MM:
Sehr
geehrter Prof. Ruf, im Jahr 2007 hatten sie einen neunseitigen Fachartikel
mit dem Titel: "Islamische Bedrohung?" veröffentlicht. Im Laufe von fünf
Jahren ist daraus ganz offensichtlich ein ganzes Buch mit dem Titel "Der
Islam - Schrecken des Abendlandes" geworden. Was war die Motivation zu dem
Buch?
Ruf:
Der Anstoß kam vom Verlag. Die Motivation ist einfach: Gerade nach den
Morden des NSU, aber auch nach den arabischen Revolten ist hier Vieles in
Bewegung geraten, ein gewisses Nachdenken hat eingesetzt. Die arabischen
Revolten haben gezeigt, das vor allem in der internationalen Politik das
Feindbild vom "Kampf der Kulturen" nicht mehr haltbar ist: Samuel
Huntingtons Paradigma basierte ja auf der These, dass Muslime unfähig zur
Demokratie seien. Wenigstens hier beginnt jetzt ein Umdenken. Ich hoffe,
dass sich dies auch auf die innerdeutsche Debatte auswirken wird.
MM:
In Ihrem Buch behandeln Sie in aller Deutlichkeit eine ganze Reihe von
Themen, die mit dem neuen Feindbild "Islam" zu tun haben. Haben Sie nicht
den zu erwartenden Gegenwind gefürchtet?
Ruf:
Natürlich wird es "Gegenwind" geben. Dies kann ja wohl kein Grund sein,
nicht für die Werte unserer Republik und die Gleichberechtigung der hier
lebenden Menschen zu streiten. In diesem Sinne kann "Gegenwind" durchaus
fruchtbar sein: Die Debatte könnte helfen, die Auseinandersetzung zurück zu
holen auf den Boden der Rationalität und der Normen des Grundgesetzes.
MM:
Sie nehmen kein Blatt vor den Mund und nennen auch ganz "undiplomatisch"
Namen wie Sarrazin, Broder und Giordano, die zudem von den wichtigsten
Medien des Landes unterstützt werden. Wie konnte es dazu kommen, dass selbst
ganz offene rassistische Elemente sich mit angeblicher Islamkritik mischen
konnten, ohne dass die Mainstream-Medien und die meisten Journalisten dagegen
aufbegehren?
Ruf:
Die allenthalben zelebrierte "Islamkritik" ist im Kern
nur ein Vorwand: Es geht gar nicht um den Islam, wie beispielsweise Ralph
Giordano sagt, sondern es geht gegen die Migranten, die hierzulande
vorwiegend aus mehrheitlich muslimischen Ländern kommen. Das zeigt schon die
Tatsache, dass unter Muslimen auch jene Migranten subsumiert werden, die
Alaviten oder Christen sind – Hauptsache sie stammen aus dem Orient. Auch
wird in dieser Debatte so getan, als ob Muslim-Sein erblich wäre – bis in
die dritte und vierte Generation der aus der Migration stammenden Menschen.
Gemeint ist also nicht die Religion, gemeint sind auch nicht muslimische
Gläubige, es geht um rassistische Ausgrenzung der Fremden.
Warum die Mainstream-Medien so reagieren,
entzieht sich meiner Kenntnis: Dort sitzt genügend intellektuelles
Potenzial, das aufklärerisch tätig werden könnte – und müsste. Die
Kehrseite ist dann der Markt: Man schaut auf die Verkaufsziffern und
meint, Vorurteile bedienen zu müssen. Das hat die Sarrazin-Debatte
überdeutlich gezeigt.
MM:
Nicht zuletzt
beschäftigen Sie
sich auch mit dem Thema der sogenannten "Antideutschen". Würden Sie denn
einem Muslim (selbst wenn er praktizierender Muslim ist) unter Umständen
zugestehen pro-Deutschland zu sein?
Ruf:
Die "Antideutschen" sind eine sehr bunt gemischte
Truppe. Ihr gemeinsamer Hauptnenner ist die bedingungslose Solidarität mit
Israel. In einer extrem vereinfachten Form hängen sie der These von Daniel
Goldhagen an, dass die Deutschen eine antisemitische Veranlagung hätten –
als ob es Antisemitismus nicht auch in anderen Gesellschaften gäbe. Aus
dieser Annahme resultiert auch der Begriff "antideutsch". Im Umfeld dieser
Strömung kenne ich viele Menschen, die die grässliche deutsche Vergangenheit
durch solche bedingungslose Solidarität zu bewältigen suchen. Damit
verstellen sie sich den Blick auf schlichte Tatsachen, etwa, dass Israel
nicht gleichzusetzen ist mit dem Judentum, und dass der Zionismus eine
nationalistische Ideologie ist, die in sich jene extremistischen Gefahren
birgt, die in jedem Nationalismus stecken. Diese bedingungslose Solidarität
macht sie immun für jede Kritik am Staat Israel, seinen Völkerrechts- und
Menschenrechtsverletzungen. So geraten sie auf einen Weg, an dessen Ende die
Ablehnung der Universalität der Aufklärung und der Menschenrechte steht –
was sie vehement bestreiten, was aber dennoch nicht von der Hand zu weisen
ist. Ihre Positionen nähern sich dann denen der Rechten an.
Selbstverständlich kann ein Muslim ein guter
Deutscher sein, und Viele sind es. Mich erinnert diese Debatte an den
Kulturkampf zu Bismarcks Zeiten, als die Katholiken unter dem Verdacht
standen, keine zuverlässigen deutschen Staatsbürger zu sein.
Pro-Deutschland im Sinne jener "Pro-Bewegungen" wie Pro-Köln, Pro-NRW
etc. werden sie wohl hoffentlich nie werden!
MM:
Sie ziehen auch eine Verbindungslinie zwischen der "extremen Rechten",
wie Sie es nennen, und Israel. Haben Sie keine Angst dem Vorwurf des
Antisemitismus ausgeliefert zu werden?
Ruf:
Nein, ich ziehe keine Verbindungslinie. Ich stelle nur
fest, dass für prominente Vertreter der europäischen Rechten wie Wilders,
Strache, Stadtkewitz und viele Andere Israel in jüngster Zeit geradezu zu
einem Wallfahrtsort geworden ist. Die Strategie ist klar: Da sie sich
pro-israelisch verhalten und äußern, können sie ja keine Faschisten sein.
Verblüffend ist allerdings auch, dass sie von hohen Vertretern Israels
empfangen werden. Andrerseits liegt ja das Gedankengut der Vertreter der
europäischen extremen Rechten nicht so weit entfernt von dem der
israelischen extremen Rechten: Wenn Avigdor Lieberman Geert Wilders
empfängt, eint sie ein gemeinsamer Feind: Die Muslime.
Natürlich wird die Antisemitismus-Keule
geschwungen werden, aber damit muss man leben, wenn man solche Dinge
ausspricht: Ich weiß mich da in bester Gesellschaft mit vielen
humanistischen jüdischen Freundinnen und Freunden.
MM:
Bedrohung
hat ja oft auch etwas mit Wahrnehmung zu tun. Während die westlichen
Wahrnehmung diejenigen ist, dass es so etwas wie eine "islamische" Bedrohung
geben könnte, nehmen Muslime überall in der Welt westliche Soldaten als
Massenmörder und Besatzer bzw. Unterstützer von Besatzern wahr. Wie kann
dieser Teufelskreis durchbrochen werden?
Ruf:
Dieser Teufelskreis kann sehr wohl durchbrochen
werden: Ganz einfach dadurch, dass man miteinander redet. Vor allem aber,
dass man Empathie entwickelt, dass man versucht die Welt mit den Augen des
Anderen zu sehen. Jürgen Todenhöfer, lange Jahre für die CDU im Bundestag,
hat dies jüngst in einem kleinen Büchlein "Feindbild Islam – zehn Thesen
gegen den Hass" wunderbar deutlich gemacht.
MM:
Die ganze
Problematik hängt in einem weiteren Rahmen ja auch mit einer neoliberalen
Weltpolitik zusammen. Warum gelingt es Deutschland nicht, sich von dieser
Art der Politik abzukoppeln und eine eingeständige, den eigenen Interessen
dienlichere Politik vorzuleben, schließlich sind Muslime in Deutschland und
werden auch in Deutschland bleiben?
Ruf:
Ja natürlich: vergessen wir nicht, dass in den Zeiten des
"Wirtschaftswunders", also der Vollbeschäftigung, ausländische Arbeitskräfte
ins Land geholt wurden. Zunächst Italiener, dann Jugoslawen und schließlich
Türken. Ihre objektive Funktion war die, die Löhne für deutsche
Arbeitskräfte nicht ins "Uferlose" steigen zu lassen. Die Konkurrenz
zwischen deutschen und ausländischen Arbeitskräften war strukturell
angelegt. Im Zeitalter der neo-liberalen Globalisierung, der
Produktionsauslagerung in großem Stil, verschärft sich auch die Konkurrenz
auf dem Arbeitsmarkt. Da werden nationalistische Klischees aktiviert, um die
Solidarisierung der Lohnabhängigen zu verhindern. Das beste und jüngste
Beispiel sind "die Griechen".
MM:
Erlauben Sie zum Abschluss eine Frage zu Ihrem Berufsstand. Unsere -
möglicherweise sehr subjektive - Wahrnehmung ist derart, dass
Hochschullehrer erst im Ruhestand solch mutige Bücher schreiben. Gibt es
Zwänge an der universitären Forschung, welche die Forscher diesbezüglich
einengen?
Ruf:
Das kann ich so nicht stehen lassen, weder für mich
und viele meiner früheren Publikationen, noch für viele Kolleginnen und
Kollegen. Vergessen Sie auch nicht, dass gerade die Friedensforschung sich
immer "kritische Friedensforschung" nannte und es in Teilen heute noch ist.
Gesellschaftskritik, die ja die Wissenschaft zu leisten hat, hat immer auch
zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse beigetragen. Allerdings mag
es sein, dass der Einzug des Neo-Liberalismus auch in den Universitäten zu
verschärfter Konkurrenz zwischen den Kolleginnen und Kollegen beiträgt, dass
die Lehre nur noch einen marginalen Stellenwert genießt, dass die Einwerbung
von Drittmitteln als Kriterium für Wissenschaftlichkeit gilt und so die
Wissenschaft zunehmend in den Dienst des Kapitals gestellt wird. Dies ist
eine Entwicklung, die die notwendige Kritik- und Innovationsfunktion der
Wissenschaft in gefährlicher Weise beeinträchtigen kann: Wissenschaft läuft
so Gefahr, zur Apologetik der herrschenden Verhältnisse zu werden. Aber
vergessen Sie nicht: Gerade in der Debatte um das Feindbild Islam hat sich
die Sozialwissenschaft immer wieder und mit fundierten Argumenten gegen die
populistischen Thesen etwa von Thilo Sarrazin gewandt, und zwar nicht nur
weil sie wissenschaftlich nicht haltbar sind, sondern auch weil sie im Kern
anti-republikanisch und demokratiefeindlich sind.
MM:
Herr Prof. Ruf, wir danken für das Interview.
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