Muslim-Markt
interviewt
Isabelle Anne Wachter - muslimische Rechtsanwältin
5.4.2014
Isabelle Anne Wachter (geb. 1981 in Fulda) hat im osthessischen
Hünfeld ihre Schuldausbildung mit Abitur abgeschlossen, um in der
Folge während Auslandsaufenthalten in Großbritannien und Frankreich
ihre Sprachkenntnisse weiterzuentwickeln. Neben ihrer Muttersprache
Deutsch spricht sie fließend Englisch und Französisch. Ab 2000
folgte das Studium der Rechtswissenschaft in Marburg (Lahn),
Referendariat am Landgericht Hanau und im Rechtsamt des Landkreises
Marburg sowie einer Rechtsanwalts – und Notarkanzlei Leyener in
Marburg. Seit 2008 ist sie Volljuristin. Zunächst arbeitete sie als
freie Mitarbeiterin in einer Kanzlei in Frankfurt am Main. Im Jahr
darauf begann sie die Selbständigkeit in Marburg mit einer eigenen
Kanzlei und zog 2009 um nach Frankfurt am Main. Sie ist Mitglied im
Deutschen Anwaltverein (DAV) und in der Arbeitsgemeinschaft
Ausländer- und Asylrecht des DAV. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit
liegen im Ausländer-, Asyl-, Flüchtlings - und Einbürgerungsrecht,
sowie im Familienrecht.
Isabelle Wachter ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt im
Großraum Frankfurt am Main.
(Foto mit freundlicher Genehmigung von isabelle-anne.de)
Die Schwerpunkte meiner Arbeit liegen im Ausländer-, Asy-,
Flüchtlings - und Einbürgerungsrecht, sowie im Familienrecht, wobei
ich im Familienrecht auch insbesondere Verfahren betreute, bei denen
Berührungspunkte mit ausländischen Rechtsordnungen bestehen (binationale
Verfahren).
MM: Sehr geehrte Schwester im Islam
Isabelle Wachter, auch wenn Sie diese Frage schon hunderte Male
beantworten mussten, so sind auch unsere Leser daran interessiert:
Wie haben Sie zum Islam gefunden?
Wachter:
Ich war vor meinem Übertritt zum Islam nicht
besonders religiös in dem Sinne, dass ich konkret an die Lehren
einer bestimmten Religion geglaubt habe, obwohl ich aus einer
katholischen Familie komme. Ich habe vielmehr daran geglaubt, dass
es "etwas" über uns geben muss, wo alles herkommt. Ich habe in
schwierigen Lebenssituationen auch immer irgendwie diese höhere
Macht, der ich damals noch keinen Namen geben konnte, um Hilfe
angerufen.
Die Moschee von Marburg (die Stadt, in der
ich studiert habe) veranstaltete auf Stadtfesten immer Infostände,
an denen Literatur über den Islam und auch der Koran in deutscher
Übersetzung verkauft wurden. Ich habe dann eines Tages eine deutsche
Übersetzung des Qur`an dort gekauft. Längere Zeit hatte ich diese
Übersetzung nur zu Hause im Regal stehen. Dann irgendwann habe ich
mich aber dazu entschlossen, den Qur`an bzw. dessen Übersetzung zu
lesen; eigentlich nicht mit dem Ziel, zu konvertieren, sondern
einfach zu wissen, was der Islam tatsächlich ist und was er lehrt.
Zu diesem Zeitpunkt war ich Rechtsreferendarin, befand mich also in
meiner juristischen Ausbildung zwischen dem ersten und zweiten
juristischen Staatsexamen. Ich habe die Qur`an Übersetzung, da ich
damals noch in Marburg wohnte, und mein Referendariat in Hanau
absolvierte, als Lektüre mit in den Zug genommen. Ich habe den
Qur´an innerhalb von weniger als einer Woche komplett durchgelesen
und war so tief bewegt, dass ich sofort überzeugt war, diese
Religion annehmen zu müssen. Ich habe sehr viel geweint, weil mich
die Ayat (Verse des Qur'an) so tief bewegt haben. Ich habe dann ein
oder zwei Tage später das Glaubensbekenntnis ausgesprochen und auch
etwa eine Woche später das Kopftuch angezogen.
MM: Wie haben Ihre Verwandten und
Bekannten auf die Wandlung reagiert, schließlich erfolgte sie in
einer Zeit, in der der Islam nicht mehr das beste Ansehen in
Deutschland hatte?
Wachter:
Meine Familie wusste zunächst nichts von
meiner Konvertierung. Ich habe die Konvertierung ca. eineinhalb
Jahre geheim gehalten. Dies war möglich, da meine Familie in einer
anderen Stadt wohnte. Von meiner Konvertierung erfuhren meine Eltern
von einem Nachbarn, deren Sohn ebenfalls in Marburg studierte und
der mich mit Kopftuch auf der Strasse gesehen hatte. Das war schon
alles nicht einfach. Es haben sich damals auch viele meiner Freunde
von mir abgewandt. Letztendlich war ich aber froh, dass ich auf
diese Art und Weise erkannt habe, wie die Menschen wirklich sind und
wem ich wirklich wichtig bin.
MM: Ihre möglichen Mandanten sind ja
bereits durch die Internetseite "gewarnt", aber wie reagieren
Richter, wenn sie mit Kopftuch auf der Kläger- oder Anklagebank
Platz nehmen?
Wachter:
Ich habe, auch aufgrund der ablehnenden
Haltung vieler Menschen, sehr lange gebraucht, um den Hidschab
(Kopftuch) auch während meiner beruflichen Tätigkeit zu tragen. Ich
trug das Kopftuch, nicht zuletzt, aufgrund der vielen
diskriminierenden Erfahrungen im beruflichen Alltag zwischenzeitlich
nur im privaten Bereich. Nach einer unschönen Erfahrung im Rahmen
einer beruflichen Tätigkeit als Angestellte war ich so verunsichert,
dass ich mich schweren Herzens entschloss, meine selbständige
Tätigkeit als Anwältin ohne Kopftuch zu beginnen. Es hat mich Jahre
und viele Gebete gekostet, bis ich wieder das notwendige
Selbstvertrauen hatte, das Kopftuch öffentlich zu tragen und mich zu
meiner Religion zu bekennen. Ich fühlte mich ohne mein Kopftuch aber
immer nackt und nicht wie ich selbst. Inzwischen ist es mir egal,
was andere über mich denken.
MM: ...und die Richter ...?
Wachter:
Negative Erfahrung habe ich bisher auch nicht
gemacht. Viele muslimische Mandanten sind froh, eine
Glaubensschwester zu finden, die sie vertritt, und bisher hat mich
noch kein Richter im negativen Sinne auf mein Kopftuch angesprochen.
Ich denke, dass die Reaktion der anderen auch sehr vom eigenen
Auftreten abhängig ist. Wenn man selbst selbstbewusst auftritt und
zeigt, dass man mit sich selbst und seiner Wahl glücklich ist, wird
man auch akzeptiert.
MM: Eines der von Ihnen vertretenen
Rechtsgebiete ist ja das Familienrecht. Sehr oft treten ja teils
große Probleme bezüglich Sorgerecht, Unterhalt und anderen
Fragestellungen vor allem dadurch auf, wenn bei muslimischen Paaren
mindestens ein Ehepaar sich extrem unislamisch verhält. Wie gehen
Sie an solche Fälle heran, und wie können Sie durch ihr islamisches
Hintergrundwissen behilflich sein, das Problem zu lösen?
Wachter:
Es stimmt. Viele Probleme im Familienrecht
entstehen durch erhebliche Diskrepanzen der Eltern, was die
religiöse Erziehung der Kinder anbetrifft. Der muslimische
Elternteil legt Wert auf eine islamische Erziehung, während der
nichtmuslimische Elternteil diese Art der Erziehung ablehnt oder es
zumindest als übertrieben ansieht, kleine Kinder schon früh religiös
zu erziehen und ihnen ihre Religionszugehörigkeit bewusst zu machen.
Solche familiären Probleme sind oft darauf zurück zu führen, dass
sich die Ehegatten vor der Eheschließung nicht darüber unterhalten
haben, was ihnen wichtig ist, insbesondere bei der Erziehung
gemeinsamer Kinder. Bei der Eheschließung spielen auch oft
aufenthaltsrechtliche Fragen eine Rolle, was dazu führt, dass eigene
Wünsche aus Angst, dass die Eheschließung dann platzt, nicht offen
ausgesprochen werden.
MM: Gibt es Lösungsmöglichkeiten bei
dieser Konstellation?
Wachter:
Man muss ehrlich sagen, dass sich solche
Probleme nur bedingt lösen lassen, wenn es "zu spät" ist, also
bereits Kinder vorhanden sind, da keiner der Beteiligten bereit ist,
von seinen Vorstellungen und Wünschen abzurücken. Solche
Konstellationen sind sehr traurig, da man sie meist bei bestem
Willen nicht lösen kann, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass alle
Beteiligten zufrieden sind. Sehr traurig finde ich auch, dass die
nichtmuslimischen Partner in solchen familienrechtlichen
Konstellationen oft dazu neigen, den Partner und sein Handeln mit
dem Islam zu identifizieren. Der Hass auf den Partner wird zu einem
Hass auf den Islam. Das wird der Situation oft überhaupt nicht
gerecht, lässt sich aber auch nur sehr schwer aufbrechen.
MM: Ein weiteres Gebiet, das Sie
vorzugsweise vertreten, ist ja das Ausländerrecht. Was sind hierbei
die derzeit größten Probleme für Muslime in Deutschland?
Wachter:
Im Ausländerrecht unterscheiden sich die
Probleme von Muslimen nicht wesentlich von denen anderer Ausländer.
Generell ist das deutsche Zuwanderungsrecht sehr restriktiv. Wenn
eine Aufenthaltsbeendigung, die von den Behörden durchgeführt werden
soll, etwas mit dem Islam zu tun hat, wird das in der Regel nicht
offen zugegeben. Es werden vielmehr von den Behörden andere Gründe
"vorgeschoben", um die Aufenthaltsbeendigung eines Menschen zu
rechtfertigen, der z.B. islamisch aktiv ist. Im Allgemeinen kann man
schon sagen, dass die Islamophobie es bis in die Büros deutscher
Behörden geschafft hat. Dies wird aber nicht offen ausgesprochen.
MM: Haben Sie auch nichtmuslimische
Mandanten?
Wachter:
Ja, ich habe auch nichtmuslimische Mandanten.
Gerade im Ausländer- und Sozialrecht ist die Mandantschaft sehr
durchmischt. Ich habe Mandanten aus verschiedensten Ländern und
Kulturen und auch sehr viele Deutsche, die im Ausland leben und
arbeiten. Allerdings besteht bei etwa 95 % meiner Mandate irgend ein
Bezug zum Ausland und zu ausländischen Rechtsordnungen. Ich habe
durch meine berufliche Tätigkeit erst erfahren, in welchen Ecken der
Welt es überall Muslime gibt.
MM: Was ist unter der
Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht des DAV zu verstehen?
Wachter:
Unter der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Ausländer
- und Asylrecht des DAV (deutscher Anwalt Verein) versteht man einen
Zusammenschluss von Rechtsanwalten und Rechtsanwältinnen, die auf
dem Gebiet des Ausländer - und Asylrechts tätig sind. Die ARGE hält
regelmäßig interessante Fortbildungen für Rechtsanwälte und
Rechtsanwältinnen in ganz Deutschland ab.
MM: Abschließende Frage an die
dreifache Mutter. Wie werden Sie mit der Mehrfachbelastung fertig?
Wachter:
Es ist schon eine große Belastungen, wenn man
Mutter ist und gleichzeitig im Berufsleben steht. Ich bin irgendwie
in die Belastung hinein gewachsen und nehme das inzwischen gar nicht
mehr so wahr. Ich werde aber von meinem Umfeld, meinem Ehemann und
meinen Eltern, auch sehr gut unterstützt. Sie ermöglichen es mir,
meinen Beruf so auszuüben, wie ich es derzeit tue und dafür bin ich
Ihnen sehr dankbar.
MM: Sehr geehrte Schwester im Islam
Vielen Dank für Isabelle Anne Wachter, vielen Dank für das
Interview.
Links zum Thema