher Art vorgeworfen, dass Sie ein
Antisemit seien. Wie kann man den bei solchen Vorwürfen aufschreckenden
Normalbürger erläutern, dass ein Antizionist nicht das Gleiche ist, wie
ein Antisemit?
Dr. Meyer: Der Zionismus - daran
erinnere ich noch einmal - ist eine eschatologische politische
Ideologie. Er beruht leider auf völlig veralteten kolonialistischen
Ideen. Beinahe alle Zionisten heutzutage sind sich einig, dass das Ziel
des reell bestehenden politischen Zionismus daraus besteht, ganz
Palästina zu beherrschen mit einer minimalen Zahl von Palästinensern.
Das Judentum in der nach Moses Mendelssohn entwickelten Form (das
Reformjudentum) ist primär eine ethische Lehre in dem Zionismus
diametral gegenüber steht. Der Zionismus steht zu diesem Judentum, - das
für die meisten modernen Juden nicht mehr beinhaltet wie ein
gemeinschaftliches soziokulturelles Erbe -, wie der französische
Kolonialismus des vorigen Jahrhunderts, der weitermachen will mit der
Ausbeutung und Unterdrückung der Algerier, sich zur französischen Kultur
verhält. Ein anderer Vergleich, und vielleicht ein besserer wäre der,
des Bolschewismus zu russischen Kultur. Auch in der Sowjet-Zeit konnte
ein Anti-Bolschewist durchaus ein Liebhaber der russischen Kultur sein.
Auch beim Bolschewismus handelte es sich um eine eschatologische
politische Ideologie.
MM: Wenn Sie als Holocaust-Überlebender
von einer Holocaust-Religion sprechen, verstört es viele deutsche
Zuhörer. Kann man das nicht auch diplomatischer ausdrücken, damit die
Deutschen "mitkommen" können?
Dr. Meyer: Es tut mir aufrichtig leid,
aber wenn der Quasi-Hohepriester Wiesel sagt, dass Auschwitz nur mit
einem einzigen Ereignis vergleichbar ist und zwar der Offenbarung auf
dem Berg Sinai, dann macht Er doch den Vergleich mit der Religion. Warum
darf ich das nicht so nennen?
MM: Dennoch müssten Sie als
Auschwitzüberlebender doch ein besonderes Verständnis für die
Sensibilität der Deutschen bei diesem Thema haben. Wie können gerade
Deutsche ihre Solidarität mit Juden zum Ausdruck bringen?
Dr. Meyer: Das habe ich bereits erwähnt.
Gute Freunde zeigen einem, wo man Fehler macht. Die heutigen Antisemiten
sind diejenigen, denen kein einziges Wort von Kritik über die Lippen
kommen kann, auch nicht bei dramatischen humanitären Verbrechen wie
Phosphorbomben auf Gaza und die Schwermetallgeschosse. Sie sind darum
Antisemiten, weil sie die Juden wieder in eine Ausnahmeposition setzen.
Diesmal nicht weil alles, was ein Jude tut, darum schlecht ist, weil es
von einem Juden kommt, sondern darum weil man nach den
Hitler-Verbrechen, aus einem verständlichen, aber falsch interpretierten
Schuldgefühl heraus meint, man dürfe überhaupt keine einzige
Kritik mehr an einem Juden üben, wie groß die Verbrechen auch sind, die
Israel oder die Besatzungsarmee auch begehen mag. Das ist die heutige
Form des Antisemitismus. Man verwehrt den Juden das "normale
Menschsein".
MM: Die von Ihnen angeprangerte
Apartheid der Zionisten könnte doch in ähnlicher Weise überwunden
werden, wie einstmals in Südafrika. Glaubens Sie nicht an eine mögliche
gemeinsame Zukunft von Juden, Christen und Muslimen in Jerusalem?
Dr. Meyer: Ja, ganz gewiss könnte dies
passieren. Aber da muss erst Deutschland in aller erster Linie, und
weiter ganz Europa endlich die Anforderungen erfüllen, die der
EU-Assoziationsvertrag an das Betragen von Israel stellt. Ohne Druck auf
Israel und zwar auf allen Ebenen der Boykott, Abzug der Investitionen,
und Sanktions-Kampagnen wird sich nie etwas ändern, und werden die
Palästinenser und vielleicht auch Israelis und vielleicht sogar die
ganze Welt daran kaputtgehen.
MM: Erlauben Sie abschließend eine Frage
zu Ihrer neuen Wahlheimat Niederlande, dessen Staatsbürgerschaft Sie ja
auch haben. Den Medien zufolge gewinnt dort derzeit ein ausgewiesener
Zionistenfreund und Islamhasser eine Wahl nach der anderen. Wie
kommentieren Sie das als wahlberechtigter Bürger?
Dr. Meyer: Dies ist eine furchtbare
Situation die man historisch nur vergleichen kann mit den letzten
Monaten der Weimarer Republik, sehr ernst und sehr gefährlich also. Es
gibt da mehrere Vergleiche, wie zum Beispiel die ökonomische Krise nach
dem Zusammenbruch der Finanzwelt, die große Arbeitslosigkeit, die
politische Instabilität durch zu viel Parteien, die Islamophobie in der
ganzen westlichen Welt, die ja auch von vielen Seiten geschürt wird.
MM: Dr. Meyer, wir danken für das
Interview. |