Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Nurhan Soykan
 

Muslim-Markt interviewt
Nurhan Soykan - Generalsekretärin des Zentralrates der Muslime
20.6.2011

Nurhan Soykan (Jahrgang 1970) ist als Kleinkind mit ihrer Familie nach Deutschland eingereist und wurde später eingebürgert. Nach der Grundschule und Realschule hat sie bereits nach der sechsten Klasse den Sprung aufs Gymnasium geschafft und dieses mit Abitur erfolgreich abgeschlossen. Es folgte das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Köln. Dem ersten juristischen Staatsexamen folgte das Referendariat am Landgericht Köln und das 2. juristische Staatsexamen. Erste praktische Erfahrungen im juristischen Bereich gewann sie bereits während des Studiums in einem Notariat in Köln. Seit 2005 arbeitet sie als Rechtsanwältin in eigener Kanzlei in Köln in den Schwerpunkten Baurecht, Familienrecht und Verwaltungsrecht.

Ab 2007 war sie ehrenamtliche Pressereferentin beim Zentralrat der Muslime in Deutschland. In diesem Zusammenhang hat sie auch an der Deutschen Islamkonferenz teilgenommen. Sie ist zudem Mitglied des Netzes gegen Rassismus und vielen anderen interkulturellen und interreligiösen Arbeitskreisen. Sie arbeitet mit in zahlreichen Arbeitskreisen des Koordinierungsrates der Muslime in Deutschland (KRM). Seit Anfang 2010 ist sie Vorstandsmitglied des Aktionsbündnisses muslimischer Frauen. Und seit wenigen Monaten Generalsekretärin des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD).

Nurhan Soykan ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt im Großraum Köln.

MM: Sehr geehrte Schwester im Islam Nurhan Soykan, sie haben das Amt des Generalsekretärs des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) von ihrem Vorgänger Aiman A. Mazyek übernommen, der selbst jetzt Vorsitzender ist. Was wird sich an der Arbeit des ZMD ändern, was wird weiterentwickelt?

Nurhan Soykan: Es ist uns ein großes Anliegen, dass der ZMD breit aufgestellt wird. Wir haben viele neue Beauftragte , die sehr engagiert sind und den Vorstand mit neuen Ideen unterstützen. Insbesondere möchten wir unseren theologischen Sachverstand ausbauen. Wir haben einen Gelehrtenrat, die Fatwas zusammenstellt und Empfehlungen unter Berücksichtigung der europäischen Lebensbedingungen ausspricht. So haben wir einen kompetenten Ansprechpartner, der auf die Fragen europäischer Muslime antworten kann. Dr- Khallouk unterstützt uns mit Expertisen z.B. zur Darstellung des Islam in Schulbüchern. Das ist sehr wichtig für die Zukunft unserer Kinder. Den Vorstand erwarten Herausforderungen wie die Einführung von islamischem Religionsunterricht und die Einrichtung von islamischen Studiengängen.

MM: Sie waren Teilnehmerin der Deutschen Islamkonferenz (DIK). Aktuell sind sowohl der Zentralrat der Muslime in Deutschland als auch der Islamrat nicht mehr dabei. Viele Muslime haben es Ihnen sehr hoch angerechnet, dass Sie in Solidarität mit dem Ausschluss des Islamrats auch nicht daran teilnehmen. Was waren die inhaltlichen Gründe?

Nurhan Soykan: Die inhaltlichen Gründe waren, dass die DIK I schon an der Zusammensetzung krankte und die Inhalte staatlicherseits den Muslimen vorgegeben wurden, ohne deren Interessen zu berücksichtigen. Wir wollten eine Evaluierung und eine Beteiligung an der Konzeption der Dik II, um lösungsorientiert mitzuarbeiten. Das wurde uns nicht gestattet, stattdessen begann (der damalige Innenminister) De Maiziere ohne nennenswertes Konzept die DIK II, indem er längst behandelte Themen auf die Tagesordnung setzte, ohne Ziele zu formulieren. Gleichzeitig stufte er die DIK zu einer "Dialogplattform " herunter. Die Teilnahme an dieser halbherzig geführten Veranstaltung wäre nicht sinnvoll gewesen. Unsere Gesprächsangebote wurden nicht angenommen.

MM: Inzwischen gibt es einen neuen Innenminister, der sich gleich als quasi erste Amtshandlung mit einem Paukenschlag gegenüber den einheimischen Muslimen vorgestellt hat. Welche Perspektiven sehen Sie für den zukünftigen Dialog?

Nurhan Soykan: Dieser Paukenschlag ging meiner Ansicht nach weniger in Richtung Muslime, er wollte eher in seiner Partei und Wählerschaft mit der Aussage "der Islam gehöre nicht zu Deutschland" punkten. Später hat er wohl gemerkt, dass er sich als Innenminister einen Bärendienst erwiesen hat und hat zurückgerudert. Doch nun ist das Misstrauen da, das ist kein Fundament für einen konstruktiven Dialog. Mit der Forderung nach einem Sicherheitsgipfel hat er noch eins draufgesetzt. Kaum einer erwartet einen Schritt in Richtung Integration von der DIK, worum es eigentlich geht, hat Friedrich damit offenbart. Nämlich um Sicherheitsinteressen, dafür werden Organisationen instrumentalisiert, die sich seit Jahrzehnten für die Integration der Muslime einsetzen . So hatten sie sich ihre Aufgabe sicher nicht vorgestellt.

MM: Als Vorstandsmitglied des Aktionsbündnisses muslimischer Frauen, wenden Sie sich auch spezifischen Problemen von muslimischen Frauen zu. Welche sind da zu nennen?

Nurhan Soykan: Wir möchten die Rechte der Frauen vertreten, Ihnen eine Stimme geben und als Sachverstand und Ansprechpartner der Politik und der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Unsere Anliegen sind die Partizipation der muslimischen Frauen an der Gesellschaft zu fördern, deren Vernetzung auszubauen und gegen Diskriminierung vorzugehen. Insbesondere Frauen mit Kopftuch sind im Berufsleben besonders benachteiligt, nicht zuletzt aufgrund der Kopftuchverbote in einigen Bundesländern.

MM: Was bedeutet das in der Praxis? Was raten Sie z.B. Muslimas, die Lehrerin werden wollen und welche konstruktiven Projekte kann man sich vorstellen?

Nurhan Soykan: Wir weisen auf die jeweiligen Berufsverbote in den Bundesländern hin. Ob sie dennoch den Berufszweig wählen, ist ihre Entscheidung. Sie haben die Möglichkeit in Privatschulen unterzukommen, davon wird es sicher immer mehr geben. Die staatlichen Schulen fördern insbesondere leistungsschwache und sozial benachteiligte Kinder viel zu wenig. Eine Chancengleichheit ist nicht gewährleistet. Ich erwarte auch mehr muslimische Schulprojekte, der Bedarf ist da. Außerdem werden LehrerInnen für den Islamunterricht benötigt, für die nur Muslime in Frage kommen.

MM: Auch in Ihrer Anwaltskanzlei sind Sie sicherlich auch mit muslimischen Familienproblemen beschäftigt. Was steckt hinter dem Vorurteil der Rechtbrüche von Muslimen - Stichwort Ehrenmord, Zwangsheirat - und wie kann es gelingen zu verdeutlichen, dass jene Probleme nicht durch die Zuwendung, sondern Abwendung vom Islam entstehen?

Nurhan Soykan:  Meist sind es soziale, psychologische Probleme, gepaart mit traditioneller Auslegung von Werten, die nichts mit dem Islam zu tun haben. Allein die Einstufung der Betroffenen als Muslime, macht es zu einem islamischen Problem. Dagegen können wir uns nur wehren, indem wir gebetsmühlenartig erklären, wie unsere Religion zu diesen Erscheinungen steht.

MM: Nur ganz nebenbei gefragt: Gibt es eigentlich Probleme als Anwältin mit Kopftuch im Gerichtssaal?

Nurhan Soykan: Manche Richter sind verdutzt und fragen, wo die Anwältin bleibt, obwohl ich in Robe vor Ihnen stehe. Manche lassen ab und an auch mal einen unhöflichen Kommentar ab, aber sie gewöhnen sich an mich. Mit meinen Anwaltskollegen gab es bislang keine Probleme, ganz im Gegenteil.

MM: Kommen wir Zurück zum ZMD. Sie sind jetzt Generalsekretärin; unseres Wissens nach die Erste Muslima, die diesen Posten bekleidet. Worin sehen Sie Ihre speziellen Aufgaben?

Nurhan Soykan: Die unterscheiden sich nicht von denen meines Vorgängers, eine Frauenbeauftragte haben wir auch noch, daher werde ich nicht den Schwerpunkt Frauen haben. Als Frau habe ich aber natürlich eine besondere Sensibilität für deren Sorgen und berücksichtige diese in meiner Arbeit. Weiterhin möchte ich auch Schwestern ermutigen, sich zu engagieren und auch Vorstandsposten anzunehmen.

MM: Der ZMD zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er Mitgliedsvereine mit sehr unterschiedlichem "Migrationshintergrund", darunter auch "echte" deutsche Muslime hat, so dass zwangsläufig oft deutsch gesprochen werden muss. Ist die Sprachproblematik unter Muslimen nur eine Frage der Generationen, oder gibt es sie auch unter jungen Muslimen?

Nurhan Soykan: Nein, das ist ein veraltetes Problem. Wir haben eher Probleme, in unserer Herkunftssprache Sitzungen abzuhalten, was manchmal auch sein muss.

MM: Sie sind Mutter von zwei Kindern. Wie ist diese Doppel- oder Dreifachbelastung zu meistern und gibt es hierbei Unterschiede zwischen einer muslimischen und einer nichtmuslimischen Familie?

Nurhan Soykan: Das kommt auch immer auf den Ehepartner an, wenn mein Mann nicht überzeugt von meiner Arbeit wäre, könnte ich das alles nicht schaffen. Meine Grundeinstellung ist, dass Familie immer an erster Stelle steht. Daher müssen berufliche Belange oft zurückstehen. Dennoch kann man durch gute Organisation die Zeit optimal nutzen und viel erreichen.

MM: Sehr geehrte Schwester im Islam, wir danken für das Interview.

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