MM: Herr Teusch, in ihrem Buch
„Lückenpresse“ analysieren sie zwei aus Ihrer Sicht gravierendere
Defizite der Medien: die Unterdrückung wesentlicher Informationen und
das Messen mit zweierlei Maß. Wird nicht hingegen ausschließlich mit
einem einzigen Maß gemessen, nämlich mit der Frage, was dem Kapitalismus
und dem westlichen Imperialismus dienlich ist?
Prof. Teusch: Zunächst müssen wir
klären, über welche Medien wir reden. Ich analysiere in meinem Buch ja
nicht das globale Mediensystem in seiner ganzen Bandbreite und
Vielgestaltigkeit (also inklusive soziale Medien, Alternativmedien
etc.), sondern betrachte das (immer noch) dominante Segment dieses
Systems, also: die westlichen Mainstreammedien. Dieser mediale
Mainstream weist zwar hin und wieder einen beachtlichen Pluralismus auf
und ist durchaus für Überraschungen gut, dennoch teile ich Ihren
Eindruck: Gerade in den letzten zwei, drei Jahrzehnten ist eine
inhaltliche Verengung, ein Gleichklang, eine Homogenisierung zu
beobachten. Und besonders deutlich lässt sich die Homogenisierung bei
den von Ihnen angesprochenen, sehr wichtigen Themen erkennen, also
(Finanz-) Kapitalismus, neoliberale Wirtschaftspolitik, Geopolitik /
Militäreinsätze. Bei diesen Themen ergreifen die Mainstreammedien in der
Regel einseitig Partei und sprechen immer öfter „mit einer Stimme“.
MM: Sie haben mehrfach den Begriff
„Lügenpresse“ missbilligt. Worin liegt der Unterschied zwischen
Lügenpresse und Lückenpresse, wenn durch das bewusste Zurückhalten einer
Information eine Fehlinformation entsteht?
Prof. Teusch: Den Begriff „Lügenpresse“
halte ich für nicht hilfreich, weil er die Fronten zwischen Rezipienten
und Journalisten unnötig verhärtet und obendrein analytisch sehr schwach
ist. Damit will ich keineswegs in Abrede stellen, dass einzelne
Journalisten manchmal bewusst die Unwahrheit sagen – also lügen. Ich
will auch nicht leugnen, dass in den Medien immer mal wieder Lügen
auftauchen. Das geschieht – ganz simpel – zum Beispiel dadurch, dass
Politiker Unwahrheiten sagen und Medien diese dann als Nachricht
verbreiten. So etwas ist alles andere als unproblematisch. Der große
amerikanische Journalist Charles Lewis und seine Mitarbeiter haben mal
nachgezählt, wie viele Lügen die Bush-Administration in Zusammenhang mit
dem Irak-Krieg 2003 in Umlauf gesetzt hat. Es waren insgesamt 935! Und
viele dieser Lügen wurden ganz selbstverständlich und ohne kritische
Prüfung gedruckt und gesendet – mit desaströsen Folgen, wie wir wissen.
Das wirft zweifellos einige höchst unangenehme und eminent wichtige
Fragen auf. Dennoch glaube ich: Das eigentliche Problem sind nicht
Lügen, sondern Lücken.
MM: ... wie entstehen sie?
Prof. Teusch: Die entstehen zum
Beispiel, wenn bestimmte Nachrichten regelrecht unterdrückt werden; das
wären dann Lücken im Wortsinn. Der Begriff bezieht sich aber auch auf
die Nachrichtengewichtung. Die eine Nachricht wird künstlich
hochgespielt, die andere wird zwar irgendwo gemeldet, aber bewusst unten
gehalten. Oder auf die Kontextualisierung von Nachrichten: Die eine
Nachricht wird tendenziös eingebettet, mit einem „spin“ versehen, die
andere nicht. Und so weiter. Und dann gibt es die schon angesprochenen
„double standards“, also das Messen mit zweierlei Maß. All diese
Mechanismen verstärken sich wechselseitig, und wenn sie in schöner
Regelmäßigkeit auftreten oder sich bei bestimmten Themen zu einem
flächendeckenden Phänomen auswachsen, entstehen Narrative, also große
journalistische Deutungsmuster oder Erzählungen. In diese Narrative
werden dann alle neu einlaufenden Informationen eingeordnet. Wenn sie
ins Narrativ passen, ist ihnen Aufmerksamkeit gewiss, falls nicht,
trifft sie das Lückenschicksal. Ich halte es für absolut inakzeptabel
und indiskutabel, dass Journalisten sich immer wieder solchen Narrativen
fügen oder sie bedienen. Zumal sich Narrative sehr leicht zu
publizistischen Kampagnen oder regelrechter Propaganda steigern lassen.
MM: Sie weisen darauf hin, dass die
Entwicklung der Medien demokratiegefährdend sei. Aber ist nicht der
Kapitalismus selbst, dessen Teil die Medien sind, die eigentliche
Demokratiegefährdung?
Prof. Teusch: Das ist eine sehr
fundamentale Frage. Und ich glaube, man muss da ein wenig
differenzieren. Wenn man die letzten ein- bis zweihundert Jahre
betrachtet, kann man sagen, dass in vielen Ländern eine kapitalistische
Wirtschaftsordnung mit einer Ausweitung demokratischer Rechte und
Freiheiten, auch einem hohen Grad an Medienfreiheit, einhergegangen ist.
Spannungs- und widerspruchsfrei ist die Beziehung zwischen Kapitalismus
und Demokratie aber nicht, und vor allem in Krisen- oder Kriegszeiten
kann sie sehr problematisch werden. Wenn das kapitalistische System in
eine existenzielle Krise gerät, wächst die Gefahr, dass auch
demokratische Errungenschaften zur Disposition gestellt werden. Im Buch
behaupte ich, dass wir auf eine solch existenzielle Krise zusteuern –
mit entsprechender gesellschaftlicher Politisierung und Polarisierung.
Diese Polarisierung kann man auch im Mediensektor beobachten:
Mainstreammedien laufen derzeit an der kurzen Leine, werden immer
erkennbarer zu System- oder Establishment-Medien. Und in Opposition zu
ihnen wächst die Zahl anti-systemischer, alternativer Medien.
MM: Während Sie die Missstände bei der
schreibenden Zunft und deren Vorgesetzten und Auftraggebern
thematisieren, könnte man doch auch die Frage stellen, ob nicht der
Leser eine gehörige Portion Mitschuld an der Entwicklung trägt. Wer
zwingt denn die Menschen dazu, diese Dinge zu glauben und zu
konsumieren?
Prof. Teusch: Was die Leser, Hörer und
Zuschauer angeht, überwiegen für mich eindeutig die positiven Aspekte:
Wir haben seit einigen Jahren eine intensive und sich weiter
intensivierende medienkritische Debatte und eine breite Unzufriedenheit
unter den Rezipienten. Vielerorts sprießen Alternativen, und der
Mainstream steht unter erheblichem Druck. Seine Macht erodiert. Ich bin
überzeugt, dass er seine einstige unangefochtene Deutungshoheit nicht
mehr zurückgewinnen wird. In zehn, zwanzig Jahren wird sich unsere
Medienlandschaft grundlegend verändert haben.
MM: Erschreckt es Sie, dass ausgerechnet
der amtierende US-Präsident darauf hinzuarbeiten scheint?
Prof. Teusch: Ich glaube, dass Trump auf
etwas ganz anderes hinarbeitet. Da sollte man sich keine Illusionen
machen. Einige Leute finden es ja zurzeit ziemlich cool, dass er den
etablierten Medien kräftig einheizt und sie als „fake news“ bezeichnet.
Aber Trump steht genauso wenig für „die Wahrheit“ wie CNN oder die „New
York Times“. Was wir hier erleben, ist ein Machtkampf innerhalb der
US-Elite oder innerhalb des US-Establishments.
MM: Sie selbst wollen offensichtlich
auch in die zukünftige Veränderung der Medienlandschaft eingreifen, was
deutlich wird mit dem neuen Start Up
umatter.news. Wie soll man eine Nachricht bewerten, wenn man sie
nicht prüfen kann?
Prof. Teusch: Umatter.news ist ein
neues, alternatives Nachrichtenportal, das sich zurzeit in der
Crowdfunding-Phase befindet. Wenn alles gut läuft, könnten wir im
Frühjahr richtig an den Start gehen. Umatter zeichnet sich durch extrem
hohe Transparenz und engsten Austausch zwischen Autoren und Lesern aus.
Ich glaube nicht, dass es so furchtbar schwer ist, richtig guten
Journalismus zu erkennen und zu bewerten. Auf der umatter-Seite stehen
ja schon einige Probeartikel bereit, sozusagen als „Appetithappen“.
Schauen Sie sich zum Beispiel den dreiteiligen Beitrag von Stefan
Korinth
über die lückenhafte, verzerrende, verfälschende
Ukraine-Berichterstattung des Mainstreams an. Das ist eine
hervorragend recherchierte, minutiös belegte Analyse, die einem die
Augen öffnet und im besten Sinne aufklärerisch ist. Von dieser Art
Journalismus brauchen wir viel, viel mehr, und um das zu erreichen,
müssen wir neue Strukturen und alternative Publikationsmöglichkeiten
schaffen.
MM: Sie setzen sich ein für strukturell
unabhängigen und dezentralen Qualitäts-Journalismus. Wird Crowdfunding
dafür genügen, wenn der Mainstream sich nur über Werbung und Sponsoring
finanzieren kann?
Prof. Teusch: Es gibt ja inzwischen
viele ermutigende Beispiele, insbesondere aus den USA, wo der mediale
Alternativsektor bereits eine echte Macht darstellt. Es ist natürlich
klar, dass es guten, strukturell unabhängigen Journalismus auf Dauer
nicht zum Nulltarif geben kann, seine Macher müssen von irgendetwas
leben; und da ist das Crowdfunding sicher eine gute Möglichkeit, wobei
auch kleine und kleinste Beträge willkommen sind.
MM: Betrachtet man ihre früheren
Arbeiten wie „Was ist Globalisierung? (2004), „Die
Katastrophengesellschaft. Warum wir aus Schaden nicht klug werden“
(2008), „Nicht schwindelfrei“ könnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie
ein pessimistisches Welt- und Menschenbild haben. Woher nehmen Sie dann
die Kraft und die Motivation, über die Missstände zu schreiben?
Prof. Teusch: Also, ich verstehe mich
weder als Optimist noch als Pessimist, sondern als Realist. Und in so
dynamischen Zeiten wie unseren gehört zum Realismus ganz wesentlich die
Bereitschaft, zukünftige Entwicklungen, vor allem zukünftige Gefahren
und Risiken zu erkennen, also: sie zu antizipieren. Nur wenn das
rechtzeitig gelingt, kann man Bedrohungen entgehen und alternative
Handlungsspielräume gewinnen. Mit Leuten, die sich lieber ihrem
Wunschdenken hingeben, die schlafwandeln oder den Kopf in den Sand
stecken, kann ich wenig anfangen.
MM: Was sind ihre nächsten Projekte?
Prof. Teusch: Zunächst will ich alles
dafür tun, dass
umatter.news bald an den Start gehen kann.
Sodann werde ich an dem Thema „Medien / Medienkritik“ sicher noch eine
Zeitlang dranbleiben, vielleicht zunächst in Form eines Radio-Features,
etwas später dann eines neuen Buchs, mal sehen.
MM: Prof. Teusch, wir danken für das
Interview. |