Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Pater Nennstiel
 

Muslim-Markt interviewt
Pater Richard Nennstiel OP - Leiter des Dominikanischen Instituts für christlich-islamische Geschichte und Islambeauftragter des Erzbistums Hamburg

Pater Richard Nennstiel wurde am 8. November 1963 in Bad Hersfeld/Hessen geboren. Er besuchte dort die Schule und legte 1983 das Abitur ab. Nach seinem Dienst als Offizier in der Luftwaffe studierte er Philosophie und Geschichte an der Universität Köln.
Nach Abschluss des Studiums begann er 1999 das Noviziat im Dominikanerorden. Im Jahre 2000 legte er die zeitlichen Gelübde und 2003 die feierlichen Gelübde ab. In dieser Zeit studierte er katholische Theologie an der Universität Bonn und Montréal/Kanada.
Ab 2002 ist Pater Richard regelmäßig in Istanbul und Kairo, um sich mit dem Islam und der christlich-islamischen Geschichte zu befassen.

Nach Abschluss des Studiums wurde er 2006 in Köln zum Priester geweiht. Nach der Priesterweihe war er zum Pastoralpraktikum in Istanbul und hat in der deutschsprachigen Gemeinde gearbeitet.
2008 wurde in Hamburg das „Dominikanische Institut für christlich-islamische Geschichte“ gegründet, das sich mit der Geschichte der christlich-islamischen Beziehungen unter dem Blickwinkel des Dominikanerordens beschäftigt. Pater Richard leitet das Institut in Hamburg.

In Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie in Hamburg gibt es seit 2009 eine Vortragsreihe unter dem Thema: Bausteine zum christlich-islamischen Dialog.
Er arbeitet auch an einer Doktorarbeit zum Thema: Kontinuität im Zeitumbruch. Die Dominikaner in Istanbul während des I. Weltkriegs.
Im Januar 2012 wurde Pater Richard von Erzbischof Dr. Werner Thissen zum ersten Islambeauftragten des Erzbistums Hamburg ernannt.

MM: Sehr geehrter Herr Pater Nennstiel. Beginnen wir mit einer persönlichen Frage: Wie und warum haben Sie sich entschieden dem Dominikaner-Orden beizutreten und katholischer Priester zu werden?

Pater Nennstiel: Ich habe an der Universität Köln Philosophie und Geschichte studiert. Im Bereich der mittelalterlichen Philosophie habe ich dann Thomas von Aquin und auch Albertus Magnus kennengelernt. Ich war fasziniert von ihrem Denken und auch von ihrer Offenheit im Denken. Albertus Magnus hat sich mit Aristoteles beschäftigt, aber auch mit Avicenna und Averroes. Er hat der mittelalterlichen Philosophie und Theologie neue Wege geöffnet, indem er gezeigt hat, dass Glaube und Vernunft keine Widersprüche sind, sondern erst zusammen den Menschen in die Wahrheit führen. Er hatte großen Einfluss auf Thomas von Aquin und war auch sein Lehrer.

Das Grab des Heiligen Albertus befindet sich in Köln in der Kirche St. Andreas. Bei einem Besuch habe ich die Dominikaner kennengelernt. Auch Albertus und Thomas waren Dominikaner. Ich habe dann dort die Heilige Messe besucht und auch eine Bibelgruppe. Dann habe ich mich genauer mit dem Ordensleben und besonders mit den Dominikanern beschäftigt und habe gespürt, dass mich das Ordensleben immer mehr angezogen hat. „Semper studere“ (immer studieren/lernen) ist das Motto des Ordens. Immer tiefer einzudringen in die Wahrheit, die unendliche Wahrheit die Gott ist.

Hinzu kommen das fünfmalige Gebet am Tag, die Predigt und die Meditation. Ganz für Gott und die Menschen leben. Daher habe ich mich entschlossen in den Dominikanerorden einzutreten und Priester zu werden. Nach 3 Jahren der Prüfung habe ich die feierlichen Ordensgelübde abgelegt und wurde nach Abschluss des Theologiestudiums zum Priester geweiht.

MM: Was sind Ihre Aufgaben als Islambeauftragter und wie kamen Sie dazu sich mit dem Islam zu beschäftigen?

Pater Nennstiel: Als Islambeauftragter des Erzbistums Hamburg halte ich den Kontakt zu den verschieden islamischen Moscheen und Organisationen. Ich erkläre die Position der Katholischen Kirche zu verschieden Fragen und versuche in Gesprächen auch die Positionen der verschiedenen islamischen Gruppen kennenzulernen. Auch die Frage nach Problemen der muslimischen Gläubigen in der Gesellschaft ist notwendig. Gibt es Möglichkeiten Lösungen zu finden? Wo liegen gemeinsame Interessen? Können wir voneinander lernen?

Als ich vor ca. 12 Jahren das erste Mal in Istanbul war, habe ich im Dominikanerkloster in Galata/Beyoglu gewohnt. Die Dominikaner sind seit 1228 in Istanbul. Ich war sofort begeistert von der Stadt und den Menschen. Meine Besuche in den Moscheen haben mir die tiefe religiöse Dimension dieser Bauwerke vermittelt. Orte des Gebetes, der Meditation und der Hingabe an Gott. Ich wollte mehr über den Islam erfahren. So habe ich mich mit dem Islam beschäftigt. Die theologische Tiefe und Ernsthaftigkeit der Suche nach Gott in der islamischen Theologie fordert mich immer wieder heraus. Gerade der Sufismus ist der christlichen Mystik ähnlich. Die Versenkung in das unergründliche Mysterium Gottes, in dem der Mensch seine Geschöpflichkeit, aber auch seine Begrenztheit kennenlernt, die getragen wird von der unendlichen Liebe und Zuwendung Gottes zu seinen Geschöpfen. Theologie führt den Menschen an den Kern seines Wesen und damit zu Gott. Diese Faszination, die von Gott ausgeht, müssen die Religionen den Menschen aufzeigen. Und diese Faszination ist auch in der islamischen Theologie greifbar und daher fruchtbar für Christen.

Bei meinen Besuchen in Kairo konnte ich meine Kenntnisse über den Islam und seine Geschichte erweitern. Die lange wechselvolle Geschichte ist hier greifbar. Auch die Gegenwart des Religiösen, die Gebete der Gläubigen und die Andacht in den Moscheen haben mich beeindruckt. Geschichte, Gegenwart und Zukunft fließen zusammen.

MM: Hierzulande ist oft vom Gegensatz von Muslimen und Christen die Rede. Als praktizierender Muslim in Deutschland hat man aber das Gefühl, dass es kaum vergleichbar praktizierende Christen gibt, dass der Anteil der "Kulturchristen" viel größer ist, als bei Muslimen, dass man es als Muslim also eher selten mit Christen im eigentlichen Sinne zutun hat. Ist dies nur auf die Perspektive zurückzuführen oder sehen Sie da auch signifikante Unterschiede in der Religiösität in Deutschland?

Pater Nennstiel: Ich glaube, dass dies eher auf die Perspektive zurückzuführen ist. In meiner Zeit in den katholischen Gemeinden St. Paulus und St. Stephanus in Hamburg habe ich viele praktizierende Christen kennengelernt. Menschen, die vom Glauben an Christus erfüllt waren und versucht haben diesen Glauben in ihren Leben umzusetzen. Allerdings sind auch Katholiken eine Minderheit in Hamburg. Aber ohne Frage kann man gelegentlich eine gewisse Scheu bei Katholiken feststellen, ihren Glauben offen zu bekennen. Das liegt zum Teil am säkularen Umfeld in dem sie leben und in dem Glauben als etwas Rückständiges gesehen wird. „Wie kann man heute noch glauben?“ Dies geht oft einher mit dem Lächerlich machen von religiösen Inhalten. Über Gott und die Religionen zu lästern ist kein Tabu mehr. Dies schafft ein Klima, in dem das Glaubenszeugnis nicht immer einfach ist. Papst Benedikt XVI. hat ein Jahr des Glaubens ausgerufen. Dies sollte uns Katholiken Ansporn sein, den Glauben offen zu bekennen und sichtbar zu machen.

Mir stellt sich die Frage ob es nicht auch ähnliche Tendenzen im Islam gibt. Werden nicht auch Muslime von den Tendenzen einer säkularisierten Gesellschaft erfasst?

MM: Warum scheint Christen in Deutschland die extreme Beleidigung christlicher Heiligkeiten, ob in Filmen oder Büchern, nahezu gleichgültig zu sein, oder täuscht das?

Pater Nennstiel: Dies täuscht nicht! Wir haben uns leider daran gewöhnt, dass unter dem Deckmantel der Kunst oder der Meinungsfreiheit Beleidigungen des christlichen Glaubens stattfinden. Man will ja als offen, modern und tolerant erscheinen und wehrt sich nur bedingt. In der heutigen „Comedy Kultur“ des TVs kann alles lächerlich gemacht werden, je gröber je besser. Einschaltquote ist das Wichtigste. Wir merken gar nicht, wie diese Banalisierung und Kommerzialisierung der Welt die Würde des Menschen unterhöhlt. Lächerlich machen gehört zum Alltag. Aber wo es keine Grenzen mehr gibt, steht alles zur Disposition.

MM: Fragt man nach den Unterschiedenen zwischen den Buchreligionen, und den teils sehr gegensätzlichen Auffassungen, etwa zur Anerkennung von Propheten, oder zum Monotheismus, so wird oft auf verschiedene Zuwendungen zu Gott, verschiedene Seiten von Medaillen à la Ringparabel verwiesen. Aber ist das wirklich ehrlich, glauben religiöse Menschen nicht eigentlich sie selbst hätten "recht", würden also die "wahre Religion" tatsächlich befolgen, oder dies wenigstens versuchen, während die anderen weniger ideale Zugänge gewählt hätten?

Pater Nennstiel: In der Religion geht es um die Wahrheit, die Gott selbst ist. Man kann die Frage nach der Wahrheit einer Religion also nicht zur Seite schieben und alle Religionen gleich machen. Hätte Gott gewollt, dass es nur eine Religion gäbe, hätte er nur eine „geschaffen“. Also liegt auch in der Verschiedenheit etwas, dem man nachgehen muss und das einen Sinn hat.

Wir Christen glauben, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist und wir glauben an den Dreieinen Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die Vorstellung der Inkarnation und der Trinität (aber auch andere Inhalte) sind für Muslime Glaubensinhalte, die sie nicht teilen können. Das Gottesbild ist unterschiedlich.

Aber wie offenbart sich Gott in seiner Hinwendung zu den Menschen? Sowohl im Islam wie im Christentum offenbart er sich als barmherziger Schöpfer, der sich den Menschen in Liebe zuwendet. Die Menschen sind seine Geschöpfe und haben damit eine Würde, die nicht aus ihnen selbst stammt, sondern von Gott kommt. Gott zeigt im Menschen, in jedem Menschen unabhängig von Religion, Nation oder Geschlecht seinen liebenden Schöpfungswillen. Dass der Mensch Geschöpf Gottes ist vereint Christen und Muslime! Und uns vereint der Glaube an die von Gott geschenkte menschliche Würde. Glaubhafte Zeugen der Religion werden wir durch die Glaubens- und Lebenspraxis. Respektieren wir diese Würde des Menschen?

Ich glaube, dass wir diesen Aspekt in den Blick nehmen sollten. Die Frage nach der Wahrheit der Religion ist unabdingbar, aber sie sollte uns nicht trennen. Ziel des christich-islamischen Dialoges kann es nicht sein, eine Religion zu schaffen oder die Unterschiede zu leugnen. Es gibt grundlegende Unterschiede. Aber suchen wir nicht alle den Weg zum Schöpfer? Und ehren wir nicht den Schöpfer indem wir seine Geschöpfe ehren?

Christen und Muslime müssen trotz der Glaubensunterschiede zusammenarbeiten für eine Welt, in der die menschliche Würde kein leeres Wort ist. Da haben wir beide Defizite und sollten uns gegenseitig anspornen.

Papst Benedikt XVI. hat von den Muslimen als unseren Geschwistern gesprochen. Er verweist auf die gemeinsame Aufgabe, die wir Gläubigen haben.

Respekt vor der anderen Religion, setzt voraus, dass man sich mit der anderen Religion beschäftigt. Aber man entdeckt zugleich das eigene neu, gereinigt. Wenn wir die Religion reinigen, befreien von falschen Vorstellungen, sind wir auf einem Weg, der uns nicht trennt, sondern in der Sorge um Gott und die Menschen verbindet.

Wir neigen dazu, nur das zu sehen, was uns trennt. Wir müssen sehen was uns auch in der Geschichte verbunden hat. Für den Hl. Thomas von Aquin war Averroes der Kommentator, den er für unablässig hielt, um Aristoteles zu verstehen. Wir müssen die Furcht voreinander überwinden und erkennen, dass wir voneinander lernen können.

Ich hatte vor einem Jahr Gäste aus der heiligen Stadt (Qom) Ghom (Iran). Professoren und Studenten der Theologie und Religionswissenschaften. Bei ihnen habe ich die Neugier, diese Suche nach Gott und der Wahrheit gespürt. Die lange Geschichte und Tradition der Gelehrsamkeit des Iran war greifbar. Der Wunsch das Christentum kennenzulernen, um in einen fruchtbaren Dialog zu treten.

Ohne Berührungsängste gegenseitig voneinander lernen, das ist mein Wunsch. Kein Verschweigen von dem, was uns trennt. Aber versuchen, Brücken zu bauen zu Ehren unseres Schöpfers.

MM: Pater Nennstiel, vielen Dank für das Interview!

Links zum Thema

  • www.dicig.de - Dominikanisches Institut für christlich-islamische Geschichte
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