MM: Sehr geehrter Herr Tschapke, wie kommt
jemand, der in Iserlohn geboren ist, dazu, Präsident der Preußischen
Gesellschaft Berlin-Brandenburg zu werden?
Tschapke:
Eigentlich heißt es ja, waschechte Berliner stammen aus Breslau, also
aus Schlesien. Ich bin da eine Ausnahme, denn schon in meiner Kindheit
und Jugend spürte ich, dass meine Bestimmung das preußische Berlin sein
wird. Ob es die Prägung im Elternhaus und Familienkreis war, das
Internat mit Abitur, bei dem es auch um Preußen ging, meine aktive Zeit
im Corps Frisia Braunschweig und nicht zuletzt beim 3. Panzerbataillon
14 der Bundeswehr – überall bereicherte sich mein Wissen um preußisches
Gedankengut. 1993 war es dann soweit, da ereilte mich der Ruf nach
Berlin. Ich folgte ihm am 1. April, dem 178. Geburtstag von Fürst Otto
Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen, dem großen Kanzler und Schöpfer
der ersten Einheit Deutschlands. Ihm und Friedrich dem Großen fühle ich
mich seitdem besonders verbunden.
MM: Die Preußische Gesellschaft will
durch Bewahrung bzw. Reaktivierung der inzwischen sprichwörtlichen
preußischen Tugenden gegen den allgemeinen Werteverfall und zunehmende
Orientierungslosigkeit der Gesellschaft ankämpfen. Finden Sie hierbei
hinreichend Gehör bei einer Jugend, für die der Begriff Preußen eher
einen historischen Charakter hat?
Tschapke:
In dieser vermaledeiten, beinahe geschichtslosen Zeit hat bei vielen
Jugendlichen der Begriff Preußen nicht mal mehr einen historischen
Bezug. Sie bringen ihn bestenfalls mit dem Fußballverein Preußen Münster
in der Westfalen-Liga und dem Eishockey-Club Charlottenburg Preussen
Berlin e.V. in Verbindung. Immerhin aber existiert in Berlin die aktive
Landsmannschaft Preußen, eine akademische Studentenverbindung mit
Studenten jeder Fachrichtung, Herkunft und Religion, vor der ich einen
Vortrag über unsere Gesellschaft und natürlich über Preußen selbst
gehalten habe. Weiterhin treu bleibe ich Braunschweig und dortselbst dem
Corps Frisia und der Braunschweiger Burschenschaft Germania, die mich
ebenfalls baten, mit ihnen über Preußen und Co. zu plaudern.
Selbstkritisch merke ich an, dass der Versuch, mit der
Nachwuchs-Gruppierung „Junge Preußen“ unseren Verein aufzufrischen, der
Wiederbelebung bedarf. Ganz allgemein gesprochen: So wichtig der
historische Zeitraum von 1933 bis 1945 im Weltmaßstab und vor allem für
Deutschland auch ist, eine Totalfixierung darauf gefällt mir nicht, wenn
damit mehr als 1000 Jahre deutscher Geschichte – auch der preußischen -
zugedeckt werden.
MM: Jene Fixierung auf einen kurzen
Abschnitt der Geschichte könnte auch damit zusammenhängen, dass
Deutschland noch nicht frei ist, wie es sehr deutlich im Artikel 146 des
Grundgesetzes nachlesbar ist? Wie kann Deutschland geistig befreit
werden, bevor es auch rechtlich frei wird?
Tschapke: Ich erkenne in dem Artikel 146
des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nicht das, was Sie
herauslesen, und kann demzufolge Ihrer Interpretation nicht folgen. Was
die von ihnen angesprochene geistige Freiheit betrifft, belegt doch
schon unser Interview, wie es um sie steht.
MM: Religiöse Menschen, ob nun Muslime
oder Christen, empfinden es als größte Tugend und Ehre, dem Schöpfer
allen Seins zu dienen. Warum sollte der Dienst am Vaterland "größte
Ehre" bedeuten, wie Sie es als "Initialzündung für eine geistige
Erneuerung Deutschlands" fordern?
Tschapke:
Pardon – ist das Vaterland für religiöse Menschen nicht ebenfalls eine
Schöpfung Gottes? Wird mit seiner geistigen Erneuerung nicht letztlich
dem Schöpfer gedient? Das Vaterland resp. der Staat regelt das
individuelle wie gesellschaftliche Leben. Er ist gerufen, zwischen dem
Privaten und Öffentlichen eine Harmonie zu erreichen. In einer kaputten
Ordnung, wie wir sie in unserer Geschichte kennen gelernt haben und wie
uns Spuren davon auch heute missfallen, lässt es sich für Religiöse wie
für Atheisten resp. Nichtgläubige schlecht oder nicht leben. Deshalb ist
die Preußische Gesellschaft vor fast zwanzig Jahren gegen Sittenverfall
und Werteverluste in der Gesellschaft angetreten. Religiöse Mitglieder
erkennen, dass dies im Sinne des Schöpfers aller Dinge geschieht.
MM: Zweifelsohne ist Heimat und
Vaterland (in den meisten muslimischen Sprachen heißt es Mutterland)
eine religiöse Größe. Muslime beten sogar anders in der Heimat als fern
der Heimat. Aber jene Größe wird zum einen als eine Art geistige Größe
verstanden und zum anderen nicht durch historisch verschiebbare
Staatsgrenzen beeinflusst. Wenn Sie heute von Preußen sprechen, ist das
mit irgendwelchen historischen Gebietsansprüchen verbunden?
Tschapke:
Wir sprechen In Deutschland von Vaterland und von Muttersprache,
bedenken also an hervorragender Stelle beide Elternteile. Übrigens ist
auch die Bezeichnung „Mutterland“ in Gebrauch. Die sich zu meinem und
anderer Leidwesen immer stärker ausprägende Säkularisierung der
Gesellschaft, der damit ein lebenswichtiger Kompass genommen wird, lässt
auch den Begriff „Vaterland“ aus dem religiösen Kontext verschwinden.
Ich weiß nicht, wie viele Christen den Begriff Vaterland überhaupt noch
als religiöse Größe einstufen - das (irdische) Vaterland als Stätte, an
die sich alle Segnungen und Verheißungen Gottes knüpfen. Sicherlich
nicht mehr viele.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Spreche ich von
Preußen, beziehe ich mich – im Bewusstsein ständigen auch territorialen
Wandels – je nach Gegenstand der Erörterung territorial auf das Preußen
von Friedrich I., auf das von Friedrich dem Großen oder das in der Zeit
Bismarcks, in der ja der Wandel des Königreiches Preußens zu einem
Teilstaat des Deutschen Reiches stattfand. Historisch begründete
Gebietsansprüche zu stellen, scheint heute modern. Manche bemühen dabei
sogar die Bibel. Was von Deutschland nach dem Willen der Siegermächte
USA, Großbritannien und Sowjetunion infolge des Zweiten Weltkrieges
abgetrennte Gebiete betrifft, verweise ich auf die Feststellung vom
Völker- und Menschenrechtler, Historiker und Autor Professor Dr. Dr.
Alfred M. de Zayas. Er urteilt unmissverständlich: „Alle Vertreibungen
sind völkerrechtswidrig, und sie waren es bereits in den Jahren 1944 bis
1948. Sie müssen unzweideutig verurteilt und in der Zukunft unmöglich
gemacht werden. Darum muss das Recht auf die Heimat allgemeine
Anerkennung finden.
MM: Was viele nicht wissen, ist die
teils gegen die betroffenen Einwohner durchgesetzte Ansiedlung von
Ausländern - heute nennt man sie Migranten - in der preußischen
Geschichte, die zu gegenseitigen geistigen Befruchtungen geführt hat.
Ist ein Preuße also kein Rassist, oder anders gefragt: Kann es Ihrer
Ansicht nach einen Preußen mit z.B. türkischem Migrationshintergrund
geben?
Tschapke:
Offen gestanden: Die Frage, ob ein Preuße ein Rassist sein könne, stellt
sich mir zum ersten Mal. Sie hat mich direkt ein wenig erschreckt, so
weit entfernt liegt der Gedanke daran. Nein, ein wahrer Preuße zeichnet
sich durch Toleranz aus. Einer unserer Ehrenmitglieder stammt aus einer
französischen Hugenotten-Familie: Lothar de Maizière. Nicht nur deshalb
berichtet die Preußische Gesellschaft regelmäßig in Foren, in Vorträgen
oder in Artikeln der monatlichen Rundbriefe über das Toleranzedikt vom
Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, mit dem er 1685 in Frankreich
verfolgten Hugenotten in Brandenburg eine freie und sichere
Niederlassung bot. Nicht weniger als Zehntausende nahmen das großherzige
Angebot an und entwickelten sich im Laufe der Jahre zu echten Preußen,
ohne z.B. ihre religiösen Bräuche aufzugeben. Staunen werden Heutige,
wenn sie hören, dass damals jeder fünfte Einwohner von Berlin – ein
Hugenotte war!
Friedrich der Große setzte die Toleranzpolitik
fort. Auch und gerade im Blick auf das osmanische Volk. Er sagte und
handelte entsprechend: "Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur
die Leute, die sie ausüben, ehrliche Leute sind; und wenn Türken und
Heiden kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir Moscheen und
Kirchen bauen." In seinem Sinne denke ich: ja, es kann Preußen – wie die
Geschichte vielfach belegt - mit türkischem Migrationshintergrund geben.
MM: Das ehrt sie sehr, dass der
Gedanke an Rassismus Sie erschreckt. Aber meine Wenigkeit, der ich durch
mein Studium an der TU Claustahl (eine sehr verbindungsreiche
Universität) und auch spätere Einladungen zu Vorträgen viele Erfahrungen
mit Verbindungen hatte, weiß, dass die Mitglieder die Menschen nach wie
vor in "Franken" und Araber, Türken usw. aufzuteilen pflegen und diese
dabei auch in einer Art Schubladendenken bewerten, was mit der Grund
dafür ist, dass die meisten Jugendlichen eher abgeschreckt sind. Können
Sie solche Gedankengänge für die Preußische Gesellschaft Berlin
Brandenburg ausschließen?
Tschapke: Für die Preußische
Gesellschaft als Verein schon, für jedes einzelne Mitglied enthalte ich
mich einer entsprechenden Bewertung, weil wir Gesinnungsprüfungen und
Gesinnungsbewertungen ablehnen. Wir halten es mit der preußischen
Toleranz. Sie wird sichtbar auch daran, dass wir in unserer Preußischen
Gesellschaft von Anfang an keinen Unterschied zwischen Ost- und
Westdeutschen, zwischen West- und Ostberlinern gemacht haben. Versuche
einiger, dies zu tun, sind wir mit Entschiedenheit entgegengetreten.
MM: Neben den zahlreichen internen
Problemen zur Integration auf beiden Seiten fällt es vielen muslimischen
Migranten heutzutage schwer, sich in ein Gemeinwesen zu integrieren, das
eine unverbrüchliche Nibelungentreue mit jedem Verbrechen der USA und
Israels aufrecht erhält. Wie kann die preußische Toleranz hier helfend
eingreifen?
Tschapke: Ich bitte Sie: Beileibe
erschöpft sich das deutsche Gemeinwesen in toto nicht in einer
unverbrüchlichen Nibelungentreue mit den USA und Israel und schon gar
nicht mit Verbrechen. Wer so denkt, hat die Nachfahren der Preußen und
der weiteren deutschen Stämme noch nicht erkannt. Man glaube nicht, dass
die Aussagen mancher Politiker – und seien es Spitzenleute – sowie
Mainstream-Medien – und erfreuten sie sich großer Auflagen und
Einschaltquoten - deckungsgleich mit dem Denken und den Aussagen aller
Menschen im Lande sind. Toleranz alleine, so wichtig und edel sie ist,
reicht zu Veränderungen nicht aus. Aufklärung im Sinne von Friedrich dem
Großen und von Immanuel Kant tut not, gepaart mit staatsmännischer
Klugpolitik eines Bismarck.
MM: In der Geschichte Preußens gibt es
bis hin zu Elitesoldaten zahlreiche integrierte Muslime, mit denen die
Gesellschaft gut auskam, ohne dass die Betroffenen ihren Glauben
verändern mussten. Was können wir daraus für die heutige schwierige
Situation der muslimischen Minderheit in Deutschland lernen?
Tschapke:
Die Grundregel vom Großen Kurfürsten und von Friedrich dem Großen weist
auch heute in die richtige Richtung: Toleranz, gepaart mit Geduld, und
zwar auf beiden Seiten. Glaube bitte keiner, dass sich die Hugenotten
vom ersten Tag oder Jahr ihrer Ankunft in Brandenburg-Preußen gleich wie
zu Hause fühlen konnten bzw. als Einheimische angesehen wurden – trotz
Glaubensbrüderschaft nicht! Das dauerte viele Generationen. Mein Wissen
von, mein Verständnis für und meine Achtung vor der Weltreligion Islam
rührt aus eigenen Erfahrungen und mannigfaltigen Erkenntnissen her, die
ich in vielen Jahren beruflicher Tätigkeit als Bauingenieur und damit
auch in zahllosen persönlichen Begegnungen in Ägypten, Algerien, den
Emiraten, Syrien und der Türkei gesammelt habe. Andere müssen diese
Erfahrungen erst erwerben. Auf beiden Seiten.
Lassen Sie mich bitte den preußischen Dichter
Theodor Fontane zitieren, der eingewanderten Hugenotten-Familie
entstammt. Diese Zeilen aus einem seiner Dankgedichte möchte ich den
Muslimen in Berlin, Brandenburg und Deutschland ans Herz legen:
Wohl pflegten wir das Eigne, der Gemeinde
Gedeihn und Wachstum blieb uns Herzenssache,
Doch nie vergaßen wir der Pflicht und Sorge,
Dass, was nur Teil war, auch dem Ganzen diene.
Mit fleiß'ger Hand, in allem wohl erfahren,
Was älterer Kultur und wärm'rer Sonne
Daheim entspross und einem reich'ren Lande –
So wirkten wir.
MM: Worin sehen Sie die weiteren
Aufgaben der Preußischen Gesellschaft Berlin Brandenburg?
Tschapke: Genau in denen, die ich Ihnen
in unserem schönen Interview genannt habe. Diese sind in Satzung und
Programmatik aufgeführt. Ich empfehle Interessierten die Lektüre unter
www.preussen.org.
MM: Herr Tschapke, wir danken für das
Interview. |