MM: Sehr geehrte Frau Martin, Sie sind letztes
Jahr 80 Jahre alt geworden, gibt es für Sie keinen Ruhestand ?
Martin: Dass ich schon so alt bin, sehe
ich nur im Spiegel. Ich fühle mich nicht so. Wenn ich morgens aufstehe,
habe ich immer viel vor.
MM: Sie haben die Generation
Trümmerfrauen selbst miterlebt. Hat sich seither die Situation der
Hausfrau in Deutschland verbessert?
Martin: Natürlich hat sich seither für
uns Deutsche vieles verbessert, aber die Hausfrauen, die ja die
Trümmerfrauen waren, haben sich wieder auf ihre Rolle zurückgezogen und
wurden dann durch die aufkommende Emanzipationsbewegung der Frauen ganz
in den Hintergrund gedrängt.
MM: Hausfrau - oder heute würde man
sagen Familienmanagerin - war einstmals eine Art Ausbildungsberuf mit
entsprechender Lehre und einer sehr umfassenden Bildung in sehr vielen
Disziplinen wie Finanzbuchhaltung, Hygienemanagement,
Lebensmitteltechnik, Lagerlogistik, Krankenpflege, Schulbegleitung und
Nachhilfe, Textilverarbeitung und vieles andere mehr. Warum ist der
Beruf heute so unattraktiv geworden?
Martin: Nein, das sehen Sie nicht ganz
richtig. Hausfrau wurde man durch Heirat, und die Ausbildung dazu
bekamen die Mädchen durch ihre Mütter und die Mitarbeit im elterlichen
Haushalt, meist bei mehreren Geschwistern. Die Qualifikationen, die Sie
nennen, waren da mehr oder weniger inbegriffen und wurden im eigenen
jungen Haushalt nach Bedarf vervollkommnet. Es konnte allerdings auch
ein Lehrgang mit Abschlussprüfung und Ausbilderbefähigung zur
Meisterhausfrau absolviert werden. Daneben gab es – wie heute immer noch
– richtige, mehrjährige Ausbildungsgänge mit Examen zu verschiedenen
hauswirtschaftlichen Berufen. Diesen Weg habe ich bewusst gewählt, u.a.
weil ich mir schon immer eine große Familie wünschte.
MM: ... und warum ist der Beruf oder die
Berufung Hausfrau heute so unattraktiv?
Martin: Es gibt mehrere Gründe, warum
der Beruf der Hausfrau und Mutter heute so unattraktiv geworden ist:
Infolge der Rentenreform von 1957 wurde der Lohn der Arbeit des
Aufziehens einer nächsten Generation, nämlich die Existenzsicherung im
Alter durch die erwachsen gewordenen Kinder von der Erziehungsleistung
abgekoppelt und an Erwerbsarbeit gebunden. Die Kinder mussten jetzt als
sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer/innen die Alterssicherung für
alle alten Arbeitnehmer/innen finanzieren. Mütter, die nicht
erwerbstätig gewesen sind, erfahren in diesem System fast keine
Gegenleistung für ihre Erziehungsarbeit mehr, egal wie viele
Kinder=Rentenzahler sie aufgezogen haben. Dagegen erhalten
Arbeitnehmer/innen, die - aus welchen Gründen auch immer - keine eigenen
Kinder haben, meist die höheren Renten, weil sie keine Ausfallzeiten in
ihrer Erwerbsbiografie haben.
MM: Welche Folgen hatte das im
Bewusstsein?
Martin: Aus dem Gesagten erschließt sich
unschwer, dass Hausfrau und Mutter zu sein, mit Rückständigkeit, gar mit
Dummheit assoziiert wird. Es passt nicht zusammen mit den modernen
Vorstellungen von Frauenemanzipation und der Gleichstellung von Mann und
Frau. Die gängige Frauen- und Familienpolitik ist bestrebt, die Frauen
in gleicher Weise wie die Männer in die Erwerbsarbeitswelt zu
integrieren. Kinder sind dabei hinderlich. Deshalb macht der Staat den
Eltern großzügige Angebote, die Kinder so bald und umfänglich wie
möglich in Kinderkrippen und Kindergärten betreuen zu lassen, um beide
Eltern für die Erwerbsarbeit möglichst in Vollzeit freizustellen. Das
schränkt aber die Wahlfreiheit der Eltern ein und bevormundet sie.
Gesetzesänderungen im Scheidungs- und Unterhaltsrecht bewirken
ebenfalls, dass die Nachteile und Daseinsrisiken, die Frauen in Kauf
nehmen müssen, wenn sie sich dafür entscheiden, über mehrere Jahre
zugunsten der Erziehung ihrer Kinder zuhause zu bleiben, immer
unzumutbarer werden. Kurzum: Die gegenwärtige Gleichstellungspolitik
kann niemals zur Gleichberechtigung der Frauen führen.
MM: Eigentlich hat niemand mit
volkswirtschaftlicher Weitsicht Zweifel daran, dass die Leistung einer
Mutter, die z.B. fünf Kinder für die nächste Generation erzieht und
dadurch mindestens 20 Jahre Vollzeit beschäftigt ist, wertvoller für die
Gesellschaft ist, als die Arbeit einer Kassiererin, die 20 Jahre an der
Kasse in einem Supermarkt sitzt, ohne das Letztere abwerten zu wollen.
Dennoch ist die Kassiererin, was die Rente betrifft, weitaus besser
gestellt als die Hausfrau. Warum ist es seit Gründung der Bundesrepublik
nicht gelungen, die Rechte der Hausfrau und Mutter in Bezug auf die
Rente derart zu stärken, dass sie auch ohne zusätzlichen Beruf eine
Rente erhält?
Martin: Offenbar haben doch Leute mit
entscheidendem Einfluss eine andere Sichtweise. Sonst könnten die Dinge
nicht so liegen wie sie liegen. Eine Mutter, die nach 1992 geboren hat,
erhält pro Kind drei Rentenpunkte. Ohne gleichzeitige Erwerbstätigkeit
müsste sie 15 Kinder großziehen, um eine Standardrente (heute 1396 €
brutto für die alten Bundesländer) zu bekommen. Warum angesichts des
deutschen Geburtendefizits immer weiter die Erwerbsarbeit vergöttert und
die elterliche Erziehungsleistung diffamiert wird, frage ich mich seit
Jahren. Selbstverständlich haben jetzt die Väter, wenn sie sich im Sinne
der Gleichstellung stärker in der Familie engagieren, die damit
verbundenen Benachteiligungen zu übernehmen. Das ist wahrlich kein
Fortschritt!
MM: Die Arbeitsleistung einer mehrfachen
Vollzeitmutter übertrifft – insbesondere während die Kinder noch klein
sind - bei weitem die Leistung des die Familie versorgenden Vaters. Was
halten Sie von der Idee, dass dieser Mutter ein bestimmter Anteil des
Einkommensüberschusses gesetzlich als Gehalt zusteht und bei niedrigem
Familieneinkommen, der Staat eine Art Müttergehalt zahlt?
Martin: Mit dieser Frage sprechen Sie
das eheliche Güterrecht an. Wenn die Eheleute keinen Vertrag
abschließen, der anderes bestimmt, gilt in Deutschland automatisch der
Stand der Gütergemeinschaft. Anders als dieser Begriff es vermuten
lässt, bedeutet das, dass zwar das während der Ehe Erworbene beiden
Eheleuten gemeinsam gehört, dass aber während der Ehe allein der
Partner, der das Vermögen erwirbt, ein Zugriffs- und Entscheidungsrecht
über dessen Verwendung hat. Der nicht erwerbstätige Partner hat kein
Recht, Kenntnis zu erhalten z.B. über den Stand des Vermögens, sondern
nur Anspruch auf ein Taschengeld. Erst bei Auflösung der Ehe durch Tod
oder Scheidung wird das Vermögen aufgeteilt. Nicht selten hat dann ein
zur Scheidung entschlossener Partner „rechtzeitig“ die Konten abgeräumt.
Diese (Un-)Rechtslage rechne ich z.B. auch mit zu den Gründen warum der
Hausfrauenstand so unattraktiv ist.
MM: ... und wenn der Ehemann zu einer
Art Ehefrauengehalt verpflichtet werden würde ...?
Martin: Ein Gesetz zu erlassen, das den
erwerbstätigen Partner dazu verpflichtet, einen bestimmten Anteil seines
Einkommensüberschusses dem nicht erwerbstätigen Partner abzutreten,
halte ich nicht für vereinbar mit dem deutschen Grundgesetz. Der Staat
darf nicht in die Familien hineinregieren. Was er ja – wie wir sehen –
an anderer Stelle sehr wohl und intensiv tut! Vielleicht gäbe es dann
auch noch mehr Streit ums Geld? Im Übrigen: Ab welcher Grenze wollten
Sie ein „niedriges Familieneinkommen“ ansetzen?
MM: Aber sollte die Hausfrauenarbeit
nicht ein Anrecht auf Entlohnung erhalten?
Martin: Ja, durchaus! Wir vom Verband
Familienarbeit e.V. sehen das Thema Honorierung der elterlichen
Erziehungsleistung, wenn Sie so wollen, ein „Müttergehalt“. Unter dem
Begriff Erziehungsgehalt (EZG), der gegebenenfalls Väter
gleichberechtigt einbezieht, vertreten wir diese Idee seit 40 Jahren.
Das EZG ist die einzige Möglichkeit, Männer und Frauen ob mit oder ohne
Kinder gesellschaftlich gleichzuberechtigen. Solange die Kinder der
Eltern verpflichtet werden, später allen Erwerbstätigen eine Rente zu
zahlen, sind auch vorher alle Erwerbstätigen zu verpflichten, sich an
den Erziehungskosten durch Mitfinanzierung eines Erziehungsgehalts zu
beteiligen.
MM: Frau Martin, wir danken für das
Interview. |