MM: Sehr
geehrter Herr Toka, wie kam es zur Gründung der MDU?
Erhat Toka: Wir sahen die Zeit als
gekommen, eine muslimische Partei zu gründen, da die vorhandenen
Parteien sich zwar für Interessen der Migranten einsetzten, aber nicht
die der Muslime. Meiner persönlichen Meinung nach gibt es sogar eine
antimuslimische Haltung in der Politik. Es gibt viele Missstände und
Ungerechtigkeiten gegenüber der Muslime. Denken Sie nur an die
Kopftuchdebatte, Schächtverbot und Beschneidungsverbot. Da man nur als
Partei Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen kann, haben wir
eine Partei gegründet.
MM: Wie haben frühere Weggefährten in
den Moscheen und anderenorts auf die Parteigründung reagiert?
Erhat Toka: Die Gemeindemitglieder haben
größtenteils positiv reagiert. Viele wurden sofort Mitglied, da sie die
Notwendigkeit einer muslimischen Partei als gekommen sahen. Funktionäre
taten sich sehr schwer. Es ist ein Problem, wenn man in
organisatorischen Strukturen gefangen ist. Man hat keine eigene Meinung
mehr und tut, was die Verbandsspitze sagt. Und die träumt immer noch
davon, als Verband die Politik zu beeinflussen. Das hat in den letzten
45 Jahren nicht funktioniert und wird in Zukunft auch nicht
funktionieren. Politik macht man als Partei und nicht als Verband.
Punkt. Weggefährte, mit denen man jahrelang eng zusammengearbeitet und
nebeneinander gebetet hat, wurden teilweise zu Widersachern. Man warf
uns vor, eine muslimische Partei würde dem Ansehen der Muslime schaden
können. Was will man denn da noch schaden? Der Islam hat doch gar kein
Ansehen in Deutschland. Er ist ja nicht mal als Religionsgemeinschaft
anerkannt. Der Vorsitzende der Schura eines Landesverbandes fühlte sich
und sein Amt besonders bedroht und ging ganz besonders gegen uns vor. Er
verbot den Mitgliedsmoscheen Vertreter der MDU in ihren Moscheen
sprechen zu lassen.
MM: Wer ist die Zielgruppe Ihrer Partei,
wen wollen Sie in der Politik vertreten?
Erhat Toka: Wir sind eine ganz normale
Partei, die sich über den Islam definiert. Wir richten uns natürlich
primär an Muslime. Unsere Politik soll aber der gesamten Gesellschaft
zugute kommen. Wir wollen Politik nach muslimischen Maßstäben machen.
Schauen Sie, der Vatikan wirtschaftet nach Islamic-Banking-Regeln. Das
sagen sie auch offen. Also haben die islamischen Regeln Vorteile für die
gesamte Gesellschaft. Wir wollen natürlich vor allem Menschen in der
Politik vertreten, die an einen Gott glauben. Leider geben die meisten
Parteien offen zu, atheistisch zu sein. Das ist ihr Recht. Aber es gibt
zur Zeit keine Alternative. Die wollen wir sein.
MM: Im Wahlprogramm der MDU steht, dass
sie sich für eine strengere Banken- und Börsenkontrolle einsetzen.
Glauben Sie ernsthaft, man wird Sie in Ruhe lassen, falls Sie eines
Tages Erfolg haben sollten?
Erhat Toka: Die Finanzkrisen haben wir
den Banken zu verdanken. Anschließend werden sie mit Steuergeldern
aufgepäppelt. Dann geht es wieder von vorne los. Die Banken haben zuviel
Macht. Das muss sich ändern. Davon reden doch alle, aber keiner macht es
wirklich. Denn Macht macht korrupt. Wer die Wahlkämpfe der erfolgreichen
Parteien bezahlt, wissen wir. Manchmal sind Wahlversprechen nur
Wahlversprecher. Irgendwer muss endlich etwas ändern. Und das werden
Inschaallah wir sein.
MM: Was macht Sie immun gegen
Korruption, falls einmal Macht erlangen sollten?
Erhat Toka:
Unser Glaube daran, dass wir im Jenseits für unser
Handeln zur Rechenschaft gezogen werden. Wir können nichts
verheimlichen, denn ALLAH s.w.t. sieht alles.
MM: Zudem appellieren Sie an die
Bevölkerung, sich gegen eine bedingungslose Solidarität mit Israel
einzusetzen. Glauben Sie nicht, dass man Ihnen beim ersten Erfolg
Antisemitismus vorwerfen wird?
Erhat Toka: Solidarität und
bedingungslose Solidarität sind zwei unterschiedliche Dinge. Deutschland
darf nicht bedingungslos die Verbrechen Israels decken mit der Ausrede,
Israel habe das Recht sich zu verteidigen und Deutschland habe eine
historische Verantwortung. Stellen sie sich mal vor, der Staat sperrt
einen Unschuldigen ein, erkennt den Fehler und entlässt ihn wieder. Hat
dieser Mensch dann ewige Straffreiheit? Israel bombardiert und tötet
hunderte Zivilisten, baut illegale Siedlungen, sperrt Menschen ein und
enteignet sie und zerstört deren Häuser und Ernten. Israel hat bisher
gegen fast alle UN-Resolutionen verstoßen und es gab keine
UN-Sanktionen. Israel hat den Atomwaffensperrvertrag nicht
unterschrieben und hat Atomwaffen, greift aber den Iran an, weil es
angeblich Atomwaffen bauen will. Wie absurd. Unschuldigen Menschen
wurde im Dritten Reich Unrecht angetan. Aber ein Verbrechen darf nicht
ein anderes Verbrechen rechtfertigen. Wir haben viele Infostände gemacht
und mit den Menschen gesprochen. Die Bevölkerung ist ebenfalls dieser
Meinung. Das Interessante ist, dass wir zu diesem Punkt noch nie von
Deutschen angesprochen wurden. Immer haben uns Muslime wegen diesem
Punkt kritisiert.
MM: Beim Thema Israel mögen Sie ja eine
gewisse Zustimmung in der Bevölkerung ernten, aber wie wollen sie das
beim Thema Islam und islamische Werte schaffen, wenn doch die Begriffe
in den Augen vieler Betrachter mit sogenannten Ehrenmorden,
Zwangsheiraten und vielen anderen unmenschlichen Traditionen in
Verbindung gebracht werden?
Erhat Toka: Sehen Sie, wir dürfen nicht
in diese Falle tappen. Nur weil eine Lüge oft genug wiederholt wird,
müssen wir sie nicht noch selber glauben und uns dafür auch noch
rechtfertigen. Wir müssen den Menschen von der Logik und der Schönheit
unserer Religion erzählen. Unter Juden und Christen in arabischen
Ländern sind Ehrenmorde und Zwangsheirat doch auch weit verbreitet.
Das ist kein islamisches Phänomen, sondern ein Kulturelles.
MM: Obwohl ihre Partei noch sehr jung
ist, warnt der Verfassungsschutz bereits vor ihnen. Was Antworten Sie
diesbezüglich Nachfragenden?
Erhat Toka: Ich wundere mich, dass die
Warnung erst jetzt kam. Man hat ja nur auf etwas gewartet. Und das war
eine Fatwa, die wir auf unsere Internetseite gestellt haben. Darin sagen
Gelehrte ihre Meinungen zur Demokratie. Einer der Bekanntesten, Sheikh
Ibn Uthaimin, war für die Beteiligung an der Demokratie. Da wir nicht
populistisch sein wollten, haben wir die gesamte Sammlung veröffentlicht
und die Meinung, die unserer entsprach dick gedruckt. Sie war über ein
Jahr online. Zwei Monate, nachdem wir es von unserer Internetseite
gelöscht haben und kurz vor den Landtagswahlen kam die Warnung vom
Verfassungsschutz. Diese Fatwasammlung haben wir auch nur
veröffentlicht, weil wir von Muslimen als Kuffar/Ungläubige bezeichnet
wurden. Nach ihrer Ansicht ist Demokratie Schirk/Vielgötterei und somit
verboten.
MM: Wie sehen die Pläne Ihrer Partei für
die Zukunft aus, wo wollen Sie antreten und wer steht zur Wahl?
Erhat Toka: Als nächstes wollen wir 2014
an den Europawahlen teilnehmen. Dazu müssen wir mehrere Landesverbände
gründen. Wenn einer der Leser sich dazu berufen fühlt und sich das
zutraut, kann er sich mit uns gerne in Verbindung setzen. Wir brauchen
natürlich auch noch Mitglieder. Wer zur Wahl antritt ist zweitrangig.
Die Menschen sollen uns wählen, weil wir vernünftige Ziele haben und
nicht, weil ein Kandidat den selben Herkunftsland hat oder gut aussieht.
2014 sind auch die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, an denen wir
Inschaallah teilnehmen werden.
MM: Sie sind mit einer Muslima aus
Eritrea verheiratet. Sind Sie und Ihre Frau in Deutschland integriert
und welche Sprache sprechen Sie zuhause?
Erhat Toka: Wir machen uns darüber keine
Gedanken mehr. Ich habe es wirklich versucht, mich zu integrieren.
Leider konnte mir keiner sagen, wo das endet. Wie man sich als
Integrierter fühlt. Was man machen muss. Es ist ja nicht wie bei der
Fahrschule, wo man am Ende einen Führerschein bekommt. Nach vielen
Anläufen habe ich es aufgegeben. Ich bin jetzt mal Deutscher, mal Türke,
mal Kurde und zur Zeit versuche ich Araber zu werden. Zuhause sprechen
wir deutsch, türkisch, arabisch, tigrina, kurdisch und englisch. Es wird
immer Menschen geben, die mich als nicht integriert ansehen werden und
andere, die mich als Inbegriff deutscher Tugendhaftigkeit sehen. Man
kann es nicht Jedem recht machen.
MM: Was würden Sie sich von den Muslimen
in Deutschland wünschen?
Erhat Toka: Wir Muslime müssen uns
endlich entscheiden, ob wir in Deutschland leben wollen und uns ganz
bewusst entscheiden. Wir leben jetzt schon seit über 45 Jahre hier und
sehen uns immer noch als Ausländer. Man kann Deutscher und Muslim sein.
Man kann aber nicht Deutscher und Araber oder Türke sein. Eines unserer
Identitäten, gewollt oder ungewollt, wird auf der Strecke bleiben. Und
ich bin dafür, dass es unsere Herkunfts-Nationalität ist.
MM: Und was erhoffen Sie von Muslimen?
Erhat Toka:
Wir setzen an muslimische Aktive und
Organisationen andere Maßstäbe an, als bei nichtmuslimischen. Ein Muslim
muss am Besten einen Professortitel haben, damit ihm Muslime etwas
zutrauen. Kommt es nicht eher auf die Absicht und die charakterlichen
Eigenschaften eines Menschen an? Wir sollten uns gegenseitig
unterstützen und uns nicht bei kleinsten Defiziten gegeneinander wenden.
Der Dialog zwischen den Religionen funktioniert ja sehr gut und ist auch
begrüßenswert. Ich würde mir wünschen, dass der Dialog zwischen den
Muslimen so gut klappen würde. Wir
müssen endlich ein muslimisches Selbstbewusstsein entwickeln. Immer
sehen wir uns genötigt uns zu rechtfertigen. Wir sind Bürger dieses
Landes und haben die gleichen Rechte und Pflichten. Wenn ich keinen Bock
auf eine dumme provozierende Frage während einer Moscheeführung habe,
dann darf ich das auch sagen. Ich muss mich doch nicht ducken und
ausreden. Wir sind keine Bürger zweiter Klasse. Wir müssen dankbar für
unsere Religion sein und selbstbewusster werden. Zu diesem
Selbstbewusstsein wird auch die MDU beitragen Inschaallah. Noch ein
wichtiger Punkt ist, dass wir uns auf unsere Entscheidungsfähigkeit
verlassen müssen und nicht immer die Meinung unserer vermeintlichen
Führern übernehmen. Denn jeder ist vor ALLAH s.w.t. selber für sein
Handeln verantwortlich.
MM: Herr Toka, wir danken für das
Interview. |