MM: Im Islam
wird Medizin stets als Gesamtdisziplin zwischen Körper (irdische Hülle),
Seele (das uns anvertraute und zu bändigende "Ich" im Herzen) und Geist
(das Licht Gottes in jedem Herzen) verstanden. Wie kommt ausgerechnet
ein Chirurg dazu, einen ähnlich ganzheitlichen Ansatz in die heutige
Medizin integrieren zu wollen?
Dr. Hontschik:
Zunächst muss ich vorausschicken, dass ich ein kein religiöser Mensch
bin. Mein 'Glaubensbekenntnis' wäre am ehesten in den Artikeln 1 bis 19
des deutschen Grundgesetzes zu finden, mit dem alle Menschen friedlich
zusammenleben könnten. Ich fühle mich der Aufklärung, den
Menschenrechten und dem Humanismus verpflichtet. Darin wurzelt das, was
Sie als einen 'ganzheitlichen Ansatz' in meinem medizinischen und
publizistischen Handeln erkennen. Und auf dieser Basis denke ich, dass
eigentlich Chirurgen sogar vor allen anderen auf die Idee kommen
müssten, dass irgendetwas mit der rein künstlichen Trennung von Körper
einerseits und Seele oder Geist andererseits nicht stimmen kann.
Chirurgen werden ja gemeinhin eher als Handwerker wahrgenommen, und auch
im Selbstbild gehören sie zumeist zu einer Sorte von Ärzten, die sich
"nur" mit dem Körper befassen, also aufschneiden, entfernen, einsetzen,
hämmern, schrauben, nageln, zunähen, verbinden usw. Wenn man aber diese
chirurgische Arbeit eine Zeitlang macht und dabei nicht ganz in Stress
und Routine versinkt, beginnt man sich immer mehr zu wundern. Warum
weint der eine Mensch bei der Versorgung einer kleinen Wunde bitterlich,
warum erträgt der andere Mensch die Einrichtung eines verschobenen
Knochenbruchs ohne Betäubung mit großer Ruhe? Warum heilt eine Wunde bei
dem einen Patienten, warum heilt sie bei einem anderen nicht, obwohl man
als Chirurg genau die gleiche Operation vorgenommen hatte? Solche Fragen
gibt es viele, und ein mechanisches Körperbild, das nur Ursache und
Wirkung kennt und so tut, als seien Menschen technische Maschinen, hilft
bei der Arbeit des Arztes gar nicht. Und ein Chirurg ist eben auch ein
Arzt, kein Mechaniker. Das Problem beginnt eigentlich schon in der
medizinischen Ausbildung, und bei der ärztlichen Tätigkeit wird einem
mit der Zeit immer deutlicher: Wenn man Körper und Geist erst einmal
getrennt hat, kommt man von dieser Haltung nur mühsam wieder los. Ein
Lebewesen ist aber keine Ursache-Wirkungs-Maschine, sondern dazwischen
findet etwas statt, das man 'Bedeutungserteilung' nennen könnte. Der
Umgang mit der Bedeutungserteilung ist der eigentliche Inhalt der
ärztlichen Arbeit, auch der chirurgischen. Oder anders gesagt: In der
Medizin geht es nicht um das 'Körper haben', sondern um das 'Körper
sein'.
MM: Es klingt ungewöhnlich, einerseits
zu behaupten, kein religiöser Mensch zu sein, und andererseits sich so
intensiv sich mit Geist und Seele zu beschäftigen. Gemäß mystischer
Vorstellung im Islam ist der Körper ein Spiegel unseres spirituellen
Daseins. Beispielsweise ist das Herz des Menschen - grob vereinfacht
dargestellt - in zwei Bereiche aufgeteilt. In dem einen wirkt der Geist
Gottes, im anderen die "Seele", also das Ich. Bei Neugeborenen waren die
Bereiche noch direkt miteinander verbunden, aber die Verbindung schließt
sich beim körperlich gesunden Menschen sehr schnell. Wessen beide
Herzbereiche im Gleichklang schlagen, der hat ein gesundes Herz,
ansonsten kann es Probleme geben. Können Sie solchen - hier verkürzt
wiedergegebenen - Darstellungen mit Ihren praktischen Erfahrungen etwas
abgewinnen?
Dr. Hontschik:
Für mich ist die Beschäftigung mit Körper und Seele, mit Krankheit und
Gesundheit weder mystisch noch spirituell. Vielleicht kann ich Ihnen
meine Einstellung dazu mit Bertolt Brechts berühmten Herrn Keuner
illustrieren, der eines Tages gefragt wurde, ob es einen Gott gäbe. Da
antwortete Herr Keuner: "Ich rate dir, nachzudenken, ob dein
Verhalten je nach Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es
sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallenlassen. Würde es sich
ändern, dann kann ich dir wenigstens noch soweit behilflich sein, dass
ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott."
Mir gefällt Ihre Metapher des Gleichklangs sehr
gut. Dieser Gedanke scheint mir zumindest verwandt mit einem zentralen
Begriff der Integrierten Medizin, nämlich der Passung. Um in Ihrem Bild
zu bleiben, stellt sich im Falle einer Krankheit ja die zentrale Frage,
warum die beiden Teile des Herzens nicht mehr im Gleichklang schlagen.
Oder in meinen Worten: In der Integrierten Medizin verstehen wir
Krankheit als eine Passungsstörung, und wir betrachten es als die
vornehme Aufgabe der ärztlichen Tätigkeit, die Lokalisation dieser
Passungsstörung zu suchen und zu finden – gemeinsam mit den Patienten.
In Ihrem Bild geht es um die Passung zwischen zwei Bereichen des
Herzens, die Sie sich vorstellen. In unserer Theorie versuchen wir, uns
Systemebenen vorzustellen und zu verstehen, in denen Lebewesen
existieren, also z.B. molekulare, zelluläre, organische, körperliche,
seelische, soziale oder globale. Irgendwo in diesem komplexen System
zwischen Lebewesen und Welt ist die Passungsstörung angesiedelt, die wir
Krankheit nennen. Letzteres ist – nebenbei bemerkt – allerdings keine
universal gültige Kategorie, sondern eine rein historische, ständigem
Wandel unterworfen. Krankheiten, bzw. die Diagnose von Krankheiten,
ändern sich ständig. Als man noch nichts von Bakterien wusste, wusste
man natürlich nichts über Infektionskrankheiten. Oder: Vor wenigen
Jahren noch war zum Beispiel die Homosexualität eine Krankheit und hatte
in der Internationalen Krankheitsklassifikation ICD einen eigenen Code.
Heute ist sie längst ersatzlos gestrichen.
MM: Heutzutage ist die Wahrnehmung in
der Bevölkerung gegenüber der Medizinbranche - abgesehen von dien vielen
guten Ärzten, die es im Land noch gibt - zunehmend von einer
Gewinnmaximierungsorientierung geprägt. Haben hier - neben der Politik
und der Pharmaindustrie - auch Ärzte eine gewisse Mitverantwortung?
Dr. Hontschik:
Das ist nun ein ganz anderes Feld, das Sie mit dieser Frage ansprechen:
nicht das der medizinischen Philosophie, sondern das der
Gesundheitspolitik. In unserem Land findet seit geraumer Zeit,
spätestens seit der unseligen Regierungserklärung von Gerhard Schröder
zu seiner 'Agenda 2010' vom März 2003, eine rasante sozialpolitische
Wende statt. Man könnte das so zusammenfassen: Während das
Gesundheitswesen bislang ein Bereich war, in das unsere Gesellschaft
einen Teil ihres Reichtums hineingesteckt hat, um erkrankten und
verletzten Menschen eine optimale gesundheitliche Versorgung zu
ermöglichen, ist mit dieser Umorientierung, diesem Wertewandel das
Gesundheitswesen plötzlich als ein Wirtschaftszweig entdeckt worden, in
den man investieren kann, um eine Rendite zu erwirtschaften. Über den
Krankenhausbereich, aber auch über den ambulanten Bereich rollt heute
eine zunehmende Privatisierungswelle. Kein Land der Welt hat einen so
hohen Anteil an privatisierten Krankenhausbetten wie Deutschland. Und
die Rendite der Investoren ist – wenn man das Gesamtsystem betrachtet –
eine Summe, die dem sozialen Feld des Gesundheitswesens entzogen wird.
Als Arzt, der sich der Humanmedizin verpflichtet fühlt, sehe ich hier
einen unauflösbaren Zielkonflikt: man kann es nicht gleichzeitig dem
Wohl des Kranken und dem Wohl der Shareholder recht machen. Und die
Macht der Investoren nimmt leider ständig zu, sie haben einfach die
stärkere Lobby als die Kranken. Ärzte haben an dieser unseligen
Entwicklung insofern eine Mitverantwortung, als sie teilweise als
Profiteure dieser Zerstörung des sozialen Gesundheitswesens agieren. Ich
bin allerdings – zum Glück – nicht der einzige, der mit seinen
bescheidenen Mitteln versucht, dagegen anzukämpfen. Im Gesundheitswesen
gelten die Marktgesetze nicht, denn der Patient ist kein Kunde und der
Arzt kein Anbieter. Der Patient ist ein kranker Mensch, und sein Arzt
muss – mit ihm gemeinsam – einen Weg suchen, um zu Linderung oder
Heilung zu finden. Das ist ein individueller Vorgang, sozusagen
Beziehungsarbeit. Das ist die einfache Wahrheit, das läßt sich nicht
industrialisieren oder privatwirtschaftlich organisieren, das verspricht
keine Rendite. Der eigentliche Auftrag der Humanmedizin ginge dabei
verloren. Ein hoher Preis für gute Renditen für Wenige, oder?
MM: Die Wahrnehmung komplexer
medizinischer Zusammenhänge wird heutzutage sehr stark auch durch die
Medien geprägt, was teilweise zu sehr großer Verwirrung führt. So hatte
bisher jeder unter dem Begriff "weltweite Pandemie" die Vorstellung
einer unvorstellbar großen und schwer zu beherrschenden Gefahr. Bei der
letzten "weltweite Pandemie" sind aber weltweit weniger Menschen
gestorben, als allein durch "normale" Grippe jedes Jahr in Deutschland.
Wie kommt es zu solch einer Verwirrung?
Dr. Hontschik:
Die Medien haben eine große Verantwortung, der sie
jedenfalls in der Gesundheitspolitik überhaupt nicht gerecht werden.
Alle Medien faseln z.B. von einer 'Kostenexplosion' in unserem
Gesundheitswesen, obwohl es keine gibt. Alle Medien malen die hohen
Lohnnebenkosten an die Wand, obwohl Deutschland im europäischen
Vergleich eine mittlere Stellung einnimmt – bei sehr hoher
Produktivität. Und alle Medien machen den medizinischen Fortschritt und
die zunehmende 'Überalterung' unserer Gesellschaft für Probleme im
Gesundheitswesen verantwortlich, obwohl beides ganz und gar falsch ist.
Und wenn Sie nach der 'weltweiten Pandemie' fragen: Hier muss man ganz
klar die mafiösen Strukturen der sogenannten Global Player der
Gesundheitswirtschaft in den Blick nehmen, besonders die der
Pharmaindustrie. Die WHO hat bei der sogenannten Schweingrippe zur
Pandemiestufe 6 gegriffen, die für die gefährlichsten, tödlichsten und
ansteckendsten weltweiten Pandemien vorgesehen ist. Die Regierungen
haben weltweit für Milliarden Euro, Dollar oder was auch immer
tonnenweise unwirksame Grippemedikamente eingelagert und in den
öffentlichen Gesundheitswesen zu Impfungen aufgerufen, was man nur als
Propaganda oder hochprofessionell gesteuerte Werbekampagnen verstehen
konnte, wissenschaftlich gesichert war davon aber gar nichts. Und
letztlich war alles eine riesige Blamage für die gekauften Fachleute,
eben auch einschließlich der Weltgesundheitsorganisation WHO. Allerdings
ist zunächst ungeheuer viel Geld verdient worden, bis der Schwindel
aufflog. Auch bei den nationalen Institutionen, z.B. der Ständigen
Impfkommission in Deutschland, sind sogenannte 'Interessenkonflikte'
gang und gäbe. Das war bei der Vogelgrippe so, das war bei der
Schweinegrippe so, und auf den nächsten 'grippalen' Knüller kann man
schon warten.
MM: Eine weitere Verwirrung stellt
der Umgang mit der für uns unsichtbaren Strahlung dar. Da ist die Rede
von Hunderten von Arbeitern, die tagtäglich sich der Strahlung
aussetzen, aber außer einer Handvoll Strahlenopfer passiert medial
eigentlich kaum etwas Gesundheitliches. Wie ist das zu verstehen?
Dr. Hontschik:
Die Antwort auf diese Frage wüsste ich auch gerne.
Was soll man zum Beispiel von der Meldung halten, dass japanische
Onkologen, also Krebsspezialisten, zu einer Entnahme von Stammzellen bei
den tapferen Arbeitern von Fukushima aufrufen, um deren
Krebserkrankungen, mit deren Auftreten mit Sicherheit zu rechnen ist, in
späteren Jahren behandeln zu können. Damit ist doch klar, was auf die
Betroffenen zukommt! Radioaktivität ist unsichtbar, Radioaktivität tut
nicht weh, Radioaktivität ist erst nach Jahren, Jahrzehnten, bei einigen
Stoffen sogar erst nach vielen Jahrtausenden aus den natürlichen
Kreisläufen des Wassers, der Luft und der Nahrung allmählich wieder
verschwunden. Radioaktivität schädigt die Erbinformationen in den Genen;
solche Schäden treten zum Teil erst in der zweiten oder dritten
Generation zu Tage. Und das Entscheidende aus ärztlicher Sicht ist: Wir
Ärzte werden Euch verstrahlten Patienten nicht helfen können! Eher schon
werden wir genauso daran zu Grunde gehen. Und deswegen wird das alles
von offizieller Seite gerne verschwiegen, ganz abgesehen von der großen
Decke, unter der die Politik und die Atomwirtschaft stecken. Der Gipfel
der Ignoranz und der Verlogenheit ist ein Geheimvertrag zwischen der WHO
und der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEO, der erst jüngst
bekannt geworden ist. Er datiert aus dem Jahre 1959 und verpflichtet die
WHO, keine wissenschaftlichen Untersuchungen und keine
Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, keine Maßnahmen zu propagieren
ohne vorherige Genehmigung durch die IAEO. Damit ist doch klar, warum
die WHO weder in 25 Jahren seit der Katastrophe von Tschernobyl noch in
den letzten Wochen nach der Katastrophe von Fukushima die "Gesundheit
aller Völker" zur Maxime ihres Handelns gemacht hat. Nur zu
Desinformation, Bagatellisierung und abwiegelnden Stellungnahmen war und
ist sie in der Lage. Selbst die Dokumente von zwei UN-Konferenzen zum
Thema Tschernobyl, die 1995 in Genf und 2001 in Kiew stattfanden, werden
von der WHO bis heute geheim gehalten. Denn laut IAEO sind durch die
Folgen der Katastrophe von Tschernobyl "weniger als 50 Tote" zu
beklagen. Ein makabrer Witz! Aber dazu muss die WHO halt schweigen.
MM: Wenn die Weltgesundheitsorganisation
tatsächlich solch einen Geheimvertrag hat (der jetzt ja nicht mehr ganz
so geheim ist), warum gibt es nicht einen weltweiten Aufschrei der
Politik oder zumindest der Ärzteschaft?
Dr. Hontschik:
Da täuschen Sie sich. Sie verwechseln den Aufschrei damit, dass er auch
gehört wird. Seit 30 Jahren gibt es die IPPNW, die "Internationale
Ärztevereinigung für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer
Verantwortung", die 1985 sogar den Friedensnobelpreis erhalten hat. In
Deutschland hat diese Vereinigung etwa 7.000 Mitglieder, weltweit
dürften es etwa 120.000 sein. Nach Tschernobyl für kurze Zeit und jetzt
nach Fukushima wieder hört man vermehrt darauf, was diese Ärzte
unermüdlich erforschen und sagen, z.B. auch über Krebserkrankungen bei
Menschen, die nahe an Atomkraftwerken wohnen. Am Aufschrei der Ärzte hat
es also noch nie gefehlt. Der Aufschrei der Politik, nach dem sie
fragen, den vermisse ich allerdings auch. Denn die hysterischen
Reaktionen nach Fukushima sind doch alle unglaubwürdig. Es gibt nicht
ein einziges neues Argument, nicht einen einzigen neuen Gedanken, kein
einziges neues Szenario durch Fukushima: Alles war bis ins Detail längst
bekannt, auch wenn unsere Politiker staunen wie kleine Kinder. Ein
kleines Beispiel: In meinem Bücherregal steht ein 30 Jahre altes Buch,
es hat 1292 Seiten und heißt "Friedlich in die Katastrophe" von Holger
Strohm. Es war ein Bestseller damals und wurde vom Verlag an alle
damaligen Bundestagsabgeordneten, an die Bundesregierung, an den
Bundespräsidenten, die Ministerpräsidenten, die Oberbürgermeister, an
EU-Abgeordnete, die Gewerkschaften, an die Kirchen, sogar an Erich
Honecker und Willi Stoph in der DDR verschickt. In diesem Buch steht
alles schon drin, wirklich alles. Und was hat es bewirkt? Wir leben
immer noch in einem Atomstaat. Meine große Hoffnung ist, dass die
Bevölkerung sich diesmal nicht von Ethik- und anderen Kommissionen
einlullen lassen wird. Im Unterschied zu Tschernobyl ist Fukushima vor
laufenden Fernsehkameras, sozusagen live in allen Wohnzimmern, Stück für
Stück explodiert. Wer kann diese Bilder jemals wieder vergessen?
MM:
Sie sind Mitglied der Ärztevereinigung “Mezis
– Mein Essen zahle ich selbst!“ Was bedeutet das? Gibt es denn Ärzte,
die ihr Essen nicht selbst bezahlen bzw. beschränkt es sich denn allein
auf das Essen?
Dr. Hontschik: Es ist zwar nur ein
winziger Haufen von Ärzten in dieser Vereinigung MEZIS, der aber
trotzdem schon einigen Staub aufgewirbelt hat. Es geht darum, dass Ärzte
einerseits ja ganz gut verdienen, andererseits aber schon immer durch
kleine Geschenke manipulierbar sind. Besonders auffällig ist die
Übernahme der Kosten von Reise, Kost und Logis bei einem Kongress an
schönen Plätzen irgendwo auf dieser Welt durch Pharmafirmen, wo von eben
jenen Pharmafirmen bezahlte Referenten die versammelte Ärzteschaft auf
ein Medikament von eben jener Pharmafirma einschwören. Sehr aufwändig
und lästig ist auch der hunderttausendfache Besuch von Pharmavertretern
in Arztpraxen, die mit kleinen Geschenken von Kugelschreibern über
Bücher bis zu medizinischen Geräten die Ärzte zur Verordnung von
Präparaten ihrer Firma bewegen wollen. Schon fast lächerlich sind
außerdem die sogenannten Anwendungsbeobachtungen, bei denen sich Ärzte
verpflichten, ein bestimmtes Medikament zu geben, um anschließend dessen
Wirkung zu beobachten und auf einem wissenschaftlich völlig
unbrauchbaren Fragebogen die Ergebnisse einzutragen. Jeder solche
abgegebene Fragebogen wird dem Arzt gut honoriert, dann aber wandert er
in irgendeine Kellerablage oder den Reißwolf der Pharmafirma, die nun
wiederum bestens im Verordnungsgedächtnis des Arztes verankert ist. Das
alles wird von MEZIS angeprangert, denn von einer wissenschaftlich
fundierten Medizin kann da ja keine Rede sein. Es geht um die
Unabhängigkeit der Ärzte, auf die sich Patienten eigentlich verlassen
können müssten.
MM:
In Deutschland gibt es zunehmend Menschen mit
Migrationshintergrund, die zuweilen ein anderes Schamgefühl und andere
Reinlichkeitsregeln (z.B. Wasserreinigung nach Urin- und Stuhlgang)
haben. In wie weit kann die moderne Medizin solche Aspekte
berücksichtigen? Hilft interkulturelle Kompetenz auch im medizinischen
Bereich?
Dr. Hontschik:
Das ist wirklich ein großes Problem, und ich
stelle immer wieder fest, wie gering meine "interkulturelle Kompetenz"
in dieser Hinsicht ist. Ich bin z.B. immer wieder überrascht, was
Patienten während des Ramadans alles nicht machen, obwohl es medizinisch
notwendig wäre. Oder es verblüfft mich, dass männliche Patienten sich im
Anal- oder Genitalbereich nicht von einer Ärztin untersuchen oder
behandeln lassen wollen. Mit am schwierigsten sind Situationen, wo
Frauen erkrankt sind und eine unbeeinflusste Kommunikation zwischen Arzt
und Patientin nicht möglich ist, weil die Männer dieser Frauen den
Untersuchungsraum unter gar keinen Umständen verlassen wollen. Über
allem schwebt natürlich das Problem der Sprache: Wie die meisten Ärzte
in Deutschland spreche ich bestenfalls eine oder zwei europäische
Fremdsprachen leidlich gut. Wenn also Patienten mit
Migrationshintergrund der deutschen Sprache nicht wirklich mächtig sind,
ist die wichtigste Grundlage der Medizin, nämlich die Kommunikation, von
vorneherein schwer gestört. Das verursacht sicherlich viele
Behandlungsfehler.
Hier liegt also noch viel Arbeit vor uns allen.
Deswegen möchte ich an dieser Stelle, sozusagen stellvertretend für
diese notwendige Arbeit, das Projekt "Helpinghand" am HIV-Center der
Universitätsklinik Frankfurt erwähnen. Dort wird eine Gruppe von
Patienten und anderen kompetenten Personen, die selbst einen
Migrationshintergrund haben und schon lange genug in Deutschland leben,
um sich auch in den Institutionen unseres Gesundheitswesens auszukennen,
im Umgang mit Patienten aus ihrem eigenen Kulturkreis geschult, so dass
sie diese beraten und begleiten können. Die HIV-Infizierten finden dort
also im Idealfall einen Ansprechpartner aus ihrem eigenen Kultur- und
Sprachkreis, was Aufklärung, Beratung und letztendlich auch Behandlung
erst möglich macht. Solche vorbildlichen Projekte müsste es viel mehr
geben, auch für weniger dramatische Krankheiten als die HIV-Infektion.
MM:
Dr. Hontschik, wir danken für das Interview. |