MM: Sehr
geehrter Herr Prof. Mayer-Tasch, wie kommt ein Professor für
Politikwissenschaft und Rechtstheorie ausgerechnet dazu, sich mit Wasser
zu beschäftigen?
Prof. Mayer-Tasch: Persönliche Erfahrungen
und Einsichten, aber auch rechtswissenschaftliche Erkenntnisse haben
mich schon während meiner Assistenzzeit an der Juristischen Fakultät der
Universität Mainz auf die schwerwiegenden Defizite des damaligen
deutschen (im internationalen Vergleich aber auf vielen Gebieten dennoch
vorbildlichen) Umweltrechtes verwiesen. Als frisch gebackener
Privatdozent habe ich deshalb auch im Jahr 1971 meine erste
selbstständige Lehrveranstaltung Problemen des Umweltrechts und der
Umweltpolitik gewidmet – eine Thematik, der ich dann auch nach meiner
Berufung an die Universität München noch im selben Jahr treu blieb. Die
Problematik der Wasserverschmutzung und –vergiftung durch unseren "way
of life" unter den Bedingungen der technisch-ökonomischen Zivilisation
gehörte von Anfang an zu den Problemen, auf die ich in diesem
Zusammenhang mein Augenmerk richtete. Und dies umso mehr, als mir in
immer stärkerem Maße im Gewissen brannte, dass der Fluss, an dem die
Papierfabrik meines Vaters lag, nach der Fabrik oft gelb war – ein
Phänomen, das ich als Kind zwar aufnahm, aber erst sehr viel später
einordnen konnte.
MM: Das Trinkwasser aus vielen deutschen
Leitungen hat eine bessere Qualität als das Mineralwasser, das wir
kaufen können, und der Regen wird auch nicht weniger. Warum sollte sich
der Bürger in Deutschland um Wasser sorgen?
Prof. Mayer-Tasch: Zum Ersten wissen wir
nicht, was der Klimawandel noch bewirken wird. Auffällig war z.B. der
trockene April und Mai 2011. Zudem gibt es auch in Deutschland große
Unterschiede im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Wasservorräte.
Norddeutschland (und insbesondere die Lüneburger Heide) sind weit
weniger gesegnet als etwa Oberbayern und das Allgäu. Zum Zweiten geht es
- wie schon betont – um die Wasserqualität, die bei verschwenderischem
Umgang mit unseren Vorräten immer stärker gefährdet wird. Und zum
Dritten sind wir "nicht allein in der Welt". Unser Beispiel wirkt im
Guten wie im Schlechten in den globalen Wahrnehmungsraum hinein. Wenn
wir mit Wasser achtsam umgehen, wird dies ein fortwirkendes gutes
Beispiel für andere Länder sein.
Dasselbe gilt auch für den Atomausstieg. Wenn
wir aussteigen, werden über kurz oder lang andere Länder folgen – auch
wenn sie sich im Augenblick noch uneinsichtig zeigen. Dafür sprechen
zahlreiche Erfahrungen gerade im sozioökologischen Bereich.
MM: Sie plädieren dafür, den "wahren"
Wasserverbrauch für die Erstellung eines Produktes zu berücksichtigen,
um die ökologischen Auswirkungen des Produktes besser beurteilen zu
können. Bei solch einer Betrachtung wird für ein kg Rindfleisch über
15.000 Liter Wasser verbraucht, wohingegen ein kg. Apfel "nur" ca. 70
Liter benötigt. Welche Schlussfolgerungen sind aus solchen Betrachtungen
zu ziehen?
Prof. Mayer-Tasch: Die Konsequenzen unsers
Tuns und Lassens mitzubedenken und das eigene Verhalten daran zu
orientieren adelt jeden Menschen – auch den sogenannten "Verbraucher".
Der Mensch lebt nun einmal "nicht vom Brot allein". Ich selbst bin z.B.
Vegetarier geworden, weil ich die Implikationen der "Fleischerzeugung"
unter den heutigen zivilisatorischen Bedingungen für unverantwortlich
halte. Bei einem Wechsel zu vegetarischer Ernährung könnten wir unter
anderem das Problem des Hunger (zumindest theoretisch) als weltweit
lösbar
betrachten.
MM: Ihr jüngstes Buch stellt die Frage
nach dem Hunger in der Welt. Wie kann man das Bewusstsein über
Zehntausende von Menschen die täglich an Hunger sterben, in einem Land
vermitteln, in dem überschüssige Lebensmittel in nicht geringem Maß
vernichtet werden?
Prof. Mayer-Tasch: Die Frage nach den
Möglichkeiten der Vermittlung ist sehr schwer zu beantworten. Die
Erfahrung zeigt, dass sich die Menschen durch Predigten – und gepredigt
wird von den ökologisch gesinnten Autoren schon seit langem - nur selten
bekehren lassen. Was wirkt, sind Schockerlebnisse à la Fukushima. Im
Übrigen kann man nur hoffen, dass sich bei einer weiteren Verschärfung
der Umweltprobleme eine wachsende Zahl von Menschen auf einen zunächst
inneren Entwicklungsweg machen, der dann über kurz oder lang auch im
Öffentlichen Raum zu einem Umsteuern führt.
MM: Einerseits führen Agrar-Subventionen
dazu, dass z.B. Rindfleisch im Übermaß produziert wird - mit dem daran
gekoppelten Wasserverbrauch, aber andererseits ist Deutschland durch die
garantierte Selbstversorgung ein Stück politisch unabhängiger als z.B.
Ägypten, das ohne US-Weizenlieferungen verhungern müsste. Wie lässt
sich dieser Interessenkonflikt lösen?
Prof. Mayer-Tasch: Autarkie – dies betonte
schon der Altmeister der Politikwissenschaft Aristoteles – ist ein hohes
Gut. Ein vergleichsweise hohes Maß an Selbstversorgung lässt sich aber
auch durch eine ausgeglichenere als die gegenwärtige Art der
Agrarsubventionierung erreichen. Bevorzugt werden die Großbetriebe – und
die produzieren auf eine Art und Weise, die wir uns nicht wünschen
können. Bevorzugt werden sie, weil sie in ihrer Lobbyarbeit erfolgreich
sind. Hier bedürfte es eines höheren Grads an Einsicht und
Standhaftigkeit von Seiten der Agrarpolitiker. Immerhin dehnt sich der
Sektor der ökologischen Landwirtschaft immer weiter aus – sowohl was die
Nachfrage als auch was das Angebot anbetrifft. Hier besteht sowohl
Nachholbedarf als auch Hoffnung. Den ökologisch wirtschaftenden
Kleinerzeugern müsste der Verbraucher allerdings auch den "gerechten
Preis" zu zahlen bereit sein, sofern ihm dies finanziell möglich ist.
Dann bräuchte uns um die Selbstversorgungskapazität Deutschlands nicht
bange zu sein. Butterberge, Rindfleischhügel und Milchseen aber, die
dann doch nur an die "Dritte Welt" verhökert werden und die dortigen
Märkte verwirren, brauchen wir nicht.
Alle ökologischen Probleme und alle
Nahrungssicherungsprobleme werden wir auch durch eine erleuchtetere als
die gegenwärtige Umwelt- und Wirtschaftspolitik nicht völlig in den
Griff bekommen, weil nicht alle Menschen in gleichem Maße einsichts- und
entwicklungsfähig sind. Wichtig ist aber, dass es Visionen gibt, denen
wir entgegenstreben können.
MM: Visionen setzten aber voraus, dass
sie zumindest theoretisch realisierbar sein könnten. Wie sollen aber die
Ideale von Wassereinsparung und ökologischem Landbau umgesetzt werden,
wenn das Diktat des Wachstumszwangs auch in der kreditverschuldeten
Landwirtschaft besteht. Oder anders gefragt: Wie würde eine
Bundesrepublik Deutschland aussehen, wenn nicht das vorherrschende
Wirtschaftsziel quantitatives Wachstum ist.
Prof. Mayer-Tasch: Es ist nicht
quantitatives Wachstum allein, das unsere Gesellschaft beherrscht.
Begriffe wie Solidarität, Fürsorglichkeit, Anteilnahme, Liebe etc.
stehen für eine ethische Gegenwelt, die – wenn vielleicht auch nicht
mainstream – durchaus in unserer Gesellschaft selbst außerhalb der
Familie noch gelebt wird. Ich verkenne nicht, dass die menschliche Natur
– zum Teil von einem „desire for power after power that only ceaseth in
death“ (Thomas Hobbes, Leviathan, 1651) beherrscht wird – von einem
Machtverlangen, das sich nicht zuletzt ökonomisch als quantitatives
Wachstumsverlangen äußert. Wie die Erfahrung des Lebens zeigt, mündet
lediglich quantitativ verstandenes, ungehemmtes Wachstum im Zustand der
Verkrebsung. Im Gesundheitsbereich ist dies offenkundig, aber auch für
den sozioökonomischen Bereich gilt dasselbe. Schon in der Philosophie
der griechischen Klassik galt daher die pleonexia, das ewige
Mehr-haben-wollen als letztlich zum Scheitern verurteiltes menschliches
Hauptlaster.
Eine wachsende Zahl von Menschen in unserer
westlichen Zivilisation ist sich dessen aber bewusst und sucht nach
Auswegen. Stichworte wie Regionalismus, Lokalismus, Tauschwirtschaft
(z.B. im Netzwerk "Lets"), Selbstversorgung, Selbstgenügsamkeit stehen
für diese Tendenz. Noch ist sie nicht allgegenwärtig und
geschichtsmächtig. Wie rasch die Szenerie sich verändern kann durch
Unvorhergesehenes hat uns Fukushima und der nun doch erfolgende
Atomausstieg (den Menschen wie ich dokumentierbar seit Anfang der 70-er
Jahre gefordert haben) gezeigt. Politische Katastrophen,
Naturkatastrophen oder gar kosmische Katastrophen haben das Gesicht der
Erde immer wieder verändert. Für Geschichtsbewusste sind die anführbaren
Beispiele Legion. Sollte unsere Gesellschaft durch Katastrophen oder
durch parapfingstliche Paradigmenwechsel ihrer Eliten das quantitative
Wachstumsziel verabschieden, wird Deutschland auch seine wirtschaftliche
und politische (Mittel-) Machtrolle herabstufen müssen und sich statt
auf materielle Ziele auf ein (nicht mehr in erster Linie natur- und
technikwissenschaftlich definiertes) intellektuelles und spirituelles
Wachstum konzentrieren müssen.
MM: Das gesamte westliche
Wirtschaftssystem - nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland - setzt
zunehmend auf Privatisierung, auch weil die immens steigenden
Staatsverschuldungen ansonsten noch astronomischere Ausmaße einnehmen
würde. Wie kann aber der Widerspruch aufgelöst werden, dass eine
privatisierte Energie- und Wasserwirtschaft auf Verbrauchssteigerung
hinarbeitet, während es im Volksinteresse wäre, dass weniger verbraucht
wird?
Prof. Mayer-Tasch: Die
Privatisierungstendenz aus den von Ihnen genannten Gründen ist
unverkennbar. Und unverkennbar ist auch die allgegenwärtige Anstachelung
der (Verbrauchs-)Gier. Auch diese Maschinerie wird aber machtlos, wo das
sokratische „Wie viele Dinge gibt es doch, derer ich nicht bedarf“ Raum
gewinnt. Und meines Erachtens wird es Raum gewinnen, weil der
Grenznutzen des Habens und des Haben-Wollens kontinuierlich sinkt. Und
indem er sinkt, werden sich auch die ökonomischen Strukturen verändern
und zum Teil zurückentwickeln, die heute noch so viele Menschen auf der
Suche nach Arbeit und Brot ins Land ziehen. Im selben Maße, in dem sich
aber die Wirtschaft des Westens verändert, wird auch das Interesse der
westlichen Politik an Eingriffen in die Märkte der "Armen Welt" sich
verändern, was in mancherlei Hinsicht deren Selbsthilfekapazität nützen
kann. Denn am Tropf der "Reichen Welt" kann sie auf Dauer nicht
überleben, sondern nur durch konsequente Umstrukturierungen, die gerade
nicht dem Beispiel unserer heutigen westlichen Welt folgen.
MM: Wir haben in unserer Interviewreihe
oft die Erfahrung gemacht, dass emeritierte Wissenschaftler - es muss
nicht für Sie gelten - manche Dinge viel klarer und deutlicher
ansprechen können als "jüngere". Wie frei ist die Hochschulwissenschaft,
um die von Ihnen angemachten Visionen und Ideale auch den Studenten zu
vermitteln und in der Forschung tiefer gehend zu berücksichtigen?
Prof. Mayer-Tasch: Diese Freiheit habe ich
mir in den letzten Jahrzehnten stets genommen, wie anhand meiner Bücher
und sonstiger Publikationen unschwer nachvollziehbar ist. Allerdings
wird man nicht unbedingt als Weiser geboren. Man braucht eine stabile
Persönlichkeitsstruktur wie auch viele Erfahrungen und Erkenntnisse, um
einen vom Politik-, Wirtschafts- und Wissenschaftsbetrieb unabhängigen
Standpunkt zu gewinnen. Aber auch institutionelle Unabhängigkeit ist
hilfreich. Als Professor hat man es da leichter denn als Assistent oder
noch nicht berufener Dozent. Die deutsche Universität gibt ihren
Mitgliedern einen vergleichsweise hohen Grad an Unabhängigkeit. Dies
gilt vor allem für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Weniger
unabhängig sind freilich diejenigen Natur- und Technikwissenschaftler,
die bei ihren Forschungen von Drittmitteln aus der Wirtschaft abhängig
sind.
MM: Welche Projekte planen Sie noch in
Zukunft?
Prof. Mayer-Tasch: Gerade habe ich das
Manuskript eines kleinen Buches zum Thema "Raum und Grenze" sowie auch
einen Text über "Die Macht der Schönheit" abgeschlossen. Im Druck ist
die Neuauflage meines Buchs über den französischen Philosophen Jean
Bodin (Franz Steiner-Verlag). In Planung befinden sich zwei historische
Bücher, ein Gedichtband und eine Autobiographie.
Aus dem Bereich der Politischen Ökologie werde
ich ebenfalls noch ein Weltthema zur Sprache bringen.
Ein Projekt aber, das mir besonders am Herzen
liegt, ist die Lancierung des weiterbildenden (in Deutschland und Europa
einzigartigen) Masterstudiengangs "Ethik, Ökologie, Ästhetik im
Öffentlichen Raum", den ich in meiner Zeit als Rektor der Hochschule für
Politik programmatisch entwickelt habe und um dessen Lancierung ich mich
nunmehr im Auftrag des Senats der Hochschule bemühe. .
Informationen hierüber finden Sie auf der Website der Hochschule unter
http://www.hochschule-fuer-politik.mhn.de/eoa-master.
MM: Herr Prof. Mayer-Tasch, wir danken
für das Interview. |