Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Stephan Steins
 

Muslim-Markt interviewt
Stephan Steins - Herausgeber des sozialistischen Magazins "Die Rote Fahne"
6.12.2010

Stephan Steins (Jahrgang 1960) ist Philosoph und Publizist und Herausgeber des sozialistischen Magazins "Die Rote Fahne". Er war in den 70er Jahren Mitglied und Funktionär in SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) und DKP (Deutsche Kommunistische Partei), war u.a. Vorsitzender der SDAJ Bad Homburg, assoziiertes Mitglied der SDAJ-Landesleitung Hessen, Landes- und Bundeslegierter der SDAJ und DKP.

Im Alter von 12 Jahren begann Steins sich nach eigenen Angaben Philosophie und Kunst zuzuwenden und mit praktischer Zeitungsarbeit. Zunächst gab er als Stufensprecher an seinem Gymnasium eine Schülerzeitung heraus, später zusammen mit der Ortsgruppe der SDAJ die lokale Jugendzeitung "Antrieb". Obwohl Steins durch die Partei (DKP) bereits zu einem subventionierten fünfjährigen Studium in Moskau und Ostberlin vorgesehen war, verlies er Ende der 70er Jahre, (parallel zum Umzug nach Berlin) DKP und SDAJ, da seiner Ansicht nach Grundlagen marxistischer Theorie und Praxis, insbesondere in Fragen sozialistischer Demokratie, in den Ländern des „"Realsozialismus", und somit auch in den Positionen von DKP und SDAJ zu weit auseinander klafften.

Im Jahr 1990 konstituierte sich die "KPD Initiative" zur Rekonstitution der gesamtdeutschen KPD (Kommunistische Partei Deutschlands). Es wurde ein ZK (Zentrales Koordinationskomitee) der KPD Initiative gebildet, in welchem Vertreter verschiedener namhafter sozialistischer/kommunistischer Parteien und Organisationen, sowie prominente Einzelpersönlichkeiten der Linken vertreten waren. Prominentestes Mitglied der alten KPD im ZK war der Philosoph Dr. Wolfgang Harich.

In den 90er Jahren studierte Steins einige Semester Philosophie an der Humboldt Universität zu Berlin. Auf Betreiben u.a. von Dr. Wolfgang Harich wurde Steins 1992 als Mitglied des ZK zum Projektleiter, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitung Die Rote Fahne gewählt und die Titelrechte auf Steins übertragen, woraufhin Die Rote Fahne ab August 1992 wieder erschien, seit dem Jahr 2000 als erste Zeitung in Deutschland als reines Internet-Magazin. 1993 bestätigte der Börsenverein des deutschen Buchhandels, dass die Rechte am Titel "Die Rote Fahne" beim Herausgeber Stephan Steins liegen.

Das "Berliner Manifest" verfasste Steins 1992 als Auftragsarbeit des ZK der KPD Initiative und befasst sich darin u.a. und befasst sich darin u.a. mit Mindestlohn und bedingungsloser Grundsicherung. Zudem wird im "Berliner Manifest" u.a. auch erstmals die internationale - imperiale - Entwicklung nach dem Zusammenbruch des sogenannten "Ostblocks" in Grundzügen skizziert, so ist dort u.a. vom sich bildenden "globalen kapitalistischen Imperium" die Rede. Vor allem in seinen Schriften "Die subjektive Linke überwinden - Grundsätze auf dem Weg zur neuen sozialistischen Partei" (2009) und "Imperiale Mythen und die Erneuerung sozialistischer Politik" (2010) bricht Steins radikal mit der alten, nach seiner Einschätzung subjektiven und anachronistischen Linken und entwickelt Grundlagen und Perspektiven für eine neue sozialistische Partei. Die Rote Fahne ist nach eigenen Angaben eine politische, keine kommerzielle Pressepublikation.

Im Brotberuf arbeitet Steins u.a. als Publizist für verschiedene Agenturen. Stephan Steins ist ledig, lebt und arbeitet in Berlin, Amsterdam und Brugge.

MM: Sehr geehrter Herr Steins. Ihr Lebenslauf wirkt wie aus einer vergangenen Zeit. Sind denn Sozialismus und Kommunismus noch vermittelbar?

Steins: Weniger aus einer vergangenen Zeit, eher aus einem durch die herrschende imperiale Hegemonie ausgeblendeten gesellschaftlichen Diskurs. Wer heute in Deutschland als Revolutionär oder auch nur als bürgerlicher Kritiker Fundamente der herrschenden Mythen und Lehre in Frage stellt, wird aus dem offiziellen Geistes- und Kulturleben und dem Medienbetrieb verbannt und sozial deklassiert. Diese Repression erstreckt sich sowohl auf Intellektuelle in den Wissenschaften, als auch auf die Bereiche Kunst und Kultur. Wenn Sie bspw. einen Film über die Verbrechen der Stasi der DDR produzieren wollen, werden Sie kein Problem haben, dafür ausreichend staatliche und private Gelder zu erhalten. Wenn Sie hingegen versuchen würden ein Filmprojekt über den zionistischen Mossad-Terror in Deutschland, namentlich den Barschel-Mord (1987) zu realisieren, dann würden Sie ganz schnell zur Persona non grata des öffentlichen Lebens degradiert werden. Stalinismus und der sogenannte Realsozialismus Marke DDR sind natürlich heute nicht mehr vermittelbar, falls sie dies überhaupt je waren. Was viele übersehen, dass die erste und radikalste Kritik am Stalinismus bereits zu Zeiten seiner Entstehung durch Sozialisten/Kommunisten formuliert wurde, welche die ersten Opfer dieser blutigen Gewaltherrschaft wurden. Sozialismus, der sich an den emanzipatorischen Grundlagen des Marxismus orientiert, ist auch weiterhin Gegenstand und Grundlage des gesellschaftswissenschaftlichen Diskurses und als Perspektive durchaus vermittelbar.

MM: Einer der Schwachpunkte einer vor allem auf Wirtschaft konzentrierten Weltanschauung besteht aus islamischer Sicht darin, dass sie - genau wie der kapitalistische Materialismus - rein materialistisch orientiert ist, aber lebt denn der Mensch von Brot allein?

Steins: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, da haben Sie völlig Recht. Aber ob er Brot hat oder nicht, determiniert den Handlungsspielraum des Menschen. Der Marxismus, der wissenschaftliche Sozialismus ist bestrebt die materiellen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten zu identifizieren, wie diese aus dem Verhältnis von Individuen und Gesellschaften zu den Produktionsmitteln (Ressourcen und Werte) erwachsen. Vor rund 10.000 Jahren begann der Mensch seine Existenz als Nomade aufzugeben und sesshaft zu werden. Dafür gab es einen objektiven, materiellen Grund: Die Population war mittlerweile derart angewachsen, so dass sich die einzelnen Stämme/Sippen in ihrem natürlichen Lebensraum in die Quere kamen, es gab als Nomaden nicht länger für alle genügend Ressourcen an Nahrungsmitteln. Wollten Menschen in dieser Situation überleben können, ohne sich täglich an den Wasserstellen gegenseitig die Köpfe einschlagen zu müssen, so galt es die Produktivkräfte zu erhöhen. Dies gelang durch Ackerbau und Viehzucht und das hierfür beanspruchte Land konnte effektiver gegen äußere Feinde gesichert und verteidigt werden.

MM: ... und welche Folgen hatte das Ihrer Meinung nach?

Steins: Diese veränderten materiellen Lebensgrundlagen des Menschen führten schließlich zu weiteren Konsequenzen. Das Individuum konnte nun nicht länger die für seine Existenz notwendigen Naturprodukte frei aus seinem natürlichen Lebensraum beschaffen. Es gab jetzt Menschen, die Land besaßen (und verteidigten) und die darauf produzierten Lebensmittel wurden jetzt zur Ware. Das bedeutet, was früher je nach Jahreszeit irgendwo am Baum hing und in ausreichendem Maße allen zur Verfügung stand, musste nun durch Handel als produzierte Ware erworben werden. Somit etablierte sich ein anderes stoffliches, materielles Verhältnis des Individuums zur Natur, zu der Welt in welcher es lebte. Und es gab jetzt Menschen, die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel (Land, Ackerboden, Vieh und Weideflächen etc.) ausübten und andere, die in diesem Verteilungskampf um Ressourcen nicht so erfolgreich waren. Somit entstanden ökonomische Klassen. Wenn sie dieses Grundprinzip identifiziert haben, dann haben Sie bspw. auch die Antwort auf die Frage, warum der damalige US Außenminister Colin Powell vor dem UNO-Sicherheitsrat im Februar 2003 über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak log und damit eine weitere Eskalation des imperialen Krieges forcierte, dem im Irak seit 1990, durch Krieg und Sanktionen, über 2 Millionen Menschen zum Opfer fielen - auch bekannt als "Blut für Öl".

Sozialismus ist also keine subjektive "rein materialistische Weltanschauung", kein Dogma und keine Ideologie, sondern vielmehr das Bestreben auf wissenschaftlicher Basis zu ergründen, warum die Welt so ist wie sie ist und entsprechende Lösungsansätze zu formulieren. Selbstverständlich gibt es eine Wechselwirkung zwischen den objektiven materiellen äußeren Zwängen und der subjektiven Rezeption der Realität durch das Individuum. Friedrich Engels äußerte sich wie folgt: Die Materie ist nicht ein Erzeugnis des Geistes, sondern der Geist ist selbst nur das höchste Produkt der Materie.

MM: Wenn der Geist das höchste Produkt der Materie wäre, oder - um es anders auszudrücken - der Handlungsspielraum des Menschen allein dadurch determiniert ist, ob er Brot hat oder nicht, wäre das nicht ein rein materielle Weltsicht und ein rein materielles Menschenbild, in der die Opferbereitschaft der Nächstenliebe keine Platz hätte? Warum sollte ein Mensch sich für etwas aufopfern, sein zeit und seinen Lebenseinsatz z.B. für Werte wie Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit widmen, wenn sein Handeln doch nur die mehr oder weniger zwangsläufige Folge seiner Vorgeschichte ist - sowohl individuell als auch kollektiv?

Steins: Ihrer Frage liegt wahrscheinlich ein Missverständnis zu Grunde. Das Handeln des Menschen ist auch nach sozialistischer Definition keineswegs eine "zwangsläufige Folge seiner Vorgeschichte", vielmehr werden seinem Willen durch die ökonomischen Rahmenbedingungen Grenzen gesetzt. Wissenschaftlicher Sozialismus beschäftigt sich u.a. mit der Frage, welche Konsequenzen aus den materiellen Verhältnissen erwachsen? Also bspw. welche Folgen es für das menschliche Handeln hat, wenn lebensnotwendige Güter als Waren gehandelt werden? Was macht das mit den Menschen, wenn die Klasse der Kapitalisten die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ausübt und die Klasse der Arbeiter bzw. Lohnabhängigen, um überleben zu können, darauf angewiesen ist ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen? Welche Konsequenzen erwachsen aus der Akkumulation von Kapital? Und welche Gesetzmäßigkeiten lassen sich aus all dem ableiten? Ferner beschäftigt sich Sozialismus mit der Frage, welche am Gemeinwohl orientierte Ökonomie geeignet ist, das kapitalistische Verbrechen der Ausbeutung und die katastrophalen Folgen der kapitalistischen Kapitalakkumulation für Mensch, Natur und den Weltfrieden zu eliminieren?

Dabei bilden humanistische Werte, wie Sie diese angesprochen haben, die Grundlage sozialistischer Philosophie und Politik. Im Unterschied zur Religion fokussiert die Philosophie jedoch nicht allein auf individuelle Moral und Einsicht, sondern befasst sich vor allem auch mit der materiellen Realität und den aus dieser erwachsenden Konsequenzen. Ein Beispiel: Ein Grossunternehmer, lassen wir ihn Sportschuhe produzieren, entschließt sich, auf Kinderarbeit in Asien zu verzichten und seinen Arbeitern Arbeitsbedingungen, Lohn und Sozialleistungen etc. zu gewähren, wie diese in reichen Ländern als akzeptabler Standard gelten. Dann hätten Sie zwar einen Kapitalisten "bekehrt" und auf den rechten humanistischen Pfad gebracht, jedoch würde dessen Unternehmen innerhalb kürzester Zeit vom Markt verschwinden, weil dieses nicht mehr mit der billigeren Konkurrenz mithalten könnte. Im Endeffekt wäre also das Problem der Ausbeutung für die betroffenen Arbeiter nicht gelöst, da sie nach der Übernahme ihrer Betriebe durch Konkurrenzunternehmen ja wieder zu den alten Bedingungen arbeiten müssten.

MM: Ganz so einfach ist das islamische Welt- und Wirtschaftmodell auch nicht. Im genannten Fall würde es eher darauf setzen, dass ein "menschlich" geführtes Unternehmen durchaus effektiver arbeiten kann als Sklaven und bei Hinwendung zur Wahrheit und Liebe auch entsprechende "Hilfen" der Liebesquelle eintreten würden, was zweifelsohne spirituelle Aspekte sind. Zudem würden Kunden, die "menschenfreundlich" hergestellte Waren suchen, sie bei ihm beziehen, was ja nicht allein bei Muslimen der Fall ist. Aber bestätigen Sie mit obiger Darstellung nicht, dass der Sozialismus, wie Sie ihn vertreten, letztendlich die spirituelle Komponente des Menschen völlig unberücksichtig lässt?

Steins: Die sozialistische Exegese geht von den historischen Erfahrungen aus, von der Entwicklung der Menschheitsgeschichte. Daher heißt es im „Manifest der Kommunistischen Partei“ von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahre 1848 u.a. auch: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Soll heißen, hier wird eine konkrete historische Ausgangslage identifiziert, deren materielle Triebkräfte offenbar stärker sind, als individueller Glaube und Vernunft. Das von Ihnen skizzierte Szenario, humanistische und/oder spirituelle Produktion und Konsum, funktioniert so lange, und da sind wir wieder schnell beim historischen Materialismus, solange sich das Individuum eine solche Orientierung bzw. Entscheidung auch leisten kann. Es werden im Handel auch Lebensmittel aus sogenannter „fairem Handel“ angeboten, teilweise auch biologisch angebaut und produziert und somit auch gesünder. Dem durchschnittlichen Hartz IV-Empfänger mangelt es nicht an Ratio oder spiritueller Inspiration - er wird diese Produkte dennoch nicht kaufen, ganz einfach, weil er sich diese nicht leisten kann und schon genug Sorge damit trägt, überhaupt zu überleben. Und dass er sich in dieser Situation befindet, ist eine direkte Konsequenz der Kapitalakkumulation, mithin der politische Ökonomie.

Erlauben Sie mir eine Frage meinerseits: Warum wollen Sie ausschließen, dass die Realisierung humanistischer Werte, die viele ernsthaft religiöse Menschen durchaus glaubwürdig vertreten, durch die Auflösung ökonomischer Widersprüche auf der materiellen Ebene nachhaltiger in Angriff genommen werden können? Warum sollte dies mit Ihren metaphysischen Ansätzen im Widerspruch stehen?

MM: Die von niemandem bestrittenen Widersprüche zu überwinden bedarf einer großen und umfassenden Anstrengung, die letztendlich nur vom Individuum bzw. dem Zusammenschluss von Individuen ausgehen kann, deren "Erfolge" zudem erst eventuell die Enkel erfahren werden. Die damit einhergehende Opferbereitschaft wäre somit aus individueller Sicht sinnlos, wenn ein Mensch sich aufopfern soll, damit es anderen besser geht als zuvor, der Einsatz für den Opferbereiten jedoch ausschließlich Nachteile bewirken würde. Das genau ist die Methode der Unterdrückung aller Unterrückungssysteme. Sie drohen mit "Nachteilen" für das Individuum - schlimmstenfalls mit dem Verlust des eigenen Lebens. Erst die Erkenntnis des ewigen Lebens ermöglicht es, jenes Unterdrückungssystem zu überwinden. Allerdings kann man natürlich Menschen nicht ein ewiges Leben "einreden", wenn es lediglich ein System zur Überwindung von Unterdrückung wäre. Vielmehr hängt damit die Frage nach dem Sinn des Lebens zusammen. Nur wenn es ein nachvollziehbares und transparentes und vor allem ganzheitliches Daseinsziel gibt, das weit über das hiesige Dasein hinausreicht - und solch ein Ziel kann eben nur der Schöpfer bestimmen - dann können alle anderen Fragen nach Werten, Gerechtigkeit usw. sinnvoll beantwortet werden. Eine weitere Vertiefung des Themas würde möglicherweise den Rahmen eines solchen Interviews sprengen, aber Ihre Gegenfrage und unsere nur stichwortartige Antwort darauf könnte ja möglicherweise eine Anregung für einen systematischen Dialog zwischen Vertretern des "Islam" und des "Sozialismus" sein, der dann z.B. in Organen beider "Seiten" gemeinsam als Serie abgedruckt wird.

Doch zurück zu Ihrer Publikation. Das von Ihnen herausgegebene sozialistische Internet-Magazin "Die Rote Fahne" kann mit vielerlei Überraschungen aufwarten. Eine davon besteht darin, dass "Die Rote Fahne" zweifelsohne zu den Zeitungen gehört, die am häufigsten Quellen aus der Islamischen Republik Iran zitiert und zudem unverfälscht wiedergibt. Wie passt das zusammen?

Steins: Neben den redaktionellen Rubriken bietet "Die Rote Fahne" auch einen Bereich "presseticker". Dort werden ähnlich wie bei Google-News Nachrichten-Teaser von unterschiedlichen Nachrichtenagenturen und Redaktionen automatisch stündlich eingespeist. Hierbei treffen wir eine Auswahl der sogenannten News-Feeds dahingehend, dass der Leser einen möglichst konzentrierten wie umfassenden Überblick über die nationale und internationale aktuelle Nachrichtenlage erhält. Da der Iran, aufgrund eines möglichen imperialen Krieges gegen das Land, im besonderen Fokus des Weltgeschehens steht, gehören gerade auch Nachrichten bzw. Sichtweisen iranischer Agenturen zu den relevanten Nachrichtenquellen. In besonderen Fällen werden Artikel aus dem "presseticker" auch in den redaktionellen Teil übernommen, entweder 1:1 oder redaktionell bearbeitet. Die Auswahl an Quellen für den "presseticker" ist allerdings auch technisch bedingt - nicht jede Redaktion bietet die technischen Voraussetzungen oder den Content in deutscher Sprache an.

MM: Hier wollen wir aber nachhaken. Sie bringen - zumindest zu unserer Überraschung - als einzige Zeitung die Nachrichten der Reden Imam Chamene'is unverfälscht, so weit sie im Deutschen erhältlich sind. Unabhängig davon, ob der Iran durch den Imperialismus bedroht ist oder nicht, ist Imam Chamene'i als geistiges Oberhaupt von Millionen von schiitischen Muslimen und auch einige sunnitischen Muslimen, die ihn verehren, einer der wohl bekanntesten Vertreter einer Ideologie, die zweifelsohne auch als antikommunistisch eingestuft werden kann. Genügt es wirklich, dass man sich auf der Schiene "Antiimperialismus" begegnet, wenn man doch so unterschiedliche Ansatzpunkte und unterschiedliche Ziele hat?

Steins: Wenn Die Rote Fahne iranische Agenturberichte, so wie zahlreiche andere auch, im Wortlaut wiedergibt, dann bedeutet dies nicht, dass damit die Teilnahme an einem islamischen Diskurs verbunden wäre. Nachrichten im Originalton aus dem Iran sind deshalb für die Beurteilung der Weltlage von Bedeutung, weil in den westlichen Mainstream-Medien vorwiegend Desinformationen bis hin zur Fälschung von Übersetzungen kolportiert werden. Insofern dient die Wiedergabe iranischer Positionen in deutscher Sprache hierzulande dazu, der NATO-Kriegspropaganda das Leben etwas schwerer zu machen und einem drohenden Krieg entgegen zu wirken. Wir betrachten dies zur Gewährleistung eines seriösen Journalismus als selbstverständlich. Im Übrigen stellt unser Google-News ähnlicher Service "presseticker" keine Wertung der einzelnen Meldungen dar, sondern dient dazu, einen aktuellen Überblick über die Nachrichtenlage zu erhalten.

MM: Zurück nach Deutschland. Sie werden mit uns darin übereinstimmen, dass die von Ihnen vertretene "linke" Vorstellung zur Zeit eher einen akademischen Diskurs durchlaufen kann, als eine hinreichende Basis im Volk zu haben, um neben allen anderen, die sich als "Links" verstehen, bei Wahlen aufzufallen. Worin besteht Ihr Alternativangebot?

Steins: Bei Wahlen können meine Person und "Die Rote Fahne" nicht "auffallen", weil es eine sozialistische Partei, wie ich sie anstrebe, nicht gibt. Sie haben vollkommen Recht, dass dies derzeit eher ein akademischer Diskurs ist. Eine Massenbasis im Volk hat derzeit keine philosophische und politische Richtung oder Projekt jenseits des herrschenden, pro-imperialen Mainstream. Aber immer mehr Menschen spüren, dass wir in Deutschland und Europa vor einer Zeitenwende stehen. Fragen wie, "wird der Euro halten?", "was wird dann aus der EU?", "geht die Epoche der Nachkriegsordnung (des 2. Weltkriegs) langsam zu Ende?", und dergleichen mehr beschäftigen zunehmend die Gesellschaft. Derzeit ist die gesellschaftliche Option "links" durch die SED/PDS/Linke besetzt. Vielleicht erinnern Sie sich, dass 2004 in Opposition zur SPD und zur SED/PDS seinerzeit die WASG als Projekt entstand. Die Kritik lautete damals vor allem, dass SPD und SED/PDS zu eng mit dem herrschenden System verstrickt sind und keine wirkliche Opposition bieten. In 2007 schließlich vollzog die SED/PDS/Linke mit rund 2.000 der insgesamt rund 16.000 Mitglieder der WASG eine sog. "Fusion" zur sogenannten "Linkspartei" und eliminierte damit das Projekt WASG. Spätestens wenn die SED/PDS/Linke als Koalitionspartner in eine Bundesregierung eintritt und dadurch vollends zur Kollaboration mit dem US-geführten NATO-Imperium übergeht, wird sich wieder eine breitere gesellschaftliche Debatte um eine neue sozialistische Partei entwickeln.

Das Problem momentan ist, dass keine gesellschaftliche Kraft oder politisches Projekt in der Lage ist, auf die genannten gesellschaftlichen Fragen und Herausforderungen konkrete und umfassende Antworten zu geben. Aus diesem Umstand speist sich auch die sogenannte "Politikverdrossenheit". Eine wachsende Zahl an Menschen hat zwar bereits innerlich mit der alten Ordnung abgeschlossen - allein, es mangelt an einem konkreten neuen Projekt als Perspektive, an einer Vision für die Zukunft. Im Rahmen meiner Möglichkeiten bin ich bestrebt, einerseits das Bewusstsein für die aktuellen und kommenden Herausforderungen zu schärfen, als auch einen konstruktiven, sozialistischen Diskurs zu beflügeln. Dabei geht es vor allem darum, die Definition sozialistischer/kommunistischer Identität, Philosophie und Politik der Deutungshoheit des sozialdemokratischen, als auch dem aus Stalinismus und Realsozialismus erwachsenen Lager zu entziehen und wieder auf eine klassische sozialistische, emanzipatorische Grundlage zu stellen.

MM: Andere Themen, bei der "Linke" jeder Art nicht das Herz der Menschen erreichen, sind Begriffe wie Heimat und Familie. Wie stehen Sie dazu?

Steins: Begriffe wie Heimat und Familie erlangen vor allem deswegen wieder zunehmend an Bedeutung, weil die imperiale Doktrin der "New World Order" (NWO) genau darauf abzielt, das kulturelle Selbstbestimmungsrecht von Individuen und Nationen anzugreifen. Republikanischer Nationalstaat und traditionelle Kulturnationen, damit korrespondierend gewachsene kulturelle Strukturen ebenso wie nationale Rechtsnormen, bilden für das Imperium Hemmnisse bei der Durchsetzung des globalen Marktes, geopolitischer und geostrategischer Machtstrukturen - der Realisierung des "One World Capitalism" unter der imperialen Diktatur. In diesem Kontext ist dem Imperialismus der "Neuen Weltordnung" all das von Nutzen, was die bestehenden nationalen Strukturen - Rechtsnormen, Ökonomie und Kultur, letztlich auch territoriale Integrität, - zu schwächen vermag und zu deren Desintegration beiträgt.

Sozialisten identifizieren heute jenes Imperium, politisch durch die USA geführt, ökonomisch durch das international organisierte Kapital kontrolliert, militärisch im Ausbau der NATO zur globalen Gewalt konstituiert, ideologisch durch die Faschismus-Variante Zionismus geprägt und in seiner Sektion Europa durch eine neue imperiale, kapitalistische und antidemokratische Verfassung (aka Vertrag von Lissabon) an die Macht geputscht. Auch die Auflösung familiärer Strukturen, neuerdings sogar die Leugnung biologisch determinierter Geschlechter, all diese faschistoiden ideologischen Exzesse dienen dazu, den ungeschützten, imperialen Einheitssklaven zu kreieren. Für Sozialisten sind der Schutz der Familie und der Heimat, im Sinne des kulturellen Selbstbestimmungsrechts, eine Selbstverständlichkeit.

MM: Herr Steins, wir danken für das Interview.

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