MM: Sehr geehrte Frau Baser, Sie tragen die
islamische Frauenbekleidung (Hidschab) seit Ihrer Jugend. Fühlen Sie
sich dadurch nicht eingeengt? Baser:
Ich trage den Hidschab seit meiner Jugend, jedoch nicht durchgängig. In
der Schule, im Studium und auf der Arbeit musste ich leider darauf
verzichten. Ich fühle mich durch den Hidschab nicht eingeengt, ganz im
Gegenteil sogar befreiend; befreiend vom Modediktat, befreiend vom
Schönheits-/Jugendwahn, befreiend von der Sexualisierung der Frau, und
der Instrumentalisierung in der Gesellschaft. Es ist für mich befreiend
und erfüllend zugleich, den Geboten des Schöpfers zu gehorchen.
MM: Gab es keine Probleme in der Schule und
insbesondere im Studium?
Baser: In der Schule, im Studium und auf
der Arbeit gab es erhebliche Probleme. Als ich in der Schule als
Jugendliche einmal mit Kopftuch in die Schule gegangen bin, war die
Resonanz seitens der Mitschüler sehr verletzend, auch die Lehrer
reagierten mit Unverständnis. Ich hatte damals nicht genug
Selbstsicherheit, so dass ich mein Hidschab nur außerhalb der Schule
oder dem Studium trug. Bei der Arbeitsuche wurde ich stets abgelehnt
wenn ich Bewerbungen mit Hidschab abgeschickt habe.
MM: Nach dem Studium haben sie an
verschiedenen Stellen ärztliche Erfahrungen gesammelt. Wie waren die
kulturellen Erfahrungen bezüglich Ihres Glaubens?
Baser: Der Wunsch mein Studium erfolgreich
zu absolvieren und als Ärztin zu praktizieren war sehr groß, so dass ich
damals den Kompromiss mit mir selbst schloss, ohne Hidschab zu arbeiten.
Auch schon OHNE Hidschab gab es viele Hürden, viele Ablehnungen und
viele Gespräche bei Einstellung, dass man doch eine christliche
Einrichtung sei und ich mich entsprechend verhalten und kleiden solle.
Sonst drohte man mir des öfteren mit Kündigung, sobald ich das Thema
Hidschab nur ansprach. Von Kollegen wurde ich manchmal scherzhaft als
Schläfer bezeichnet, da ich mich als gläubige Muslima outete, nicht
mitging abends noch Einen zu trinken und beim Mittagessen stets darauf
achtete, das mein Essen halal ist. Ich hatte mit der christlichen Kultur
kein Problem, eher umgekehrt, man bemerkte, dass man immer mehr leisten
musste, als die deutschen/christlichen Kollegen. Obwohl ich kein
Hidschab trug und perfektes deutsch sprach, war es sogar ein Problem für
einige Patienten, und sie wollten nicht von einer Schwarzhaarigen
untersucht oder behandelt werden, das waren verletzende Erfahrungen.
MM: Wie waren die
kulturellen Erfahrungen bezüglich Ihres Glaubens in der eigenen Praxis?
Baser: Ja, letztlich bin ich nun
selbständig in meiner eigenen Praxis und trage mein Hidschab. Ich habe
einen größtenteils deutschen Patientenstamm von meinem deutschen
Vorgänger übernommen. Anfangs sind einige Patienten einfach
weggeblieben, oder haben es mir auch direkt gesagt, dass sie mit einer
Ärztin mit Hidschab nicht zurechtkommen und haben in eine andere Praxis
gewechselt. Inzwischen halten sich deutsche und ausländische Patienten
in etwa die Waage. Es freut mich, dass sogar einige von denen, die
gegangen waren, wieder zurückkommen, da sie sich doch gut aufgehoben
gefühlt hatten. Die politischen Differenzen zwischen Deutschland und der
Türkei schadet meinem Betrieb. Letztes Jahr nach dem Putsch in der
Türkei sind innerhalb zwei Wochen viele Patienten gegangen. Hiermit will
ich nochmals stark betonen, dass ich mich vehement auf meine
medizinische Tätigkeit konzentriere und dass in meiner Praxis JEDER
willkommen ist.
MM: Zuweilen erfahren wir von muslimischen
Krankenschwestern, dass sie genötigt werden kurzärmelig zu arbeiten,
weil das aus hygienischen Gründen notwendig sei. Warum dürfen Ihre
Arzthelferinnen lange Ärmel haben?
Baser: Im Krankenhausbetrieb hat man
viel näheren Kontakt zu den Patienten, sprich Patienten anziehen,
duschen, waschen, Windelwechseln, Betten machen. Da sehe ich es
ebenfalls unbedingt erforderlich, hygienisch zu arbeiten. Entweder die
Ärmel müssen nach JEDEM Patienten ausgetauscht werden, oder die nackten
Hände und Unterarme müssen nach jedem Patienten desinfiziert werden. In
meiner Praxis findet nicht so häufig Körperkontakt zwischen
Arzthelferinnen und Patienten statt. Wenn Verbände gemacht werden,
achten die Arzthelferinnen darauf, dass die Kleidung den Patienten nicht
berührt, das heißt die Ärmel werden auch mal hochgekrempelt, oder
Handschuhe über die Ärmel gezogen. Die Hygiene sollte im medizinischen
Bereich stets im Vordergrund stehen.
MM: Sie werben auf der Homepage ihrer
Arzt-Praxis mit dem Foto von drei Frauen, die allesamt die die
islamische Kleidungsethik einhalten, was bisher eher ungewöhnlich ist
für Deutschland. Ist es nicht schwer hierbei eine Vorreiterrolle zu
übernehmen, oder verpflichtet Sie ihr Name dazu (Ilknur bedeutet erstes
Licht)? Baser: Ich habe derzeit
tatsächlich eine vollausgebildete Arzthelferin MFA und eine
Auszubildende, beide mit Hidschab. Es war jedoch niemals Bedingung. Bis
vor ein paar Monaten waren es vier Arzthelferinnen , zwei2 mit Hidschab,
zwei ohne. Demnächst könnte wieder eine Arzthelferin ohne Hidschab bei
mir anfangen, geplant ist es, entschieden noch nicht. Es hat sich so
ergeben. Im Vordergrund steht bei uns die Hygiene und die fachliche
Mitarbeit, die zu beurteilen ist. Ob mein Name mich zu dieser
Konstellation verpflichtet, weiß ich nicht. Es verpflichtet mich auf
jeden Fall in meinem Werdegang.
Interessant dass sie meinen Namen erwähnen, da
gibt es tatsächlich eine Geschichte dazu....: Ich bin die erste Tochter
meiner Eltern nach fünf Söhnen. Mein Vater freute sich so sehr darüber,
dass er mich Ilknur (erstes Licht) nannte. Er verlor drei seiner Söhne
in der Türkei aufgrund Mangel an Medizin und medizinischen Einrichtungen
im Dorf. Daher wollte er unbedingt, dass eines seiner Kinder Arzt/Ärztin
wird, und er stand immer hinter mir, als er sah, dass ich erfolgreich in
der Schule und im Studium war. Er motivierte mich immer wieder
durchzuhalten und stets hilfsbedürftigen Menschen zu helfen. Er starb
noch während meines Studiums an Krebs vor genau 20 Jahren, möge Allah
ihm Gnade gewähren. Ich bin überglücklich, dass ich seinem Wunsch
entsprechen konnte.
MM: Wie funktioniert jetzt, da sie
selbstständig sind, die Kooperation mit anderen Ärzten?
Baser: Die Kooperation mit anderen
Ärzten funktioniert sehr gut. Man begegnet sich auf Augenhöhe, Qualität
und Kompetenz sind vorrangig, sowie höflicher und respektvoller Umgang
miteinander. Wir vertreten uns in Urlaubszeiten gegenseitig. Auf
Fortbildungen sieht es manchmal unterschiedlich aus. Fremde Kollegen
reagieren manchmal unangebracht. Für Kollegen, die mich bereits länger
kennen, stellt mein Hidschab kein Problem dar. Es ist auch eine Frage
des Auftretens. Ein sicheres, kompetentes und höfliches Auftreten, wird
meist auch mit ebendiesen beantwortet.
MM: In wie weit erlaubt es Ihnen der
Praxisalltag und der zeitliche Druck bei Kassenpatienten auf die
seelischen Bedürfnisse der Patienten einzugehen gemäß der islamischen
Vorstellung dass Körper und Seele im Einklang stehen sollten und
Krankheiten nicht nur körperliche Gründen haben müssen?
Baser: Zunächst bin ich als
Allgemeinmedizinerin, die eine psychosomatische Grundversorgung
anbietet, verpflichtet, eventuelle psychische Ursachen bei Krankheiten
zu eruieren, eine organische Ursache sollte stets vorher ausgeschlossen
werden. Als Muslima mache ich keine Unterschiede zwischen Kassen- oder
Privatpatienten. Bei Erstvorstellung nehme ich mir immer Zeit für eine
ausführliche Anamnese, die schon viele Ursachen aufzeigen kann, dazu
gehören auch soziale, familiäre, berufliche Hintergründe. Es ist für
mich sehr wichtig, das Vertrauen meiner Patienten zu gewinnen, damit sie
frei von ihren Problemen sprechen können. Eine gute wirtschaftliche
Arbeitszeit ist natürlich wichtig. Durch meine langjährige Erfahrung als
Ärztin kann ich bei rein organischen Krankheiten schnell Diagnosen
stellen und Therapien beginnen. Somit habe ich Zeit, die ich für
kompliziertere Fälle mit eventuellen psychischen Ursachen investieren
kann. Ein Gleichgewicht zwischen Seele und Körper ist tatsächlich sehr
wichtig und oft gebe ich kleine Hausaufgaben für zu Hause mit, wie sie
wieder in ein Gleichgewicht kommen können.
MM: Was empfehlen Sie jungen Hidschab
tragenden Studentinnen im Medizinbereich oder auszubildenden zur
Krankenschwester wie Sie ihren innigen Wunsch des Hidschab dem Ausbilder
oder Arbeitgeber geeignet erklären können?
Baser: Ich empfehle Studentinnen und
Auszubildenden standhaft zu bleiben im Tragen des Hidschab, denn ich bin
der Meinung, heutzutage darf der Hidschab kein Ausschlusskriterium mehr
darstellen. Es gibt immer mehr erfolgreiche hidschabtragende
Akademikerinnen und Geschäftsfrauen. Es sind keine Einzelfälle mehr, wie
bei mir damals. Das Tragen/Weglassen des Hidschab belastet mich jetzt im
Nachhinein sehr. Ich musste mich für andere verbiegen, das dürfen und
müssen wir jetzt nicht mehr. Als meine Tochter vor zwei Jahren sich dazu
entschied, Hidschab zu tragen, warnte ich sie. Ich sagte, wenn du dein
Hidschab mal tragen mal weglassen willst , dann lass es lieber. Doch sie
antwortete, es ist das Gebot Allahs und meine Pflicht, Hidschab zu
tragen, also tu ich es. Seitdem hat sie es nicht mehr abgelegt, und ist
auf dem Gymnasium sehr erfolgreich. Wir müssen versuchen, unsere
Kompetenz und Qualität in den Vordergrund zu tragen, dann wird unser
Hidschab kein Hürde hoffentlich.
MM: So ganz nebenbei sind Sie zudem allein
erziehende Mutter von zwei Kindern und betreuen auch ihre Mutter bei
Bedarf. Wie schaffen Sie das alles zusammen?
Baser: Ich arbeite wie für vier
Menschen: Ich bin Mutter und Vater, Geschäftsfrau und Hausfrau zugleich,
manchmal frage ich mich auch, wie ich das schaffe. Aber mein Vertrauen
auf ALLAH ist grenzenlos, und ich schöpfte stets Kraft bei ihm, er half
mir und hilft mir noch oft über Hürden hinweg, daran glaube ich fest.
Alhamdulillah (Gott sei Dank).
MM: Frau Baser, wir danken für das
Interview. |