MM: Sehr
geehrter Herr Steins. Ihr Lebenslauf wirkt wie aus einer vergangenen
Zeit. Sind denn Sozialismus und Kommunismus noch vermittelbar?
Steins: Weniger aus einer vergangenen
Zeit, eher aus einem durch die herrschende imperiale Hegemonie
ausgeblendeten gesellschaftlichen Diskurs. Wer heute in Deutschland als
Revolutionär oder auch nur als bürgerlicher Kritiker Fundamente der
herrschenden Mythen und Lehre in Frage stellt, wird aus dem offiziellen
Geistes- und Kulturleben und dem Medienbetrieb verbannt und sozial
deklassiert. Diese Repression erstreckt sich sowohl auf Intellektuelle
in den Wissenschaften, als auch auf die Bereiche Kunst und Kultur. Wenn
Sie bspw. einen Film über die Verbrechen der Stasi der DDR produzieren
wollen, werden Sie kein Problem haben, dafür ausreichend staatliche und
private Gelder zu erhalten. Wenn Sie hingegen versuchen würden ein
Filmprojekt über den zionistischen Mossad-Terror in Deutschland,
namentlich den Barschel-Mord (1987) zu realisieren, dann würden Sie ganz
schnell zur Persona non grata des öffentlichen Lebens degradiert werden.
Stalinismus und der sogenannte „Realsozialismus“ Marke DDR sind
natürlich heute nicht mehr vermittelbar, falls sie dies überhaupt je
waren. Was viele übersehen, dass die erste und radikalste Kritik am
Stalinismus bereits zu Zeiten seiner Entstehung durch
Sozialisten/Kommunisten formuliert wurde, welche die ersten Opfer dieser
blutigen Gewaltherrschaft wurden. Sozialismus, der sich an den
emanzipatorischen Grundlagen des Marxismus orientiert, ist auch
weiterhin Gegenstand und Grundlage des gesellschaftswissenschaftlichen
Diskurses und als Perspektive durchaus vermittelbar.
MM: Einer der Schwachpunkte einer vor
allem auf Wirtschaft konzentrierten Weltanschauung besteht aus
islamischer Sicht darin, dass sie - genau wie der kapitalistische
Materialismus - rein materialistisch orientiert ist, aber lebt denn der
Mensch von Brot allein?
Steins: Der Mensch lebt nicht vom Brot
allein, da haben Sie völlig Recht. Aber ob er Brot hat oder nicht,
determiniert den Handlungsspielraum des Menschen. Der Marxismus, der
wissenschaftliche Sozialismus ist bestrebt die materiellen Zusammenhänge
und Gesetzmäßigkeiten zu identifizieren, wie diese aus dem Verhältnis
von Individuen und Gesellschaften zu den Produktionsmitteln (Ressourcen
und Werte) erwachsen. Vor rund 10.000 Jahren begann der Mensch seine
Existenz als Nomade aufzugeben und sesshaft zu werden. Dafür gab es
einen objektiven, materiellen Grund: Die Population war mittlerweile
derart angewachsen, so dass sich die einzelnen Stämme/Sippen in ihrem
natürlichen Lebensraum in die Quere kamen, es gab als Nomaden nicht
länger für alle genügend Ressourcen an Nahrungsmitteln. Wollten Menschen
in dieser Situation überleben können, ohne sich täglich an den
Wasserstellen gegenseitig die Köpfe einschlagen zu müssen, so galt es
die Produktivkräfte zu erhöhen. Dies gelang durch Ackerbau und Viehzucht
und das hierfür beanspruchte Land konnte effektiver gegen äußere Feinde
gesichert und verteidigt werden.
MM: ... und welche Folgen hatte das
Ihrer Meinung nach?
Steins: Diese veränderten
materiellen Lebensgrundlagen des Menschen führten schließlich zu
weiteren Konsequenzen. Das Individuum konnte nun nicht länger die für
seine Existenz notwendigen Naturprodukte frei aus seinem natürlichen
Lebensraum beschaffen. Es gab jetzt Menschen, die Land besaßen (und
verteidigten) und die darauf produzierten Lebensmittel wurden jetzt zur
Ware. Das bedeutet, was früher je nach Jahreszeit irgendwo am Baum hing
und in ausreichendem Maße allen zur Verfügung stand, musste nun durch
Handel als produzierte Ware erworben werden. Somit etablierte sich ein
anderes stoffliches, materielles Verhältnis des Individuums zur Natur,
zu der Welt in welcher es lebte. Und es gab jetzt Menschen, die
Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel (Land, Ackerboden, Vieh und
Weideflächen etc.) ausübten und andere, die in diesem Verteilungskampf
um Ressourcen nicht so erfolgreich waren. Somit entstanden ökonomische
Klassen. Wenn sie dieses Grundprinzip identifiziert haben, dann haben
Sie bspw. auch die Antwort auf die Frage, warum der damalige US
Außenminister Colin Powell vor dem UNO-Sicherheitsrat im Februar 2003
über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak log und damit eine
weitere Eskalation des imperialen Krieges forcierte, dem im Irak seit
1990, durch Krieg und Sanktionen, über 2 Millionen Menschen zum Opfer
fielen - auch bekannt als "Blut für Öl".
Sozialismus ist also keine subjektive "rein
materialistische Weltanschauung", kein Dogma und keine Ideologie,
sondern vielmehr das Bestreben auf wissenschaftlicher Basis zu
ergründen, warum die Welt so ist wie sie ist und entsprechende
Lösungsansätze zu formulieren. Selbstverständlich gibt es eine
Wechselwirkung zwischen den objektiven materiellen äußeren Zwängen und
der subjektiven Rezeption der Realität durch das Individuum. Friedrich
Engels äußerte sich wie folgt: Die Materie ist nicht ein Erzeugnis des
Geistes, sondern der Geist ist selbst nur das höchste Produkt der
Materie.
MM: Wenn der Geist das höchste Produkt
der Materie wäre, oder - um es anders auszudrücken - der
Handlungsspielraum des Menschen allein dadurch determiniert ist, ob er
Brot hat oder nicht, wäre das nicht ein rein materielle Weltsicht und
ein rein materielles Menschenbild, in der die Opferbereitschaft der
Nächstenliebe keine Platz hätte? Warum sollte ein Mensch sich für etwas
aufopfern, sein zeit und seinen Lebenseinsatz z.B. für Werte wie
Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit widmen, wenn sein Handeln doch nur
die mehr oder weniger zwangsläufige Folge seiner Vorgeschichte ist -
sowohl individuell als auch kollektiv?
Steins: Ihrer Frage liegt wahrscheinlich
ein Missverständnis zu Grunde. Das Handeln des Menschen ist
auch nach sozialistischer Definition keineswegs eine "zwangsläufige
Folge seiner Vorgeschichte", vielmehr werden seinem Willen durch die
ökonomischen Rahmenbedingungen Grenzen gesetzt. Wissenschaftlicher
Sozialismus beschäftigt sich u.a. mit der Frage, welche Konsequenzen aus
den materiellen Verhältnissen erwachsen? Also bspw. welche Folgen es für
das menschliche Handeln hat, wenn lebensnotwendige Güter als Waren
gehandelt werden? Was macht das mit den Menschen, wenn die Klasse der
Kapitalisten die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ausübt und
die Klasse der Arbeiter bzw. Lohnabhängigen, um überleben zu können,
darauf angewiesen ist ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen? Welche
Konsequenzen erwachsen aus der Akkumulation von Kapital? Und welche
Gesetzmäßigkeiten lassen sich aus all dem ableiten? Ferner beschäftigt
sich Sozialismus mit der Frage, welche am Gemeinwohl orientierte
Ökonomie geeignet ist, das kapitalistische Verbrechen der Ausbeutung und
die katastrophalen Folgen der kapitalistischen Kapitalakkumulation für
Mensch, Natur und den Weltfrieden zu eliminieren?
Dabei bilden humanistische Werte, wie Sie diese
angesprochen haben, die Grundlage sozialistischer Philosophie und
Politik. Im Unterschied zur Religion fokussiert die Philosophie jedoch
nicht allein auf individuelle Moral und Einsicht, sondern befasst sich
vor allem auch mit der materiellen Realität und den aus dieser
erwachsenden Konsequenzen. Ein Beispiel: Ein Grossunternehmer, lassen
wir ihn Sportschuhe produzieren, entschließt sich, auf Kinderarbeit in
Asien zu verzichten und seinen Arbeitern Arbeitsbedingungen, Lohn und
Sozialleistungen etc. zu gewähren, wie diese in reichen Ländern als
akzeptabler Standard gelten. Dann hätten Sie zwar einen Kapitalisten
"bekehrt" und auf den rechten humanistischen Pfad gebracht, jedoch würde
dessen Unternehmen innerhalb kürzester Zeit vom Markt verschwinden, weil
dieses nicht mehr mit der billigeren Konkurrenz mithalten könnte. Im
Endeffekt wäre also das Problem der Ausbeutung für die betroffenen
Arbeiter nicht gelöst, da sie nach der Übernahme ihrer Betriebe durch
Konkurrenzunternehmen ja wieder zu den alten Bedingungen arbeiten
müssten.
MM: Ganz so einfach ist das islamische
Welt- und Wirtschaftmodell auch nicht. Im genannten Fall würde es eher
darauf setzen, dass ein "menschlich" geführtes Unternehmen durchaus
effektiver arbeiten kann als Sklaven und bei Hinwendung zur Wahrheit und
Liebe auch entsprechende "Hilfen" der Liebesquelle eintreten würden, was
zweifelsohne spirituelle Aspekte sind. Zudem würden Kunden, die
"menschenfreundlich" hergestellte Waren suchen, sie bei ihm beziehen,
was ja nicht allein bei Muslimen der Fall ist. Aber bestätigen Sie mit
obiger Darstellung nicht, dass der Sozialismus, wie Sie ihn vertreten,
letztendlich die spirituelle Komponente des Menschen völlig
unberücksichtig lässt?
Steins: Die sozialistische Exegese geht
von den historischen Erfahrungen aus, von der Entwicklung der
Menschheitsgeschichte. Daher heißt es im „Manifest der Kommunistischen
Partei“ von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahre 1848 u.a. auch:
„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von
Klassenkämpfen.“ Soll heißen, hier wird eine konkrete historische
Ausgangslage identifiziert, deren materielle Triebkräfte offenbar
stärker sind, als individueller Glaube und Vernunft. Das von Ihnen
skizzierte Szenario, humanistische und/oder spirituelle Produktion und
Konsum, funktioniert so lange, und da sind wir wieder schnell beim
historischen Materialismus, solange sich das Individuum eine solche
Orientierung bzw. Entscheidung auch leisten kann. Es werden im Handel
auch Lebensmittel aus sogenannter „fairem Handel“ angeboten, teilweise
auch biologisch angebaut und produziert und somit auch gesünder. Dem
durchschnittlichen Hartz IV-Empfänger mangelt es nicht an Ratio oder
spiritueller Inspiration - er wird diese Produkte dennoch nicht kaufen,
ganz einfach, weil er sich diese nicht leisten kann und schon genug
Sorge damit trägt, überhaupt zu überleben. Und dass er sich in dieser
Situation befindet, ist eine direkte Konsequenz der Kapitalakkumulation,
mithin der politische Ökonomie.
Erlauben Sie mir eine Frage meinerseits: Warum
wollen Sie ausschließen, dass die Realisierung humanistischer Werte, die
viele ernsthaft religiöse Menschen durchaus glaubwürdig vertreten, durch
die Auflösung ökonomischer Widersprüche auf der materiellen Ebene
nachhaltiger in Angriff genommen werden können? Warum sollte dies mit
Ihren metaphysischen Ansätzen im Widerspruch stehen?
MM: Die von niemandem bestrittenen
Widersprüche zu überwinden bedarf einer großen und umfassenden
Anstrengung, die letztendlich nur vom Individuum bzw. dem
Zusammenschluss von Individuen ausgehen kann, deren "Erfolge" zudem erst
eventuell die Enkel erfahren werden. Die damit einhergehende
Opferbereitschaft wäre somit aus individueller Sicht sinnlos, wenn ein
Mensch sich aufopfern soll, damit es anderen besser geht als zuvor, der
Einsatz für den Opferbereiten jedoch ausschließlich Nachteile bewirken
würde. Das genau ist die Methode der Unterdrückung aller
Unterrückungssysteme. Sie drohen mit "Nachteilen" für das Individuum -
schlimmstenfalls mit dem Verlust des eigenen Lebens. Erst die Erkenntnis
des ewigen Lebens ermöglicht es, jenes Unterdrückungssystem zu
überwinden. Allerdings kann man natürlich Menschen nicht ein ewiges
Leben "einreden", wenn es lediglich ein System zur Überwindung von
Unterdrückung wäre. Vielmehr hängt damit die Frage nach dem Sinn des
Lebens zusammen. Nur wenn es ein nachvollziehbares und transparentes und
vor allem ganzheitliches Daseinsziel gibt, das weit über das hiesige
Dasein hinausreicht - und solch ein Ziel kann eben nur der Schöpfer
bestimmen - dann können alle anderen Fragen nach Werten, Gerechtigkeit
usw. sinnvoll beantwortet werden. Eine weitere Vertiefung des Themas
würde möglicherweise den Rahmen eines solchen Interviews sprengen, aber
Ihre Gegenfrage und unsere nur stichwortartige Antwort darauf könnte ja
möglicherweise eine Anregung für einen systematischen Dialog zwischen
Vertretern des "Islam" und des "Sozialismus" sein, der dann z.B. in
Organen beider "Seiten" gemeinsam als Serie abgedruckt wird.
Doch zurück zu Ihrer Publikation. Das von Ihnen herausgegebene
sozialistische Internet-Magazin "Die Rote Fahne" kann mit vielerlei
Überraschungen aufwarten. Eine davon besteht darin, dass "Die Rote
Fahne" zweifelsohne zu den Zeitungen gehört, die am häufigsten Quellen
aus der Islamischen Republik Iran zitiert und zudem unverfälscht
wiedergibt. Wie passt das zusammen?
Steins: Neben den redaktionellen
Rubriken bietet "Die Rote Fahne" auch einen Bereich "presseticker". Dort
werden ähnlich wie bei Google-News Nachrichten-Teaser von
unterschiedlichen Nachrichtenagenturen und Redaktionen automatisch
stündlich eingespeist. Hierbei treffen wir eine Auswahl der sogenannten
News-Feeds dahingehend, dass der Leser einen möglichst konzentrierten
wie umfassenden Überblick über die nationale und internationale aktuelle
Nachrichtenlage erhält. Da der Iran, aufgrund eines möglichen imperialen
Krieges gegen das Land, im besonderen Fokus des Weltgeschehens steht,
gehören gerade auch Nachrichten bzw. Sichtweisen iranischer Agenturen zu
den relevanten Nachrichtenquellen. In besonderen Fällen werden Artikel
aus dem "presseticker" auch in den redaktionellen Teil übernommen,
entweder 1:1 oder redaktionell bearbeitet. Die Auswahl an Quellen für
den "presseticker" ist allerdings auch technisch bedingt - nicht jede
Redaktion bietet die technischen Voraussetzungen oder den Content in
deutscher Sprache an.
MM: Hier wollen wir aber nachhaken. Sie
bringen - zumindest zu unserer Überraschung - als einzige Zeitung die
Nachrichten der Reden Imam Chamene'is unverfälscht, so weit sie im
Deutschen erhältlich sind. Unabhängig davon, ob der Iran durch den
Imperialismus bedroht ist oder nicht, ist Imam Chamene'i als geistiges
Oberhaupt von Millionen von schiitischen Muslimen und auch einige
sunnitischen Muslimen, die ihn verehren, einer der wohl bekanntesten
Vertreter einer Ideologie, die zweifelsohne auch als antikommunistisch
eingestuft werden kann. Genügt es wirklich, dass man sich auf der
Schiene "Antiimperialismus" begegnet, wenn man doch so unterschiedliche
Ansatzpunkte und unterschiedliche Ziele hat?
Steins: Wenn Die Rote Fahne iranische
Agenturberichte, so wie zahlreiche andere auch, im Wortlaut wiedergibt,
dann bedeutet dies nicht, dass damit die Teilnahme an einem islamischen
Diskurs verbunden wäre. Nachrichten im Originalton aus dem Iran sind
deshalb für die Beurteilung der Weltlage von Bedeutung, weil in den
westlichen Mainstream-Medien vorwiegend Desinformationen bis hin zur
Fälschung von Übersetzungen kolportiert werden. Insofern dient die
Wiedergabe iranischer Positionen in deutscher Sprache hierzulande dazu,
der NATO-Kriegspropaganda das Leben etwas schwerer zu machen und einem
drohenden Krieg entgegen zu wirken. Wir betrachten dies zur
Gewährleistung eines seriösen Journalismus als selbstverständlich. Im
Übrigen stellt unser Google-News ähnlicher Service "presseticker" keine
Wertung der einzelnen Meldungen dar, sondern dient dazu, einen aktuellen
Überblick über die Nachrichtenlage zu erhalten.
MM: Zurück nach Deutschland. Sie werden mit
uns darin übereinstimmen, dass die von Ihnen vertretene "linke"
Vorstellung zur Zeit eher einen akademischen Diskurs durchlaufen kann,
als eine hinreichende Basis im Volk zu haben, um neben allen anderen,
die sich als "Links" verstehen, bei Wahlen aufzufallen. Worin besteht
Ihr Alternativangebot? Steins: Bei
Wahlen können meine Person und "Die Rote Fahne" nicht "auffallen", weil
es eine sozialistische Partei, wie ich sie anstrebe, nicht gibt. Sie
haben vollkommen Recht, dass dies derzeit eher ein akademischer Diskurs
ist. Eine Massenbasis im Volk hat derzeit keine philosophische und
politische Richtung oder Projekt jenseits des herrschenden,
pro-imperialen Mainstream. Aber immer mehr Menschen spüren, dass wir in
Deutschland und Europa vor einer Zeitenwende stehen. Fragen wie, "wird
der Euro halten?", "was wird dann aus der EU?", "geht die Epoche der
Nachkriegsordnung (des 2. Weltkriegs) langsam zu Ende?", und dergleichen
mehr beschäftigen zunehmend die Gesellschaft. Derzeit ist die
gesellschaftliche Option "links" durch die SED/PDS/Linke besetzt.
Vielleicht erinnern Sie sich, dass 2004 in Opposition zur SPD und zur
SED/PDS seinerzeit die WASG als Projekt entstand. Die Kritik lautete
damals vor allem, dass SPD und SED/PDS zu eng mit dem herrschenden
System verstrickt sind und keine wirkliche Opposition bieten. In 2007
schließlich vollzog die SED/PDS/Linke mit rund 2.000 der insgesamt rund
16.000 Mitglieder der WASG eine sog. "Fusion" zur sogenannten
"Linkspartei" und eliminierte damit das Projekt WASG. Spätestens wenn
die SED/PDS/Linke als Koalitionspartner in eine Bundesregierung eintritt
und dadurch vollends zur Kollaboration mit dem US-geführten
NATO-Imperium übergeht, wird sich wieder eine breitere gesellschaftliche
Debatte um eine neue sozialistische Partei entwickeln.
Das Problem momentan ist, dass keine
gesellschaftliche Kraft oder politisches Projekt in der Lage ist, auf
die genannten gesellschaftlichen Fragen und Herausforderungen konkrete
und umfassende Antworten zu geben. Aus diesem Umstand speist sich auch
die sogenannte "Politikverdrossenheit". Eine wachsende Zahl an Menschen
hat zwar bereits innerlich mit der alten Ordnung abgeschlossen - allein,
es mangelt an einem konkreten neuen Projekt als Perspektive, an einer
Vision für die Zukunft. Im Rahmen meiner Möglichkeiten bin ich bestrebt,
einerseits das Bewusstsein für die aktuellen und kommenden
Herausforderungen zu schärfen, als auch einen konstruktiven,
sozialistischen Diskurs zu beflügeln. Dabei geht es vor allem darum, die
Definition sozialistischer/kommunistischer Identität, Philosophie und
Politik der Deutungshoheit des sozialdemokratischen, als auch dem aus
Stalinismus und „Realsozialismus“ erwachsenen Lager zu entziehen und
wieder auf eine klassische sozialistische, emanzipatorische Grundlage zu
stellen.
MM: Andere Themen, bei der "Linke" jeder
Art nicht das Herz der Menschen erreichen, sind Begriffe wie Heimat und
Familie. Wie stehen Sie dazu? Steins:
Begriffe wie Heimat und Familie erlangen vor allem deswegen wieder
zunehmend an Bedeutung, weil die imperiale Doktrin der "New World Order"
(NWO) genau darauf abzielt, das kulturelle Selbstbestimmungsrecht von
Individuen und Nationen anzugreifen. Republikanischer Nationalstaat und
traditionelle Kulturnationen, damit korrespondierend gewachsene
kulturelle Strukturen ebenso wie nationale Rechtsnormen, bilden für das
Imperium Hemmnisse bei der Durchsetzung des globalen Marktes,
geopolitischer und geostrategischer Machtstrukturen - der Realisierung
des "One World Capitalism" unter der imperialen Diktatur. In diesem
Kontext ist dem Imperialismus der "Neuen Weltordnung" all das von
Nutzen, was die bestehenden nationalen Strukturen - Rechtsnormen,
Ökonomie und Kultur, letztlich auch territoriale Integrität, - zu
schwächen vermag und zu deren Desintegration beiträgt.
Sozialisten identifizieren heute jenes
Imperium, politisch durch die USA geführt, ökonomisch durch das
international organisierte Kapital kontrolliert, militärisch im Ausbau
der NATO zur globalen Gewalt konstituiert, ideologisch durch die
Faschismus-Variante Zionismus geprägt und in seiner Sektion Europa durch
eine neue imperiale, kapitalistische und antidemokratische Verfassung (aka
Vertrag von Lissabon) an die Macht geputscht. Auch die Auflösung
familiärer Strukturen, neuerdings sogar die Leugnung biologisch
determinierter Geschlechter, all diese faschistoiden ideologischen
Exzesse dienen dazu, den ungeschützten, imperialen Einheitssklaven zu
kreieren. Für Sozialisten sind der Schutz der Familie und der Heimat, im
Sinne des kulturellen Selbstbestimmungsrechts, eine
Selbstverständlichkeit.
MM: Herr Steins, wir danken für das
Interview. |