Im Namen des Erhabenen  

  Interview mit H. Hofbauer

 

Muslim-Markt interviewt
Hannes Hofbauer, Autor des Buches "Die Diktatur des Kapitals"
12.8.2015

Hannes Hofbauer (Jahrgang 1955) ist Publizist und Verleger. Er ist in Wien geboren und aufgewachsen, hat an der Universität Wien Wirtschaftsgeschichte und Sozialgeschichte studiert. Seit Mitte der 1990er Jahre ist er Verlagsleiter des Promedia Verlages in Wien, in dem unter anderem Bücher von Noam Chomsky, Fritz Edlinger und Petra Wild erschienen sind. Als freier Journalist hat er unter anderem für die Tageszeitungen "Neues Deutschland" und "Junge Welt" sowie die Zeitschrift "Hintergrund" geschrieben. Er hat bereits zahlreiche Bücher geschrieben, darunter das Buch "Die Diktatur des Kapitals: Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter" (2014).

Hannes Hofbauer lebt in Wien.

MM: Sehr geehrter Herr Hofbauer, Sie werden der antiimperialistischen Linken zugerechnet, was als besonderes Merkmal gilt. Müssten nicht 99% der Menschen antiimperialistisch eingestellt sein, wenn sie die Interessen der Menschheit im Auge hätten?

Hofbauer: Man kann den Begriff „Imperialismus“ wissenschaftlich herleiten, was ich an dieser Stelle – keine Angst – nicht vorhabe. Im Kern umschreibt er durch die kapitalistische Wirtschaftsweise entstandene weltweite Ungleichheiten. Jeder kann beobachten, dass die Ungleichheiten zunehmen, allein das Ansteigen der Migrationsbewegungen beweist dies. Um die Frage konkret zu beantworten: Ja, ihren sozialen und gesellschaftlichen Interessen entsprechend müsste die übergroße Mehrheit der Menschen antiimperialistisch eingestellt sein. Sie profitiert nicht davon, dass z.B. ungleiche Tauschverhältnisse, Land Grabbing oder die Kreditpolitik internationaler Finanzorganisationen das Geld in die Hände einiger großer Industrie- und Agrarkonzerne oder Banken spült.

MM: Der Kapitalismus - so ist zumindest die muslimische Vorstellung - ist von Natur aus imperialistisch und zerstörerisch. Warum ist er dennoch so erfolgreich gewesen?

Hofbauer: Die Frage tangiert die Herkunft dieser auf Akkumulation und Ausbeutung basierenden Wirtschaftsweise. Ob der Kapitalismus einem Kulturkreis zuordenbar ist, darüber streiten sich große Geister seit Jahrhunderten. Max Webers Analyse über die protestantische Ethik, die durch Individualisierung gesellschaftliche Zusammenhänge atomisiert, was im (neo)klassischen Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied“ gipfelt, ist dabei hilfreich, greift aber zu kurz. Und vor allem erklärt sie nicht, wie es über Jahrhunderte gelingen konnte, die kapitalistische Wirtschaftsweise so gut wie allen Kulturen und Religionen überzustülpen. Es sieht so aus, als ob der andauernde Erfolg des Kapitalismus nicht rein ökonomisch erklärt werden kann, sondern auch den politischen und medialen Herrschaftsverhältnissen zuzuschreiben ist. Politik und Medien sind vom Geld – und damit vom Geist – einer zerstörerischen Kraft durchdrungen.

MM: Aktuell wird mit TTIP und ähnlichen Konstrukten ein neues Kapitel der Ausbeutung vorangetrieben, wobei diese Mal nicht die fernen Afrikaner und Asiaten ausgebeutet werden sollen, sondern wir Europäer. Warum ist der Widerstand unter den Volksvertretern dennoch eher verhalten?

Hofbauer: Vom Volk gewählte Vertreter, das muss man leider sagen, vertreten längst nicht mehr das Volk; und es wird immer schlimmer. Das beginnt schon bei der politischen Struktur. Sehen wir uns nur kurz die Europäische Union an. Dort regiert eine Kommission, die zwar erstmals 2014 zur Wahl stand, aber ohne den EU-Rat nicht nominiert werden kann. Der EU-Rat wiederum setzt sich aus den entsprechenden nationalen Ministerpräsidenten und Präsidenten zusammen. Diese sind aber mitnichten in den einzelnen Ländern dafür gewählt, dass sie auf supranationaler EU-Ebene eine Regierung zusammenstellen. Aus nationaler Exekutive – oder „Dienern“, wie die deutsche Übersetzung des lateinischen „Minister“ heißt – wird eine EU-Legislative. Zwischen Volkswahlen und der von den Gewählten betriebenen Politik entsteht somit sehr viel Platz für Global Player, die ihre Interessen durchsetzen können. Dabei sollte man gar nicht von Lobbyismus sprechen, denn die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen findet nicht in der Vorhalle („Lobby“) statt, sondern vielfach in so genannten Think Tanks wie dem „Council on Foreign Relations“ oder der „Trilateralen Kommission“.

Was das Transatlantikabkommen TTIP betrifft, so soll es einerseits durch eine Harmonisierung wirtschaftlicher (und nicht sozialer!) Regeln den Markt für jene Konzernriesen vergrößern, die nach neuen Verwertungsmöglichkeiten suchen, und andererseits diese dann liberalisierten Verhältnisse rechtlich absichern. Dazu nimmt man sich schon vorhandene Investitionsschutzabkommen zum Vorbild, die ein eigenes, außer-staatliches Recht neben dem Recht geschaffen haben. Konzerne, die sich durch politische Maßnahmen wie ökologische oder soziale Gesetze in ihrem Profit beeinträchtigt sehen, können an einer eigens bei der Weltbank in Washington eingerichteten Stelle auf Entschädigung klagen. Das ist, streng genommen, bereits das Ende von Politik.

MM: Geld regiert die Welt hieß es. Heute müsste man hinzufügen; künstliches herbei gezaubertes Geld regiert die Welt. Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, dass dieser Grundleitsatz des kapitalistischen Imperialismus wirkungslos wird, ohne in unerreichbare Denkmodelle zu verfallen?

Hofbauer: Vorneweg: Ich glaube nicht, dass es so etwas wie gutes und schlechtes Kapital gibt. Kapital hat die – seiner Bestimmung nach – zwangsläufige Tendenz, dort zu investieren und auf der Suche nach Verwertung zu sein, wo es am profitabelsten ist. Nach einem Krieg wird fleißig wieder aufgebaut; wenn der Markt dafür an einer Stelle gesättigt ist, wird expandiert; wenn auch dort nichts mehr zu holen ist, fängt Kapital verstärkt zu spekulieren an; Blasen bilden sich, platzen; und wir können gerade beobachten, wie die stärkste Militärmacht der Welt – die USA – unter ihrem militärisch-industriellen Komplex immer neue Kriege entfacht, um weiter daran zu profitieren.

Zum Thema „unerreichbare Denkmodelle“: Das liberale Credo vom Wohlstand für alle, die sich an den kapitalistischen Spielregeln beteiligen, hat sich als unerreichbar entpuppt. Also müssen wir nach Erreichbarerem Ausschau halten. Dabei ist vieles möglich, was noch vor kurzem „unerreichbar“ schien. Denken wir nur an den Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/91, den fünf Jahre vorher niemand als realistisch eingeschätzt hätte; oder an die Attraktionskraft des muslimischen Glaubens für junge Leute, die auch vor 20 Jahren kaum jemand so vorausgesagt hätte. In diesem Sinne bin ich optimistisch: Revolution ist möglich. Ob sie allerdings, wie der Wortstamm sagt, das Gute oder das Böse von unten nach oben spült, bleibt abzuwarten.

MM: Es liegt auf der Hand, dass eine Wirtschaft für den Menschen da zu sein hat und nicht umgekehrt. Wie aber kann man das einer Bevölkerung erläutern, der es im Weltvergleich relativ gut geht?

Hofbauer: Das ist – für uns in Deutschland oder Österreich – eine sehr wichtige Frage. Denn von hier aus sieht es keineswegs so aus, als ob 99% der Bevölkerung gegen den Imperialismus wären. Viele profitieren von den kapitalistischen Ausbeutungsstrukturen in peripheren Ländern. Allein die extremen Lohnunterschiede gewährleisten im Zentrum Westeuropas billige Versorgung mit Lebensmittel rund um den Jahreszyklus (aus Afrika oder China) und mit fast allen anderen Konsumartikeln (vornehmlich aus Südostasien). Zur Frage konkret: Der moralische Appell ist hilfreich und notwendig, ausreichen wird er nicht. Eine ökologische Bestandsaufnahme braucht es ebenso; die zeigt, dass es so ohnedies nicht weitergehen kann. Wir leben zu schnell, arbeiten wie wild, verbrauchen zu viel Energie und haben – Glück und Zufriedenheit betreffend – wenig davon. Diese Erkenntnis müsste sich als sozio-ökonomische Vernunft breit machen. Vernünftig ist ja allemal, schön und ausgeglichen zu leben und nicht hektisch.

MM: Das haben die Religionen bis heute mehrheitlich nicht geschafft und die Vernunft des Menschen auch nicht. Im Heiligen Quran sind es ausgerechnet die Engel, die in ihrer weisen Voraussicht den Schöpfer fragen: "Errichtest Du auf ihr (der Erde) jemanden, der auf ihr Verderbnis stiftet und Blut vergießen wird .... Er sagte: Ich, ich weiß, was ihr nicht wisst?" Das Problem ist, dass bis heute offenbar kaum jemand weiß, wie diese zerstörerische Ader des Menschen überwunden werden kann, denn schließlich haben Revolutionen in der Weltgeschichte auch noch keine ernsthafte Abkehr vom Kapitalismus bewirkt. Oder anders ausgedrückt: Wie konkret soll sich sozio-ökonomische Vernunft breit machen?

Hofbauer: Abstrakt gesprochen, bedarf es dazu sowohl eines gesellschaftlichen Lernprozesses als auch der entsprechenden Umsetzung des dann Gelernten. Diese Umsetzung wiederum geht nicht, ohne dass die Machtfrage gestellt wird. Damit meine ich nicht nur eine – vielleicht oberflächliche – politische Macht, sondern ebenso die Deutungshoheit über ökonomisch sinnvolles und kulturell erfüllendes Dasein. Das „gute Leben“, wie globalisierungskritische Aktivisten zuletzt einen einfachen, für jeden und jede verständlichen Slogan kreiert haben, braucht vieles nicht, was heute von Politik und Medien als alternativlos dargestellt wird. Andererseits liegt in der Einfachheit des Slogans auch die Gefahr, dass sich jeder darunter das vorstellen kann, was ihm gerade in den Sinn kommt. Zur allgemeinen sozio-ökonomischen Vernunft ist es, geht man von den aktuellen Kräfteverhältnissen aus, wie man sieht noch ein weiter Weg.

MM: In ihrem Verlag erscheinen Bücher unter anderem von Noam Chomsky, Fritz Edlinger und Petra Wild, die alle als Israelkritisch gelten. Wenn ein antiimperialistischer Antikapitalist auch noch israelkritische Bücher verlegt, dann ist der Antisemitismusvorwurf nicht weit. Wie gehen sie damit um?

Hofbauer: Mit Vorwürfen muss man als kritischer Mensch und Verleger leben. Wenn sie aus der Luft gegriffen sind, tangieren sie einen persönlich nicht besonders. Und der Vorwurf des Antisemitismus unsere Bücher betreffend ist völlig aus der Luft gegriffen. Er erklärt sich ausschließlich im Zusammenhang mit der aktuellen israelischen Politik, die jedem, der Israel kritisiert, mit der Antisemitismus-Keule kommt. Diese Politik tut auch der jüdischen Sache nicht gut, weil sie den Antisemitismusvorwurf dermaßen inflationär gebraucht, dass er dort, wo er zutrifft, auch nicht mehr ernst genommen wird.

MM: Gibt es denn Ihrer Ansicht nach einen Zusammenhang zwischen dem Kapitalismus der westlichen Welt und dem zionistischen Kolonialismus, der über die Tatsache hinausgeht, dass der Zionismus von der westlichen Welt nahezu uneingeschränkt unterstützt wird?

Hofbauer: Kolonialismus ist ein ausbeuterisches System: Er beruht u.a. auf einer rassistischen Grundhaltung, nach der es wertvollere und weniger wertvolle Menschen gibt. Er ist von seiner Natur her expansiv und stellt die eigene Nation über jene der Kolonisierten. Der Zionismus in seiner ursprünglichen Form war – dem Zeitgeist zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschuldet – eine jüdisch-nationale Hoffnung, dem weit verbreiteten Antisemitismus durch eine eigene Staatlichkeit zu entfliehen. In die heutige israelische Staatsform gegossen, sieht er eher wie eine spezielle Spielart des Kolonialismus aus.

MM: In Deutschland und Österreich gibt es staatlich verordnete Wahrheiten, die ohne Protest der Intellektuellen hingenommen werden. Solch eine Unterwürfigkeit ist sonst von nur wenigen Ländern bekannt. Was unterscheidet die deutschsprachigen Intellektuellen von ihren französischen, englischen oder südländischen Kollegen?

Hofbauer: Um diese Frage zu beantworten, müsste ich ein wenig ausholen. Sie spielen auf so genannte Erinnerungsgesetze an, die z.B. Leugnung von Völkermorden oder Kriegsverbrechen generell unter Strafe stellen. Meine Kritik daran besteht darin, dass damit die Rechtsprechung zur Verkünderin historischer Wahrheiten wird. Jede weitere Debatte steht dann unter Strafandrohung. Historische Ereignisse, die auf diese Weise tabuisiert werden, reichen von der armenischen Tragödie über den Holodomor in der Ukraine und den Massenmord in Srebrenica bis zu den Kämpfen in Darfur. Ich denke, eine wirkliche Aufarbeitung von Schreckenstaten kann nicht unter Strafandrohung erfolgen. Und da unterscheiden sich Frankreich, Deutschland, die Ukraine oder die Türkei nicht wesentlich voneinander.

MM: An welchem neuen größeren Projekt arbeiten Sie aktuell?

Hofbauer: Die vergangenen eineinhalb Jahre hab ich mich, so oft ich dafür Zeit hatte, mit Russland beschäftigt, genauer: mit dem neu aufgetauchten Feindbild Russland, das im Westen wieder en vogue ist. Ich versuche, das in einen historischen Kontext zu stellen.

MM: Viele Erfolg dabei. Herr Hofbauer, wir danken für das Interview.

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