Im Namen des Erhabenen  

  Interview mit Prof. Teusch

 

Muslim-Markt interviewt
Prof. Dr. Ulrich Teusch, Autor des Buches „Lückenpresse“
28.2.2017

Ulrich Teusch, geboren 1958, ist Professor für Politikwissenschaft und arbeitet seit 2002 als freier Publizist. Er ist für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten tätig und Autor mehrerer Sachbücher. 2013 wurde er für sein SWR-Feature „Nicht schwindelfrei. Über Lügen in der Politik“ mit dem Roman-Herzog-Medienpreis ausgezeichnet. Im Dezember 2015 brachte der SWR sein medienkritisches Feature „Vertrauen ist gut… Die Medien und ihre Kritiker“. Darauf aufbauend entstand 2016 sein viel beachtetes Buch „Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten“ (Westend-Verlag / Frankfurt).

Prof. Teusch lebt in Edermünde bei Kassel.

MM: Herr Teusch, in ihrem Buch „Lückenpresse“ analysieren sie zwei aus Ihrer Sicht gravierendere Defizite der Medien: die Unterdrückung wesentlicher Informationen und das Messen mit zweierlei Maß. Wird nicht hingegen ausschließlich mit einem einzigen Maß gemessen, nämlich mit der Frage, was dem Kapitalismus und dem westlichen Imperialismus dienlich ist?

Prof. Teusch: Zunächst müssen wir klären, über welche Medien wir reden. Ich analysiere in meinem Buch ja nicht das globale Mediensystem in seiner ganzen Bandbreite und Vielgestaltigkeit (also inklusive soziale Medien, Alternativmedien etc.), sondern betrachte das (immer noch) dominante Segment dieses Systems, also: die westlichen Mainstreammedien. Dieser mediale Mainstream weist zwar hin und wieder einen beachtlichen Pluralismus auf und ist durchaus für Überraschungen gut, dennoch teile ich Ihren Eindruck: Gerade in den letzten zwei, drei Jahrzehnten ist eine inhaltliche Verengung, ein Gleichklang, eine Homogenisierung zu beobachten. Und besonders deutlich lässt sich die Homogenisierung bei den von Ihnen angesprochenen, sehr wichtigen Themen erkennen, also (Finanz-) Kapitalismus, neoliberale Wirtschaftspolitik, Geopolitik / Militäreinsätze. Bei diesen Themen ergreifen die Mainstreammedien in der Regel einseitig Partei und sprechen immer öfter „mit einer Stimme“.

MM: Sie haben mehrfach den Begriff „Lügenpresse“ missbilligt. Worin liegt der Unterschied zwischen Lügenpresse und Lückenpresse, wenn durch das bewusste Zurückhalten einer Information eine Fehlinformation entsteht?

Prof. Teusch: Den Begriff „Lügenpresse“ halte ich für nicht hilfreich, weil er die Fronten zwischen Rezipienten und Journalisten unnötig verhärtet und obendrein analytisch sehr schwach ist. Damit will ich keineswegs in Abrede stellen, dass einzelne Journalisten manchmal bewusst die Unwahrheit sagen – also lügen. Ich will auch nicht leugnen, dass in den Medien immer mal wieder Lügen auftauchen. Das geschieht – ganz simpel – zum Beispiel dadurch, dass Politiker Unwahrheiten sagen und Medien diese dann als Nachricht verbreiten. So etwas ist alles andere als unproblematisch. Der große amerikanische Journalist Charles Lewis und seine Mitarbeiter haben mal nachgezählt, wie viele Lügen die Bush-Administration in Zusammenhang mit dem Irak-Krieg 2003 in Umlauf gesetzt hat. Es waren insgesamt 935! Und viele dieser Lügen wurden ganz selbstverständlich und ohne kritische Prüfung gedruckt und gesendet – mit desaströsen Folgen, wie wir wissen. Das wirft zweifellos einige höchst unangenehme und eminent wichtige Fragen auf. Dennoch glaube ich: Das eigentliche Problem sind nicht Lügen, sondern Lücken.

MM: ... wie entstehen sie?

Prof. Teusch: Die entstehen zum Beispiel, wenn bestimmte Nachrichten regelrecht unterdrückt werden; das wären dann Lücken im Wortsinn. Der Begriff bezieht sich aber auch auf die Nachrichtengewichtung. Die eine Nachricht wird künstlich hochgespielt, die andere wird zwar irgendwo gemeldet, aber bewusst unten gehalten. Oder auf die Kontextualisierung von Nachrichten: Die eine Nachricht wird tendenziös eingebettet, mit einem „spin“ versehen, die andere nicht. Und so weiter. Und dann gibt es die schon angesprochenen „double standards“, also das Messen mit zweierlei Maß. All diese Mechanismen verstärken sich wechselseitig, und wenn sie in schöner Regelmäßigkeit auftreten oder sich bei bestimmten Themen zu einem flächendeckenden Phänomen auswachsen, entstehen Narrative, also große journalistische Deutungsmuster oder Erzählungen. In diese Narrative werden dann alle neu einlaufenden Informationen eingeordnet. Wenn sie ins Narrativ passen, ist ihnen Aufmerksamkeit gewiss, falls nicht, trifft sie das Lückenschicksal. Ich halte es für absolut inakzeptabel und indiskutabel, dass Journalisten sich immer wieder solchen Narrativen fügen oder sie bedienen. Zumal sich Narrative sehr leicht zu publizistischen Kampagnen oder regelrechter Propaganda steigern lassen.

MM: Sie weisen darauf hin, dass die Entwicklung der Medien demokratiegefährdend sei. Aber ist nicht der Kapitalismus selbst, dessen Teil die Medien sind, die eigentliche Demokratiegefährdung?

Prof. Teusch: Das ist eine sehr fundamentale Frage. Und ich glaube, man muss da ein wenig differenzieren. Wenn man die letzten ein- bis zweihundert Jahre betrachtet, kann man sagen, dass in vielen Ländern eine kapitalistische Wirtschaftsordnung mit einer Ausweitung demokratischer Rechte und Freiheiten, auch einem hohen Grad an Medienfreiheit, einhergegangen ist. Spannungs- und widerspruchsfrei ist die Beziehung zwischen Kapitalismus und Demokratie aber nicht, und vor allem in Krisen- oder Kriegszeiten kann sie sehr problematisch werden. Wenn das kapitalistische System in eine existenzielle Krise gerät, wächst die Gefahr, dass auch demokratische Errungenschaften zur Disposition gestellt werden. Im Buch behaupte ich, dass wir auf eine solch existenzielle Krise zusteuern – mit entsprechender gesellschaftlicher Politisierung und Polarisierung. Diese Polarisierung kann man auch im Mediensektor beobachten: Mainstreammedien laufen derzeit an der kurzen Leine, werden immer erkennbarer zu System- oder Establishment-Medien. Und in Opposition zu ihnen wächst die Zahl anti-systemischer, alternativer Medien.

MM: Während Sie die Missstände bei der schreibenden Zunft und deren Vorgesetzten und Auftraggebern thematisieren, könnte man doch auch die Frage stellen, ob nicht der Leser eine gehörige Portion Mitschuld an der Entwicklung trägt. Wer zwingt denn die Menschen dazu, diese Dinge zu glauben und zu konsumieren?

Prof. Teusch: Was die Leser, Hörer und Zuschauer angeht, überwiegen für mich eindeutig die positiven Aspekte: Wir haben seit einigen Jahren eine intensive und sich weiter intensivierende medienkritische Debatte und eine breite Unzufriedenheit unter den Rezipienten. Vielerorts sprießen Alternativen, und der Mainstream steht unter erheblichem Druck. Seine Macht erodiert. Ich bin überzeugt, dass er seine einstige unangefochtene Deutungshoheit nicht mehr zurückgewinnen wird. In zehn, zwanzig Jahren wird sich unsere Medienlandschaft grundlegend verändert haben.

MM: Erschreckt es Sie, dass ausgerechnet der amtierende US-Präsident darauf hinzuarbeiten scheint?

Prof. Teusch: Ich glaube, dass Trump auf etwas ganz anderes hinarbeitet. Da sollte man sich keine Illusionen machen. Einige Leute finden es ja zurzeit ziemlich cool, dass er den etablierten Medien kräftig einheizt und sie als „fake news“ bezeichnet. Aber Trump steht genauso wenig für „die Wahrheit“ wie CNN oder die „New York Times“. Was wir hier erleben, ist ein Machtkampf innerhalb der US-Elite oder innerhalb des US-Establishments.

MM: Sie selbst wollen offensichtlich auch in die zukünftige Veränderung der Medienlandschaft eingreifen, was deutlich wird mit dem neuen Start Up umatter.news. Wie soll man eine Nachricht bewerten, wenn man sie nicht prüfen kann?

Prof. Teusch: Umatter.news ist ein neues, alternatives Nachrichtenportal, das sich zurzeit in der Crowdfunding-Phase befindet. Wenn alles gut läuft, könnten wir im Frühjahr richtig an den Start gehen. Umatter zeichnet sich durch extrem hohe Transparenz und engsten Austausch zwischen Autoren und Lesern aus. Ich glaube nicht, dass es so furchtbar schwer ist, richtig guten Journalismus zu erkennen und zu bewerten. Auf der umatter-Seite stehen ja schon einige Probeartikel bereit, sozusagen als „Appetithappen“. Schauen Sie sich zum Beispiel den dreiteiligen Beitrag von Stefan Korinth über die lückenhafte, verzerrende, verfälschende Ukraine-Berichterstattung des Mainstreams an. Das ist eine hervorragend recherchierte, minutiös belegte Analyse, die einem die Augen öffnet und im besten Sinne aufklärerisch ist. Von dieser Art Journalismus brauchen wir viel, viel mehr, und um das zu erreichen, müssen wir neue Strukturen und alternative Publikationsmöglichkeiten schaffen.

MM: Sie setzen sich ein für strukturell unabhängigen und dezentralen Qualitäts-Journalismus. Wird Crowdfunding dafür genügen, wenn der Mainstream sich nur über Werbung und Sponsoring finanzieren kann?

Prof. Teusch: Es gibt ja inzwischen viele ermutigende Beispiele, insbesondere aus den USA, wo der mediale Alternativsektor bereits eine echte Macht darstellt. Es ist natürlich klar, dass es guten, strukturell unabhängigen Journalismus auf Dauer nicht zum Nulltarif geben kann, seine Macher müssen von irgendetwas leben; und da ist das Crowdfunding sicher eine gute Möglichkeit, wobei auch kleine und kleinste Beträge willkommen sind.

MM: Betrachtet man ihre früheren Arbeiten wie „Was ist Globalisierung? (2004), „Die Katastrophengesellschaft. Warum wir aus Schaden nicht klug werden“ (2008), „Nicht schwindelfrei“ könnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie ein pessimistisches Welt- und Menschenbild haben. Woher nehmen Sie dann die Kraft und die Motivation, über die Missstände zu schreiben?

Prof. Teusch: Also, ich verstehe mich weder als Optimist noch als Pessimist, sondern als Realist. Und in so dynamischen Zeiten wie unseren gehört zum Realismus ganz wesentlich die Bereitschaft, zukünftige Entwicklungen, vor allem zukünftige Gefahren und Risiken zu erkennen, also: sie zu antizipieren. Nur wenn das rechtzeitig gelingt, kann man Bedrohungen entgehen und alternative Handlungsspielräume gewinnen. Mit Leuten, die sich lieber ihrem Wunschdenken hingeben, die schlafwandeln oder den Kopf in den Sand stecken, kann ich wenig anfangen.

MM: Was sind ihre nächsten Projekte?

Prof. Teusch: Zunächst will ich alles dafür tun, dass umatter.news bald an den Start gehen kann. Sodann werde ich an dem Thema „Medien / Medienkritik“ sicher noch eine Zeitlang dranbleiben, vielleicht zunächst in Form eines Radio-Features, etwas später dann eines neuen Buchs, mal sehen.

MM: Prof. Teusch, wir danken für das Interview.

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