Im Namen des Erhabenen  

  Interview mit Ilknur Baser

 

Muslim-Markt interviewt
Ilknur Baser, Fachärztin für Allgemeinmedizin
23.8.2017

Ilknur Baser ist 1974 im Raum Frankfurt geboren und hat Schule und Studium in Frankfurt absolviert. Anschließend hat sie in mehreren Krankenhäusern, städtisch als auch kirchlich, gearbeitet, später auch in verschiedenen Hausarztpraxen zunächst als Assistenzärztin in Weiterbildung, später auch als Fachärztin gearbeitet. Die Facharztprüfung hat sie 2014 erfolgreich absolviert.

Seit Jahresbeginn 2016 betreibt sie eine eigene Einzelpraxis in Frankfurt und trägt nicht nur selbst die islamische Verhüllung (Hidschab), sondern wirbt auf ihrer Homepage zudem damit, dass auch ihre Mitarbeiterinnen derart gekleidet sind.

Frau Baser ist allein erziehende Mutter von 2 Kindern (15 und 16 Jahre) und lebt im Großraum Frankfurt.

MM: Sehr geehrte Frau Baser, Sie tragen die islamische Frauenbekleidung (Hidschab) seit Ihrer Jugend. Fühlen Sie sich dadurch nicht eingeengt?

Baser: Ich trage den Hidschab seit meiner Jugend, jedoch nicht durchgängig. In der Schule, im Studium und auf der Arbeit musste ich leider darauf verzichten. Ich fühle mich durch den Hidschab nicht eingeengt, ganz im Gegenteil sogar befreiend; befreiend vom Modediktat, befreiend vom Schönheits-/Jugendwahn, befreiend von der Sexualisierung der Frau, und der Instrumentalisierung in der Gesellschaft. Es ist für mich befreiend und erfüllend zugleich, den Geboten des Schöpfers zu gehorchen.

MM: Gab es keine Probleme in der Schule und insbesondere im Studium?

Baser: In der Schule, im Studium und auf der Arbeit gab es erhebliche Probleme. Als ich in der Schule als Jugendliche einmal mit Kopftuch in die Schule gegangen bin, war die Resonanz seitens der Mitschüler sehr verletzend, auch die Lehrer reagierten mit Unverständnis. Ich hatte damals nicht genug Selbstsicherheit, so dass ich mein Hidschab nur außerhalb der Schule oder dem Studium trug. Bei der Arbeitsuche wurde ich stets abgelehnt wenn ich Bewerbungen mit Hidschab abgeschickt habe.

MM: Nach dem Studium haben sie an verschiedenen Stellen ärztliche Erfahrungen gesammelt. Wie waren die kulturellen Erfahrungen bezüglich Ihres Glaubens?

Baser: Der Wunsch mein Studium erfolgreich zu absolvieren und als Ärztin zu praktizieren war sehr groß, so dass ich damals den Kompromiss mit mir selbst schloss, ohne Hidschab zu arbeiten. Auch schon OHNE Hidschab gab es viele Hürden, viele Ablehnungen und viele Gespräche bei Einstellung, dass man doch eine christliche Einrichtung sei und ich mich entsprechend verhalten und kleiden solle. Sonst drohte man mir des öfteren mit Kündigung, sobald ich das Thema Hidschab nur ansprach. Von Kollegen wurde ich manchmal scherzhaft als Schläfer bezeichnet, da ich mich als gläubige Muslima outete, nicht mitging abends noch Einen zu trinken und beim Mittagessen stets darauf achtete, das mein Essen halal ist. Ich hatte mit der christlichen Kultur kein Problem, eher umgekehrt, man bemerkte, dass man immer mehr leisten musste, als die deutschen/christlichen Kollegen. Obwohl ich kein Hidschab trug und perfektes deutsch sprach, war es sogar ein Problem für einige Patienten, und sie wollten nicht von einer Schwarzhaarigen untersucht oder behandelt werden, das waren verletzende Erfahrungen.

MM: Wie waren die kulturellen Erfahrungen bezüglich Ihres Glaubens in der eigenen Praxis?

Baser: Ja, letztlich bin ich nun selbständig in meiner eigenen Praxis und trage mein Hidschab. Ich habe einen größtenteils deutschen Patientenstamm von meinem deutschen Vorgänger übernommen. Anfangs sind einige Patienten einfach weggeblieben, oder haben es mir auch direkt gesagt, dass sie mit einer Ärztin mit Hidschab nicht zurechtkommen und haben in eine andere Praxis gewechselt. Inzwischen halten sich deutsche und ausländische Patienten in etwa die Waage. Es freut mich, dass sogar einige von denen, die gegangen waren, wieder zurückkommen, da sie sich doch gut aufgehoben gefühlt hatten. Die politischen Differenzen zwischen Deutschland und der Türkei schadet meinem Betrieb. Letztes Jahr nach dem Putsch in der Türkei sind innerhalb zwei Wochen viele Patienten gegangen. Hiermit will ich nochmals stark betonen, dass ich mich vehement auf meine medizinische Tätigkeit konzentriere und dass in meiner Praxis JEDER willkommen ist.

MM: Zuweilen erfahren wir von muslimischen Krankenschwestern, dass sie genötigt werden kurzärmelig zu arbeiten, weil das aus hygienischen Gründen notwendig sei. Warum dürfen Ihre Arzthelferinnen lange Ärmel haben?

Baser: Im Krankenhausbetrieb hat man viel näheren Kontakt zu den Patienten, sprich Patienten anziehen, duschen, waschen, Windelwechseln, Betten machen. Da sehe ich es ebenfalls unbedingt erforderlich, hygienisch zu arbeiten. Entweder die Ärmel müssen nach JEDEM Patienten ausgetauscht werden, oder die nackten Hände und Unterarme müssen nach jedem Patienten desinfiziert werden. In meiner Praxis findet nicht so häufig Körperkontakt zwischen Arzthelferinnen und Patienten statt. Wenn Verbände gemacht werden, achten die Arzthelferinnen darauf, dass die Kleidung den Patienten nicht berührt, das heißt die Ärmel werden auch mal hochgekrempelt, oder Handschuhe über die Ärmel gezogen. Die Hygiene sollte im medizinischen Bereich stets im Vordergrund stehen.

MM: Sie werben auf der Homepage ihrer Arzt-Praxis mit dem Foto von drei Frauen, die allesamt die die islamische Kleidungsethik einhalten, was bisher eher ungewöhnlich ist für Deutschland. Ist es nicht schwer hierbei eine Vorreiterrolle zu übernehmen, oder verpflichtet Sie ihr Name dazu (Ilknur bedeutet erstes Licht)?

Baser: Ich habe derzeit tatsächlich eine vollausgebildete Arzthelferin MFA und eine Auszubildende, beide mit Hidschab. Es war jedoch niemals Bedingung. Bis vor ein paar Monaten waren es vier Arzthelferinnen , zwei2 mit Hidschab, zwei ohne. Demnächst könnte wieder eine Arzthelferin ohne Hidschab bei mir anfangen, geplant ist es, entschieden noch nicht. Es hat sich so ergeben. Im Vordergrund steht bei uns die Hygiene und die fachliche Mitarbeit, die zu beurteilen ist. Ob mein Name mich zu dieser Konstellation verpflichtet, weiß ich nicht. Es verpflichtet mich auf jeden Fall in meinem Werdegang.

Interessant dass sie meinen Namen erwähnen, da gibt es tatsächlich eine Geschichte dazu....: Ich bin die erste Tochter meiner Eltern nach fünf Söhnen. Mein Vater freute sich so sehr darüber, dass er mich Ilknur (erstes Licht) nannte. Er verlor drei seiner Söhne in der Türkei aufgrund Mangel an Medizin und medizinischen Einrichtungen im Dorf. Daher wollte er unbedingt, dass eines seiner Kinder Arzt/Ärztin wird, und er stand immer hinter mir, als er sah, dass ich erfolgreich in der Schule und im Studium war. Er motivierte mich immer wieder durchzuhalten und stets hilfsbedürftigen Menschen zu helfen. Er starb noch während meines Studiums an Krebs vor genau 20 Jahren, möge Allah ihm Gnade gewähren. Ich bin überglücklich, dass ich seinem Wunsch entsprechen konnte.

MM: Wie funktioniert jetzt, da sie selbstständig sind, die Kooperation mit anderen Ärzten?

Baser: Die Kooperation mit anderen Ärzten funktioniert sehr gut. Man begegnet sich auf Augenhöhe, Qualität und Kompetenz sind vorrangig, sowie höflicher und respektvoller Umgang miteinander. Wir vertreten uns in Urlaubszeiten gegenseitig. Auf Fortbildungen sieht es manchmal unterschiedlich aus. Fremde Kollegen reagieren manchmal unangebracht. Für Kollegen, die mich bereits länger kennen, stellt mein Hidschab kein Problem dar. Es ist auch eine Frage des Auftretens. Ein sicheres, kompetentes und höfliches Auftreten, wird meist auch mit ebendiesen beantwortet.

MM: In wie weit erlaubt es Ihnen der Praxisalltag und der zeitliche Druck bei Kassenpatienten auf die seelischen Bedürfnisse der Patienten einzugehen gemäß der islamischen Vorstellung dass Körper und Seele im Einklang stehen sollten und Krankheiten nicht nur körperliche Gründen haben müssen?

Baser: Zunächst bin ich als Allgemeinmedizinerin, die eine psychosomatische Grundversorgung anbietet, verpflichtet, eventuelle psychische Ursachen bei Krankheiten zu eruieren, eine organische Ursache sollte stets vorher ausgeschlossen werden. Als Muslima mache ich keine Unterschiede zwischen Kassen- oder Privatpatienten. Bei Erstvorstellung nehme ich mir immer Zeit für eine ausführliche Anamnese, die schon viele Ursachen aufzeigen kann, dazu gehören auch soziale, familiäre, berufliche Hintergründe. Es ist für mich sehr wichtig, das Vertrauen meiner Patienten zu gewinnen, damit sie frei von ihren Problemen sprechen können. Eine gute wirtschaftliche Arbeitszeit ist natürlich wichtig. Durch meine langjährige Erfahrung als Ärztin kann ich bei rein organischen Krankheiten schnell Diagnosen stellen und Therapien beginnen. Somit habe ich Zeit, die ich für kompliziertere Fälle mit eventuellen psychischen Ursachen investieren kann. Ein Gleichgewicht zwischen Seele und Körper ist tatsächlich sehr wichtig und oft gebe ich kleine Hausaufgaben für zu Hause mit, wie sie wieder in ein Gleichgewicht kommen können.

MM: Was empfehlen Sie jungen Hidschab tragenden Studentinnen im Medizinbereich oder auszubildenden zur Krankenschwester wie Sie ihren innigen Wunsch des Hidschab dem Ausbilder oder Arbeitgeber geeignet erklären können?

Baser: Ich empfehle Studentinnen und Auszubildenden standhaft zu bleiben im Tragen des Hidschab, denn ich bin der Meinung, heutzutage darf der Hidschab kein Ausschlusskriterium mehr darstellen. Es gibt immer mehr erfolgreiche hidschabtragende Akademikerinnen und Geschäftsfrauen. Es sind keine Einzelfälle mehr, wie bei mir damals. Das Tragen/Weglassen des Hidschab belastet mich jetzt im Nachhinein sehr. Ich musste mich für andere verbiegen, das dürfen und müssen wir jetzt nicht mehr. Als meine Tochter vor zwei Jahren sich dazu entschied, Hidschab zu tragen, warnte ich sie. Ich sagte, wenn du dein Hidschab mal tragen mal weglassen willst , dann lass es lieber. Doch sie antwortete, es ist das Gebot Allahs und meine Pflicht, Hidschab zu tragen, also tu ich es. Seitdem hat sie es nicht mehr abgelegt, und ist auf dem Gymnasium sehr erfolgreich. Wir müssen versuchen, unsere Kompetenz und Qualität in den Vordergrund zu tragen, dann wird unser Hidschab kein Hürde hoffentlich.

MM: So ganz nebenbei sind Sie zudem allein erziehende Mutter von zwei Kindern und betreuen auch ihre Mutter bei Bedarf. Wie schaffen Sie das alles zusammen?

Baser: Ich arbeite wie für vier Menschen: Ich bin Mutter und Vater, Geschäftsfrau und Hausfrau zugleich, manchmal frage ich mich auch, wie ich das schaffe. Aber mein Vertrauen auf ALLAH ist grenzenlos, und ich schöpfte stets Kraft bei ihm, er half mir und hilft mir noch oft über Hürden hinweg, daran glaube ich fest. Alhamdulillah (Gott sei Dank).

MM: Frau Baser, wir danken für das Interview.

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