MM: Sehr geehrter Herr Hübner, auf der
Homepage des Preußischen Landboten steht unter dem Glaubensbekenntnis
der Muslime folgender Satz von Ihnen: "In Dankbarkeit und Ehrfurcht
einer Religion gegenüber, die das Licht der Bildung, des Wissens und der
Zivilisation bewahrte, als über das Abendland die Finsternis der
Barbarei und des Aberglaubens hereinbrach. Europa steht tief in der
Schuld des Islam." Wie kam es zu diesem äußerst ungewöhnlichen
Hinweis?
Hübner: Als
sich das Christentum einige Jahrhunderte vor den Verkündigungen an den
Propheten Mohammed, sein Name sei gepriesen, zu etablieren begann,
begannen sofort Apologeten dieser neuen Religion, die in staatstragende
Positionen aufgestiegen waren, Inhalt und Leere dieser Religion zu
verfremden, zu überformen, ihren speziellen Bedürfnissen, die auf
Machterhalt und -ausbau gerichtet waren, anzupassen - kurz - die
Botschaft des armen, galiläischen Wanderrabbis Jeschua ben Mariam,
genannt Jesus, zu pervertieren. Selbst einem aufgeklärten Kaiser, wie
dem Byzantiner Julian Apostata, stieß diese Entwicklung sauer auf, ohne,
dass er, selbst in seiner unvergleichlichen und machtvollen Stellung, es
vermocht hätte, diese Tendenz nachhaltig zu beeinflussen. Infolgedessen
führte ein Christentum, das den Namen nicht mehr verdiente, das
Abendland in einen schauerlichen Abgrund von Despotie, Dogmatismus,
Stagnation und geistiger Finsternis.
Die sogenannten "heidnischen" Wissenschaftler
und Autoren der Antike blieben lange Zeit nur einem elitären Bereich der
Gesellschaft zugänglich und vorbehalten. Als einzig relevantes Wissen
wurde akzeptiert, was in den Schriften der Bibel und der autorisierten
Kirchenväter geschrieben stand. Erkenntnisgewinn war weitflächig
verpönt. Zu gefährlich erschien den Hütern des Dogmatismus die
Möglichkeit, Evidenzen zu entdecken oder zu beweisen, die den Aussagen
der Heiligen Schrift widersprachen. Die Statik der Religion hatte einzig
und allein die Perpetuierung der irdischen Macht Einzelner zum Ziel! Und
nichts sonst. Alleine dafür den Namen Gottes zu missbrauchen, erfüllte
den Tatbestand der Blasphemie!
In genau dieser Zeit, der Epoche des
aufstrebenden Islam, bedrohte also das Christentum die Erkenntnisse der
Antike im selben bilderstürmerischen Maße, wie es später den Buddhas von
Bamiyan oder der antiken Stadt Ninive zum Verhängnis wurde. Wie gesagt,
das hatte nichts mit den transzendenten Inhalten der auf Liebe, Güte,
Nachsicht und Vergebung orientierten Religion des Christentums zu tun,
sondern zielte damals wie heute auf ganz profane und irdische
Beweggründe schnöden Machterhalts sterblicher Personen ab.
Der Koran hingegen unterdrückte mit keiner Sure
den Drang des Menschen nach dem Verstehen wollen von Allahs Welt. Wofür
sonst hätte ER, der Weise und Gütige, ihm, dem Menschen, SEINER
Schöpfung, diesen zum Denken und Verstehen befähigten exorbitanten
Verstand gegeben?
Somit sehe ich das nicht hoch genug zu
würdigende Verdienst des Islam darin, die gewaltigen Reichtümer des
Wissens und der Aufklärung, der Empirik, der Logik, der Forschung und
der Lehre, wie sie von den Alten erdacht und ersonnen wurden, über eine
Ära der europäischen Geschichte hinweg bewahrt zu haben, als dieses
Wissen im Okzident komplett verloren zu gehen drohte. Mehr noch,
überragende islamische Forscher, Lehrer und Wissenschaftler erweiterten
unermüdlich den Kosmos der Erkenntnis. So zählt Abū Alī al-Husain ibn
Abdullāh ibn Sīnā pars pro toto zu den unbestrittenen Vätern auch der
okzidentalen Medizin, Astronomie, Mathematik, Physik, Philosophie ...
MM: Ist das Zitat nur in die Vergangenheit
gerichtet?
Hübner:
Natürlich wirkt das Zitat auf dem Titel des Preußischen Landboten in
beide Richtungen. Es ist beileibe nicht nur ein Dank an den frühen
Islam, sondern auch eine Mahnung an die Gläubigen der Gegenwart, sich
die Botschaft des Propheten, Allah schütze und segne ihn, nicht von
Kräften rauben zu lassen, die sich sehr zu Unrecht Muslime nennen,
während ihre Taten das Gegenteil sprechen. In diesem Falle ist das
Abendland aufgefordert, im festen Schulterschluss mit den Gläubigen die
Werte zu bewahren, welche den Menschen im Koran überliefert wurden.
Man darf auch nie außer Acht lassen, welche
politischen Großwetterlagen Menschen zu geistlosen Radikalen jedweder
Couleur degenerieren lassen. Provozierte einst die Dekadenz des
Römischen Imperiums ein fanatisiertes Christentum, so waren es später
und sind es bis heute die arroganten, kolonialen und postkolonialen
Attitüden des alten Kontinents und der aus ihm hervor gegangenen
Vereinigten Staaten von Amerika. Allzulange herrschte in diesen
Gesellschaften die Auffassung, ein aggressiv errungener, hegemonialer
Erfolg berechtige dazu, anderen Völker die eigene Weltsicht auf
oktroyieren zu können, während man ihnen deren Ressourcen unter den
Füßen weg stahl und sie bitterer Armut überantwortete.
Ist es denn wirklich verwunderlich, dass sich
ein muslimischer Vater radikalisiert, wenn er nicht weiß, wie er seine
Familie ernähren soll, während im Westen Kinder des Wohlstands an einem
Tage mehr Geld verprassen, als sein Dorf ein ganzes Jahr lang zum
Überleben bräuchte? Und dies noch dazu völlig unreflektiert tun, indem
sie an die Verlierer dieses Wahnsinns keinen einzigen Gedanken
verschwenden! Das ist eine Demütigung von ungeheurem Ausmaß, für die
Ausgebeuteten und Geschundenen dieser Welt völlig unverdient und
ungerechtfertigt! Den Westen sehe ich daher in der Pflicht, hier
sukzessive für einen akzeptablen Ausgleich zu sorgen. Erst dann werden
in der islamischen Welt wieder die Kräfte die Oberhand gewinnen, die
einst in der Lage waren, dem Abendland Wissen und Kultur zu bewahren.
Kräfte der Toleranz und des Miteinanders, Kräfte, die sich jeglicher auf
Gewalt basierenden Auseinandersetzung verweigern. Insofern hat das
Abendland eine Schuld abzutragen. Das ist mit dem Abdruck des
Glaubensbekenntnisses im Preußischen Landboten gemeint.
MM: Stehen Sie mit diesem Hinweis nicht im
diametralen Gegensatz zum aktuellen deutschen Zeitgeist, der mit dem
Islam nicht unbedingt Dankbarkeit sondern tiefe Abneigung verbindet?
Hübner:
Nun heißt der Preußische Landbote ja Preußischer
Landbote und nicht etwa "Deutscher Landbote". In Preußen, das seit 1947
nicht mehr staatsgeographisch gebunden ist, denkt man anders. Hier gilt
ungebrochen die Maxime Friedrichs des Großen, der auch an die Adresse
der Muslime schrieb: "Ich will ihnen Moscheen und Tempel bauen, sofern
sie honette und industrieuse Menschen sind!"
Sie fragen nach dem deutschen Zeitgeist. Als
Historiker beurteile ich diesen Zeitgeist über lange Zeiträume und in
seiner Entwicklung, die in engem Zusammenhang mit der Geschichte des
Werdens der deutschen Nation steht. Ohne despektierlich sein zu wollen:
Die deutsche Nation macht auf mich den Eindruck eines in mehrerer
Hinsicht späten Adoleszenten, der gerade mal seinem Halbstarkenalter
entwachsen ist und in seiner Kindheit und Jugend fürchterlich
misshandelt wurde. Bedenken Sie: Im Dreißigjährigen Kriege tobten sich
alle Völker Europas auf dem Boden Deutschlands aus, weil es dem Reich
nicht gelungen war, sich zu einem starken Zentralstaat zu formen, der
diesem Treiben Einhalt hätte gebieten können. Die nationalen Komplexe,
die daraus erwuchsen, waren mitverantwortlich für die beiden
Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts. Ein ganzes Volk, quasi über Nacht
zu ungeheuerlichen Kräften gelangt, konnte weder mit diesen umgehen noch
besaß es die moralische Reife, die vonnöten gewesen wäre, diese Kräfte
verantwortungsvoll zu kanalisieren. Das Einzige, was sich klar
kristallisierte, war, wie leicht dieses unter einem enormen Leidensdruck
stehende Volk zuungunsten anderer Völker und sogar seiner eigenen
Mitmenschen zu manipulieren war.
MM: Aber die Kriege liegen ja - Gott sei
Dank eine Weile zurück ...
Hübner:
Ich sehe in der Nachkriegszeit keine
entscheidende, keine tragende Zäsur im Massenbewusstsein. Mit anderen
Worten, dieses Volk ist noch immer billig und leicht zu manipulieren.
Und glauben Sie mir, ein Blick in die gegenwärtige Medienlandschaft und
ein Blick auf die Rezeption seitens des deutschen Volkes - und ich fühle
mich in meinen Vermutungen bestätigt. Welch eine undifferenzierte, seit
Jahrzehnten antrainierte USA-Hörigkeit! Die USA konnten in Vietnam, in
Korea und im Iran treiben, was sie wollten. Sie gelten noch immer vielen
Deutschen als das Gelobte Land! Welche teilweise abstrusen Animositäten
gegen Moskau, welche Vorbehalte gegen die Welt des Islam! Und all diese
Stammtisch-Beurteilungen entbehren jeglichen fundierten
Hintergrundwissens. Eingeblasenes Zeug, martialisch illuminiert.
Unterscheidet sich kaum von der Kriegspropaganda der Jahre 1914/15. Nur
etwas sublimer eben.
MM: Gehört der tagtäglich wahrgenommene
Terrorismus also auch zu dieser Propaganda?
Hübner:
Der Terrorist, der Menschen vor laufender Kamera
ermordet, der Kulturdenkmäler vergangener Generationen zerstört, der
kleine Mädchen entführt und versklavt, ist kein Muslim! Definitiv nicht!
Denn solche Taten hätten den Propheten, sein Name sei gepriesen,
entsetzt und mit blankem Abscheu erfüllt. Der Dschihad ist der innere
Kampf mit sich selbst um die Liebe und Nähe Gottes! Das bedeutet: Gottes
Willen in sich zur Geltung bringen - nicht am Mitmenschen! Ich bin der
Auffassung, wer immer sich anmaßt, seine Interpretation von Gottes Wort
dem Nächsten mit Gewalt aufzuzwingen, versündigt sich am Höchsten. Denn
er versucht nichts anderes, als dem Allmächtigen die Macht abzusprechen,
SEINE Vorstellungen selbst in die Herzen SEINER Schöpfung zu senken. Ein
solcher Mensch versucht, seinen Gott und Schöpfer zu entmündigen, ganz
gleich, ober Jude, Christ, Moslem oder Hindu ist! Das stelle man sich
mal vor! Schlimmer geht's ja gar nicht! Was für ein Größenwahn! Aber
auch darüber soll der Allerbarmer richten - nicht wir!
Doch leider hat die deutsche Öffentlichkeit
nicht den großherzigen, freien, zukunftsorientierten und -offenen Islam
als möglichen Partner im Auge, sondern kolportiert stets und ständig das
Bild der aus dem Ruder gelaufenen und schwer verirrten Zeitgenossen, die
ihr Heil im Töten und Einschüchtern ihrer Mitmenschen sehen.
MM: Bekommen Sie denn keine negative
Resonanz wegen dieser Sympathieäußerung?
Hübner:
Überhaupt nicht!
MM: Kommen wir nun zu Ihrer Publikation
selbst. In der Überschrift steht: "eine freie Stimme Preußens -
Aufrecht -Tapfer -Unbestechlich - Linksliberal und Wertkonservativ"
, Wie passt das alles zusammen?
Hübner:
Dass diese Überschrift erklärungsbedürftig ist,
beweist, dass das Bild Preußens in eine ebenso negative Konnotation
geraten ist, wie das des Islam. Und wie immer - sehr zu unrecht!
Ausschlaggebend waren hier wie dort einige unangenehme Gestalten, die
für sich in Anspruch nahmen, hier die Idee Preußen und dort den Islam zu
repräsentieren. Die breiten Massen sind willig, dies unbesehen zu
glauben. Denn Böses erscheint den Leuten regelmäßig eingängiger als
Gutes.
Wer kennt denn noch die von Liebe, Verständnis
und Respekt getragenen Verhandlungen zwischen Kaiser Friedrich II. Roger
von Hohenstaufen und Sultan al-Kāmil Muhammad al-Malik im Jahre 1229?
Ein beeindruckendes Beispiel für Ausgleich bei gutem Willen, Verstand
und Toleranz. Nein, wenn es um das Thema "Kreuzzüge" geht, dann werden
nur die blutigen Mauern von Akkon, die Hörner von Hattim und das
Massaker von Jerusalem/al-Quds zitiert.
So verhält sich das auch mit den Werten
Preußens. Preußen ist groß geworden in Bescheidenheit, Armut, Disziplin
und Toleranz. Es ging unter in Dünkel, Großmannssucht und der Perversion
aller seiner Werte. Auch einem Preußen kann das Herz links schlagen. Er
kann freiheitlich denken und dabei die Werte, die ihm von seinen Müttern
und Vätern überliefert wurden, und die sich als gut und richtig erwiesen
haben, ehren und tradieren.
Als die Alliierten Preußen als "Hort des
deutschen Militarismus" 1947 aufgelöst hatten, bezeugten sie damit nur
ihre absolute Unkenntnis und Ignoranz gegenüber der Geschichte. Sie
konnten Preußen gar nicht mehr auflösen, denn seit 1870/71 existierte es
sowieso nur noch dem Namen nach. Eigentlich stand Preußen schon nach
Jena und Auerstedt zur Disposition. Aber das steht auf einem anderen
Blatt. Preußen hat auch gar keinen Staat nötig. Es hat Menschen nötig,
die seine Idee des Offenen, der Toleranz und der Aufklärung in sich
tragen und durch ihr Lebensbeispiel, nicht durch Agitation und
Propaganda, und schon gar nicht durch Gewalt, weitertragen.
MM: Sie sind auch Chefredakteur des
Teltower Stadt-Blatt Verlages. Wie ist die Stimmung in Teltow gegenüber
Muslimen?
Hübner:
Es sind mir aus der Region
Teltow-Kleinmachnow-Stahnsdorf einschließlich Großbeeren absolut keine
Ressentiments gegen Muslime bekannt. Nun gibt es auch nicht so viele
Berührungspunkte, ganz einfach aus dem Grunde, weil sich in dieser
kleinteilig besiedelten Region im südwestlichen Umland Berlins noch
keine starke muslimische Gemeinde etablieren konnte. Etwas anderes ist
das mit den Flüchtlingen, die teilweise auch aus dem islamischen
Kulturraum zu uns gekommen sind. Meiner Einschätzung zufolge ist die
Stimmung ihnen gegenüber bislang als sehr aufgeschlossen zu bewerten.
Inwieweit sich xenophobe Gefühle Bahn brechen würden, wenn es zu einem
signifikanten Zuwachs an islamischer Bevölkerung käme, das vermag ich
beim besten Willen nicht einzuschätzen.
MM: Was empfehlen Sie für das
konstruktivere Miteinander?
Hübner:
Meine Empfehlung wäre, ein organisches
Ineinanderwachsen so unterschiedlicher Kulturen zu ermöglichen. Dass der
geographische Raum, in dem ich beheimatet bin, die Mark Brandenburg
also, in ihrer Geschichte bereits mehrere dramatische Kulturwechsel und
gewaltige Migrationsbewegungen durchlebt hat, ist den Zeitgenossen im
Alltag kaum noch präsent. Dies aber geschah in historischen Zeiträumen
und ist für den normalen Zeitgenossen weder fassbar noch von Belang.
Wer, außer in der Lausitz, erinnert sich heute zum Beispiel noch seiner
wendischen Wurzeln? Eine kulturelle Verwirbelung aber innerhalb nur
weniger Generationen führt wohl an jeder Ecke dieser Welt zu
Irritationen bei "Alteingesessenen". Dabei tragen diese Prozesse bis auf
Ausnahmen nicht einmal vordergründig chauvinistischen Charakter. Sie
speisen sich aus dem allgemeinen und ganz gut erforschten
sozialpsychologischen Verhaltensrepertoire des Menschen. Wenn man diesen
Fakt gebührend berücksichtigt und aufeinander treffenden, differenten
Kulturen die Chance einer Gewöhnung lässt, dann sollten sich
Konfliktsituationen auf ein Minimum beschränken lassen.
Dass ein solches Vorgehen allerdings noch kein
Garant für den Erfolg ist, das lässt sich an den grauenvollen
Geschehnissen während des Balkankrieges im Zuge des Zerfalls
Jugoslawiens in den Neunzigern des letzten Jahrhunderts deutlich
ablesen. Auch hier griffen sich scheinbar aus dem Nichts Ethnien an, die
seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten friedlich und
vertrauensvoll Haustür an Haustür miteinander gelebt hatten. Das ist
eine Immanenz des menschlichen Charakters, gegen die kein Kraut
gewachsen ist. Jedoch lässt sich sagen, je besser es den Menschen geht,
desto weniger werden sie bereit sein, ihren Nachbarn zu überfallen und
anzugreifen. Insofern, und ich wiederhole mich da, scheint es mir das
dringlichste Gebot der Stunde zu sein, vonseiten des Abendlandes auf
einen globalen Wohlstandsausgleich hinzuwirken. Und der schließt eben
auch große Teile der islamischen Welt mit ein.
MM: Kommen wir noch einmal zurück zur
Beziehung Preußen-Islam. Im Brandenburg-Preußen Museum in Wustrau gab es
vom 23. März bis 5. Oktober 2014 die Sonderausstellung „Türcken, Mohren
und Tartaren. Muslime in Brandenburg-Preußen“. Die dargestellten Beweise
für die Verzahnung waren derart Vielfältig und derart überwältigend an
Zahl, dass man sich heute darüber wundern muss, wie in nur wenigen
Jahrhunderten offensichtlich ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte
in Vergessenheit geraten ist. Oder anders ausgedrückt: Vor über 100
Jahren schien ein deutscher Muslim geradezu "normaler" als heute. Wie
können wir diese "verlorene" Geschichte wieder zum Leben erwecken?
Hübner:
Es sind mir selbst aus meiner Heimat Preußen
Beispiele bekannt, welche die enge Verflechtung zum islamischen Raum
bezeugen. Denken wir nur an den 1827 hierorts geborenen Ludwig Karl
Friedrich Detroit, welcher unter dem Namen Mehmed Ali Pascha der Hohen
Pforte als Feldmarschall diente. Ein weiterer zu nennender Name wäre
jener der Äthiopierin Machbuba, der Freundin Fürst Pückler-Muskaus,
welche dieser von seiner Afrika-Reise mitbrachte und die ihm zur Seite
blieb, solange sie lebte.
In ganz Deutschland wurde die Welt des Islam
seit der Zeit des Biedermeier als eine exotische, zauberhafte, oftmals
etwas verklärte Welt wahrgenommen. Denken wir an Wilhelm Hauffs Märchen,
die zu einem großen Teil in Arabien beheimatet sind. Eindrucksvoll legt
auch die Potsdamer Moschee, das ehemalige Dampfmaschinenhaus für
Sanssouci, im Herzen der Residenz Zeugnis ab, welche Faszination die
islamische Welt einst in den kühlen Breiten des Nordens entfachte.
Mozarts "Entführung aus dem Serail" spricht Bände über das aufkommende
Interesse an der Welt des Islams, wenngleich die letzte harte
Konfrontation mit diesem Kulturkreis zum Zeitpunkt ihres Entstehens erst
99 Jahre zurücklag.
Leider muss man die Dinge relativieren. Diese
Faszination hielt genau solange vor, wie die Vertreter des Islam in
Deutschland zahlenmäßig nicht als Bedrohung des eigenen Kulturraums
wahrgenommen wurden. Das änderte sich schlagartig, als es im Zuge des
Arbeitskräftemangels nach dem Zweiten Weltkrieg zu massiven
Einwanderungen muslimischer Menschen nach Deutschland kam und erste
Moscheen in den Silhouetten deutscher Städte aufzutauchen begannen.
In diesem Augenblick begann sich eine
veränderte Wahrnehmung Bahn zu brechen und mit einem Mal erinnerte man
sich wieder der Schlacht von Tour und Poitiers im Oktober 732 unter Karl
Martell, der Reconquista 1492 oder der türkischen Belagerungen Wiens von
1529 bis 1683. Die Erinnerung an die Kreuzzüge begann auf beiden Seiten
wieder massiv aufzuflammen als Ausdruck dessen, dass man dem jeweils
anderen der eigenen Kultur gegenüber feindliche Absichten unterstellte.
Dem deutschen Volk allerdings eine kollektive
Erinnerungskultur abzuverlangen, halte ich für illusorisch. Erinnerung
hat etwas mit gesunder Identitätsfindung zu tun. Genau um diese, um
seine eigene, stabile Mitte, ringt Deutschland seit Jahrhunderten
vergebens. Der Abschluss dieses Prozesses wird auch in den nächsten
Generationen noch nicht zu erreichen sein. Bis dahin werden
generationsübergreifend schlichte, undifferenzierte und oft blödsinnige,
weil viel zu kurz greifende Bilder vom jeweils Anderen tradiert. Man
meint zu wissen, wie er ist und kennt ihn nicht im Mindesten.
Die aus dieser Ursache resultierenden
xenophoben Tendenzen sind nicht anders als durch eine behutsame,
geduldige und tolerante Annäherung zu überwinden. Wichtig dabei ist,
dass ein gegenseitiges Grundwissen über den Kulturraum des Anderen
vermittelt wird, das zumindest geeignet ist, mit Vorurteilen
aufzuräumen. Wichtig ist ebenfalls, dass keinen Radikalverfechtern,
welcher Religion auch immer, gestattet wird, ihre Absicht unter dem
Mäntelchen ihrer jeweiligen Religion zu verbrämen. Es ist ihnen klipp
und klar zu sagen: "Nicht Gott will, was du hier verkündest. Du willst
es. Du allein! Und du versuchst, Gottes Autorität für deine Zwecke zu
missbrauchen!" Man muss diesen Einpeitschern in eigener Sache die Maske
herunterreißen, ihre wahren Beweggründe unverblümt offenlegen. Sie
demaskieren.
In diesem Falle sehe ich ein problemloses
Zusammenleben der Kulturen im Bereich des Möglichen. Je mehr Beziehungen
auf zwischenmenschlicher Ebene wachsen, desto schwieriger wird es für
Radikale, wieder einen Keil in diese Gesellschaft zu treiben. Nicht
unmöglich, zugegeben. Wir haben gesehen, wie in Deutschland,
Jugoslawien, Galizien oder in Ruanda dammbruchartige Hasswellen über
wehrlose Nachbarn hereinbrachen, mit denen man noch kurz zuvor friedlich
und eng zusammenlebte. Ich sage nur, enge soziale Kontakte, die auf
gegenseitigem Respekt und Vertrauen gegründet sind, machen es Radikalen
schwerer, den sozialen Frieden nachhaltig zu stören.
MM: Herr Hübner, wir danken für das
Interview? |