Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Kasiri
 

Muslim-Markt interviewt
Prof. Dr. Hamid Kasiri - Katholisch-Theologische Fakultät, Institut für Praktische Theologie der Universität Wien
23.3.2011

Prof. Dr. Hamid Kasiri (Jahrgang 1964) ist im Iran geboren und hat in der Provinz Mazandaran seine Schulausbildung 1982 abgeschlossen. Es folgte ein neunjähriges Studium der Philosophie und islamische Theologie an der Islamischen Hochschule in Qom sowie ein Studium der klinischen Psychologie an der Universität Teheran. 1991 begann er ein Weiterqualifizierungsstudium der Religionswissenschaften am Imam Khomeini Institut in Qom und war Forschungsassistent. Dabei war er drei Jahre beteiligt an der Erforschung und Herausgabe philosophischer, theologischer und mystischer Schriften von Imam Chomeini. Von 1997 bis 2004 folgte ein Doktoratsstudium der Katholischen Fachtheologie an der Theologischen Fakultät Innsbruck (Institut für Bibelwissenschaften und Fundamentaltheologie). In 2002 wurde er promoviert (Dr. theol.) mit seiner Dissertation: "Zur Entwicklung des Umgangs mit der Heiligen. Schrift im Katholizismus des 20. Jahrhunderts."

Ab 2004 hat er am Imam Khomeini Institut philosophische, mystische und moralische Werke von Imam Khomeini erforscht und mit eigener Einleitung, erläuternden Fußnoten und Kommentaren veröffentlicht. Am Imam Khomeini Education & Research Institute in der gleichen Stadt hat er drei Jahre über Religionswissenschaft und Offenbarungsreligionen geforscht und auch gelehrt.

Es folgte eine Gastprofessur an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck und and der Universität Wien in der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft und an der Katholisch-Theologischen Fakultät. Zahlreiche Einladungen zu wissenschaftlichen Vorträgen führten ihn unter anderem nach London, Nürnberg, Istanbul, Wien, Salzburg, Graz, Innsbruck, Freiburg i.d. Schweiz, Teheran und Qom. Entsprechend hat er viele Artikel in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht und an zahllosen Forschungsprojekten mitgewirkt.

Seit März 2009 ist er "Senior Postdoc" und Habilitand an der Universität Wien. Er arbeitet über das Thema "Gewaltfreie Hermeneutik". Prof. Kasiri spricht Persisch, Arabisch, Englisch, sehr gut Deutsch und beherrscht Latein, Hebräisch und Altgriechisch. Zur Zeit lernt er Französisch und Italienisch.

Prof. Dr. Hamid Kasiri ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Wien. Sein ältester Sohn hat in Wien sein Abitur erlangt (maturiert) und studiert Medizin und evangelische Theologie.

MM: Sehr geehrter Prof. Kasiri. Wie kommen Sie als Träger der Würde eines "Hudschat-ul-Islam wal Muslimin" aus dem Iran ausgerechnet dazu, an der Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien habilitieren zu wollen?

Prof. Kasiri: Es hat sich durch meine Bemühungen zum Interreligiösen Dialog ergeben. Da ich bereits im Iran eine Hochschullaufbahn erfolgreich absolviert habe und mit diesen Kenntnissen nach Österreich gekommen bin, war es mein Anliegen, im Rahmen eines akademischen Austausches eine gegenseitige Bereicherung zu erzielen. Nach einigen Recherchen bot sich die Katholisch-Theologische Fakultät am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien an, so dass ich jetzt hier mein Forschungsprojekt "Gewaltfreie Hermeneutik" bearbeite.

MM: Was ist unter ihrem Thema "Gewaltfreie Hermeneutik" zu verstehen?

Prof. Kasiri: Hermeneutik ist die Theorie über die Auslegung von Werken und über das Verständnis dieser Werke. Vereinfacht übertragen können wir die Qur'an-Exegese - im Arabischen Tafsir - als eine praktische Umsetzung der Hemeneutik im Islam betrachten. Die heiligen Texte der Offenbarungsreligionen Islam, Christentum und Judentum werden - wie wir es insbesondere in unserer heutigen Zeit intensiv miterleben - allzu oft zur Legitimation von Gewalt missinterpretiert. Will man diesem Missbrauch Einhalt gebieten, muss man auch auf akademischer Ebene nach den Ursachen und Gegenmitteln forschen. Somit stellt sich in meinem Forschungsprojekt die Frage nach einer Hermeneutik, die einer solchen missbräuchlichen Gewaltlegitimierung Widerstand leistet, oder besser gesagt eine "gewaltfreien Hermeneutik" als eine Art Friedensprojekt etablieren kann. Das Projekt will beitragen, Grundzüge einer solchen Hermeneutik zu entwickeln. 

MM: Zweifelsohne werden religiöse Texte für die Gewaltanwendung missbraucht. Berühmtestes Beispiel unserer Generation dürfte die Ausrufung des Kreuzzuges durch George W. Bush gewesen sein. Wie kann aber ausgerechnet die katholische Hermeneutik erforscht von einem Muslim, dazu beitragen, solch einem Missbrauch entgegen zu wirken?

Prof. Kasiri: Das angemessene Verständnis dieses Themas ist wichtig für die Entwicklung sowohl der Einzelperson und ihres individuellen Glaubens, als auch darauf aufbauend der gesamten Gesellschaft. Zugleich erschließt es Religionen, Philosophie, Theologie und Politikwissenschaft neue Horizonte. Ein neuer Zugang ergibt sich vor allem im Verständnis der Rolle der heiligen Texte und ihrer Exegese in Geschichte und Gegenwart. Viele gesellschaftlich vertraute Formen des theologischen, philosophischen, politischen und vor allem dialogischen Diskurses wären von einer "gewaltfreien Hermeneutik" abzulösen. Das bezieht sich ja nicht nur auf den Extremfall des Krieges. Vielmehr suchen wir ja auch Ansätze, im etwas zunehmend verkrampfter wirkenden Dialog der Religionen, Auswege aufzuzeigen, die mit einem gemeinsamen Bekenntnis zur Gewaltfreiheit eine Basis findet. Im ideal des Christentums wird keine Gewalt angewandt. Und im Ideal des Islam wird Gewalt nur im äußersten Notfall zur Verteidigung von Menschenleben angewandt. Angriffskriege, wie sie derzeit die Welt übersäen, sind im Ideal beider Religionen nicht vorgesehen bzw. verboten. Allerdings ist dieser Aspekt sowohl bei Christen als auch bei Muslimen etwas in den Hintergrund geraten. Daher erachten wir es für bedeutungsvoll über den Weg der akademischen Auseinandersetzung mit dem Thema, den gewaltfreien Ansatz wieder n den Vordergrund zu heben. Das hat sehr unterschiedliche Dimensionen von der Kindererziehung bis hin zu politischen Beziehungen von Staaten. So ist fast allen Nichtmuslimen, aber bedauerlicherweise auch einigen Muslimen, z.B. nicht bekannt, dass der Islam eine gewaltfreie Kindererziehung lehrt! Ein Vater, der sein Kind schlägt, muss dafür Schmerzensgeld an das Kind zahlen!

MM: Und welche Auswirkungen hat das auf internationale Beziehungen?

Prof. Kasiri: Zweifelsohne beginnen internationale Beziehungen auch bei der Kindererziehung. Das Projekt, an dem ich mitarbeiten darf, steht in engem Zusammenhang mit internationalen Fragen. Die Politik, insbesondere die internationale Politik wird in großem Maße auch von der religiösen Beziehung der Menschen bestimmt. Dabei ist nicht nur an die innerstaatliche Ordnung zu denken, sondern auch an die internationalen Beziehungen, insbesondere auch an die Beziehungen der Religionen, Beziehungen des religiösen Denkens und vor allem die Bedeutung und Würde des Friedens. So sind wir uns z.B. darin einig, dass die Menschenwürde unantastbar ist. Aber solch eine Einigkeit bedarf auch Einigkeit in der Begriffsdefinition. Was z.B. ist die Würde, was ist der Mensch, oder "ab wann" ist der Mensch, wenn man z.B. die Abtreibungsproblematik berücksichtigt, die ja auch eine Form der Gewalt darstellt?

MM: Zu Ihren Arbeitsschwerpunkten gehört auch der Interkulturelle und Interreligiöse Dialog. Ist unter den gegenwärtigen Umständen solch ein Dialog überhaupt noch möglich?

Prof. Kasiri: Niemandem ist entgangen, dass der interreligiöse Dialog in letzter Zeit immer schwieriger geworden ist. Die Gründe hierfür liegen aber weniger in den Religionen als vielmehr an den politischen Systemen, an welche die Religionen zumeist gekoppelt sind. Daher gilt es hier eine besondere Anstrengung zu leisten, um diese Hürden zu überwinden. Die Anhänger der Religionen können viel voneinander lernen. Genau so, wie ich meinen Islam auch dadurch besser lernen kann, indem ich mich auch mit dem Christentum auseinandersetze, können Christen auch ihre eigene Religion vertiefen, indem sie sich mit dem Islam beschäftigen.

MM: Was können Christen und Muslime im Akademischen voneinander lernen?

Prof. Kasiri: Ich habe in meinen Diskussionen festgestellt, dass insbesondere die katholische Lehre und die Schia eine ganze Reihe von Ansatzpunkten zum Dialog liefern, von dem auch anderen Christen und andere Muslime profitieren können. So verfügt die katholische Kirche, die durch den Papst repräsentiert wird als oberster Lehrer in der aktuellen Umsetzung der Lehre. Schiiten haben jeweils auch ihren "Papst", den sie allerdings selbst wählen müssen. Dort heißt er "Vorbild der Nachahmung". In beiden Fällen muss es sich um eine jeweils aktuell lebende Person handeln. Verstirbt die jeweilige Heiligkeit, muss einer neuen Person diese Verantwortung aufgebürdet werden. So wird auch hier wie dort deutlich, dass die heiligen Texte jeweils in der Anwendung auf die aktuelle gegenwärtige Zeit ihre Heiligkeit umsetzen. Das ist ein sehr bedeutsamer Aspekt in der Hermeneutik.

MM: Aber es gibt doch auch Unterschiede zwischen den Lehren, wie gehen sie damit um?

Prof. Kasiri: Die Unterschiede sind zweifelsohne vorhanden. Aber es stellt sich die Frage, ob es nicht oft unterschiedliche Blickwinkel auf den gleichen Diamanten sind. Manchmal wirkt es so, als wenn die Menschen unterschiedliche Facetten der gleichen Schönheit beschreiben. Nehmen sie das Beispiel der Aussage Jesu (a.): "Ich bin der Weg die Wahrheit und das Leben". Aus islamischer Sicht könnte man sehr unterschiedlich an die Aussage herangehen. Wenn man einen Abstand schaffen möchte, behauptet man, dass jener Text verfälscht sei, niemand anderes als Gott die Wahrheit sein könne und daher eine Auseinandersetzung mit jenem Text unnötig oder gar falsch sei. Solch ein Ansatz ist keine Basis für ein gewaltfreies Miteinander, denn sie schafft Abstand, sie schafft, "Gegnerschaft", sie schafft Verständnislosigkeit. Hingegen wäre ein anderer islamischer Ansatz mindestens genau so haltbar. Man könnte erkennen, dass der reine und fehlerfreie Prophet Jesus eine Aussage Gottes über sein Lippen gebracht hat. Solch eine Aussage ist auch im Islam bekannt. Sie wird "Heilige Überlieferung" bzw. "Hadith Qudsi" genannt. Gott spricht sozusagen mit der Zunge Muhammads (s.) in der "Ich-Form". Und Muslime haben keinen Zweifel daran, dass auch frühere Propheten derartige Aussagen von sich gegeben haben können. Wie wichtig solch ein tolerantes Verständnis ist, zeigt die islamische Geschichte, denn darin gibt es tatsächlich einen Mystiker, der einstmals in der göttlichen Verzückung die Aussage "Ich bin die Wahrheit" von sich gegeben hat. Er wurde dafür von den despotischen Herrschern, die im missbrauchten Namen des Islam herrschten, hingerichtet. Es gibt kaum ein deutlicheres Beispiel dafür, wie wichtig es ist, der richtigen und weitherzigen bzw. großherzigen Exegese zum Sieg über die destruktive Gewalt zu verhelfen.

MM: Gewalt kann sich ja auch in Form einer wirtschaftlichen Gewalt äußern. In wie weit wird das in Ihren Forschungen berücksichtigt.

Prof. Kasiri: Gewalt ist ein sehr weites Feld. und ich werde in meiner Forschungsarbeit nicht alle Bereiche dieses Themenfeldes erschöpfend behandeln können. Aber auch hier gibt es wunderbare Ansätze im Islam wie im Christentum, um die Gewalt, die von einem die Welt dominierenden Wirtschaftssystem ausgeht analysieren zu können. Betrachten sie das schöne Beispiel Jesu, als ihm eine Münze mit dem Kopf des Kaisers in die Hand gedrückt wurde mit der Frage, ob man ungerechte und erniedrigende Steuern zahlen soll. Die Antwort "Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist" beinhaltet mehrere Dimensionen der gewaltfreien Hermeneutik. Zunächst ist da die oberflächliche Aussage, dass sich die Bürger eines Landes an die Gesetze des Landes zu halten haben. Das ist eine Aussage die vom Papst bis zum Oberhaupt der Islamischen Republik Iran Großayatollah Chamene'i wiederholt wird. Jesu Aussage beinhaltet aber zudem ein "innere" Dimension, die man dahingehend interpretieren könnte, dass die Menschen das Finanzsystem eines Unterdrückers ablehnen. Denn wenn die Menschen allesamt die "Münzen" - also das gesamte Geld - dem Kaiser geben und damit keinen Handel mehr treiben, wäre das wohl gewaltfreiste Widerstand gegen Unterdrückung. Und angesichts der heutigen Finanzwelt stellt sich natürlich die Frage, in wie weit solch ein Gedanke übertragbar wäre.

MM: Warum gibt es in Österreich einen islamischen Turbanträger an der Universität, nicht aber in Deutschland?

Prof. Kasiri: Nun, da müssen Sie wohl eher die deutschen Behörden fragen, warum sie nicht die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. In Österreich ist der Islam ein offizieller Bestandteil der Gesetze seit einem Jahrhundert. Seit 1912 ist der Islam in Österreich als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft anerkannt. Insofern wundere ich mich über die Äußerungen mancher deutscher Politiker über die Geschichte des Islam im deutschsprachigen Raum. In Österreich ist der Islam jedenfalls Bestandteil des Staates, der Gesellschaft und auch der Geschichte. und die intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema ist auch hilfreich, Gewaltfreiheit zu bewirken. Denn schließlich ist auch Unwissenheit ein Nährboden für Gewalt.

MM: Sie selbst kommen aus dem Iran. Die Beziehungen Österreichs sind - wie in ganz Europa - derzeit etwas angespannt zum Iran. Kann Ihre Forschung helfen, das abzumildern?

Prof. Kasiri: Das würde ich mir wünschen, auch wenn ich meine eigene Forschung nicht überbewerten will. Die Welt befindet sich zweifelsohne in einen sehr umfangreichen Umbruch. Und die Katastrophe in Japan hat auch in Europa zu einem Umdenken im bereich Atomenergie geführt. Auch wenn es nicht herausposaunt wird, so wird auch im Iran über die Gefährlichkeit nachgedacht. So könnte die Katastrophe in Japan im Nachhinein möglicherweise zu einem Meilenstein für den Frieden, werden, den wir doch alle zusammen anstreben. In diesem Sinn sehe ich auch die "Gewaltfreie Hermeneutik". Niemand hat mich beauftragt im Namen von Gewaltfreiheit zu reden und zu forschen. Aber jetzt, da dieses Forschungsprojekt seine ersten Früchte zeigt, höre ich durch die Gespräche mit Akademikern und Behörden von beiden Seiten, dass sie durch dieses Projekts einen akademischen gewaltfreien Zugang zueinander wünschen, sowohl institutionell als auch religiös. Dazu ist eigentlich das Projekt, an dem ich arbeite, da, um inspiriert von Kontext der Offenbarungsreligionen, Menschen und die Menschheitsfamilie zueinander zu bringen. Eben deshalb ist die "Gewaltfreie Hermeneutik" eine interreligiöse und internationale "Friedenshermeneutik".

MM: Prof. Kasiri, wir danken für das Interview.

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