Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Werner Ruf
 

Muslim-Markt interviewt 
Prof. Dr. Werner Ruf - Autor des Buches "Der Islam - Schrecken des Abendlandes"

22.3.2012

Prof. Dr. phil. Werner Ruf (Jahrgang 1937) hat nach seinem Abitur 1957 in Radolfzell/Bodensee Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte und Romanistik an den Universitäten Freiburg, Paris, Saarbrücken und Tunis studiert. Anschließend war er wissenschaftlicher Assistent am Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung, Freiburg, und Lehrbeauftragter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

In 1967 folgte die Promotion zum Dr. phil. in Freiburg mit der Dissertation "Der Burgibismus und die Außenpolitik des unabhängigen Tunesien". Es folgten Gastprofessuren am Center for International Studies der New York University,  an der Universität Aix-Marseille III, und er war Leiter der Forschungsabteilung des Centre de Recherches et d'Etudes sur les Sociétés Méditerranéennes (CRESM), heute: Institut de Recherches et d'Etudes sur le Monde Arabe et Musulman (IREMAM), Aix-en-Provence. Von 1974 bis 1982 Professor für Soziologie an der Universität Gesamthochschule Essen. Und anschließend folgte die Berufung zum Professor für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Kassel. Seit April 2003 ist er im (Un)Ruhestand. Anfang 2012 veröffentlichte er das Buch "Der Islam - Schrecken des Abendlandes". Der Muslim-Markt hatte Herrn Prof. Ruf bereits im Jahr 2007 interviewt, nahm die neue Buchveröffentlichung aber zum Anlass noch einmal nachzufragen.

Prof. Ruf ist verheiratet hat 3 Kinder und lebt im Großraum Kassel.

MM: Sehr geehrter Prof. Ruf, im Jahr 2007 hatten sie einen neunseitigen Fachartikel mit dem Titel: "Islamische Bedrohung?" veröffentlicht. Im Laufe von fünf Jahren ist daraus ganz offensichtlich ein ganzes Buch mit dem Titel "Der Islam - Schrecken des Abendlandes" geworden. Was war die Motivation zu dem Buch?

Ruf: Der Anstoß kam vom Verlag. Die Motivation ist einfach: Gerade nach den Morden des NSU, aber auch nach den arabischen Revolten ist hier Vieles in Bewegung geraten, ein gewisses Nachdenken hat eingesetzt. Die arabischen Revolten haben gezeigt, das vor allem in der internationalen Politik das Feindbild vom "Kampf der Kulturen" nicht mehr haltbar ist: Samuel Huntingtons Paradigma basierte ja auf der These, dass Muslime unfähig zur Demokratie seien. Wenigstens hier beginnt jetzt ein Umdenken. Ich hoffe, dass sich dies auch auf die innerdeutsche Debatte auswirken wird.

MM: In Ihrem Buch behandeln Sie in aller Deutlichkeit eine ganze Reihe von Themen, die mit dem neuen Feindbild "Islam" zu tun haben. Haben Sie nicht den zu erwartenden Gegenwind gefürchtet?

Ruf: Natürlich wird es "Gegenwind" geben. Dies kann ja wohl kein Grund sein, nicht für die Werte unserer Republik und die Gleichberechtigung der hier lebenden Menschen zu streiten. In diesem Sinne kann "Gegenwind" durchaus fruchtbar sein: Die Debatte könnte helfen, die Auseinandersetzung zurück zu holen auf den Boden der Rationalität und der Normen des Grundgesetzes.

MM: Sie nehmen kein Blatt vor den Mund und nennen auch ganz "undiplomatisch" Namen wie Sarrazin, Broder und Giordano, die zudem von den wichtigsten Medien des Landes unterstützt werden. Wie konnte es dazu kommen, dass selbst ganz offene rassistische Elemente sich mit angeblicher Islamkritik mischen konnten, ohne dass die Mainstream-Medien und die meisten Journalisten dagegen aufbegehren?

Ruf: Die allenthalben zelebrierte "Islamkritik" ist im Kern nur ein Vorwand: Es geht gar nicht um den Islam, wie beispielsweise Ralph Giordano sagt, sondern es geht gegen die Migranten, die hierzulande vorwiegend aus mehrheitlich muslimischen Ländern kommen. Das zeigt schon die Tatsache, dass unter Muslimen auch jene Migranten subsumiert werden, die Alaviten oder Christen sind – Hauptsache sie stammen aus dem Orient. Auch wird in dieser Debatte so getan, als ob Muslim-Sein erblich wäre – bis in die dritte und vierte Generation der aus der Migration stammenden Menschen. Gemeint ist also nicht die Religion, gemeint sind auch nicht muslimische Gläubige, es geht um rassistische Ausgrenzung der Fremden.

Warum die Mainstream-Medien so reagieren, entzieht sich meiner Kenntnis: Dort sitzt genügend intellektuelles Potenzial, das aufklärerisch tätig werden könnte – und müsste. Die Kehrseite ist dann der Markt: Man schaut auf die Verkaufsziffern und meint, Vorurteile bedienen zu müssen. Das hat die Sarrazin-Debatte überdeutlich gezeigt.

MM: Nicht zuletzt beschäftigen Sie sich auch mit dem Thema der sogenannten "Antideutschen". Würden Sie denn einem Muslim (selbst wenn er praktizierender Muslim ist) unter Umständen zugestehen pro-Deutschland zu sein?

Ruf: Die "Antideutschen" sind eine sehr bunt gemischte Truppe. Ihr gemeinsamer Hauptnenner ist die bedingungslose Solidarität mit Israel. In einer extrem vereinfachten Form hängen sie der These von Daniel Goldhagen an, dass die Deutschen eine antisemitische Veranlagung hätten – als ob es Antisemitismus nicht auch in anderen Gesellschaften gäbe. Aus dieser Annahme resultiert auch der Begriff "antideutsch". Im Umfeld dieser Strömung kenne ich viele Menschen, die die grässliche deutsche Vergangenheit durch solche bedingungslose Solidarität zu bewältigen suchen. Damit verstellen sie sich den Blick auf schlichte Tatsachen, etwa, dass Israel nicht gleichzusetzen ist mit dem Judentum, und dass der Zionismus eine nationalistische Ideologie ist, die in sich jene extremistischen Gefahren birgt, die in jedem Nationalismus stecken. Diese bedingungslose Solidarität macht sie immun für jede Kritik am Staat Israel, seinen Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen. So geraten sie auf einen Weg, an dessen Ende die Ablehnung der Universalität der Aufklärung und der Menschenrechte steht – was sie vehement bestreiten, was aber dennoch nicht von der Hand zu weisen ist. Ihre Positionen nähern sich dann denen der Rechten an.

Selbstverständlich kann ein Muslim ein guter Deutscher sein, und Viele sind es. Mich erinnert diese Debatte an den Kulturkampf zu Bismarcks Zeiten, als die Katholiken unter dem Verdacht standen, keine zuverlässigen deutschen Staatsbürger zu sein. Pro-Deutschland im Sinne jener "Pro-Bewegungen" wie Pro-Köln, Pro-NRW etc. werden sie wohl hoffentlich nie werden!

MM: Sie ziehen auch eine Verbindungslinie zwischen der "extremen Rechten", wie Sie es nennen, und Israel. Haben Sie keine Angst dem Vorwurf des Antisemitismus ausgeliefert zu werden?

Ruf: Nein, ich ziehe keine Verbindungslinie. Ich stelle nur fest, dass für prominente Vertreter der europäischen Rechten wie Wilders, Strache, Stadtkewitz und viele Andere Israel in jüngster Zeit geradezu zu einem Wallfahrtsort geworden ist. Die Strategie ist klar: Da sie sich pro-israelisch verhalten und äußern, können sie ja keine Faschisten sein. Verblüffend ist allerdings auch, dass sie von hohen Vertretern Israels empfangen werden. Andrerseits liegt ja das Gedankengut der Vertreter der europäischen extremen Rechten nicht so weit entfernt von dem der israelischen extremen Rechten: Wenn Avigdor Lieberman Geert Wilders empfängt, eint sie ein gemeinsamer Feind: Die Muslime.

Natürlich wird die Antisemitismus-Keule geschwungen werden, aber damit muss man leben, wenn man solche Dinge ausspricht: Ich weiß mich da in bester Gesellschaft mit vielen humanistischen jüdischen Freundinnen und Freunden.

MM: Bedrohung hat ja oft auch etwas mit Wahrnehmung zu tun. Während die westlichen Wahrnehmung diejenigen ist, dass es so etwas wie eine "islamische" Bedrohung geben könnte, nehmen Muslime überall in der Welt westliche Soldaten als Massenmörder und Besatzer bzw. Unterstützer von Besatzern wahr. Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden?

Ruf: Dieser Teufelskreis kann sehr wohl durchbrochen werden: Ganz einfach dadurch, dass man miteinander redet. Vor allem aber, dass man Empathie entwickelt, dass man versucht die Welt mit den Augen des Anderen zu sehen. Jürgen Todenhöfer, lange Jahre für die CDU im Bundestag, hat dies jüngst in einem kleinen Büchlein "Feindbild Islam – zehn Thesen gegen den Hass" wunderbar deutlich gemacht.

MM: Die ganze Problematik hängt in einem weiteren Rahmen ja auch mit einer neoliberalen Weltpolitik zusammen. Warum gelingt es Deutschland nicht, sich von dieser Art der Politik abzukoppeln und eine eingeständige, den eigenen Interessen dienlichere Politik vorzuleben, schließlich sind Muslime in Deutschland und werden auch in Deutschland bleiben?

Ruf: Ja natürlich: vergessen wir nicht, dass in den Zeiten des "Wirtschaftswunders", also der Vollbeschäftigung, ausländische Arbeitskräfte ins Land geholt wurden. Zunächst Italiener, dann Jugoslawen und schließlich Türken. Ihre objektive Funktion war die, die Löhne für deutsche Arbeitskräfte nicht ins "Uferlose" steigen zu lassen. Die Konkurrenz zwischen deutschen und ausländischen Arbeitskräften war strukturell angelegt. Im Zeitalter der neo-liberalen Globalisierung, der Produktionsauslagerung in großem Stil, verschärft sich auch die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Da werden nationalistische Klischees aktiviert, um die Solidarisierung der Lohnabhängigen zu verhindern. Das beste und jüngste Beispiel sind "die Griechen".

MM: Erlauben Sie zum Abschluss eine Frage zu Ihrem Berufsstand. Unsere - möglicherweise sehr subjektive - Wahrnehmung ist derart, dass Hochschullehrer erst im Ruhestand solch mutige Bücher schreiben. Gibt es Zwänge an der universitären Forschung, welche die Forscher diesbezüglich einengen?

Ruf: Das kann ich so nicht stehen lassen, weder für mich und viele meiner früheren Publikationen, noch für viele Kolleginnen und Kollegen. Vergessen Sie auch nicht, dass gerade die Friedensforschung sich immer "kritische Friedensforschung" nannte und es in Teilen heute noch ist. Gesellschaftskritik, die ja die Wissenschaft zu leisten hat, hat immer auch zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse beigetragen. Allerdings mag es sein, dass der Einzug des Neo-Liberalismus auch in den Universitäten zu verschärfter Konkurrenz zwischen den Kolleginnen und Kollegen beiträgt, dass die Lehre nur noch einen marginalen Stellenwert genießt, dass die Einwerbung von Drittmitteln als Kriterium für Wissenschaftlichkeit gilt und so die Wissenschaft zunehmend in den Dienst des Kapitals gestellt wird. Dies ist eine Entwicklung, die die notwendige Kritik- und Innovationsfunktion der Wissenschaft in gefährlicher Weise beeinträchtigen kann: Wissenschaft läuft so Gefahr, zur Apologetik der herrschenden Verhältnisse zu werden. Aber vergessen Sie nicht: Gerade in der Debatte um das Feindbild Islam hat sich die Sozialwissenschaft immer wieder und mit fundierten Argumenten gegen die populistischen Thesen etwa von Thilo Sarrazin gewandt, und zwar nicht nur weil sie wissenschaftlich nicht haltbar sind, sondern auch weil sie im Kern anti-republikanisch und demokratiefeindlich sind.

MM: Herr Prof. Ruf, wir danken für das Interview.

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