MM:
Sehr geehrte
Schwester im Islam Amina Boehm. Auch wenn Sie es sicherlich schon
hunderte Male erzählt haben, so würde auch unsere Leser Ihr Weg zum
Islam interessieren zumal er in einer Zeit erfolgte, als es noch nicht
so "kritisch" war wie heute.
Amina H. Boehm:
Nach den
ersten Begegnungen mit meinem jetzigen Mann hatte ich – um seine
Denkweise besser verstehen zu können - begonnen, mich mit den damals
noch wenigen deutschsprachigen Büchern über den Islam zu befassen.
Gleich zu Beginn stieß ich auf eine Überlieferung (Hadith) des Propheten
(s.): "Glaube nicht, was Du nicht verstehst"! Dieser Satz traf
mich im innersten Kern meines alten Konflikts als Christin, der - vor
damals mehr als einem Jahrzehnt - mir den letzten Anstoß gegeben hatte,
offiziell aus der Kirche auszutreten. Sie wissen, dass der westlich
geprägte Mensch eine Vorstellung von Religion hat, die im direkten
Widerspruch zur Wissenschaft, d.h. zu den Erkenntnissen unseres
Verstandes steht. Den Satz: "Glauben heißt "nicht wissen, aber
trotzdem für wahr halten" kennt wohl jeder und im
Religionsunterricht waren wir als Heranwachsende vor dem Verstand als
"Verführer, der vom Glauben abhält", mehr als einmal gewarnt worden.
Mir selbst hatte diese Auffassung, dass Glaube und Wissen einander
ausschließen sollten, nie eingeleuchtet, empfand ich doch meinen
Verstand als göttliches Geschenk an uns Menschen. Jetzt endlich hatte
ich in dem prophetischen Satz die Bestätigung meiner Zweifel bekommen
und im Islam eine Religion gefunden, die spirituelle Gewissheit und
Erkenntnisse des Verstandes widerspruchsfrei in sich vereint. So gab mir
der Islam die Möglichkeit, mich schrittweise in Richtung eines
"wissenden Glaubens" zu entwickeln, der mir die Kraft und den Mut
gab, einen neuen Lebensweg einzuschlagen.
MM:
Wie haben Ihre
Bekannten und Verwandten die Wandlung aufgenommen?
Amina H. Boehm:
Wie
nicht anders zu erwarten, mit Unverständnis. Das lag natürlich an ihrem
oben beschriebenen "verkümmerten" Begriff von Religion. Sie konnten
deshalb auch meine Begeisterung, endlich ein Lebensziel und eine mir in
ihren Grundlagen einleuchtende Lebensweise gefunden zu haben, nicht
teilen. Mein Kopftuch war für sie irgendwie peinlich. Das für mich
"sichtbare Bekenntnis zum Islam" war für sie damals zwar noch nicht das
Symbol für die "Unterdrückung der Frauen", sondern stand für sie ganz
allgemein für intellektuelle Rückständigkeit und für die Zugehörigkeit
zu einer sozial niedrigstehenden Bevölkerungsschicht. Inzwischen hat
sich das längst geändert. Nach den ersten Besuchen meiner Verwandten und
Freunde hier in Ägypten und ausführlichen Gesprächen haben sie meine
Entscheidung seit langem akzeptiert.
MM:
Die im "sicheren"
Deutschland groß gewordenen Frau hat sich zu einer Mutter von drei
eigenen und sechs Waisenkindern in einem Ägyptischen Dorf gewandelt. War
das nicht in so ziemlich jeder Hinsicht eine enorme Umstellung?
Amina H. Boehm:
Natürlich. Aber es war gleichzeitig auch ein wunderbares Beispiel für
das ausgewogene Lebenskonzept des Islam, das jedem einzelnen und jeder
noch so kleinen Gemeinschaft die Aufgabe zuweist, eine menschliche
Gesellschaft aufzubauen. Ohne Gemeinschaft kein Islam, und die kleinste,
aber wichtigste von ihnen ist eben die Familie als Baustein jeder
menschlichen Gemeinschaft. Im ländlichen Ägypten hat auch heutzutage die
Familie diese Bedeutung noch nicht verloren und nimmt sich das Recht und
hat die Pflicht, ihre familiären Aufgaben selbständig zu tragen, so dass
staatliche Institutionen, wie wir sie kennen, überflüssig sind. Das
bewahrt Kinder und beispielsweise auch alte Menschen davor, in der
Anonymität - und leider auch allzu oft - entmenschlichten Atmosphäre von
Waisenhäusern oder öffentlichen Altersheimen zu leben. Was mich selbst
betrifft, habe ich in diesen Jahren die beglückende Erfahrung gemacht,
den Fragen der jungen Menschen nach dem "Warum des menschlichen Lebens"
nicht mehr wie früher mit leeren Händen gegenüberzustehen, sondern ihnen
bei der Ausbildung ihrer eigenen Persönlichkeit innerhalb einer
islamisch gesetzten Ziel- und Sinngebung beistehen zu können.
MM:
Kommen wir nun zu
Ihrem aktuellen Buch, was war die Motivation dazu?
Amina H. Boehm:
Meine
Liebe zur Jugend und meine Verantwortung für sie als Muslima. Denn so,
wie wir von unserer Elterngeneration nach göttlichem Gesetz unser Leben,
Fürsorge und diesen Planeten als Existenzgrundlage erhalten haben, sind
wir auch verpflichtet, diese Gaben an die kommende Generation
weiterzugeben. Aber schauen wir auf diese Welt, die wir unseren eigenen
Kindern, unseren Erben, hinterlassen, so ist es ganz offensichtlich,
dass wir sie in jeder Hinsicht verdorben und aus ihrem göttlich
gesetzten Gleichgewicht gebracht haben. Jetzt ist das Mindeste, was wir
noch tun können, ja müssen, unsere Fehler zugeben und sie aufzeigen,
damit die Jugend aus ihnen lernen und sich eine neue, gerechtere Welt
aufbauen kann. Mein Buch soll dazu Anstoß und Mut geben. Es ist meine
feste Überzeugung, dass wir ohne einen grundlegenden Wandel unseres
globalen Zusammenlebens weder unsere physikalische noch unsere soziale
Umwelt -und das heißt vor allem auch, unsere Menschlichkeit- bewahren
können.
MM:
Die Leserschaft in
Deutschland kennt von deutschen Frauen, die den Islam annehmen, eher
Bücher, die sich mit "weiblichen" Themen beschäftigen. Ihr Buch ist
erfrischend politisch und stellt die Werteordnung des Islam auch als
Alternative für die Westliche Welt vor. Gab es schon erste Reaktionen?
Amina H. Boehm:
Vergessen wir nicht, dass gerade die sogenannten "weiblichen" Themen
hochpolitisch sind. Die Frau in ihrer traditionellen Rolle als - ich
möchte es einmal etwas altmodisch ausdrücken – "Hüterin und Bewahrerin"
der Familie, erbringt die Voraussetzungen für eine stabile und
ausgewogene Gesellschaft. Es ist ja kein Zufall, dass alle unsere
Offenbarungsreligionen, das Juden- und das Christentum und eben auch der
Islam, der Familie so hohe Bedeutung zumessen. Umgekehrt haben wir auch
aus unserer Geschichte, z.B. die der Industrialisierung, gelernt, dass
eine bestehende Gesellschaft und die Ideologie, die in ihr vertreten
wird, am grundlegendsten dadurch geändert werden kann, dass die Frau aus
ihrer traditionellen Stellung "befreit" wird. Von diesem Standpunkt aus
betrachtet erklärt sich in meinen Augen auch die "Fürsorge", die der
Kopftuch tragenden Muslima im westlichen Europa zuteil wird. Hier in
Ägypten ist das natürlich anders, hier ist man in der Öffentlichkeit von
lauter "Kopftuchfrauen" umgeben, die bestimmt total verdutzt wären, wenn
man sie als "unterdrückt" ansehen und ihnen deswegen "Beistand" anbieten
würde.
Noch ein Wort zu
Ihrer Bemerkung, dass in meinem Buch die Werteordnung des Islam auch als
Alternative für die Westliche Welt vorgestellt wird. Das ist richtig.
Aber ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. In meinem Buch vertrete
ich die These, dass die so selbstverständliche Grundlage der westlichen
Gesellschaftsordnung, die Trennung von Kirche und Staat, letztendlich
dazu geführt hat, dass alle moralischen Verhaltensnormen aus dem
öffentlich-politischem Leben entfernt worden sind. Dies hat uns alle zu
einer Kultur geführt, in der allein das Recht des Stärkeren gilt und die
Ursache dafür ist, dass wir in selbstmörderischer Weise unseren Planeten
und letztendlich die Menschheit selbst zerstören. Das ist keine neue
Erkenntnis und kein vernünftiger Mensch wird diese Tatsache leugnen
können. Aber ich meine, dass die Zeit des Wartens auf irgendwelche
Lösungen schon vorbei ist. Es ist die Zeit, Partei zu ergreifen. Und das
kann für uns Gläubige, gleich ob Jude, Christ oder Muslim, nur heißen,
dass wir die Verantwortung auf uns nehmen müssen, diese Trennung von
Politik und Religion durch die Setzung moralischer Normen im
öffentlichen Raum wieder aufzuheben. So wie das Christentum sich auf die
Grundlagen des Alten - jüdischen – Testamentes stützt und beide die
gleichen Propheten verehren, sind auch beide, das Christen- und das
Judentum, Teil der muslimischen Identität. Wie könnten wir uns da nicht
einigen angesichts der gleichen Wurzeln unseres Ursprungs? Wenn wir uns
ernsthaft für eine bessere, gerechtere Welt einsetzen wollen, werden wir
nicht umhin kommen, die göttliche Führung anzunehmen. Es ist unsere
Pflicht als Gläubige, die geschichtlich bezeugte Stärke und Kraft
unserer Glaubensrichtungen wiederzubeleben, um sie fruchtbar zu machen
für eine neue Weltkulturordnung, die diesen Namen auch verdient.
MM:
In wie weit sehen
Sie eine Parallele zwischen Ihren Gedanken im Buch und den jüngsten
Ereignissen in Ägypten?
Amina H. Boehm:
Die
These von der Trennung von Moral und politischem Verhalten als Ursache
des allgegenwärtigen Elends auf unserem Planeten Erde lässt sich
natürlich auch dahingehend umkehren, dass eine Gesellschaft sich nur
dann in einem Zustand des Fortschritts und einer auf Gerechtigkeit
fußenden Stabilität befindet, wenn die Politik die Menschen nach
religiös begründeter Moral in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellt.
In meinem Buch stelle ich innerhalb meiner Argumentation Ägypten als ein
Land vor, das sich im Zustand des Stillstands und des Verfalls befindet,
obwohl ihre Menschen sich zum Islam bekennen, der aber hier seit der
Zeit der Kolonisation keine politische Wirkung mehr ausübt. Ich vertrete
gleichzeitig die Auffassung, dass die Menschen hier - als
unausweichliche Folge der westlichen "Dritte-Welt-Politik" mit ihrer
aggressiven Wirtschaftsstruktur - gegen ihre eigene vom Westen
unterstützten und bezahlten Regierung aufstehen werden. Mich hat selbst
überrascht, wie schnell meine Voraussage eingetreten ist. Aber diese
Entwicklung hat auch gezeigt, dass das Streben nach Freiheit und
Gerechtigkeit eine Wesenseigenschaft des Menschen ist und deshalb auf
Dauer auch nie ausgeschaltet werden kann. Das sehen wir nicht nur an dem
"Islamischen Erwachen" der arabischen Länder, sondern es ist auch
abzulesen an dem weltweit verbreiteten Aufstand der Menschen gegen das
herrschende "System des Kapitals" oder wie sie sagen, der "organisierten
Gier". Was Ägypten betrifft, so habe ich in meinem Buch noch eine
Vorhersage gewagt: Auch wenn es noch eine Weile dauern wird, das
ägyptische Volk wird - wenn auch vielleicht auf Umwegen – den Islam
wieder zur Grundlage ihres gesellschaftspolitischen Verhaltens machen.
Ich bin auch zutiefst davon überzeugt, dass der Islam sich als
Gesellschaftsorganisation auch global weiter ausbreiten wird. Sich nach
islamischen Grundsätzen zu verhalten heißt ja, sich mit Hilfe der
menschlichen Vernunft nach der göttlichen Weisheit zu richten. Wer von
uns kennt einen besseren Weg?
MM:
Islamophobe
Organisationen in Deutschland "drohen" ja genau mit Ihrer
Zukunftsprognose. Wie können Sie dem nichtmuslimischen Leser die Angst
nehmen?
Amina H. Boehm:
Am besten dadurch, dass sie mein Buch lesen! Aber im Ernst und in
Kürze möchte ich drei Argumente anführen:
1. Durch die
ständige Präsenz der Medien, die im Dienst der Wirtschaft oder anderen
Interessengruppen ihre Meldungen verbreiten und sich die Religionen,
besonders aber den Islam, zum Feindbild ausgewählt haben, fällt es dem
normalen Zeitungsleser sehr schwer, sich seine eigene Meinung zu bilden.
Dabei würde allein schon ein Blick auf die europäische Geschichte der
letzten 200 Jahre ausreichen, um zu erkennen, dass die abendländischen
Völker selbst durch ihre Politik Angst und Schrecken, Kriege,
Zerstörungen und unbeschreibliches Elend in einem bisher nie gekannten
Ausmaß in allen Erdteilen verbreitet haben. Das können wir in unseren
eigenen Geschichtsbüchern nachlesen, nur dass dort die Raubzüge
"Entdeckungen" und heute "Befreiung" der Völker genannt werden. Wer also
müsste vor wem Angst haben?
2. Nehmen wir uns
einmal selbst beim Wort. Das Recht eines Volkes, sich auf eigenem Boden
nach eigenen Vorstellungen zu organisieren, gehört zu den
grundlegendsten Menschenrechten, die wir immer so vehement vertreten.
Ägypten ist zu 90% muslimisch, die Wahlen haben gezeigt, dass das Volk
den islamischen Führern am meisten vertraut und nach islamischen
Grundsätzen leben möchte. Wir haben schon davon gesprochen, dass der
Islam alle Propheten des Juden und Christentums verehrt und in seiner
Zielsetzung in keiner Weise im Widerspruch zur jüdisch-christlichen
Moral steht. Wo also liegt das Problem?
3. Für jeden Muslim
beinhaltet der Islam die perfekteste Form einer Demokratie, weil die
Gesetz gebende Gewalt außerhalb der menschlichen Verfügbarkeit liegt und
so verhindert, dass sich Einzelne oder auch bestimmte
Bevölkerungsgruppen auf "legalem" Wege unrechtmäßige Vorteile
verschaffen. Die islamische Demokratie erfordert darüber hinaus
eigenständige, aktive und eigenverantwortliche Menschen, um eine Politik
zu treiben, die nach sozialer Gerechtigkeit strebt und es jedem
einzelnen ermöglicht, nicht nur seine grundlegendsten Bedürfnisse zu
erfüllen, sondern auch Bedingungen vorfindet, in denen er all seine
menschlichen Begabungen und Schaffenskraft voll zur Entfaltung bringen
kann. Die europäischen Völker müssen sich daran gewöhnen, dass es
einfach unterschiedliche Auffassungen von Demokratie gibt. Ehrlichkeit
und Vertragstreue gegenüber jedermann sind im Islam einklagbare
Pflichten. Es liegt doch auch im Interesse der westlichen Länder, von
stabilen Nachbarstaaten umgeben zu sein und mit Völkern Handel zu
treiben, die in ihrem Verhalten einschätzbar sind.
MM:
Kehren wir zurück
nach Ägypten. Ist es denn nicht so, dass die Ägypter letztendlich heute
faktisch verhungern müssten, würden die Nahrungsmittellieferungen aus
den USA ausbleiben? Wie kann man aus solch einer Teufelsabhängigkeit
herauskommen?
Amina H. Boehm:
Das ist
ganz und gar nicht der Fall. Wenn Ägypten abhängig ist von
amerikanischen Getreidelieferungen, so sind das künstlich geschaffene,
gewollte Abhängigkeiten. Ägypten auf arabisch heißt "Misr", die
Fruchtbare, weil es alles hat: genug Land, genug Wasser, drei
Vegetationsperioden im Jahr, d.h. dreifache Ernte, genug Geld für Samen
und genug Menschen, die selbst ohne Maschinen alle Arbeit bewältigen
könnten, um das Volk satt zu machen. Das einzige, was Ägypten nicht hat,
ist eine Regierung, die für das Gemeinwohl arbeitet und die verhindert,
dass einzelne Mitglieder im Namen des Volkes Verträge abschließen, die
ihnen selbst reichliche Provisionen und dem Volk immer neue
Abhängigkeiten bringen.
MM:
In der westlichen
Welt wird bei der Betrachtung Ägyptens unterschieden zwischen
"moderaten" Muslimbrüdern und "Salafisten". Wie ist die Wahrnehmung
Vorort?
Amina H. Boehm:
In
diesen Tagen wird hier in Ägypten unendlich viel diskutiert, analysiert
und noch mehr spekuliert. Muslimbruder oder Salafist, beide sind
Muslime, haben den gleichen Qur’an, den gleichen Propheten (s), das
gleiche Ziel. Alles was darüber hinaus geht, ist göttlicher Segen,
Reichtum der Vielfalt in der Einheit. Gefahr droht erst dann, wenn das
Wort "moderat" für "käuflich" steht.
MM:
Sie leben in
Ägypten, schreiben aber für deutschsprachige, kann jemand Sie erreichen,
wenn er über das Buch mit Ihnen diskutieren möchte? Gab es überhaupt
schon Reaktionen?
Amina H. Boehm:
Bis jetzt habe ich nur Reaktionen aus dem Freundes- und
Bekanntenkreis erhalten und freue mich deshalb über jede Anregung und
vor allem auch über Kritik. Meine Mail-Adresse lautet:
ah_boehm@yahoo.de
MM:
Sehr geehrte Schwester Amina Bohm, wir danken für das Interview. |