Muslim-Markt
interviewt
Clemens Messerschmid - Hydrologe in Palästina
19.3.2013
Clemens
Messerschmid, (Jahrgang 1964) hat in München und Aachen Geologie und
Hydrogeologie studiert und ist von Beruf Hydrogeologe. Er lebt und
arbeitet seit 17 Jahren in den besetzten palästinensischen Gebieten
vor allem im Westjordanland (West Bank). Seine Haupttätigkeit
besteht in der Erkundung, Erschließung und Nutzung der örtlichen
Grundwasserressourcen zumeist im Rahmen von internationalen
Projekten.
Im Rahmen
von Vorträgen in Europa versucht er Einblicke in die Wassersituation
in den den besetzten palästinensischen Gebieten zu geben und berät
diesbezüglich auch politische und
Menschenrechtsorganisationen.
Clemens
Messerschmid ist unverheiratet,
bekennender Atheist und lebt in Palästina.
MM:
Sehr geehrter Herr Messerschmid, wie kam es dazu, dass Sie vor fast
zwei Jahrzehnten nach Palästina ausgewandert sind?
Clemens Messerschmid:
Ich bin eigentlich gar nicht ausgewandert, sondern habe hier 1997
einen Job zum Brunnenbohren angenommen und bin dann hängen
geblieben. Eher müsste man also fragen, warum ich noch hier bin. Ich
habe hier eine faszinierende Arbeit, unter Langeweile können wir
nicht klagen (!) und die Menschen hier sind sehr warm,
aufgeschlossen, hilfsbereit, etc. Zudem muss ich leider sagen, dass
mein Job hier ja noch keineswegs abgeschlossen ist - wir haben heute
deutlich weniger Wasser als zu Beginn von Oslo, als ich ins Land
kam.
MM:
Vor kurzem ist ein deutscher Politiker im israelischen Parlament
aufgetreten und Zahlen über den Wasserverbrauch von Palästinensern
und Israelis gegenübergestellt, was in den deutschen Medien als
Eklat und Behauptung von Unwahrheiten dargestellt wurde. Sind die
Unterschiede zwischen den zur Verfügung stehenden und genutzten
Wassermengen nicht so unterschiedlich?
Clemens Messerschmid:
Ja, leider haben die meisten deutschen Medien die israelische
Hasbara (Hebräisch: 'Erklärung', ein Euphemismus für
oftmals freche Lügen) ziemlich unkritisch nachgebetet. In der Tat
ist es ja zunächst einschüchternd, wenn ein offizieller
Wassersprecher Israels die Aussagen von Schulz in der Knesset als
völlig falsch bezeichnet. Die offiziellen Zahlen der
israelischen
und der
Wasserbehörden belegen aber: Im Bereich Trinkwasser bekommt ein
Israeli das 3,6-fache, in der Landwirtschaft sogar das
sechseinhalb-Fache eines Palästinensers in der besetzten West Bank.
Wichtiger als der Verbrauch ist Israel jedoch die Kontrolle über die
Ressourcen. Seit 1967 erhebt Israel Anspruch auf die Kontrolle allen
Wassers im Historischen Palästina, vom Oberlauf des Jordans im
annektierten Golan (Syrien) bis zum Golf von Aqabah am Roten Meer
und vom Mittelmeer bis zum Jordangraben. Dieser Anspruch wird
mittels der Besatzung, und wo 'nötig', mit Gewalt durchgesetzt.
MM:
Ursache für diese Ungleichverteilung ist wohl auch technischer Art,
da ja in der Region hinreichend Regen fällt und hinreichend
versickert. Warum bauen Sie nicht einfach genug Brunnen mit z.B.
europäischen Geldern?
Clemens Messerschmid:
Nein, sie ist nicht technischer, sondern politischer Natur. Die
Technologie des Brunnenbohrens hat sich in den letzten 100 Jahren
kaum geändert. Was sich im Juni 1967 geändert hat, ist die
Militärverwaltung, mittels derer jegliche palästinensischen Projekte
unterbunden und als 'illegal' bezeichnet und behandelt werden können
- - und auch werden. Sicherlich, die Höhenzüge der West Bank haben
enorm viel Regen,
und Palästina wäre so ziemlich das letzte Land im Nahen Osten, das
über Wassermangel klagen müsste.
MM:
...warum bohren Sie dann nicht?
Clemens Messerschmid:
Ganz einfach: Für jeden Brunnen brauchen wir von der israelischen
Militärverwaltung eine Erlaubnis. Laut Miltärdekret Nr. 158, darf es
diese ohne Angaben von Gründen verweigern - und tut es. Selbst von
den in Oslo versprochenen Brunnen ist nur ein Bruchteil realisiert
worden. Eigentlich - nach internationalem Recht - wäre es nicht
Aufgabe der Europäer, dies zu bezahlen, sondern die der
Okkupationsmacht, Israel. Woran es praktisch mangelt, wenn man die
Besatzung und Israel's Interesse als gegeben nimmt, ist politischer
Druck aus Europa - und hier auch gerade aus Deutschland - wenigstens
die Minimalverpflichtungen unter Oslo durchzusetzen. Aber das
Gegenteil ist der Fall. Wenn Bohrgenehmigungen ausbleiben, gibt es
keine Empörung deutscher Politiker (auch Herr Schulz hätte dies ja
ansprechen können), es wird dies noch nicht einmal öffentlich
benannt. Statt dessen verabschieden sich die deutschen
Organisationen aus diesem Sektor: Sie verlassen den Raum, machen das
Licht aus und die Tür hinter sich zu, ganz leise. Politisch
betrachtet ist diese Kumpanei mit der Besatzung gegenwärtig das
Haupthindernis im palästinensischen Wassersektor.
MM:
Ganz offensichtlich liegt ein Rechtsverstoß der Besatzungsmacht vor.
Warum wird das nicht vor internationalen Gremien angeprangert?
Clemens Messerschmid:
Das müssen Sie die internationalen Gremien fragen! Fragen Sie Herrn
Niebel (FDP) warum er vor "zusätzlichen
Rohwasserentnahmen"
– natürlich nur der Palästinenser – gewarnt hat! Fragen Sie Frau
Wieczorek-Zeul (SPD), warum sie alle Bohrprojekte eingestellt hat.
Fragen Sie den neuen Entwicklunsgminister Müller (CSU), was er zu
tun gedenkt... Ich kann Ihnen nicht sagen warum, oder könnte nur
spekulieren. Tatsache ist aber, dass auch im Wasserbereich mit
zweierlei Maß gemessen wird; dass Israel ein Freifahrschein
ausgestellt wird und die einfache Bevölkerung in den besetzten
Gebieten brutal im Stich gelassen werden, und das in einem so
elementaren Lebensbereich wie der täglichen Wasserversorgung.
Genau heute, wo ich diese Zeilen schreibe (Mitte März 2014), sitzen
z.B. über 50 Tausend Einwohner Ost-Jerusalems auf dem Trockenen –
natürlich wieder nur Palästinenser – und das seit bereits 10 Tagen!
Über zehntausend Palästinenserinnen im Jerusalemer Flüchtlingslager
Shu'fat bekommen seit 4. März keinen Tropfen Wasser von Gihon, dem
israelischen Wasserwerk Jerusalems. Grund dafür ist schlicht, dass
Israel systematisch über Jahrzehnte die Instandhaltung und
Ausweitung der Infrastruktur (Leitungsnetz) vernachlässigt hat -
während es zugleich riesige neue Infrastruktur für über 300 Tausend
illegale Siedler in und um Jerusalem schuf. Hydroapartheid auf
engstem Raum. Wo ist der internationale Aufschrei? Wo ist der
internationale Aufschrei? Wo ist dies deutschen Medien auch nur eine
Zeile wert?
MM:
Welche Hoffnungen verknüpfen Sie mit dem so genannten
Friedensprozess?
Clemens Messerschmid:
Dies ist eine weitläufige Frage. Hier spreche ich nicht, oder nur
sehr eingeschränkt, als Wissenschaftler. Deshalb einige, nicht
erschöpfende Stichpunkte:
Erstens, ganz praktisch in meinem Bereich, dem Wasser, hat der
Friedensprozess nicht die versprochenen 103.6 Millionen Kubikmeter
zusätzlichen palästinensischen Wasserzugriffs eingebracht, sondern
fördern alle palästinensischen Brunnen und Quellen der West Bank
heute 20 Millionen Kubikmeter WENIGER als vor Oslo. So gesehen, war
die offene Besatzung vor Oslo der reinste Segen!
Zweitens muss festgestellt werden, dass "Frieden" längst herrscht.
In der West Bank ist es vollkommen ruhig. Es gibt so gut wie keine
bewaffneten Aktionen der Palästinenser, von einer Armee ganz zu
schweigen (Alhamdulillah!). Die einzige bewaffnete Gewalt geht von
Israel aus. In den vergangen drei Tagen wurden 7 Palästinenser
erschossen, an der Grenze zu Jordanien, nahe der Uni Bir Zeit, beim
Schafehüten... Die Intifada ist lange vorbei. Was anhält, ist die
systematische Entrechtung und Unterdrückung - die Besatzung.
Es geht also drittens gar nicht um Frieden,
MM:
... worum dann?
Clemens Messerschmid:
Es geht um Gerechtigkeit, um Menschenrechte und noch wichtiger und
meist vergessen: um politische Rechte, volle Bürgerrechte der
anderen Hälfte der Bevölkerung zwischen Mittelmeer und Jordanfluss.
Ich habe eigentlich keinen Bekannten hier, ob Ausländer oder
Palästinenser, der oder die beim Wort Frieden nicht eine bittere
Grimasse zöge. Die oben genannten Militärerlasse wirken ganz leise,
ganz friedlich-bürokratisch, aber ist das Frieden? Der deutsche
Diskurs geht meines Erachtens völlig an der täglich gelebten
Realität der Besatzung vorbei.
Viertens, Israel will, und hat eigentlich bereits, einen
Siegfrieden. Frieden? Oh ja, gerne - aber um den Preis Land oder
Wasser herzugeben? - oh nein! Hier liegt die Krux. Es geht um
palästinensische Rechte, um grundlegende historische Menschen- und
Bürgerrechte, und zwar gleichgültig ob in einem, zwei oder drei
Staaten.
MM:
Sie glauben Atheist zu sein und setzen sich gleichzeitig seit
nunmehr zwei Jahrzehnten in einem der krisenreichsten Regionen der
Erde für Gerechtigkeit ein, was ein Attribut Gottes ist. Wie macht
dieser Einsatz ohne das Wissen um eine höhere Lebensdimension, und
sei es die in jedem Herzen innewohnende Nächstenliebe, Sinn?
Clemens Messerschmid:
Gut, dass Sie das fragen! Darauf habe ich schon gewartet. Zunächst
einmal amüsiert mich die Formulierung, ich GLAUBTE Atheist zu sein.
Darf ich Sie darauf hinweisen, dass Atheismus keine Frage des
Glaubens, sondern des Verzichts darauf ist? Oder soll ich Ihre Frage
so interpretieren, dass Sie sich einbilden, besser zu wissen, was
ich bin...?
Auf die zweite Frage weiß ich keine Antwort, und zerbreche mir
darüber auch nicht im Geringsten den Kopf. Mir genügen die
vorhandenen drei Dimensionen, in denen ich mich bewege, vollauf.
Sinn oder Unsinn meines Einsatzes kann man in meinem Metier am Ende
des Tages ganz nüchtern und dürr in Zahlen ausdrücken, wie ich das
ja oben bereits mehrfach getan habe. So gesehen, ist all unser
bisheriger Einsatz seit Oslo vollkommen unsinnig gewesen.
Interessanter finde ich die Teilfrage im ersten Satz: Allerdings
setze ich mich für Gerechtigkeit ein, hoffe ich zumindest. Aber ich
muss sagen, nach 17 Jahren hier im Holy Land, kann ich nur
feststellen, dass, wenn immer ein reales politisches Problem hier
einem Gott attribuiert (zugeschrieben) wurde, dies den Konflikt
heillos verschärft und auf ein Gleis gesetzt hat, das nur im Abgrund
enden kann, egal ob Wasser, Land, Siedlungen, Grenzen, Jerusalem
oder Rückkehrrecht. Wenn ich irgendeines dieser realen Probleme
religiös überhöhe und fehlinterpretiere, dann wird es vollkommen
unlösbar. Dann gibt es garantiert keine Perspektive für irgendeine
Form gleichbeRECHTigten Zusammenlebens. Dann bleibt nur Hauen und
Stechen bis zum Letzten - und darin ist Israel bekanntlich etwas
erfolgreicher als die Palästinenser.
Die Wurzeln des heutigen Holy Land Diskurses liegen im christlichen
Europa des 19. Jahrhunderts. Egal ob christlich, jüdisch oder
muslimisch hat er und seine Anwendung nur Leid über die Völker
gebracht. Diesen durch einen Schuss Wirklichkeit zu korrigieren
bemühe ich mich seit Jahr und Tag. Nein, das oben angesprochene
brache Leitungsnetz im Jerusalemer Flüchtlingslager ist kein
Attribut Gottes, oder des Teufels. Es ist Ausdruck politischer
Unterdrückung im 21. Jahrhundert und sollte als solche und nur als
solche behandelt werden.
MM:
Dennoch muss es ja irgendeine Motivation geben, dass Sie alle diese
Schwierigkeiten vor Ort auf sich nehmen, völlig unabhängig davon, ob
sie Begriffe wie Gott und Teufel möglicherweise anders verstehen als
wir. Oder anders anusgedrückt: Wenn jemand von sich selbst sagt,
dass er sich seit Jahren für irgendetwas einsetzt und all jener
Einsatz sinnlos war, welche Vision gibt ihnen die Kraft weiter zu
machen?
Clemens Messerschmid:
Auch in Punkto Visionen muss ich Sie wohl enttäuschen. Dass die Welt
so ist, wie sie ist, grausam und ungerecht, muss nicht nur ich zur
Kenntnis nehmen. Zu versuchen, sie zu verändern, im hier und jetzt,
halte ich eher für eine Selbstverständlichkeit, nicht nur politisch
betrachtet sondern auch ganz unmittelbar professionell. Dass wir so
schwach sind, und so oft vermeintlich gegen Wände rennen, mag schon
bisweilen frustrieren. Aber was folgt daraus außer: weitermachen?
Außerdem: Sie glauben gar nicht, was für eine Befriedigung ein
erfolgreich gebohrter Brunnen hier ist – nicht nur für die
angeschlossenen Dörfer sondern auch ganz persönlich, für mich.
Abgesehen davon bin ich nun beileibe kein Opfer und auch nicht Ziel
und Gegenstand israelischer Unterdrückung, falls Sie das meinen. Ich
bin mir durchaus meiner Privilegien als Deutscher hier in Ramallah
bewusst. Allein die Tatsache, dass ich das ungeheure Privileg
genieße, mich ins Auto zu setzen und die 18 Kilometer nach Jerusalem
oder die eineinhalb Stunden ans Mittelmeer fahren zu können, einfach
nur weil mir gerade danach ist, wird mir täglich vor Augen gef|ührt,
wenn ich wieder durch den Checkpoint nach Ramallah hineinfahre.
Als „sinnlos“ habe ich allerdings – leicht provozierend - die
offizielle Entwicklungszusammenarbeit bezeichnet. Den Hinweis, dass
es hier nicht an Geld sondern an politischer Solidarität aus Europa
mangelt, den halte ich durchaus nicht für sinnlos.
MM:
Was kann der kritische Bundesbürger, der gerne dazu beitragen
möchte, dass die Palästinenser hinreichend Wasser bekommen, aus
Ihrer Sicht tun?
Clemens Messerschmid:
Als Steuerzahlerin hat sie (oder er) das Recht, wenn nicht sogar die
Pflicht, sich bei der deutschen Regierung zu erkundigen, wofür
eigentlich hunderte Millionen deutscher Entwicklungshilfe verpulvert
werden, wenn gleichzeitig die Realmengen palästinensischer
Wasserförderung sinken! Wird etwa finanzielle Hilfe nur als
Feigenblatt gewährt, während zugleich der bitter notwendige
politische Druck auf Israel ausbleibt? Wir sprechen hier von Druck
für wirklich elementarste Menschenrechte, wie die Wasserversorgung.
Israel hat ein nachvollziehbares praktisches und ganz materielles
Interesse an der Aufrechterhaltung der Wasserexpropriation. Welches
Interesse aber hat die Bundesregierung daran, die Menschen
Palästinas in unwürdigen Lebensumständen zu halten? Öffentlichkeit
in diesem Bereich, wohlinformierte, kritische Öffentlichkeit und
Druck auf unsere eigene Regierung ist das, was ich hier vermisse.
MM:
Herr Messerschmid, wir danken für das Interview.
|